Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschien in DIE WELT am 18.05.2007:
Am „Dernbacher Dreieck“ im Westerwald ist öfter mal Stau. Deshalb kennen viele den Ort aus den Verkehrsnachrichten. Als bekanntesten Söhne der Stadt gelten die Ludolfs, die eine ortsansässige Autoverwertung betreiben. Die vier Brüder und ihr Alltag sind inzwischen Thema einer erfolgreichen Dokusoap.
Die Ludolfs bilden so etwas wie das perfekte Kontrastprogramm zur deutschen Telekom. Hier das Großunternehmen, das von seinen Kunden nur noch als schwarzes Loch wahrgenommen wird. Dort Peter, Uwe, Manni und Günter: Ein familiärer Dienstleistungsbetrieb, dessen Mitglieder zusammenhalten wie Pech und Schwefel. Die Treue der Kunden zu den Vieren grenzt an kultische Verehrung, ganz ohne Leitlinien für „Customer-Relationship“. Das Modell Dernbach wirkt wie eine trotzige Gegenwelt zu Großunternehmen, in denen geklonte Jungmanager in einer Endlosschleife Restrukturierungsmaßnahmen und Kostensenkungen verkünden.
Die Ludolfs würden es gar nicht erst bis ins Personalbüro eines deutschen Konzerns schaffen. Sie haben keine Angst um ihre Figur, kein Verhältnis zu ihrer Frisur und keinen Respekt vor Wichtigtuern. Stattdessen meistern vier große Jungs mit nicht immer korrekter Grammatik aber erheblichem Talent selbstständig ihr Leben. Den Ausdruck „Corporate Responsibility“ halten sie wahrscheinlich für eine amerikanische Biermarke. Das macht aber nichts, denn sie gehen mit sich und ihren Mitmenschen einfach ehrlich und freundlich um. Natürlich gibt’s auch mal Ärger unter den Brüdern. Manni beispielsweise beschimpft dann seine Gartenzwerge, denen er die Namen Günter, Peter und Uwe gegeben hat.
Als die Ludolfs kürzlich auf ihrem Schrottplatz einen „Tag der offenen Tür“ veranstalteten, brachen 15 000 Fans aus dem gesamten Bundesgebiet über Dernbach herein. Es gab einen Rückstau bis auf die Autobahn und der Bürgermeister rief den Ausnahmezustand aus. Die massenhafte Zuneigung erinnert beinahe an den Eisbären Knut, dem ein Teil der Truppe auch im Body-Mass-Index nahe kommt. Wie Knut sind die vier Originale vom Volke adoptiert worden.
Uwe und Manni beinen die alten Schrottautos aus. Peter ordnet sie in einem selbst erdachten „Haufenprinzip“ und weiß, welches Teil er in einem der nach Baugruppen sortierten Metallberge einmal abgelegt hat. So behält er den Überblick über ein bis zwei Millionen (!) Ersatzteile - alles im Kopf. Ein Rücklicht für einen Opel Kadett Baujahr 1981? Peter marschiert los und findet das entsprechende Teil mit schlafwandlerischer Sicherheit. Was würde der gemeine Elektronikketten- oder Baumarktkunde für einen so kompetenten Ansprechpartner geben!
Günter, der Telefonist, ist zwar etwas weniger wortgewandt als die Dame vom Telekom-Callcenter. Die mittlerweile von jedermann gehasste Ansprache „Mein Name ist sowieso, was kann ich für Sie tun“ kommt ihm nicht über die Lippen. Günter sagt überhaupt kaum etwas. Stattdessen hält er die Telefonmuschel zu und fragt Peter über den Tisch der gemeinsamen Wohnküche hinweg, ob das entsprechende Ersatzteil vorrätig ist. Und dann gibt’s knapp eine verbindliche Auskunft. Und die lautet meistens: Ja. Es sind oft die weniger Betuchten, die sich eine gebrauchte Lichtmaschine für ihren alten Golf besorgen. Die spüren obendrein Respekt. Vor Günter ist jeder gleich.
Aus einem eher zufälligen Fernsehbericht über die Schrottbrüder Ludolf entstand inzwischen eine Serie, in der die Kamera das Leben und Arbeiten der vier Brüder begleitet. Menschen, die in jedem großen deutschen Unternehmen hoffnungslos untergebuttert würden, zeigen darin ihr Können. Eine prima Werbung nicht nur für die Idee der Dienstleistung, sondern auch für Selbstständigkeit als Arbeits- und Lebensform. Die anarchischen und ungestylten Ludolfs zeigen Marktwirtschaft von unten. Und das ist genau das, was einem Unternehmen wie der Telekom fehlt.