Moralradler wollen Verkehr wenden

Das Fahrrad ist zum Heiligen Gral einer rückwärtsgerichteten Mobilitätswende geworden. Zu deren Protagonisten gehören auch Teilnehmer von Radlerdemos.

„Wir sind heute nicht da, um gegen etwas zu sein – wir sind heute da, um für etwas zu sein“, sprach der junge Redner ins Mikro. Wofür denn? „Wir brauchen keine neuen Autobahnen“, fährt er gleich im übernächsten Satz fort. Der Mann stammt von Fridays4Future und skizzierte seine verkehrspolitischen Vorstellungen bei einer Fahrraddemo des ADFC am vorvergangenen Sonntag in Berlin. Das steht stellvertretend für sehr viel deutschen Fahrradaktivismus und die sogenannte Mobilitätswende überhaupt: Man will nicht in erster Linie irgendwelchen Verkehrsteilnehmern nützen, sondern Verkehrsteilnehmern schaden, primär den Autofahrern.

Stadtplanerische Maßnahmen wie wegfallende Autofahrspuren und -parkplätze, Gebührenerhöhungen fürs Anwohnerparken, „Umweltzonen“, Tempolimits und andere Einschränkungen sowie das auf EU-Ebene geplante Neuzulassungsverbot für Autos (außer für ihre Elektro-Substitute) dienen diesem Zweck. Wenn nur unerschwingliche E-Vehikel zum Verkauf stehen, „bringt man die Leute um die Mobilität“, kritisiert Henryk M. Broder, der in diesem Zusammenhang einen aufziehenden „Totalitarismus“ erkennt. Motorisierte Individualmobilität im Allgemeinen oder die autogerechte Stadt im Besonderen, das Leitbild aus der „Wohlstand-für-alle“-Zeit, sind dem meinungsbildenden Mainstream und den politischen Transformateuren ein Dorn im Auge.

Zum neuen Standard wird stattdessen das Weltbild des großstädtisch-grünen Lastenfahrradfahrers. Als Beispiel kann die Bundesstadt Bonn mit ihrer grünen Oberbürgermeisterin und der farblich ebenso geführten Stadtratsmehrheit dienen. Dort könne man „eine Wende hin zum Verkehr der Zukunft […] beobachten“, schrieb die Welt vorletztes Jahr. „Als Achsen des Autoverkehrs bleiben demnächst nur noch von Blitzern gesäumte einspurige Straßen“, prognostiziert das Blatt, da an anderen Stellen sogenannte Umweltspuren für Busse und Radfahrer eingeführt wurden. Außerdem gibt es inzwischen geschützte Radfahrstreifen (im Fachjargon Protected Bike Lanes), die die Pedalritter baulich vom Autoverkehr trennen. Oder eine Brücke mit streckenweise enorm breitem Radstreifen, während sich die Autos stauen. Charakteristisch für solche Auswüchse einer „‚Fahrrad, Fahrrad, über alles‘-Verkehrspolitik“, wie sie der Publizist Hugo Müller-Vogg mal für Berlin diagnostizierte, ist, dass sie Autofahrern mehr schaden als sie Radlern zugutekommen.

Früher war mehr Zukunft

Mobilität der Zukunft, wie der Welt-Journalist behauptet? Man vergleiche dazu Franz Josef Strauß im Jahre 1986: „Man kann mit dem Rad fahren und sagen, wir brauchen kein Auto mehr. Man kann mit dem Segelschiff fahren und kann sagen, wir brauchen keinen Flugverkehr mehr. Aber das ist doch keine Zukunftsgestaltung. Das ist doch der Marsch in die Vergangenheit.“ Früher war mehr Zukunft. Was nicht heißt, dass Fahrradfahren von gestern wäre oder bei einer Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur keine Berücksichtigung finden sollte. Der Drahtesel taugt insbesondere für überschaubare Strecken, Sportzwecke und zum Geldsparen. Aber er hat eben seine Nachteile. Man denke an das hohe Unfallrisiko und den mangelnden Witterungsschutz. „Nüchtern betrachtet sind Fahrräder in hohem Maße unpraktisch und gefährlich“, sagte Bundestagsabgeordneter Dirk Spaniel 2020 in einer Plenarrede. Eine derart ketzerische Äußerung kann sich wohl nur ein Parlamentarier zu tätigen trauen, der der AfD angehört und früher für einen bekannten südwestdeutschen Automobilkonzern gearbeitet hat.

Im Kölner Stadtrat kritisierte ein Volksvertreter der Partei die „Nordkoreanisierung des Verkehrs. Nicht alle können oder wollen Fahrrad fahren.“ Die AfD begegnet übrigens auch dem kulturkämpferischen Aspekt des Themas: Ihre Jugendorganisation wirbt im Osten Deutschlands mit dem Slogan „Simson statt Lastenrad“. Mopeds der DDR-Kultmarke, die sich gerade in ländlichen Regionen des Beitrittsgebiets immer noch großer Beliebtheit bei jüngeren Leuten erfreuen, hat die Partei z.B. für den Landtagswahlkampf entdeckt. Zweirad ist also nicht Zweirad. Auf der anderen Seite des Grabens stehen Teilnehmer von Fahrraddemos, wie z.B. Critical Mass. Für das urbane Publikum dort erfüllt das ostentative Radfahren die Funktion des Moral Posing bzw. Virtue Signalling. Gerne wird in diesen Kreisen (etwa per Schwimmnudel) auf das 1,50-Meter-Abstandsgebot gegenüber Radfahrern im Straßenverkehr abgehoben, welches ab 2020 in einem anderen Kontext unrühmliche Verbreitung fand. Dass es die Radler selbst sind, die – verglichen mit den übrigen Verkehrsteilnehmern – einen besonders nonchalanten Umgang mit der Straßenverkehrsordnung pflegen, bleibt dabei gerne ausgeblendet.

Die Moralradler (frei nach Mark Twain über „Moralstatistiker“) halten sich nämlich für etwas Besseres. Sie strampeln nicht einfach nur, nein, ihr Pedalrittertum gilt dem Klima, der Umwelt, der unhinterfragbaren Alternativlosigkeit der Verkehrswende. In welchen Fahrzeugen sind eigentlich die Räder, die sie sich gekauft haben, zum Laden transportiert worden?

P.S.: Ein umstrittener Verkehrsversuch in Dresden, bei dem eine Auto- in eine Radspur umgewandelt wurde, musste nach gut einer Woche bereits gestoppt werden – am Elbflorentiner 9/11, denn er fand auf der Carolabrücke statt.

 

Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.

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Leserpost

netiquette:

Stefan Riedel / 20.09.2024

Ich werde noch zum Mörder? Weiberleut auf dem Fahrrad kommt mir entgegen? Todesurteil? Ich bin Fußgänger.

Irene Luh / 20.09.2024

@E.Braun, interessant was Sie sagen. Schade, daß Sie das nicht weiter ausführen. Eintritt in einen Discounter nur nach Identifikation mit einem Dummphone? ++ Ich kenne die Variante mit Preissenkungen. Diese nur für elitäre Dummphonebesitzer. ++ Apropos Dummphone: die neueste Generation erlaubt das “heimliche” Abhören jeglicher Gespräche, in Reichweite des Telefons. Photos, heimlich, auch kein Problem. Die Nutzer, 99,9 Prozent, bekommen davon nichts mit. ++ Bei älteren Dummphones sollte das auch praktisch möglich sein, sofern vorher ein wenig mit Software nachgeholfen wird, wurde. ++ Apropos Fahrrad: tichy meldete heute, in Lissabon (Portugal) hätte ein E-Auto in einem Parkhaus ein Brand verursacht. 200 (zweihundert) weitere Autos kamen dabei ums Leben. Elektrische Fahrräder sollten ein gleiches Szenario entfachen können. Das Potential ist vorhanden, wenn diese “richtig” abgestellt werden. Berichte darüber sind verfügbar.

Pit Siebert / 20.09.2024

“Nüchtern betrachtet sind Fahrräder in hohem Maße unpraktisch und gefährlich” Mit der Aussage stellt sich Spaniel auf die gleiche Stufe wie die ideologischen Radl - Ökos. Das Fahrrad ist nicht gefährlich, gefährlich macht es der Mensch. leider auch immer wieder die Autofahrer, Ich fahre mit meinem Fahrrad jeden Tag zur Arbeit, bei Wind und Wetter. Impfungen und Corona Schutzmassnahmen brauch ich nicht, denn ich bin nie erkältet. Mein Weg führt über einen Berg, der von sehr vielen Autofahrern als Abkürtung genutzt wird, erlaubt sind 40 auf der engen und schlechten Strasse. Bergab erreiche ich diese 40 mühelos, trotzdem werde ich ständig mit extrem geringen Absttand überholt, geschnitten, in Gefahr gebracht. Das Fahrrad ist ein geniales Verkehrsmittel, aber es taigt nicht um Autofahrer damit auszuspielen. Ich rate beiden Seiten mal einen Gang runter zu schalten. Autos sind wichtig, aber der Kult um das Auto ist fragwürdig und ich verstehe nicht, warum es erlaubt ist, auf winzigen Nebenstrassen ohne grosse Relevanz 100 fahren zu dürfen, Macht null Sinn, auch Tempo 50 in dichtbebauten innerstädtischen Strassen die KEINE Durchfahrtsstrassen sind, macht keinen Sinn… Ach ja, Auto fahre ich auch, ist ein Mittel zum Zweck, Aber ich fahr immer weniger. Fahr meist auch mit dem Rad in den Urlaub bis etwa 600 Kilometer (fahr ich in 2 bis 3 Tagen), dann beginnt der Urlaub schon mit der Fahrt…

Bernd Lauert / 20.09.2024

Oh oh oh, die Boomer sind wohl zu alt und schwach, und wahrscheinlich auch zu fett, um sich noch aus eigener Kraft fortzubewegen. Jedenfalls, ich fahre vielleicht zwei Mal im Jahr mit dem Auto, und sonst mit dem Fahrrad oder gehe zu Fuß, und ich denke, dass die Unfallgefahr von Autofahrern ausgeht, die es eilig haben, und es nicht einsehen, einen angemessenen Abstand beim Überholen einzuhalten, und wenn das nicht möglich ist, halt zu bremsen. Schließlich müssen die orboiden, oder sowas, und darum ist denen alles gestattet. Und Rentner sind auch so ne Sache, was die Reflexe angeht. Wobei die i-muss-obo-orboiden-Proleten das eigentliche Problem sind. Selbst rechts überholende Niedrig-IQ-Drittweltler, für die die Welt ne Rennstrecke ist, sind tolerabler. Wie dem auch sei, die Welt ist überbevölkert und die Menschheit ist fett und degeneriert, und hat eine Gesellschaft geschaffen, in der es nur noch um Fressen, saufen, und als “Konsum” bezeichnete Ersatzbeschäftigungen geht. Die Leute sind fett und krank und alt und psychisch so kaputt wie noch nie. Bisschen körperliche Anstrengung, Bewegung, und auch mal nass zu werden, wird denen schon nicht schaden, und wenns dann mal nicht mit dem Orboiden klappt, ists auch okeh, schließlich muss die Wirtschaft eh zurückgebaut werden, schließlich gehen die ganzen Orboider bald in Rente, und Drittweltler eignen sich nicht als Ersatz.

Ingo Bieberstein / 20.09.2024

>>Moralradler wollen Verkehr wenden<< - ich bezweifle, das diese Klientel (Beispiel 50km/h mit dem E-Lastenbike auf einem normalen Radweg, andere Radfahrer interessieren dabei nicht) überhaupt in der Lage ist den eigenen Ar..h mit der Karte, geschweige denn mit Beleuchtung zu finden. In ein paar Jahren existieren die einfach nicht mehr oder sinnierem im Rollstuhl über den blöden Lkw, der ihre Beine gekostet hat. Vielleicht wird ja in diesen Kreisen auch der folgende Grabsteinspruch ein Renner: Er /Sie hatte Vorfahrt - aber keine Knautschzone ...

M. Neland / 20.09.2024

Die Bangladeschisierung des Landes schreitet voran. Bei scinexx. de wird eine Studie diskutiert, inwieweit sich die politische Einstellung im Gehirn zeigt. Die Studie bestätigt Zusammenhang von Mandelkern-Größe und Konservatismus. Ein winziges paariges Hirnareal, die Amygdala, spielt offenbar auch eine erhebliche Rolle für unsere politischen Haltung. Man fand einen Zusammenhang zwischen politischer Einstellung und Hirnanatomie. Nach Ansicht der Forscher legen ihre Resultate damit nahe, dass es vielleicht tatsächlich eine neurologische Komponente in unserer Denkweise und politischen Haltung gibt. Das linke Denken wird also im Prinzip durch biologisch-neurologische Faktoren gesteuert. Wenn man sieht, was bei linker Politik herauskommt, könnte man auf die Idee kommen, dass dem ein ,,Dachschaden” zugrunde liegt.

Max Hertz / 20.09.2024

Radfahrer entwickeln sich zu einer unfassbaren Plage in der Öffentlichkeit. Ob Parks, Wälder oder Erholungsgebiete aller Art. Sie rasen über die Waldwege und am Rhein und anderen Flussufern als gäbe es kein Morgen mehr. Alles was dieser selbsternannten Herrenrasse des Straßenverkehrs im Wege steht wird weggeklingelt, nach Hunden getreten und auf Senioren mit Höchstgeschwindigkeit zugesteuert….. es ist unerträglich, wie Verkehrsregeln in jeder Hinsicht missachtet und andere Verkehrsteilnehmer beschimpft werden, wenn Sie nicht aus der Schuss- Verzeihung - Fahrlinie spritzen. Gehen Sie mal in Köln am rechten Rheinufer spazieren oder in Düsseldorf am Unterbacher See bei schönem Wetter - sie werden ihr blaues Wunder erleben. Wenn das nicht bald wieder normale Formen annimmt wird sich gegen diese Urzeitmenschen mit Helmen auf dem Kopf und Holzkisten vor dem Lenker bald eine Gegenbewegung formieren. Dann kommt der ganze Spuk mit Radwegmarkierungen auf den Strassen und Wegrationalisierung des Autos in die Mottenkiste.

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