In Paris findet ein Prozess wegen Bildung einer terroristischen kriminellen Vereinigung statt. Im Zentrum steht der Vorwurf einer „Online-Fatwa“ gegen den Lehrer Samuel Paty, die dessen Ermordung zur Folge hatte.
„Hätte es mich nicht gegeben, wäre es trotzdem passiert.“ So lautet einer der Sätze, den Abdelhakim Sefrioui vor Gericht häufig wiederholt, wie der Journalist Etienne Campion im französischen Magazin Marianne berichtet.
Die Worte fielen am 3. Dezember im Prozess wegen Bildung einer terroristischen kriminellen Vereinigung vor einem Sondergericht im Palais de Justice im Zentrum von Paris, der derzeit läuft. Sefrioui ist als einer der Hauptverantwortlichen angeklagt, die im Oktober 2020 mit religiösem Eifer bösartige Falschnachrichten über Samuel Paty im Internet verbreiteten. Die Rede ist von einer „Online-Fatwa“ gegen jenen Geografie- und Geschichtslehrer, der vor seiner Schule in Paris enthauptet wurde.
Sefrioui wird bezichtigt, mit seinen Internetvideos dazu beigetragen zu haben, dass der achtzehnjährige tschetschenische Islamist Abdoullakh Anzorov am 16. Oktober 2020 von seiner Wohnung in der Normandie aus zur Schule Collège du Bois-d’Aulne im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine fuhr und Samuel Paty vor der Schule auf offener Straße enthauptete, nachdem er Schülern zuvor Geld gegeben hatte, um den Lehrer für ihn zu identifizieren. Der Täter wurde von der kurz darauf eintreffenden Polizei erschossen.
Ein Angeklagter äußert Bedauern
Brahim Chnina steht als mutmaßlicher Stichwortgeber des Täters ebenfalls vor Gericht. Durch ihn wurde Sefrioui erst auf Paty aufmerksam. Chnina ist der Vater jener Schülerin, mit deren Lüge alles begann. Die heute Sechzehnjährige, die nur mit dem Pseudonym „Zorah“ benannt werden darf, war wegen wiederholten Fehlverhaltens vom Unterricht suspendiert worden. Ihren Eltern erzählte sie, Paty habe den Schülern Bilder des nackten Propheten Mohammed gezeigt und dazu muslimische Schüler vom Unterricht ausgeschlossen. In Wahrheit war sie gar nicht in der Schule gewesen.
Paty hielt an jenem Tag eine im Lehrplan vorgesehene Unterrichtseinheit zum Thema Meinungsfreiheit ab. Dabei sollte auch die Debatte über die sogenannten Mohammed-Karikaturen der Satirezeitschrift Charlie Hebdo Thema sein. Der Lehrer hatte die Bilder im Rahmen eines Ethikkurses verwendet, um die Gesetze zur Redefreiheit in Frankreich und die Frage von „Dilemmata“zu diskutieren.
Paty stellte die Frage „Charlie sein oder nicht sein?“ und bezog sich dabei auf den Hashtag #JeSuisCharlie, der verwendet worden war, um Unterstützung für die Zeitung nach einem Terroranschlag auf ihre Büros im Januar 2015 auszudrücken, bei dem zwölf Menschen ermordet wurden. Er hatte niemanden aufgefordert, den Raum zu verlassen. Bevor Paty den Schülern die Karikaturen zeigte, stellte er ihnen frei, wegzusehen oder das Klassenzimmer kurzzeitig zu verlassen, falls sie sich durch die Zeichnungen beleidigt fühlen könnten.
Brahim Chnina verbreitete „Zorahs“ Lüge über Facebook, bezeichnete den mit Namen genannten Lehrer als „voyou“(Gauner) und gab auch die Schuladresse an. Dadurch wurde Sefrioui aufmerksam und produzierte einen Film, in dem er Vater und Tochter interviewte und Paty als „Schläger“ und vermeintlichen Feind des Islams bezeichnete, der muslimische Schüler diskriminiere. Daraufhin gab es zwölf Tage lang gegen Paty Morddrohungen, die an die Schule gerichtet waren bzw. im Internet veröffentlicht wurden und ihn der „Islamophobie“bezichtigten.
Brahim Chnina, ein zweiundfünfzigjähriger marokkanischer Staatsbürger, sagte vor Gericht, er bedaure, was passiert ist. „Ich für meinen Teil bereue unendlich, was ich getan habe. Ich bereue es sehr. Ich bin kein Terrorist und kein Teil einer terroristischen kriminellen Vereinigung. Es stimmt, dass ich ein Video gemacht habe und ich bereue, dass es schlecht gelaufen ist.“
Chnina, der seit vier Jahren in Untersuchungshaft sitzt, gab zu, erzählt zu haben, Samuel Paty habe damit „geprahlt“, Charlie Hebdo zu unterstützen, betonte aber zugleich, kein Extremist zu sein: „Ich bin kein Radikaler. Ich praktiziere meine Religion wie alle Muslime in Frankreich. Ich versuche jeden Tag zu beten. Meine Kinder haben die Wahl, ob sie beten oder nicht. Leider habe ich die Nachricht weitergegeben, die mir meine Tochter erzählt hat. Ich habe geglaubt, dass Herr Paty wollte, dass alle Schüler Charlie unterstützen.“
Seine Tochter hatte zuvor vor Gericht zugegeben, gelogen zu haben und sich bei Patys Familie mit den Worten „Es tut mir leid, dass ich Ihr Leben zerstört habe“ entschuldigt. Die Schülerin war letztes Jahr wegen der verleumderischen Anschuldigungen, die sie gegen Paty erhoben hatte, zu einer achtzehnmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden.
Auf die Frage, wie sein Verhältnis zu seiner Tochter sei, sagte Chnina: „Wie jeder Vater zu seinen Kindern. Ich habe einen Jungen und sechs Mädchen. Sie liegen mir alle am Herzen. Sie hatte keine besonderen Probleme. Ich weiß, dass Kinder lügen können, aber es gab nie wirkliche Probleme.“ Im Hinblick auf die Ereignisse, die zum Anschlag auf Paty führten, gab er zu Protokoll: „Meine Tochter erzählte mir von der Diskriminierung und den Karikaturen. Ich erfuhr, dass sie aus der Klasse geworfen worden war. Es war dumm und albern von mir, in den sozialen Medien zu posten. Ich wollte nur meine Tochter verteidigen. Ich weiß nicht, was mich dazu gebracht hat, das in den sozialen Medien zu posten.“
Die Lynchmaschine
Chnina hatte ein Video für die sozialen Medien erstellt, in dem er sagte, diese „Schande“ sei nicht hinzunehmen und in dem er die Entlassung des Lehrers forderte. Er rief seine „Brüder und Schwestern“ auf, „an die Schule zu schreiben, an das CCIF [das Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich, das nach dem Mord an Paty von der Regierung aufgelöst wurde; Anm. Mena-Watch], an die Schulaufsicht, den Bildungsminister oder den Präsidenten“, und kündigte an, am Folgetag bei der Schulleitung vorstellig zu werden, die ihm bei dem Gespräch versicherte, gegen die vermeintliche Diskriminierung vorzugehen. Zu dem Termin begleitet wurde er nicht von seiner Frau, sondern von Abdelhakim Sefrioui, einem radikalen, mit der Familie nicht verwandten Imam, was die Lehrer offenbar nicht ungewöhnlich fanden.
Der Journalist Stéphane Simon, der für sein Buch Les derniers jours de Samuel Paty recherchierte, was in den elf Tagen zwischen der Unterrichtseinheit und dem Mord geschah, berichtete: „Die Kollegen unterstützten den Lehrer in seiner Not nur bedingt, wenn überhaupt. Einige warfen ihm vor, ,Mist gebaut‘ zu haben und drohten damit, an das Bildungsministerium zu schreiben, um sich von ihm zu distanzieren.“
Er habe selten ein weniger kollegiales Umfeld erlebt, schreibt Simon weiter: „Samuel Paty war ein verlassener Mann. Und der Gipfel der Angst: Er sah in den sozialen Netzwerken Kommentare, die dazu aufriefen, ihm ,eine Lektion‘ zu erteilen und beobachtete, wie die Zugriffe darauf in die Höhe schnellten. Er sah, wie die Gefahr wuchs. Er, der sanfte Laizist, dem das Wohl seiner Schüler am Herzen lag und dem man faktisch nichts vorwerfen konnte.“
Paty wurde das Opfer einer „Lynchmaschine“, so Simon weiter: „Ohne soziale Netzwerke wäre Abdoullakh Anzorov nie in die ruhige Kleinstadt Conflans-Sainte-Honorine, an das Bois-d’Aulne-College, gekommen, um sein grausiges Projekt zu verwirklichen.“
Abdelhakim Sefrioui, der Influencer
Keinerlei Unrechtsbewusstsein zeigte Abdelhakim Sefrioui. Der 65-jährige Imam stammt ebenfalls aus Marokko und war, wie er im Jahr 2003 in einem Interview mit der Zeitschrift La Vie erklärte, fünfzehn Jahre lang Informatiklehrer. Vor Gericht beklagte er sich darüber, wie man ihn behandle: „Isolation ist eine schreckliche Folter, aber sie ist nichts im Vergleich zu der Anschuldigung, die meinen Namen befleckt“, und spricht von einer „Inszenierung“ gegen ihn.
Etienne Campion schreibt von einer „für die Zivilparteien und die Angehörigen des Opfers irritierenden Haltung“, welche „die Theatralik eines Boulevardschauspielers mit der Arroganz eines Emporkömmlings“ verbinde, der davon überzeugt sei, „intellektuelle Tiefe zu verkörpern“. Dies sei ein zentrales Element seiner Verteidigungsstrategie: „Eine Art kleiner Tariq Ramadan, dessen Tricks an diesem entscheidenden Tag nur ihn selbst überzeugen werden.“
Sein Video habe der Täter ja gar nicht gesehen, beteuerte Sefrioui, der sich für dessen Tat ebenso wenig verantwortlich sieht wie für das, was auf „dem Mars“ passiere. Wenn viele Menschen Brot äßen, stünden sie deshalb noch lange nicht miteinander in Verbindung. Und überhaupt: Wenn Paty gefährdet gewesen sei, warum habe ihn die Polizei dann nicht geschützt?
Journalist Campion kommentierte dazu: „Was das Geschehen in der Nähe von Conflans-Sainte-Honorine betrifft, so zeigt der Prediger sowohl beunruhigende Gleichgültigkeit, beunruhigendes Selbstvertrauen als auch schlichte Arroganz. Er beteuert seine Unschuld mit einer Souveränität, die jene seines ehemaligen Komplizen Brahim Chnina übertrifft, der am Tag zuvor den Anstand hatte, zuzugeben, ,es verbockt‘ zu haben. Sefrioui hingegen bleibt beständig – im Leugnen.“
Auf die Frage, weshalb er Chnina zu dem Gespräch mit der Schulleitung begleitete, meinte er, ihm sei „draußen kalt“ gewesen. Darauf hingewiesen, dass sein Auto in unmittelbarer Nähe und das Wetter an diesem Tag mild gewesen sei, entgegnete er: „Es war windig, selbst mit meinem großen Wollmantel … und mein Auto war nicht so nah.“
In einem „Moment der Entspannung“, so Campion, habe Sefrioui einen „aufschlussreichen Satz“ fallengelassen: „Hätte Samuel Paty sich entschuldigt und die Karikatur des nackten Propheten auf allen Vieren aus seinem Unterricht entfernt, wäre die Geschichte dort zu Ende gewesen.“ Das widerspricht seiner Aussage, wonach es um eine angebliche Diskriminierung muslimischer Schüler gegangen sei. „Seine Aussagen verraten den Kern des Problems: Der Grund für seine Wut war weniger die vermeintliche Diskriminierung als vielmehr Gotteslästerung“, analysiert der Journalist.
Motiv: Antisemitismus
Für das Magazin Le Point beobachtet die Schriftstellerin Émilie Frèche den Prozess. Sie schreibt über den Antisemitismus, der bei der Tat eine Rolle gespielt haben könnte. Abdelhakim Sefrioui, führt sie aus, „war mehr als acht Stunden lang“ verhört worden, als Francis Szpiner, ein Anwalt der als Nebenkläger agierenden Familie Paty, aufstand und ihn fragte: „Glauben Sie, dass Samuel Paty Jude war?“ Als er nach zehn Sekunden noch immer keine Antwort gab, erläuterte Szpiner die Frage: „Ich stelle Ihnen die Frage im Namen meiner Mandanten, weil sie sie seit vier Jahren beschäftigt.“
Seine Mandanten, so Frèche, sind Samuels Eltern: „Diejenigen, die diesen Vornamen für ihn gewählt haben und von denen ich glaube, dass sie sich in diesem Moment neben ihrem immensen Schmerz auch fragen, ob nicht alles ihre Schuld sein könnte. Hätten sie ihren Sohn nicht mit dem Namen des letzten Richters Israels, dem Gründer der ersten jüdischen Monarchie, getauft, hätten sie ihn nicht als dieser Gemeinschaft zugehörig bezeichnet und ihn folglich dem angestammten, obsessiven und mutierenden Hass ausgesetzt, der der Antisemitismus ist.“ Nein, kam die zögerliche Antwort, er habe Paty nicht für einen Juden gehalten. Er und seine Frau, eine französische Islamkonvertitin, waren die Gründer der französischen Pro-Hamas-Organisation „Kollektiv Scheich Yasin“. Ob ihm der Aufruf zum Dschihad gegen die Juden in der Hamas-Charta – „Jeder Jude ist ein Ziel und muss getötet werden“ – antisemitisch vorkomme, wollte der Jurist wissen: „Es ist ein Aufruf zur Zerstörung unseres Feindes, des Staates Israel. Und Israel ist ein jüdischer Staat.“
„Wir kommen daher zu dem Schluss, dass für ihn das Massaker an den Juden, zumindest in diesem Teil der Welt, eine gute Sache ist“, schreibt Émilie Frèche. Sefrioui, so der Anwalt weiter, habe auch erklärt, es sei eine Hommage an die Hamas gewesen, dem von ihm ins Leben gerufenen Kollektiv den Namen ihres Gründers Scheich Yasin zu geben. Die Hamas sei für ihn eine Widerstandsorganisation, die er mit dem französischen Widerstandskämpfer des Zweiten Weltkriegs, Jean Moulin, verglich. „Ja, Jean Moulin wurde von den Deutschen als Terrorist angesehen. Und als Widerstandskämpfer für die Franzosen. Terroristisch für die einen, Widerständler für die anderen.“
Wie Émilie Frèche erwähnt, hätten mehrere Zeugen bestätigt, Sefrioui habe in Reden dazu aufgerufen, „zionistisches Ungeziefer“ loszuwerden. Den Imam Hassan Chalghoumi, der sich gegen Antisemitismus engagiert, nannte er „den Imam der Juden“, der seiner Meinung nach von den „zionistischen Diensten zur Schwächung der Muslime“ eingesetzt werde. Seine Tochter sagte vor Gericht aus, dass er sie „Jüdin“ nenne, wenn er wütend auf sie sei, und sein Kollektiv für sie „eher ein Einsatz gegen die Juden als für Palästina“ gewesen sei. Aus Polizeiberichten und einer Dokumentation seiner im Gefängnis abgehörten Telefongespräche geht zudem hervor, dass er die Gendarmerie bezichtigte, eine „Razzia“ bei ihm durchgeführt zu haben und eine „Shoah“ gegen seine Gemeinde zu begehen, und er glaube, dass die Zeitschrift Marianne vom Conseil représentatif des institutions juives de France (CRIF; Dachverband der jüdischen Organisationen Frankreichs) bezahlt werde.
Sie hörten „Jude“
Anwalt Francis Szpiner hatte Brahim Chnina am Tag zuvor gefragt, ob er die Bemerkungen, die Sefrioui gegenüber den Vertretern der Schule, dem Rektor und der CPE (die CPE an französischen Schulen ist Sozialpädagogin und Verwaltungshelferin) gemacht hatte – „Wären wir Juden, hätten Sie uns nicht so in der Kälte warten lassen“ –, für antisemitisch halte: „Es kommt auf den Kontext an“, antwortete Chnina. „Ah“, unterbrach Szpiner, „also ist es rasender Antisemitismus!“ Daraufhin gab es Gelächter im Saal, notierte Émilie Frèche.
Die Frage wird noch einmal an Sefrioui gestellt, der versucht, sich herauszuwinden: „Als ich mich als Imam vorstellte, sagte ich, anders behandelt worden zu sein, wäre ich Vertreter eines anderen Glaubens, zum Beispiel des Konsistoriums.“ Szpiner erwiderte: „Es ist lustig, Monsieur, aber diese drei Zeugen haben weder vom Konsistorium noch vom Erzbistum etwas gehört. Sie hörten ,Jude‘. Und drei Zeugen, die dasselbe Wort hören, das summiert sich langsam.“ Sefrioui argumentierte, im Jahr 2017 vom Vorwurf des Antisemitismus freigesprochen worden zu sein, worauf ihn der Anwalt daran erinnerte, dass man durchaus „eine saubere Akte haben und der schlimmste Antisemit sein kann, den es gibt“.
Für Émilie Frèche ist die Sache eindeutig: Bei Abdelhakim Sefrioui müsse der Antisemitismus vom Gericht strafverschärfend gewertet werden, und zwar auch, wenn dies für die Juden „kein Trost“ sei, „denn Juden wissen seit Mohamed Merah [der im Jahr 2012 drei jüdische Kinder und einen Rabbiner in Toulouse ermordete; Anm. Mena-Watch] ganz genau, dass ihre Kinder in einer Schule erschossen werden können“. Aber die Republik müsse sich „immer noch daran erinnern, dass jedes Mal, wenn Juden oder Menschen, die wir für jüdisch halten, ins Visier genommen werden, sie und ihre Werte des Universalismus und Säkularismus betroffen sind“.
Motive: Geld und Eitelkeit
Während Émilie Frèche in ihrem Beitrag für Le Point sehr gut aufzeigte, welche Rolle der Antisemitismus spielt, hat Etienne Campion in seinem Bericht für Marianne ein weiteres Motiv herausgearbeitet, das leicht übersehen werden kann: Eitelkeit und finanzielle Interessen.
Campion bezeichnete Sefrioui als einen, der ein „Influencer“ gewesen sei, ehe es diesen Begriff gab: „Als Influencer vor der Zeit freut er sich sichtlich über die Gelegenheit, dem Gericht zu erklären, wie er in seinem islamistischen Engagement versucht habe, ,möglichst kurze‘ Videos zu produzieren, ehe er eine Rede über die Verringerung der Aufmerksamkeitsspanne in unserer Gesellschaft hält. Abdelhakim Sefrioui ist ein Mann, der es eilig hat: Er hat es eilig, bekannt zu werden, er hat es eilig, Geld zu verdienen.“
Obwohl dieser „kommerzielle Aspekt des Falls“ während des Prozesses kaum untersucht worden sei, stelle er dennoch einen erschwerenden Umstand dar, meint Campion, denn Sefrioui und Chnina hätten während ihrer Verhöre zugegeben, dass ihre plötzliche Berühmtheit im Zusammenhang mit der „digitalen Fatwa“ auch dazu genutzt wurde, Geld für ihre jeweiligen Vereine zu sammeln. „Käuflichkeit, aber auch islamistische Eitelkeit“, so Campion. Die „digitale Fatwa“ sei „letztlich nicht nur ein ideologischer Akt“, fuhr er fort, „sie war auch ein Ausweg aus dem mittelmäßigen Leben, um ein wenig Bekanntheit und vielleicht auch Ansehen zu erlangen. Eine Herrlichkeit, die zu süß war, um gezügelt zu werden, zu verlockend, um aufzuhören. Sefrioui und Chnina veranschaulichen in ihrem Streben nach Einfluss auf tragische Weise, wie sehr radikaler Islamismus auch eine Frage kleiner persönlicher Ambitionen sein kann, verpackt in einem Diskurs religiöser Größe.“
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ (2009); „Kreditinferno: Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos“ (2012)