Niemals den Aludeckel am Plastikbecher hängen lassen und auch die heute übliche Papierbanderole entfernen. Letztere ist, sofern mit Joghurtresten beschmutzt, in der Restmülltonne zu entsorgen!
Mülltrennung ist eine deutsche Passion. Zur Wertstoffinsel pilgert man wie zur Schwarzen Madonna nach Altötting. Dort wirft man, argwöhnisch beobachtet von anderen Gläubigen, Glasflaschen und sonstige gläserne Behältnisse in die eine, Plastik in die andere Tonne. Und ja alles richtig machen, wie beim lauten Mitbeten des Glaubensbekenntnisses! Manchmal wünsche ich mir eine Neuauflage von Goethes Farbenlehre: Ist die Flasche nun grün oder braun? Oder grünbraun? Was ist mit den blauen und pinkfarbenen Prosecco-Flaschen? Und muss man den Deckel vom leeren Gurken- oder Marmeladenglas abschrauben, bevor man es in die Tonne für Weißglas wirft? Wenigstens ist hier die Farbenfrage eindeutig zu beantworten.
Manche Leute haben die Trennerei so verinnerlicht, dass sie ein schlechtes Gewissen befällt, wenn sie mal ein stinkendes Plastikschälchen, das Heringsfilets oder Sardellen in Öl enthielt und kaum zu reinigen ist, in die schnöde Restmülltonne werfen. Ich kenne einen Russen, der seit langer Zeit in München lebt und mit dem ich mich immer angeregt über das deutsch-russische Verhältnis unterhalte. Der Mann ist ein Muster an Integration, zumindest was Fragen der Mülltrennung anbelangt. Er ärgert sich immer über Leute (wie mich), die den Deckel vor dem finalen Wurf nicht vom Gurkenglas abschrauben und getrennt entsorgen. Seine Einstellung wirkt beruhigend auf mich: Wenn Putin einmarschiert, würde sich am Müllregime wohl nicht viel ändern.
Allerdings sehen viele Leute die Frage, welche Überreste der Konsum- und Wegwerfgesellschaft wohin gehören, nicht ganz so eng. Bei mir im Haus quillt die Restmülltonne regelmäßig über, weil sie vor allem dazu dient, Sperrmüll loszuwerden: Elektrogeräte, Töpfe und Tiegel, sogar Möbelstücke, von Gartenabfällen ganz zu schweigen. Anderes vergammelt auf dem Bürgersteig: „Zu verschenken“. Auf dem Land gibt es Kontrollen, da lassen sie einen Kübel mit „Fehlwürfen“, so heißt das im Recyclerdeutsch, einfach stehen und kleben einen Zettel darauf, eine Art Stigma, das im Zweifelsfall die Nachbarn bemerken. Das steigert den sozialen Druck. Wenn der nicht hilft, muss man eine Strafe zahlen.
So etwas grenzt schon an Sabotage
In der Stadt kräht kein Hahn danach. Das einzige, was man hier einigermaßen konsequent getrennt entsorgt, scheint mir Papier und Pappe zu sein, darunter jede Menge mit Essensresten verschmierte Pizzakartons, die eigentlich in den Restmüll gehören. Und in der Biotonne landen regelmäßig gekochte Speisereste – ein Fest für die Krähen und Ratten, die sich auch im Umkreis der Wertstoffinseln tummeln, die ebenfalls zur Entsorgung von Sperrmüll aller Art missbraucht werden. Vor kurzem hatte dort jemand noch einen verspäteten Weihnachtsbaum abgeworfen.
Genau genommen ist Mülltrennung eine Wissenschaft, man kann sagen Theologie. Wie man einen Jogurtbecher fachgerecht entsorgt, erläuterte ein gewisser Dietmar Böhm, Vorstand des Recyclingunternehmens Prezero, in einem Interview der Süddeutschen Zeitung. Erste Regel: Niemals den Joghurtbecher reinigen, weil dabei zu viel kostbares Warmwasser verschwendet wird. Zweite Regel: Niemals den Aludeckel am Plastikbecher hängen lassen und auch die heute übliche Papierbanderole entfernen. Letztere ist, sofern mit Joghurtresten beschmutzt, in der Restmülltonne zu entsorgen.
Für Herrn Böhm ist das die „Königsdisziplin der Mülltrennung“. Wenn man die nicht beherrscht – nur jeder Zehnte wirft dem Experten zufolge einen Joghurtbecher richtig weg – kommt das Erkennungssystem der Sortieranlage durcheinander, und das kann niemand wollen. Ganz schlimm sind Videokassetten oder Batterien im „Gelben Sack“. Die Bänder verheddern sich in den Förderanlagen und Batterien können ganze Recyclinganlagen in Brand setzen. „Wir haben vor zwei Jahren deshalb unsere Anlage in Zwolle verloren, die ist komplett niedergebrannt. Rund 30 Millionen Euro haben sich einfach in Rauch aufgelöst.“ So etwas grenzt schon an Sabotage.
Komplexer Umgang mit Ostereiern
Böhm ist übrigens kein Freund von dünnwandigen Plastikbechern, die dann mittels einer Papierummantelung stabilisiert werden müssen. Als ökologisch gesinnter Verbraucher denkt man ja, dass das ein toller Fortschritt ist auf dem beschwerlichen Weg zur Zero-Waste-Society. Weit gefehlt: „Lieber habe ich einen etwas dickeren Kunststoffbecher, der nicht mit einer Papierbanderole gestützt wird. Denn dann habe ich einen Monostrom, also aus nur einer Kunststoffsorte, der sehr sauber ist, wenn der Aludeckel abgezogen wird. Den kann ich wahrscheinlich zu 98 Prozent recyceln.“ Das ist doch mal eine Hausnummer.
Bald naht das Osterfest, und mit dem Fest stellen sich noch einmal ganz besondere Herausforderungen an die Mülltrennung. Klar: Die bunten Staniolhüllen von Schokoeiern gehören in den „Gelben Sack“ oder die für solche Abfälle zuständige Container der Wertstoffinsel. Kaputte Osterkörbchen dagegen in die Restmülltonne, die brennen immerhin gut. Etwas komplexer ist der Umgang mit den Schalen gefärbter Ostereier. Mit Natur- oder Lebensmittelfarben behandelte Eier kommen in die Biotonne. Anders sieht es aus, wenn für die Dekoration der Eier Folien zum Einsatz kamen, „etwa mit Glitzer oder Metallic-Effekten“, heißt es von Seiten des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU). „Sie sollten zusammen mit den Eierschalen in die Restmülltonne gegeben werden.“ Das musste einmal klargestellt werden, danke!
In der Ausübung ihres Dienstes zu Tode gekommene Osterhasen gehören in die Tierkörperbeseitigungsanlage. Der Abfallwirtschaftsbetrieb der bayerischen Landeshauptstadt München verfügt sogar über einen „Einsammeldienst für tote Fundtiere auf öffentlichem Grund“ bis zur „Größe eines Schäferhundes“, die Osterhasen aber in der Regel nicht überschreiten. Kleinere Exemplare kann man, wie Hamster oder Meerschweinchen, problemlos im Garten bestatten. Noch vorhandene Ostereier in der Kiepe bitte getrennt nach oben genannten Regeln entsorgen!
Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik. Er schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss, und auf Achgut.com eine kulinarische Kolumne.