Georg Etscheit / 12.04.2025 / 14:00 / Foto: Tim Maxeiner / 50 / Seite ausdrucken

Mülltrennung, eine deutsche Passion

Niemals den Aludeckel am Plastikbecher hängen lassen und auch die heute übliche Papierbanderole entfernen. Letztere ist, sofern mit Joghurtresten beschmutzt, in der Restmülltonne zu entsorgen!

Mülltrennung ist eine deutsche Passion. Zur Wertstoffinsel pilgert man wie zur Schwarzen Madonna nach Altötting. Dort wirft man, argwöhnisch beobachtet von anderen Gläubigen, Glasflaschen und sonstige gläserne Behältnisse in die eine, Plastik in die andere Tonne. Und ja alles richtig machen, wie beim lauten Mitbeten des Glaubensbekenntnisses! Manchmal wünsche ich mir eine Neuauflage von Goethes Farbenlehre: Ist die Flasche nun grün oder braun? Oder grünbraun? Was ist mit den blauen und pinkfarbenen Prosecco-Flaschen? Und muss man den Deckel vom leeren Gurken- oder Marmeladenglas abschrauben, bevor man es in die Tonne für Weißglas wirft? Wenigstens ist hier die Farbenfrage eindeutig zu beantworten.

Manche Leute haben die Trennerei so verinnerlicht, dass sie ein schlechtes Gewissen befällt, wenn sie mal ein stinkendes Plastikschälchen, das Heringsfilets oder Sardellen in Öl enthielt und kaum zu reinigen ist, in die schnöde Restmülltonne werfen. Ich kenne einen Russen, der seit langer Zeit in München lebt und mit dem ich mich immer angeregt über das deutsch-russische Verhältnis unterhalte. Der Mann ist ein Muster an Integration, zumindest was Fragen der Mülltrennung anbelangt. Er ärgert sich immer über Leute (wie mich), die den Deckel vor dem finalen Wurf nicht vom Gurkenglas abschrauben und getrennt entsorgen. Seine Einstellung wirkt beruhigend auf mich: Wenn Putin einmarschiert, würde sich am Müllregime wohl nicht viel ändern.

Allerdings sehen viele Leute die Frage, welche Überreste der Konsum- und Wegwerfgesellschaft wohin gehören, nicht ganz so eng. Bei mir im Haus quillt die Restmülltonne regelmäßig über, weil sie vor allem dazu dient, Sperrmüll loszuwerden: Elektrogeräte, Töpfe und Tiegel, sogar Möbelstücke, von Gartenabfällen ganz zu schweigen. Anderes vergammelt auf dem Bürgersteig: „Zu verschenken“. Auf dem Land gibt es Kontrollen, da lassen sie einen Kübel mit „Fehlwürfen“, so heißt das im Recyclerdeutsch, einfach stehen und kleben einen Zettel darauf, eine Art Stigma, das im Zweifelsfall die Nachbarn bemerken. Das steigert den sozialen Druck. Wenn der nicht hilft, muss man eine Strafe zahlen.

So etwas grenzt schon an Sabotage

In der Stadt kräht kein Hahn danach. Das einzige, was man hier einigermaßen konsequent getrennt entsorgt, scheint mir Papier und Pappe zu sein, darunter jede Menge mit Essensresten verschmierte Pizzakartons, die eigentlich in den Restmüll gehören. Und in der Biotonne landen regelmäßig gekochte Speisereste – ein Fest für die Krähen und Ratten, die sich auch im Umkreis der Wertstoffinseln tummeln, die ebenfalls zur Entsorgung von Sperrmüll aller Art missbraucht werden. Vor kurzem hatte dort jemand noch einen verspäteten Weihnachtsbaum abgeworfen. 

Genau genommen ist Mülltrennung eine Wissenschaft, man kann sagen Theologie. Wie man einen Jogurtbecher fachgerecht entsorgt, erläuterte ein gewisser Dietmar Böhm, Vorstand des Recyclingunternehmens Prezero, in einem Interview der Süddeutschen Zeitung. Erste Regel: Niemals den Joghurtbecher reinigen, weil dabei zu viel kostbares Warmwasser verschwendet wird. Zweite Regel: Niemals den Aludeckel am Plastikbecher hängen lassen und auch die heute übliche Papierbanderole entfernen. Letztere ist, sofern mit Joghurtresten beschmutzt, in der Restmülltonne zu entsorgen. 

Für Herrn Böhm ist das die „Königsdisziplin der Mülltrennung“. Wenn man die nicht beherrscht – nur jeder Zehnte wirft dem Experten zufolge einen Joghurtbecher richtig weg – kommt das Erkennungssystem der Sortieranlage durcheinander, und das kann niemand wollen. Ganz schlimm sind Videokassetten oder Batterien im „Gelben Sack“. Die Bänder verheddern sich in den Förderanlagen und Batterien können ganze Recyclinganlagen in Brand setzen. „Wir haben vor zwei Jahren deshalb unsere Anlage in Zwolle verloren, die ist komplett niedergebrannt. Rund 30 Millionen Euro haben sich einfach in Rauch aufgelöst.“ So etwas grenzt schon an Sabotage.

Komplexer Umgang mit Ostereiern

Böhm ist übrigens kein Freund von dünnwandigen Plastikbechern, die dann mittels einer Papierummantelung stabilisiert werden müssen. Als ökologisch gesinnter Verbraucher denkt man ja, dass das ein toller Fortschritt ist auf dem beschwerlichen Weg zur Zero-Waste-Society. Weit gefehlt: „Lieber habe ich einen etwas dickeren Kunststoffbecher, der nicht mit einer Papierbanderole gestützt wird. Denn dann habe ich einen Monostrom, also aus nur einer Kunststoffsorte, der sehr sauber ist, wenn der Aludeckel abgezogen wird. Den kann ich wahrscheinlich zu 98 Prozent recyceln.“ Das ist doch mal eine Hausnummer.

Bald naht das Osterfest, und mit dem Fest stellen sich noch einmal ganz besondere Herausforderungen an die Mülltrennung. Klar: Die bunten Staniolhüllen von Schokoeiern gehören in den „Gelben Sack“ oder die für solche Abfälle zuständige Container der Wertstoffinsel. Kaputte Osterkörbchen dagegen in die Restmülltonne, die brennen immerhin gut. Etwas komplexer ist der Umgang mit den Schalen gefärbter Ostereier. Mit Natur- oder Lebensmittelfarben behandelte Eier kommen in die Biotonne. Anders sieht es aus, wenn für die Dekoration der Eier Folien zum Einsatz kamen, „etwa mit Glitzer oder Metallic-Effekten“, heißt es von Seiten des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU). „Sie sollten zusammen mit den Eierschalen in die Restmülltonne gegeben werden.“ Das musste einmal klargestellt werden, danke!

In der Ausübung ihres Dienstes zu Tode gekommene Osterhasen gehören in die Tierkörperbeseitigungsanlage. Der Abfallwirtschaftsbetrieb der bayerischen Landeshauptstadt München verfügt sogar über einen „Einsammeldienst für tote Fundtiere auf öffentlichem Grund“ bis zur „Größe eines Schäferhundes“, die Osterhasen aber in der Regel nicht überschreiten. Kleinere Exemplare kann man, wie Hamster oder Meerschweinchen, problemlos im Garten bestatten. Noch vorhandene Ostereier in der Kiepe bitte getrennt nach oben genannten Regeln entsorgen!

 

Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik. Er schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss, und auf Achgut.com eine kulinarische Kolumne.

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

netiquette:

Walter Weimar / 12.04.2025

Mülltrennung, erstens, ein nicht durchführbarer Vorgang. Müll hat nur eine Silbe, Trennung nicht möglich. Zweitens, immer wenn ich den gesamten Müll in einem Beutel hinaus schaffe, sage ich zu meiner Frau, sie möchte sich bitte verabschieden. Drittens, bis zur Klärung der Frage was ist Müll und was ist Restmüll kommt alles in einen Eimer, paßta.

N.Hodgson / 12.04.2025

@Petra Göllwarth….man kann das auch wunderbar recherchieren, was mit unserem obsessiv compulsive, gewaschen,getrocknet, geföhnten Plastikgift passiert…..Gehorsamsprüfung par excellence.

Lutz Liebezeit / 12.04.2025

Zunächst möchte ich einen Zusammenhang erfragen, nämlich der Trockenheit und den Windparks? Ist es möglich, daß die abgezogene kinetische Energie und die durch Flügelschlag verursachten Interferenzen die Wolkenbildung beeinflussen? Das Windsterben war hier Thema, aber war auch “Harvard-Forscher sagen: Windkraft fördert Erderwärmung“ Thema? Kalifornien und Mexiko trocknen aus, konnte man letzten Sommer lesen. Und jetzt trocknen wir aus? Und wenn das noch nicht reicht, welche Rolle spielt das Geoengeneering? Die Chaostheorie besagt, daß der Flügelschlag eines Schmetterlings in Asien einen Orkan in Florida auslösen kann. Und ein Schmetterling ist erheblich kleiner als ein 300 m hoher Windmotor. Konrad Lorenz schrieb über empfindliche Ökosysteme, ein invasiver Hase hätte sich in Australien rasant vermehrt. Er stürzte sich hungrig auf eine kleine Pflanze, welche Grundlage einer Nahrungskette war und damit den Zusammenbruch eines Ökosystems ausgelöst hat.

Nikolaus Neininger / 12.04.2025

Wie macht man eigentlich die Mülltrennung für Windradflügel? Die äußere Plastikhaut abschälen, das Holz zum Bauschutt? Ach, halt! In dem Plastik ist ja noch Glas drin, manchmal sogar auch Kohle. Zu kompliziert - einfach verbuddeln, wenn keiner zuschaut.

Emil.Meins / 12.04.2025

Die Moral von der Geschicht: Man kann alles übertreiben. Sinnlose Regelungswut bis ins kleinste Detail. Auf der anderen Seite braucht der Deutsche inzwischen für alles einen “Coach”, oder einen Live-hack auf dem Smartphone, weil er zu blöd zum Selbstdenken ist, nebenbei ein gutes Geschäft. Daß die Mülltrennung ein Betrug ist, zeigt am besten der ungewaschene Joghurtbecher: wie soll der recycelt werden? Das Geschwätz vom Wasserverbrauch ist auch inzwischen widerlegt, nachdem Abwasserkanäle wegen der Wassersparerei extra gespült werden müssen, da der Dreck sonst nicht wegschwimmt. Diese Woche ein Bericht im Regionalfernsehen über eine Anlage zur Mülltrennung, die alles zerkleinert und par Windsichtung und mit Magneten die Metalle und Fremdstoffe sortiert. Geht also. Aber wie in den Kommentaren erwähnt, wird wohl ein Großteil “thermisch verwertet” also schlicht verbrannt. Die Deutschen wurden über Jahre “geschult”  sprich belehrt, da die Regeln immer absurder und komplizierter wurden, und trotzdem werfen Leute Windeln und verdreckte Küchenrollen ins Altpapier, und auch die tollen Verbundverpackungen verunmöglichen nur echtes Recycling, aber die Grünen jubeln, sie hätten die Welt verbessert. Die mit Folie/Alu beschichteten Tetrapacks lassen sich bis heute nicht sinnvoll recyceln, auch wenn mal demonstrativ z.B. Parkbänke o.ä. daraus gepreßt wurden, blieben das reine Propagandamaßnahmen, durchgesetzt hat sich davon nichts. In Rumänien sieht man das andere Extrem: da keine Aufklärung über Mülltrennung gemacht wird, werfen die Leute allen Dreck beliebig in die bunten Container, unten eine dicke Schicht Restmüll, wenn sie geleert wurden. Es gibt zwar theoretisch eine Trennung, aber ohne Aufklärung klappt das nicht. Sogar nach der Einführung eines Pfands (10 Cent) auf Flaschen und Dosen wirft der Rumäne immer noch gern alles aus dem Autofenster. Es gibt in meinem Dorf zwar Werbung für Mülltrennung am Ortseingang, aber keine Container mehr, denn die waren immer voll Restmüll.

Rainer Niersberger / 12.04.2025

@H.Robinson : Eine interessante Zusammenschau. Das grosse Ganze geht ja durch die Beschäftigung mit den “Einzelmassnahmen” gerne verloren und dann wirkt es nicht mehr richtig. In dieser Zusammenstellung liegt allerdings auch der Gewöhnungsaspekt, sehr wichtig und in Sch’land sehr leicht zu erreichen.  Der Michel fragt dann nicht mehr nach, schon gar nicht bei Massnahmen der Obrigkeit. Er funktioniert, partiell sogar begeistert ob seines Untertanengehorsames und seines wesentlichen Beitrages zur Weltrettung.  Seine Neigung zur Übertreibung qua Perfektion beruht auf psychischen Besonderheiten und wird leicht streberhaft bis obssessiv. Er ist und bleibt das ideale Machtobjekt fuer Totalitaere.

Petra Wilhelmi / 12.04.2025

Mülltrennung? Nur ansatzweise, wenn ich mal Pakete vom Onlinehandel erhalte. Bei uns vor dem Haus: Müllauto, eine Frau wollte ihre Glasflaschen in den Flaschencontainer stecken, Müllmann hilft ihr und schwupps landet die Flasche in seinem Müllauto und nicht im Glascontainer. Mülltrennung? Er wusste, dass alles zusammen ausgekippt und bestenfalls verbrannt wird. Flaschenverschluss: Ich schneide die grundsätzlich ab. Habe den Verschluss aber dann in den Müll geworfen, wollte für die Wasserflasche dann den Pfand wieder haben, stecke sie in den Automaten, der Automat nimmt aber die Flasche NUR mit Deckel an. Ohne Verschluss kommt die immer wieder heraus. Die ganze Flasche habe ich nun eben weggeworfen. Mülltrennung? Wenn man die Abnahme von Wasserflaschen (Plastik) vom Deckel abhängig macht? Ich habe mich köstlich darüber amüsiert. Nun war sie im Müll und kommt sicherlich mit den anderen im Müll zusammen. Hat Deutschland nicht andere Probleme als den Müll? Welcher wo und wie in die Tonne geworfen werden soll? Sollten wir uns nicht um wichtigere Dinge kümmern als Müllschnüffler (in manchen Bundesländer) zu bezahlen? Wenn ein Land 404 wird, hilft es auch nicht, dass man den Müll trennen kann.

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