Cora Stephan / 03.09.2013 / 09:27 / 6 / Seite ausdrucken

Moral und Krieg

Die Bilder toter Kinder treiben einem die Tränen in die Augen, sie beflügeln den Wunsch, etwas zu tun. Sofort. Und genau dazu sollen die Bilder auch dienen. Von welcher Seite auch immer der Giftgasangriff ausgegangen ist: er soll das moralische Vermögen der Menschen in den westlichen Ländern bis zur Empörung aufrühren. Gewünscht ist die Eskalation.

Nur wer kalten Herzens ist, kann sich den Bildern entziehen. Und doch sollte in Fragen von Krieg und Frieden nicht das Herz, sondern der Verstand sprechen. Denn was immer geschehen ist und wer immer es getan hat: es ist Teil einer Propaganda, die Brandbeschleuniger auf einen bislang noch regional glimmenden Brandherd gießt.

Früher genügte der Kriegspropaganda noch die bloße Behauptung, der Feind vergewaltige Frauen und töte Kinder. Heute müssen Bilder von realen Opfern her. Es ist längst nicht mehr ausgeschlossen, dass die Kombattanten schon selbst dafür sorgen, dass die Greueltaten auch begangen werden, die sie ihrem Gegner anlasten. Sie können sich auf die Moral der Menschen im Westen verlassen: bei Bildern toter Kinder fragen wir nicht mehr nach Nutzen und Kosten, nach der Vereinbarkeit einer Intervention mit militärischen Möglichkeiten oder gar den eigenen Interessen. Moral entgrenzt. Das ist ihr Problem.

Moralisierung macht jede Intervention zum Krieg des Guten gegen das Böse – als ob es eine solche eindeutige Frontstellung jemals geben könnte. Joschka Fischers Begründung für eine Intervention im Kosovo, „Nie wieder Auschwitz“ (1999), war so bestechend wie falsch. Der Krieg gegen Hitler ging nicht um Auschwitz. Und im Kosovo ging es darum erst recht nicht. Das moralische Argument, und das sollten alle Empörten bedenken, dient meist nur dazu, die weit weniger großartigen Interessen zu verdecken, die in Kriegsangelegenheiten eine Rolle spielen.

Ja, die Lage in Syrien ist furchtbar. Aber der Ruf „Warum tut der Westen nichts dagegen?“ ist ebenso hilflos wie größenwahnsinnig. Denn wem eine Einmischung letztlich dient, ist völlig unklar. Dem unterdrückten Volk? Dem zuletzt. Den Rebellen gegen Assad? Welchen? Wer 1968 in Deutschland gegen den Schah von Persien demonstriert hat, dürfte keine große Freude an seinen Nachfolgern haben. Wer sich erinnert, ist gründlich desillusioniert, was den „Volkskrieg“ und die „Solidarität“ für selbsternannte Befreiungsbewegungen betrifft. Auch in Syrien ist aus dem legitimen Widerstand gegen einen Diktator längst offener Bürgerkrieg geworden, ohne Legitimation und Legitimität, und die Leidtragenden sind das „Volk“, die vielen Unbeteiligten, die, wie in jedem Bürgerkrieg, zwischen zwei Feuern stehen.
Der menschenrechtlichen Argumentation zufolge kann man nicht tatenlos hinnehmen, wie Diktatoren mit ihren Gegnern verfahren. Wer dächte das nicht. Das Völkerrecht hingegen verbietet jede militärische Unterstützung bewaffneter Aufstände in fremden Staaten. Warum? Weil es den benachbarten Gegnern ein Einfallstor bietet, die sich zu Hilfe aufgerufen fühlen. Längst geschehen: benachbarte Golfstaaten haben Aufständische mit Waffen beliefert, sicher nicht, weil sie plötzlich Freunde der Demokratie geworden sind. Doch der Westen, worauf der Rechtsphilosoph Reinhold Merkel jüngst hinwies, hat den reinen Seelen der Arabischen Liga sein Placet gegeben. Die Folge: der Bürgerkrieg und das Elend der Unbeteiligten verlängern sich.

Das Dilemma ist hässlich und hält keine einfache Antwort bereit. Letztendlich entscheidet ein Kernsatz militärischen Abwägens: wer reingeht, muss auch wieder rauskommen. Und: kein Krieg sollte mehr Probleme hinterlassen, als er zu lösen vorgibt. Das macht eine Intervention in Syrien fragwürdig – wenn sie über ein Signal der Stärke hinausginge.

Die Geschichte hält neben Vietnam und Afghanistan zahllose Beispiele dafür bereit, dass es auch beim Einsatz höchster militärischer Mittel einer Weltmacht misslingen kann, einen Bürgerkrieg zu befrieden. Aus einem einfachen und brutalen Grund: in einem Bürgerkrieg gibt es nicht, wie im Staatenkrieg, die Möglichkeit eines Verhandlungsfriedens. Es muss sich, und das weiß man in den USA sehr gut, die ja aus einem Bürgerkrieg hervorgegangen sind, eine einzige Seite machtvoll durchsetzen. Das erfordert den Untergang der anderen Seite – sei es durch bedingungslose Kapitulation oder durch Vernichtung.

Kann sich ein demokratischer Staat zu einer solchen Entscheidung über das Leben anderer aufgerufen fühlen? Der Vietnamkrieg hat die innere Textur der USA auf Jahre hin zermürbt. Das haben auch diejenigen nicht vergessen, die Obama nun zum Handeln drängen. Sie verfolgen im Zweifelsfall eigene Interessen: nämlich einen zaudernden Präsidenten vorzuführen, der sich, weil er permanent rote Linien zieht, irgendwann gezwungen sehen könnte, sie zu überschreiten.

Dann soll eben Europa ran, Frankreich, England, Deutschland? Präsident Hollande winkt schon mit der militärischen Karte, ein anderes Blatt hat er nicht mehr in der Hand. Die Deutschen? Halten sich, wie immer, lieber raus. Oder waltet bei uns gar die Vernunft? Denn in der europäischen Tradition der Staatenkriege wurde dem Verhandlungsfrieden auch mit dem ärgsten Gegner stets der Vorzug gegeben gegenüber der Ächtung des Feindes und der unendlichen Verlängerung des Konflikts zu Lasten der Bevölkerung.

Auch die schrecklichsten Bilder sollten dem Westen nicht das Gesetz des Handelns aufzwingen. Syrien wäre der letzte und womöglich blutigste Beweis für das Scheitern eines „demokratischen Interventionismus“.

Siehe auch bLogisch

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Leserpost

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Arnd Siewert / 08.09.2013

“Mit Ihnen hört die Freiheit auf” So sehr niemand Krieg möchte, so nötig ist es doch Recht und Freiheit zu verteidigen. Das fängt in einem Rechtsstaat mit dem Schutz der Freiheit an -diese hat nämlich Grenzen- und darf nicht zur Bosheit auswachsen! “und wenn Sie bei der GEZ nicht mehr zahlen hört der Spaß vollends auf” Der Westen kann nur solche Debatten führen weil eine Freiheit vorhanden ist, die erstritten wurde. Zum Irakkrieg könnte man sagen, ok das Saddam geschlagen wurde -Giftgasgenozid an Kurden-, falsch war zu versuchen, eine andere / West- Ordnung zu installieren und so viele Soldaten zu opfern. Syrien sollte man die Chemiewaffen zerschießen und die Atomfabriken des Iran gleich mit und dann mal abwarten mit wem wir in 3 Jahren sprechen können. Sollte sich wieder so eine Mörderbande etablieren, kann der Westen mit seiner militärischen Überlegenheit eingreifen - siehe Israel Nur so kann es besser werden, was sicher nicht schön ist, aber unsere Freiheit wurde auch erzwungen, oder? Mfg-schalom

Alexander Bertram / 04.09.2013

Solch ein „staatstragender“ Text und dann das: - “Kernsatz militärischen Abwägens: wer reingeht, muss auch wieder rauskommen.” Von Cäsar über Karl, Dschingis bis zu Hitler war nicht unbedingt die Intention vorhanden, rauszukommen. - Ob das die USA auch so sehen, dass sie aus einem Bürgerkrieg heraus entstanden sind? - „Das erfordert den Untergang der anderen Seite – sei es durch bedingungslose Kapitulation oder durch Vernichtung.“ Alle erfolgreichen Sezessionsbestrebungen sind schlussendlich Ergebnis von Verhandlungen. - ... Ist also Ihr Placet, seien wir vernünftig, spielen nicht mit dem Feuer? Egal wieviele noch sterben – so wie in Ruanda? Ich bin zwar gegen etwas, was sich als „Weltpolizei“ aufspielen könnte (denn wer/was weiß soviel, dass er nicht mit dem Herzen entscheiden kann (ohne Big Data;-)), aber was doch sehr verwundert, sind die unzähligen Bedenkenträger wie Sie. Zu Mali, Libyen, aber auch zum Irak, Kuwait war da viel weniger zu hören, weil man plötzlich „Lehren“ gezogen hat;-)? Wie an anderer Stelle kommentiert; Case Libyen und mit unseren befreundeten vollbeschäftigten Diensten Kappung der Kommunikationsmöglichkeiten. Dann gibt’s auch keine Bilder mehr – von wem auch immer – zur Be(un)ruhigung unseres Gewissens. Vielleicht schliessen Sie sich dem Runden Tisch der Bahai an - am 26.8. kamen sie zusammen oder unterstützen das AA mit dem Wiederaufbaufonds für Syrien – ist aber kein Zwang zum Handeln ;-).

Elisabeth Lahusen / 03.09.2013

Man nehme ein Foto mit vielen Leichen, schreibe darunter “Tote Syrier nach Chemie Attacke” und schon glauben es alle, obwohl der Fotograf sich genau daran erinnert, das Foto 2003 im Irak gemacht zu haben.

Ella Greifer / 03.09.2013

Sehr geehrte Frau Stephan, ich möchte diesen Text ins Russische übersetzen und im Internet veröffentlichen. Darf ich? Mit freundlichen Grüßen Ella Greifer

Martin Friedland / 03.09.2013

Ist es “vernünftig” von Deutschland, auf einen “Verhandlungsfrieden auch mit dem ärgsten Gegner” zu bauen, wenn, wie Frau Stephan kurz vorher schreibt, in einem Bürgerkrieg es einen Verhandlungsfrieden garnicht gibt, sondern nur “bedingungslose Kapitulation oder Vernichtung” der einen Seite? Nein, Deutschland wartet einfach ab, wer gewinnt, mahnt anschließend etwas zur Besonnenheit auf seiten der Sieger, erklärt dann nach dem Gemetzel: “soetwas darf sich nicht wiederholen” und geht weiter seinen Geschäften nach. Zum Glück ist Israel klug genug, sich auf Deutschland nicht zu verlassen.

Markus Weber / 03.09.2013

Haben Sie, Frau Dr. Stephan, vielen Dank für diesen Artikel! Ich kann nur zustimmen und wünschte mir, man könnte eine Kopie bzw. Übersetzungen davon diversen Politikern zur Lektüre wo nicht empfehlen, da aufnötigen. Wer immer noch nicht sehen möchte, dass die Lage schwierig und ist udn die Schuldzuweisungen a) nicht eindeutig gemacht werden können und b) selbst dann auch nicht weiter hilfreich wären, der wird hier zur Eskalation beitragen. Und die kann nicht gut herauskommen. Also nochmals, vielen Dank und bravo!

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