Christian Osthold, Gastautor / 23.11.2019 / 14:00 / Foto: Superbass / 20 / Seite ausdrucken

„Moscheen für Integration“ als Symptom akuter Hilflosigkeit

Von Christian Osthold.

Dreizehn Jahre sind vergangen, seit am 27. September 2006 im Schloss Charlottenburg die Auftaktsitzung der Deutschen Islamkonferenz (DIK) stattfand. Angesichts der zweifelhaften Organisationen, die das Bundesinnenministerium damals zu seinen Partnern erkor, ist wenig überraschend, dass die Bilanz des längst zur Farce gewordenen Gremiums ernüchternd ausfällt: Anstatt nennenswerte Fortschritte bei der Integration der mittlerweile bis zu 5 Millionen Muslime in Deutschland zu erzielen, haben die involvierten Islamverbände vor allem eins erreicht – eine erhebliche Aufwertung ihres Einflusses.

Es lässt sich schwerlich sagen, was Horst Seehofer wohl durch den Kopf ging, als er die Öffentlichkeit am 15. November 2019 über den bevorstehenden Beginn des Projekts „Moscheen für Integration“ informierte. Dem Auftreten des Innenministers nach zu urteilen, schien sich sein Enthusiasmus jedoch in Grenzen zu halten. Wenig später wurde denn auch klar, warum: Was auf den ersten Blick als guter Ansatz erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als Symptom akuter Hilflosigkeit. So will die Bundesregierung bei der Integration zwar neue Wege gehen, indem sie erstmals vom bisherigen „Top-Down-Prinzip“ abrückt; die ihm zugrunde liegende Kooperation mit den Islamverbänden bleibt jedoch bestehen. 

Dass Horst Seehofer sichtlich darum bemüht war, seine Absichten als einen Akt der Wertschätzung darzustellen, vermag ebenso wenig darüber hinwegzutäuschen, dass der Start des im Rahmen der vierten Phase der DIK evaluierten Projekts zunächst eine tiefe Zäsur zu markieren schien, wie die versöhnliche Pressemitteilung, die am selben Tag vom Innenministerium herausgegeben wurde. 

Forderung nach mehr Transparenz

Darin heißt es: „‚Moscheen für Integration' unterstützt Moscheegemeinden und die mit ihnen verbundenen Akteure in Wohlfahrt und Seelsorge dabei, sich aktiv in ihre jeweiligen Nachbarschaften und örtliche Strukturen einzubinden. Ihre vielfältige soziale und zivilgesellschaftliche Arbeit soll damit sichtbarer, zugänglicher und stärker in der deutschen Gesellschaft verortet werden.“

Während diese Zeilen suggerieren, die Angebote islamischer Gemeinden im Bereich von Wohlfahrt und Seelsorge reichten nicht zur flächendeckenden Versorgung ihre Mitglieder aus, vermittelten die Ausführungen Seehofers einen gänzlich anderen Eindruck. Ohne Umschweife stellte der Innenminister heraus, worauf sein „Fördervorhaben“ konkret abziele: „Erstmals setzen wir unmittelbar in den Moscheegemeinden an und wollen diese konkret unterstützen; wir wollen helfen, dass sich die muslimischen Gemeinden stärker öffnen für die Aktivitäten und Angebote in ihrem jeweiligen kommunalen Umfeld […] Und umgekehrt sollen auch nichtreligiöse Angebote der Moscheegemeinden offener für ihr nichtmuslimisches Umfeld werden.“

Zweifel an Kooperation mit Islamverbänden? 

Um die Tragweite dieser Äußerung zu ermessen, ist es nötig, ihre Implikationen im Lichte staatlicher Islampolitik zu betrachten, woraus im Wesentlichen zwei Erkenntnisse folgen. Die erste bezieht sich darauf, dass die Bundesregierung Moscheegemeinden bislang nicht direkt, sondern ausschließlich über die mit ihnen assoziierten Verbände adressiert hat, und besagt, dass diese Hierarchie nun aufgeweicht werden soll. Die damit eingeleitete Kurskorrektur ist bemerkenswert, weil die Kooperation mit den Islamverbänden stets darauf basierte, sie als legitime Vertreter der deutschen Muslime zu betrachten und ihren Zusagen zu vertrauen, die Anliegen der Politik in ihre Gemeinden zu tragen. 

Das offenkundige Scheitern dieses Konzepts, das ich bereits vor einem Jahr anhand der Satzungen von Deutschlands größtem Islamverband DITIB sowie am Beispiel des Islamischen Zentrum Hamburg diagnostizierte, führt zur zweiten Erkenntnis, wonach nun auch die Bundesregierung eingesehen hat, dass ihr Kalkül nicht aufgegangen ist. Die Initiative des Innenministers ist demnach kein Zufall, sondern die längst überfällige Reaktion darauf, dass sich die Islamverbände durch ihr Verhalten immer wieder als Partner disqualifiziert haben.

Das Ergebnis einer fehlgeleiteten Politik 

Die sich nun abzeichnende Kehrtwende basiert deshalb auf einer zwingenden Feststellung: Anstatt sich für die Öffnung gegenüber der säkularen Mehrheitsgesellschaft zu verwenden, haben die Islamverbände ihre Religion in den letzten Jahren erfolgreich zu einem politischen Machtinstrument erhoben; zudem ist es ihnen gelungen, sich der Politik als Vermittler zwischen Staat und Muslimen aufzunötigen. Immerhin hat dieses vorgebliche Kompetenz-Monopol die Bundesregierung nun zu einer kritischen Revision bewogen. Das ist richtig und gut. Die entscheidende Frage lautet allerdings, was konkret für Handlungsdirektiven daraus erwachsen.

Ihr scharfsinniger Plan, in Zukunft nicht mehr blind auf die Zusagen der Islamverbände zu vertrauen, deren Funktionäre dafür bekannt sind, sich bei jeder Gelegenheit mit beflissener Willfährigkeit zu Vielfalt und Toleranz zu bekennen, sondern direkt an die einzelnen Moscheen heranzutreten, ist eine vernünftige Maßnahme, die sich angesichts der viel zu engen Verbindungen von Politik und Verbandsislam als geradezu unentbehrlich erweist. 

Die Kooperation mit der DIK ist ein Desaster

So legt das Vorhaben nun zumindest implizit offen, was in politischen Kreisen noch immer als unsagbar gilt: Trotz der intensiven Bemühungen, die die Bundesregierung bislang in ihre Kooperation mit den Islamverbänden investiert hat, ist es nicht gelungen, die mit ihnen assoziierten Gemeinden für eine Annäherung an ihr säkulares Umfeld zu begeistern. Weniger vornehm ausgedrückt, würde man sagen: Die mithilfe der Deutschen Islamkonferenz betriebene Integrationspolitik ist ein Desaster und längst zum Opfer des Mythos ihrer einstigen Bedeutung geworden.

Da man das Erreichen der an sie geknüpften Zeile den Islamverbänden allein offenbar nicht mehr zutraut, wird nun geprüft, ob dies künftig mit anderen Mitteln erfolgen kann. Zu diesem Zweck werden in den nächsten drei Jahren insgesamt 7 Millionen Euro bereitgestellt, um damit 50 Moscheen zu unterstützen, deren Auswahl unabhängigen Trägern obliegt. Da diese Zuwendungen im Rahmen eines Pilotprojekts erfolgen, bleiben sie zunächst nur auf Sozialarbeit, Beratungsangebote sowie Integrationskurse beschränkt.

Zwar monieren Kritiker, dass auch Gemeinden aus zweifelhaften Verbänden von dem Projekt profitieren könnten, die wie DITIB aus dem Ausland gesteuert werden und in der Vergangenheit wiederholt durch extremistische Skandale in die Schlagzeilen geraten sind, doch wäre es voreilig, das Unterfangen deswegen nicht ernst zu nehmen. 

Integration ohne Islam

Nun lässt sich natürlich darüber streiten, inwieweit noch mehr Integrationskurse einen sinnvollen Beitrag dazu leisten können, die tiefen Gräben zu überbrücken, die die Welt deutscher Moscheegemeinden noch immer viel zu häufig von ihrem säkularen Umfeld trennen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass „Moscheen für Integration“ keine Stärkung des Islam, sondern dessen Marginalisierung im Sinn hat. Mit anderen Worten: Um die Integration zu fördern, sollen die Menschen einander künftig nicht mehr als Angehörige einer Religionsgemeinschaft, sondern als Staatsbürger begegnen. Dies ist in der Tat ein vielversprechender Ansatz, der sich bereits in der Epoche der Aufklärung bewährt hat; das Problem ist nur, dass er im vorliegenden Fall wenigstens dreizehn Jahre zu spät kommt.

Um zu unterstreichen, aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt zu haben, stellte Horst Seehofer heraus, die teilnehmenden Moscheen sollten ihre „nichtreligiösen Angebote“ stärker betonen. Zwar präzisierte er nicht, wie realistisch die dabei in Aussicht gestellten Erfolgschancen eigentlich sind, doch ließ er es sich nicht nehmen, weniger später doch noch Anlass zur Hoffnung zu geben: Dass man mithilfe des neuen Projekts nämlich auch den ausländischen Einfluss auf die Imamausbildung zu schwächen beabsichtigt, kann tatsächlich als Beleg dafür gelten, dass sich die Maßnahme auch gegen die konservative Theologie der Islamverbände richtet, die sämtliche Integrationsbemühungen seit jeher konterkariert. 

Dass Bund und Länder allerdings ebenso lang daran scheitern, selbst einen für seine zahlreichen Skandale so notorischen Islamverband wie DITIB in die Schranken zu weisen, der nicht nur aus dem Ausland finanziert, sondern gemäß seiner Satzung mit dem türkischen Amt für religiöse Angelegenheiten DIYANET auch nachgerade von einem fremden Staat gesteuert wird, ließ Seehofer unerwähnt. Dieses Taktieren mag aus politischen Erwägungen heraus nachvollziehbar sein, bleibt aber folgenschwer, weil es eine Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Ursache für das Scheitern sämtlicher DIK-gestützter Integrationsmaßnahmen verhindert.

Kooperation mit Islamverbänden ist nicht Lösung, sondern Teil des Problems 

So begrüßenswert die Erprobung neuer Konzepte zur Integration auch sein mag, bleibt Seehofers Vorstoß also nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, weil die Politik trotz allem auf die Unterstützung ihrer zweifelhaften Partner zu setzen beabsichtigt. Dies bedeutet nichts anderes, als auch weiterhin einer Tatsache die Anerkennung zu verweigern, die angesichts der prägenden Erfahrungen der letzten Jahre längst zu einer Trivialität geworden ist:  Die Kooperation mit den Islamverbänden ist ein verhängnisvoller Fehler, weil sie konservative Organisationen zu politischen Akteuren aufwertet, deren Agenda auf dem Prinzip der Demarkation basiert und darauf abzielt, dass sich ihre Mitglieder in erster Linie als Muslime – und nicht als Staatsbürger –  betrachten. 

Aus diesem Grund bedeutet ein Festhalten an der bisherigen Zusammenarbeit, die nicht an die Islamverbände gebundene Mehrheit der Muslime in Deutschland sträflich zu vernachlässigen, und gleichzeitig die Kluft der Abgrenzung zu vertiefen, die jene Organisationen als Reservoir zur Rekrutierung ihrer Klientel nutzen. Anders als die Vertreter des Verbandsislam ihre gutgläubigen Partner in der Politik glauben machen wollen, bilden deutsche Muslime eine überaus vielfältige Gruppe ab, deren Angehörige sich durch ihre Herkunft, ihre Sprache, ihren sozialen Status und ihre Haltung zur Religion viel zu sehr voneinander unterscheiden, als dass sich ihnen gegenüber eine einheitliche Politik betreiben ließe. 

Individuelle Freiheit ist die Lösung

Anstatt mit reaktionären Organisationen zu kooperieren, die ohnehin nur sich selbst vertreten und regelmäßig unter Beweis stellen, was sie von den Wertegrundlagen halten, deren formelle Akzeptanz ihnen überhaupt erst jene Privilegien verschafft hat, die ihnen in Hamburg und Bremen mittlerweile sogar durch Staatsverträge garantiert werden, sollte die Politik endlich das muslimische Individuum als ihren Partner würdigen. Nur wenn es gelingt, die sozialen Zwänge sowie die Auswirkungen jener systematischen Indoktrination zu entschärfen, die die Islamverbände kraft der ihnen vom deutschen Staat verliehenen Autorität seit Jahren ungehindert betreiben, hat der einzelne Muslim die Möglichkeit, sich zu emanzipieren und seine Religion in die Sphäre des Privaten zu verlagern. 

Deshalb gilt: Solange die Islamverbände in nennenswerter Weise an Projekten zur Integration beteiligt werden, bleiben die mit ihnen verbundenen Maßnahmen auch dann zum Scheitern verurteilt, wenn ihnen durchaus praktikable Ansätze zugrunde liegen. Vor diesem Hintergrund ist nicht eine durch die Ausweitung der Islamkonferenz bedingte Stärkung des Verbandsislam, sondern die Förderung individueller Freiheit das Gebot der Stunde.  

 

Christian Osthold berät als Experte für den Islam und Russland  seit Jahren politische Parteien und staatliche Einrichtungen. Er schreibt Gastbeiträge u.a. für Focus-Online.

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Leserpost

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Bernhard Maxara / 23.11.2019

Wäre nicht der erste Schritt zum individuellen Ansatz die Aufklärung jedes einzelnen muslimischen Familienvaters darüber, daß in Deutschland jedem seiner Kinder ab dem zwölften Lebensjahr die Wahl zusteht, Religionsunterricht (hier Koranschule) anzunehmen oder nicht?

Wilfried Cremer / 23.11.2019

Die finanzielle Förderung des Islam sollte von der Streichung von Suren, in denen zum Mord aufgerufen wird, abhängig gemacht werden. Das (katholische) Christentum muss natürlich ein gutes Beispiel geben und in Person des Papstes den schlimmen Satz: “Sein Blut komme über uns und unsere Kinder” aus dem Neuen Testament entfernen. Dass der Papst dazu die Kompetenz besitzt, hat er mit der Abänderung des Vaterunser gezeigt.

Richard Rosenhain / 23.11.2019

Der Beitrag läßt mich ratlos zurück. Entweder der Autor kennt das Buch „Europa und das kommende Kalifat“ (und die dort dokumentarisch belegte jahrzehntelange Anbiederung höchster EU-Machthaber an mohammedanische Interessenverbände) von BAT Ye Or nicht - dann ist er kein „Experte“, dessen „Beratung“ irgendeinen Nutzen bringen könnte. Oder er kennt es und verschweigt uns die langfristige EU-Strategie - dann ist er .... (hier möge der kundige Leser selbst den geeigneten Begriff selbst einsetzen).

Frank Stricker / 23.11.2019

“Moscheen für Integration” ist genau so bescheuert wie ein möglicher Slogan “Burka für mehr Gleichberechtigung der Frau” !!

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