Gérard Bökenkamp, Gastautor / 19.12.2013 / 21:15 / 6 / Seite ausdrucken

Modell Schweden: Fiktion einer sauberen Gesellschaft

Eine Antwort auf Antje Sievers
von Gérard Bökenkamp

Wir leben nicht in einer unvollkommenen Welt mit unvollkommenen Menschen und ihren Lastern, dabei ist die Lösung doch so einfach. Man muss nur alle Laster verbieten und ein Paradies der sozialen Harmonie wird entstehen. So dachten die Vorkämpfer der Prohibition im 19. Jahrhundert und so denken die Anhänger des Prostitutionsverbots auch heute. Als im Jahr 1920 das Alkoholverbot in den USA in Kraft trat, trafen sich die Anhänger des Verbots zu Dankgottesdiensten und sagten voraus, dass die USA innerhalb kürzester Zeit von allen sozialen Übeln, der Gewalt, der Armut und den Slums geheilt werden würde. Der „Anti-Salon-Bewegung“ war es gelungen so viele Politiker von dieser Vision zu überzeugen, dass die Prohibition sogar als Verfassungszusatz verankert wurde.  Nach einem Jahrzehnt, in dem Gewalt und Alkoholismus eine neue Dimension erreicht hatten, mächtige Verbrechersyndikate den Alkoholschmuggel übernommen, und das FBI zu einem Überwachungsstaat im Staate geworden war, fanden viele die Idee nicht mehr so überzeugend. Das große Gesellschaftsexperiment für das vor allem Frauenrechtlerinnen und protestantische Kirchen, aber auch Sozialhygieniker, Immigrationsgegner und Südstaatenrassisten ein halbes Jahrhundert gekämpft hatten, wurde nach 13 Jahren nach der Wahl von Präsident Franklin D. Roosevelt wieder beendet.

Das schwedische Modell wird als Weg in das gelobte Land gepriesen

Die Anhänger des Verbots von Prostitution meinen heute in Schweden ein gelobtes Land gefunden zu haben. Man müsse nur die Käufer sexueller Dienstleistungen bestrafen und das älteste Gewerbe würde einfach verschwinden, die Gleichberichtigung würde einziehen und der Sexismus würde durch eine sozial erwünschte Sexualität ersetzt. Eine Welt ohne Prostitution sei sozusagen nur einen Verbotsantrag von der Realisierung entfernt. Das klingt nach einer einfachen Antwort auf komplexe Fragen. Einfache Antworten zeichnen sich aber in der Regel durch zwei Umstände aus: Sie klingen wahnsinnig überzeugend und sind meistens völlig falsch. In einer umfassenden Studie haben die Historikerin Susanne Dollinger und die Sozialwissenschaftlerin Petra Östergren anhand der offiziellen Dokumente, Statistiken und Interviews und Umfragen die Folgen des 1999 eingeführten Prostitutionsverbotes, das mitunter als „Schwedisches Modell“ gepriesen wird, untersucht. Betrachtet man die zusammengetragenen Fakten, so kommt man zu dem Ergebnis, dass der Kauf sexueller Dienstleistungen dadurch so wenig abgeschafft wurde wie der Alkoholkonsum durch die große Prohibition.  Was die positiven Wirkungen auf die allgemeine Moral angeht, mit denen beide Maßnahmen begründet wurden, sind Zweifel angebracht.

Die große Mehrheit der Schweden will auch die Frauen bestrafen

Im Jahr 2008 sprachen sich 71 Prozent der Schweden für die Beibehaltung des Verbots der Prostitution aus. Dies scheint den Befürwortern des Prostitutionsverbots Recht zu geben, die durch die Einführung des Verbots ein verändertes gesellschaftliches Bewusstsein erreichen wollten. Stigmatisiert wurden durch das Verbot aber nicht nur die Prostitution als Institution, wie von dem Gesetz intendiert, sondern auch die Prostituierten selbst. Eine fast ebenso große Mehrheit der Schweden will nicht mehr nur die Männer, die für Sex bezahlen, sondern jetzt auch die Frauen, die dieses Gewerbe ausüben, bestrafen. Insgesamt sprechen sich 78 Prozent der schwedischen Frauen und 64 Prozent der schwedischen Männer dafür aus, auch die Prostituierten selbst zu kriminalisieren. Anders als die Feministinnen sehen also insbesondere die schwedischen Frauen diese offenbar nicht als Opfer. Offenbar leuchtet es der Mehrheit der Schweden nicht ein, warum bei einer verbotenen Transaktion, die eine Seite schuldig sein soll und die andere nicht.

Die Prostituierten werden von der Polizei eher verfolgt als unterstützt

In der Praxis behandelt die Polizei die Frauen offenbar weniger als Opfer, die vor ihren Kunden gerettet werden müssen,  denn als Mitwissende von Straftaten. Die Prostituierten auf dem Straßenstrich empfinden sich etwa seit der Einführung des Verbots nicht etwa durch die Polizei geschützt, als vielmehr gejagt. Was wie beschrieben ja auch durchaus dem Wunsch und der Haltung der Mehrheitsgesellschaft zu entsprechen scheint. Bei der Popularität des Prostitutionsgesetzes geht es im Kern wohl weniger um Gleichberechtigung und ganz offensichtlich nicht um den Schutz der betroffenen Frauen als um eine Form von Klassenjustiz, bei dem sich die breite Mittelschicht den unangenehmen Anblick von Straßenprostituierten in ihrer Wohngegend ersparen möchte. Der nationale Rat für Gewaltprävention kam zu dem Ergebnis: Dass es bei den meisten Einsätzen gegen die Straßenprostitution in den Stadtzentren primär um den Schutz der Nachtruhe der Anlieger ging. In diesem Sinne ist das Gesetz auch tatsächlich ein „Erfolg“, die Straßenprostitution wurde aus den Stadtzentren in Nebenstraßen und Randbezirke verbannt.

Die Lage der Straßenprostituierten hat sich in Schweden massiv verschlechtert

Was die Anwohner an Lebensqualität gewonnen haben, das haben die Prostituierten auf der Straße an Sicherheit für Leib und Leben verloren. In der Beurteilung des schwedischen Prostitutionsverbots durch das Norwegische Justizministerium heißt es: „Die schwedischen Straßenprostituierten erleben eine harte Zeit. Sie sind weit häufiger gefährlichen Klienten ausgesetzt, während die seriösen aus Angst vor Bestrafung fern bleiben. (…) Sie haben weniger Zeit den Klienten zu beurteilen, da sie die Verhandlungen sehr eilig abwickeln müssen wegen der Sorge des Klienten. Die Prostituierten sind der Gewalt und sexuell übertragbaren Krankheiten ausgesetzt. Wenn der Klient ungeschützten Sex will, kann es sich die Prostituierte nicht leisten nein zu sagen. Da die Verfolgung durch die Polizei zugenommen hat, geben die Klienten der Polizei keine Hinweise mehr auf Zuhälter, weil sie selbst befürchten festgenommen zu werden. Die Sozialarbeiter haben Probleme die Prostituierten noch zu erreichen. Diese suchen Zuhälter zu ihrem Schutz.“ Bei Stichproben gaben nur noch 18 Prozent der betreffenden Frauen an, beim letzten Geschlechtsverkehr Kondome benutzt und sich vor HIV geschützt zu haben.

Die Prostitution ist von der Straße ins Internet und in Wohnungen ausgewichen

Diese Auswirkungen sind bekannt und werden ausdrücklich in Kauf genommen. In der offiziellen Evaluierung des Gesetzes von 2010 heißt es, diese „negativen Effekte“ müssten auch im Sinne der betroffenen Frauen positiv beurteilt werden, da das Ziel des Gesetzes die Bekämpfung der Prostitution sei. Das heißt wohl in etwa: Wo gehobelt wird, da fallen eben auch immer Späne. Hat aber die Prostitution nun nach Inkrafttreten des Prostitutionsverbots wirklich abgenommen oder zu genommen? Darüber gibt es keine verlässlichen Zahlen, aber Indizien. Schätzungen über die Straßenprostitution sind schwierig, da die Frauen in Seitenstraßen ausgewichen sind und sie sich nun über eine viel größere Fläche verteilen. Der nationale Rat für Gesundheit und Wohlfahrt, der dem Gesundheitsministerium zugeordnet ist kommt zu dem Ergebnis: „Nun ist etwas zwei Drittel der Straßenprostitution zurückgekehrt, im Vergleich zu der Situation bevor das Gesetz gegen den Erwerb sexueller Dienstleistungen in Kraft trat.“ Gleichzeitig hat sich der Anteil der Wohnungsprostitution nach Schätzungen von 60 auf 80 Prozent erhöht und es hat sich die Methode der Kontaktaufnahme verändert. Kontaktadressen werden nun in Bars, Restaurants und Clubs verteilt und über Internetseiten und E-Mail-Adressen, die über ausländische Server laufen, vermittelt.

Polizei und Behörden haben den Überblick über das Sex-Geschäft komplett verloren

Was sich genau in diesem Segment des Sexbusiness abspielt, darüber haben die offiziellen Stellen schlicht keine Erkenntnisse, wie sie selbst einräumen müssen:  „Was die Haus- und Wohnungsprostitution betrifft, die in Restaurants, Hotels, Sexclubs und Massagestudios angebahnt wird, sind die vorhandenen Informationen über das Ausmaß, in dem das passiert, beschränkt.“ Auch die Beratungsgremien des Gesundheitsministerium sind ratlos: „Es ist schwer irgendeine klare Trend in der Entwicklung zu erkennen. Hat das Ausmaß der Prostitution zugenommen oder abgenommen? Wir haben keine eindeutige Antwort auf diese Frage.“ Das schwedische Prostitutionsgesetz lässt sich mit dem Gesetz gegen Obdachlose des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban vergleichen. So wenig wie die Verdrängung der Obdachlosen aus den Innenstädten zu weniger Armut führt, so wenig führt die Verdrängung der Prostitution an den Stadtrand und in Häuser und Wohnungen zu weniger Prostitution.

Auf eine Anzeige im Internet reagierten mehr als 1000 potentielle Kunden

Eine Reihe schwedischer Radiosender wollten es genauer wissen und haben deshalb eine Fake-Seite ins Internet gestellt, die angeblich einer Frau gehörte, die Sex gegen Geld anbietet und über Mobiltelefon und E-Mail erreichbar sein sollte. Nach weniger als einer Woche waren über Mobiltelefone und E-Mail schon mehr als 1000 Anfragen von interessierten Männern eingegangen. Angesichts der Nachfrage dürfte man sich leicht ausrechnen können, wie hoch Preise und Umsatz im Sexgewerbe sein müssen. Von einem Radiomoderator darauf angesprochen, verglich einer der potentiellen Kunden das Prostitutionsverbot mit der Geschwindigkeitsübertretung. Es sei zwar verboten zu schnell zu fahren, es lohne sich aber manchmal doch. Der Koordinator des schwedischen Aktionsplans gegen Prostitution und Menschenhandel zeigte sich darauf angesprochen wenig überrascht: „Ich denke, es klingt wie das, was sich in der Wirklichkeit abspielt, sonst nichts.“ Wer dem Traum einer Welt ohne Prostitution anhängt, wird offenbar auch in Schweden noch eine weile weiter träumen müssen.

Organisierte Kriminalität und Menschenhandel haben an Macht gewonnen

Ein zentrales Argument für das Prostitutionsverbot in Schweden, in Frankreich und in Deutschland ist, dass sich auf diese Weise Zwangsprostitution und Menschenhandel effektiver bekämpfen ließe. Hier drängt sich die Frage auf, warum sich die Mafia von einem Gesetz beeindrucken lassen sollte, das offenbar nicht einmal den Durchschnittkunden sexueller Dienstleistungen besonders zu beeindrucken scheint. Im offiziellen Bericht im Jahr 2010 wird zwar behauptet: „Entsprechend der Angaben der schwedischen Polizei, ist es klar, dass das Verbot des Kaufs sexueller Dienstleistungen eine Barriere für den Menschenhandel ist.“ Allerdings erklärten dieselben schwedische Polizeibehörden, auf die sich der Bericht bezieht, im Gegensatz zur offiziellen Verlautbarung der Regierung der Presse im Frühjahr 2010: „Die organisierte Kriminalität, einschließlich der Prostitution und des Menschenhandels, haben in Stärke, Umfang und Komplexität während der letzten zehn Jahre zu genommen. Sie stellt ein ernsthaftes Problem in Schweden dar und die organisierte Kriminalität verdient einen großen Anteil ihres Geldes mit der Ausbeutung und dem Handel mit Menschen, die unter sklavenähnlichen Bedingungen leben.“

Menschenhändler werden so gut wie nie verurteilt

In diesem Zusammenhang sollte man sich einmal die konkreten Zahlen vor Augen führen, um sich zu vergegenwärtigen, womit sich die Schwedische Justiz offenbar tagein tagaus beschäftigen muss. Von 2000 bis 2010 stieg die Zahl der Anklagen gegen die einfachen Käufer sexueller Dienstleistungen von 92 auf über 1251. Im selben Zeitraum wurden wegen Menschenhandels im Jahr 2003 und 2007 jeweils zwei Personen, im Jahr 2005 sieben Personen im Jahr 2006 11 Personen und in den übrigen Jahren niemand verurteilt. Das heißt, während die Schwedische Justiz damit beschäftigt ist im Akkord Geldstrafen gegen gewöhnliche Kunden zu verhängen, bleiben die professionellen Schwerkriminellen weitgehend ungeschoren. Angesichts dieser Umstände ist die Annahme mit diesem Gesetz könnte man effektiv Zwangsprostitution und Menschenhandel bekämpfen, die von europaweiten Organisationen mit Milliarden Umsätzen betrieben werden, geradezu lächerlich.

Das schwedische Prostitutionsverbot ist eine Farce

Fassen wir zusammen: Die Arbeitsbedingungen der Frauen auf dem Straßenstrich haben sich als Folge des Verfolgungsdrucks massiv verschlechtert. Schutz vor Geschlechtskrankheiten findet in diesem Segment der Sexarbeit faktisch nicht mehr statt. Die Prostitution wurde zu großen Teilen ins Internet und in Häuser und Wohnungen verlagert, die sich der behördlichen Aufsicht gänzlich entziehen. Polizei und Behörden haben keinen blassen Schimmer davon, was dort eigentlich abläuft. Die organisierte Kriminalität ist nach Aussage der Polizei in dem Zeitraum seit der Einführung des schwedischen Modells zu einem sehr ernsten Problem geworden. Während hunderte von Männern vor Gericht gebracht und zu Geldstrafen verurteilt werden, gibt es nur selten Verurteilungen von Menschenhändlern. Derweil macht sich die Mehrheitsgesellschaft einen weißen Fuß und erfreut sich des Umstandes, dass die Prostitution hinter einer vorgeblich sauberen gesellschaftlichen Fassade versteckt wird. Unter dem Motto, was man nicht sieht, das ist auch nicht mehr da. Moral war, was die Einstellung der Gesellschaft zur Prostitution angeht, eben schon immer so wichtig, dass man sie gerne doppelt hatte.

Dr. Gérard Bökenkamp ist Referent Grundsatz und Forschung beim Liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Information:
Susanne Dodillet, Petra Östergen: The Swedish Purchase Act: Claimed Success and Documented Effects. Conference paper presented at the International Workshop: Decriminalizing Prostitution and Beyond: Practical Experiences and Challenges. The Hague, March 3 and 4, 2011.

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Karsten Troyke / 22.12.2013

In Schweden gilt der Sex ohne Kondom juristisch schon als Vergewaltigung… Mal abwarten, vielleicht ist Lächeln auf der Straße dort bald Anstiftung zur Zwangsprostitution.

Holger Chavez / 22.12.2013

“Die Prostitution verbieten hieße, die Männer noch stärker beherrschen zu können.” Genau das ist der Punkt. Es geht um Herrschaft, es geht darum, die Realität weiblich zu definieren. Der Mann ist nach dieser Sicht ein egoistischer, seinen Trieben unterworfener, im Grunde schlechter Mensch. Die stereotype männliche Antwort auf diese urweibliche Kritik an ihm ist, „das stimmt doch gar nicht, das sind doch feministische Vorurteile“, aber im Grunde glaubt er es selbst. Und das pikante daran: ES STIMMT. Das ist ein männlicher Charakterzug, der direkt mit dem sexuellen Begehren, das vorwiegend männlich ist, korrespondiert. Begehren heißt Besitzen-Wollen. Weibliches Begehren ist erheblich weniger körperorientiert, also weniger objektrientiert als männliches Begehren. Die männliche Energie, das Ying, hat diese Komponente. Sie hat noch vieles andere, auch viele Vorzüge, die beim Yang, der weiblichen Energie, eben weniger ausgeprägt sind, während das Yang viele Vorzüge hat, die beim Ying schwächer sind und nach denen sich das Ying übrigens sehnt. Weibliches Begehren ist der Tendenz nach nicht objektorientiert sondern weibliches Begehren heißt eher Begehrt-sein-wollen (die Schöne und das Biest). Männer und Frauen sind nicht gleich. Die Bestrafung der Freier erfüllt einen Urwunsch der Frau im ewigen Geschlechterkampf: Das Heft in der Hand zu behalten, die Unterwerfung im Sexualakt bis zuletzt herauszögern bzw.  abwenden zu können, jederzeit (laut hörbar für alle Umstehenden, damit die sie u.U. schützen) sagen zu können „April, April, ich habe nichts von Dir gewollt, Du geiler Bock“. Weibliche Abwehr gegen männliche Zudringlichkeit besteht wesentlich in der Denunziation des männlichen Begehrens, denn nur die Gemeinschaft bietet im Extremfall Schutz. Feministische Ideologie behauptet, die männliche “Deformation” sei kulturell und nicht dem männlichen Begehren inhärent. Die Männer müßten nur umerzogen werden. Das ist weibliche List im Geschlechterkampf. Sie verschweigt die weibliche Lust auf „einen echten Kerl“, die darin begründet liegt, einen wehrhaften, ranghohen Vater für ihre Kinder zu bekommen. Sie vermittelt ein völlig verkehrtes Bild des männlichen Begehrens, d.h. sie definiert den Mann um zu etwas, was er nicht ist und nie war und nie werden wird. Vögeln würde nach dieser Ideologie zu zu einem streng demokratischen, politisch korrekten Akt, bei dem möglichst kein Partner mehr die beherrschende Rolle einnimmt, und wenn, dann nur noch proporzmäßig schön abwechselnd, eine lustlose Reiberei, die pure Langeweile. Das ist wirksame Ideologie, implantiert sie doch das unauflösliche Schuldgefühl in das männliche Begehren. Sjöwall/Wahlhöö haben das in einem ihrer Krimis mal nett beschrieben, in etwa so: “Sie kamen gemeinsam zum Höhepunkt und setzen sich danach auf eine Tasse Kaffee zusammen.”  Herrschaftsideologie.

Klaus Fricke / 20.12.2013

Guten Tag, vielleicht etwas abseitig an dieser Stelle jedoch trotzdem von Interesse. Quasi eine Ergänzung zu der Problematik der Unzugänglichkeit der Sexarbeit für Behörden im Falle der Prohibition und der Vorteile, die eine rechtliche Gleichstellung der Sexarbeit zu anderen Berufen hat. Zugleich eine Antwort auf den Beitrag http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/das_elend_der_prostitution_und_seine_feingeistige_verbraemung. Frau Sievers wiederholt ein Argument, das die gesamte Debatte gegen die Prostitution und ihren eigenen Beitrag durchzieht. Auch wenn es eine Geduldsprobe ist, ich zitiere: “Es liegt in der Natur der Sache, dass man über die Anzahl von Prostituierten sowie die Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit ihrer Tätigkeit wenig verlässliche Daten erheben kann, da Sexarbeit auch nach ihrer Legalisierung im Verborgenen blüht. Man kann daher allein von Schätzwerten ausgehen, die auf Erfahrung beruhen. Selbstverständlich ist es für Polizisten, Sozialarbeiter, Mediziner und besonders die Angehörigen von Prostituierten kein großes Geheimnis, dass bei achtzig bis neunzig Prozent der Huren von Freiwilligkeit keine Rede sein kann.” Also folgende Aussagen werden für wahr behauptet 1. Es können nur wenige verlässliche Daten erhoben werden, denn SW blüht im Verborgenen 2. Es gibt nur Schätzwerte 3. Bei achtzig bis neuzig Prozent der SW kann von Freiwilligkeit keine Rede sein Das erste was auffällt Die Aussagen 1. und 2. stehen in einem Spannungsverhältnis zu Aussage 3. Entweder es gibt keine verlässlichen Zahlen oder die Zahl 80 bis 90 % ist verlässlich und es gibt verlässlich Zahlen. Bei Abgabe von Leistungsnachweisen würde das in Schule, Uni und Beruf keinen guten Eindruck machen. X kann nicht gleichzeitig 1 und -1 sein. (Ich hoffe, dass mich Mathematiker keines Besseren belehren) Aussage 1: Erhebung von verlässlichen Daten ist kaum möglich Für Bremen liegen verlässliche Daten zur Größe der Gruppe von Sexarbeiterinnen vor, die in der Zeit vom 31.11.bis zum 09.12.2013 in Wohnungen ihrer Tätigkeit nachgegangen sind und Werbung auf der Hostessen-Meile geschaltet hatten. Damit ist zweifelsfrei der größte Teil der so in Bremen in Wohnungen im Haupterwerb tätigen SW erfasst. Im Zeitraum wurden 290 Anzeigen erfasst. Am Stichtag der Auswertung, dem 09.12.2013 waren 244 Anzeigen geschaltet. Der Mittelwert im Beobachtungszeitraum waren 253,4 geschaltete Anzeigen. Es kann davon ausgegangen werden: - dass die Gruppe der im Haupterwerb in Wohnungen in Bremen tätigen Sexarbeiterinnen um die Größe von 250 schwankt. - Es war methodisch leicht, diese Daten zu erheben - auch wenn dafür einiges an Arbeit erforderlich war. Aussage 2: Es sind nur Schätzungen möglich Jede sozialwissenschaftliche Erhebung, die Vergleichszahlen präsentiert, spricht über Gruppen, die nach bestimmten Kriterien definiert, mit hoffentlich klaren Fragestellungen betrachtet und schliesslich verallgemeinernd in Daten dargestellt werden. Die so gewonnen Ergebnisse sind keine Schätzungen, sondern Ergebnisse, die zu interpretieren und zu bewerten sind. Ein weiteres Ergebnis der Bremer Erhebung: Im Erhebungszeitraum gingen 71 Sexarbeiterinnen aus dem rumänischen Sprachraum in Bremen ihrer Tätikeit (Haupterwerb) in Wohnungen nach. Drei davon reisten im Erhebungszeitraum aus Bremen ab. Vier weitere waren nicht zu erreichen. Mit 64 von Ihnen (100 %) wurde das persönliche oder telefonische Gespräch geführt. Dreizehn von Ihnen wollten an der Erhebung nicht teilnehmen, nicht ausführlich mit uns sprechen oder wir hatten nur kurzen telefonischen Kontakt zu Ihnen. Keine von ihnen hat eine Aussage gemacht, die auf Unfreiwilligkeit der Tätigkeit schliessen lies. Sie haben das Gespräch aber letztlich abgelehnt. Vier machten Angaben zu ihrer persönlichen Situation, wollten aber micht, dass diese Angaben in eine Erhebung Eingang finden, die von Ihnen namentlich (Arbeitsname) zu unterzeichnen war. Keine von ihnen hat eine Aussage gemacht, die auf Unfreiwilligkeit der Tätigkeit schliessen lies. 47 machten Aussagen und bestätigten diese durch Unterschrift. Eine dieser Aussagen ist: Ich gehe der Tätigkeit aus eigenem, freien Willen nach. Ergebnis: Zustimmungen zu dieser Aussage 47 = 73 % Enthaltungen zu dieser Aussage 4 = 6 % Keine Antwort zu dieser Aussage 13 = 20 % (Rundungsverlust = 1 %) Es handelt sich um Ergebnisse, nicht um Schätzungen. Es lassen sich in Bremen verlässliche Zahlen zum Umfang der im Haupterwerb in Wohnungen tätigen Sexarbeiterinnen ermitteln. Dies gilt insbesondere für die Sexarbeiterinnen die muttersprachlich Rumänisch sind. Aussage 3: achtzig bis neuzig Prozent der SW arbeitet unfreiwillig Diese These wird ohne Vorlage irgendwelcher Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Erhebungen aufgestellt. Es gibt keine Erhebungen, die diese Aussage rechtfertigen. Der Behauptung fehlt jede Grundlage. Sie ist eine moderne Legende. Früher sagte man Märchen dazu. Sie wird dadurch nicht besser, dass sie von Polizist_innen, Sozialarbeiter_innen oder Journalist_innen wiederholt wird. Die Behauptung ist ein Phantasieprodukt. Sie ist noch nicht einmal eine Schätzung. Die Bremer Erhebung unter Sexarbeiterinnen, die im Haupterwerb in Wohnungen tätig und muttersprachlich Rumänisch sind, hat keine Fälle unfreiwillig tätiger Sexarbeiterinnen ermitteln können,  folgendes Ergebnis: Gruppe der sich selbst als unfreiwillig tätig Wahrnehmenden 0 = 0 % Weiter Informationen SIB-SWinfoBremen@gmx.de Klaus Fricke für: “Haus9”  Vermietung von Betriebsstätten zur gewerblichen Tätigkeit an selbständig in der Sexarbeit tätige Menschen - Bremen SIB   Sexwork-Info-Bremen, SIB-SWinfoBremen@gmx.de Ne-Ro-In,  Reţea a schimbului de informaţii în limbile română şi germană pentru persoane şi părţi terţe implicate în industria sexului  Netzwerk zum Austausch von Informationen in Rumänisch und Deutsch für Menschen und Drittparteien in der Sexarbeit Sexworker Forum - Netzwerk und Forum für gegenseitige Hilfe und Aufklärung seit 2005, registriert als internationale NGO mit Sitz in Wien, akkreditiert als Verfasserin von Schattenberichten zur Lage von Sexworkern in Ländern in Zentraleuropa an UN’OHCHR Genf seit 2010

Jochen Seelig / 20.12.2013

Bökenkamp hat den Text von Frau Sievers offensichtlich nicht verstanden. Mit keinem Wort steht da was von Verbieten. Es werden aber die Argumente der Befürworter auseinandergenommen, deren Hauptargument lautet: die meisten Huren tuns ja eh freiwillig, alles halb so schlimm. Aus der marktwirtschaftlich-liberalen Ecke trötet es: ha, Vertrag zwischen zwei Parteien, alles legal, alles frei. Und die Sowiesoallesgutfinder sagen: was solls, Arbeiten an sich ist doof. Es geht aber in dem Text meines Erachtens darum, eben dieses “kritisch zu hinterfragen”, wie man das im Wohlfühldeutsch wohl ausdrücken würde. Indem alles mit allem gleichgesetzt wird, hält nämlich genau der sonst so beklagte (Kultur-)Relativismus Einzug, der alles mit allem gleichsetzt und so zu überhaupt keiner Meinung oder Haltung mehr fähig ist (was diesen Leuten ermöglicht, sich aus allem herauszuhalten und für nichts verantwortlich zu sein). Ob ein Verbot der Prostitution oder die Anerkennung als normalen Beruf wie jeder andere die Lösung ist. weiß ich nicht; vermutlich gibts dafür nie eine Lösung. Aber die Allesgutfinder sollten nicht so tun, als ob das ein Beruf wie jeder andere wäre.

Stefan Strauss / 20.12.2013

Es ist geradezu erschreckend wie uns Themen aufgezwungen werden die eigentlich in die hintersten Winkel unseres Seins gehören. Es ist eine naive und romantische Vorstellung die Beziehungen zwischen den Geschlechtern als einen freien Rausch der Geister und Gefühle zu verklären. Tatsächliche ist die Prostitution nur die auf die Spitze getriebene Zweckrationalität die jeder Beziehung innewohnt. Die in dieser Ambivalenz begründeten ethischen und gesellschaftlichen Probleme sind vom Prinzip her nicht aufhebbar. Es ist eine Kulturleistung dieses Problematik so sozialverträglich wie möglich zu gestalten. Je weniger Kultur wir haben, umso hässlicher wird sie uns über die Prostitution gespiegelt. Verbote und Regularien sind dabei nur der Beweis unserer gesellschaftlichen Unfähigkeit eine menschenwürdige Kulturleistung zu erbringen. Die Retter der gefallenen Engel eingeschlossen.

Frank Holbers / 19.12.2013

Den Prostitutionsgegner geht es ja nicht darum, die Situation der Prostituierten zu verbessern. Denn das, was so beklagt wird, ist doch schon längst bei uns verboten: Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Zwangsarbeit, Diebstahl. Also gibt es doch genügend rechtliche Handhabe, um die Prostituierten zu schützen. Aber nun soll ja - nach dem Willen einiger - auch die Prostitution, die ohne solche Begleiterscheinungen auskommt und auf freiwilliger Bereitschaft beruht, verboten werden. Warum? Ich gestehe, daß ich hin und wieder die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nehme. Warum auch nicht - ich bin alleinstehend und möchte trotzdem hin und wieder mal ... Für viele Männer, auch gerade für Behinderte, ist dies die einzige Möglichkeit ihre natürliche Lust ausleben zu können. Diejenigen Frauen, mit denen ich mich treffe, machen es tatsächlich freiwillig und nur in dem Rahmen, den sie selber abstecken. Da steckt kein ‘männlicher Zwang’, kein Lude dahinter, die Frauen haben keine blaue Flecken oder zittern vor Angst; sie machen ihre Arbeit so wie andere Menschen in anderen Berufen auch: mal gerne - mal weniger gerne, mal besser - mal schlechter. Es wird, wie bei jedem Geschäft, Wunsch und Möglichkeit abgeglichen, der Preis festgelegt und im voraus bezahlt. Keine der Damen ist bereit, anderes zu machen als sie selber wollen; jede der Damen lehnt auch unliebsame Gäste ab. Rechne ich das dafür gezahlte Geld auf einen Stundenlohn um, würden sogar gutverdienende Angestellte neidisch werden. Und tatsächlich sagen diese Damen auch, daß es für sie eine gute Möglichkeit zum Geldverdienen ist und ihnen diese Arbeit lieber ist als so manch anderer anstrengenderer Job, der vielleicht auch mehr Überwindung kostet. Auch das ist ein Teil der Wirklichkeit. Was spricht gegen so eine Form der Prostitution? Ich weiß es nicht. Die Prostitution verbieten hieße, die Männer noch stärker beherrschen zu können. In der Ehe sind sie von der lustlosen Ehefrau durch den Sex erpressbar; außerhalb der Ehe wären sie dann wegen des Sex erpressbar. Das scheint mir das eigentliche Ziel der Kampangne zu sein. Übrigens: Wie soll eigentlich mit Frauen verfahren werden, die sich an männliche Prostituierte wenden? Werden die dann auch kriminalisiert und die Callboys bleiben straffrei?

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