Georg Etscheit / 13.09.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 86 / Seite ausdrucken

Mit Urin-Sammelstellen gegen die AdBlue-Krise?

Moderne Diesel-Autos fahren nicht ohne den Zusatzstoff AdBlue. Doch der ist knapp, weil synthetischer Harnstoff knapp ist. Wegen der hohen Erdgaspreise haben einige Hersteller bereits aufgegeben. Wäre Naturharnstoff eine Lösung?

Jüngst schreckte mich eine Meldung auf, wonach das Unternehmen SKW Stickstoffwerke Piesteritz (SKWP) aus Wittenberg (Sachsen-Anhalt) seine Produktion eingestellt habe. SKW Stickstoffwerke Priesteritz? Nie gehört, klingt aber irgendwie nach privatisiertem VEB. Weiter hieß es in der Meldung: „SKW ist deutschlandweit der größte Hersteller von AdBlue, einem Zusatzstoff, den fast alle Lastwagen brauchen.“ Ich wusste gar nicht, dass die Dieselstinker damit herumfahren. Allerdings weiß ich, dass mein neuer Golf Diesel das Zeug mit dem komischen Werbenamen benötigt. Gerade hatte er zum ersten Mal seit Neuanschaffung gemeckert und verlangt, AdBlue nachzufüllen. Es war gar nicht so leicht, eine Tanke zu finden, wo es den Stoff zu kaufen gibt, eine Lösung aus einem Drittel Harnstoff und zwei Dritteln demineralisiertem Wasser. Harnstoff wird aus Luft, Wasser und – Erdgas hergestellt. Ulkig, wo überall Gas drinsteckt.

Bei modernen Dieselautos wird die Flüssigkeit zwecks Reduzierung der Stickoxidemissionen in einen speziellen Katalysator eingespritzt. Die Preise sind schon mächtig gestiegen, genauer gesagt: Sie haben sich gegenüber seligen Zeiten vor der Energiekrise mancherorts versiebenfacht. Zum Glück braucht man nur etwa einen Liter auf 1.000 Kilometer. Doch mit einer tief in die Verlustzone gerutschten SKW Stickstoffwerke Piesteritz droht offenbar nicht nur „Stillstand auf den Straßen“, wie in der ZEIT zu lesen war, sondern auch in der Chemieindustrie. Denn Harnstoff ist einer der wichtigsten chemischen Erzeugnisse und wird vor allem als Düngemittel eingesetzt. Außerdem findet er sich in Kosmetika, etwa in jener Creme, die ich mir täglich auf die Füße schmiere, um die Hornhaut zu reduzieren. Alternativlos, würde Angela Merkel gesagt haben.

Urin vom Oktoberfest recyceln

Nachfrage beim Autoreparateur meines Vertrauens: Kann man zur Not auch ohne AdBlue fahren? Nein, antwortete mir der Meister überraschend schnell per Mail, die Bordelektronik lege den Wagen automatisch still, wenn der AdBlue-Tank leer sei. Aber er habe sich schon vor sechs Monaten einen Vorrat zugelegt, 1.000 Liter, vorsichtshalber. „Das wird auch nur an unsere Kunden ausgeschenkt. Wenn Sie möchten, dann können Sie sich mal zwanzig Liter abfüllen lassen.“ Die ganze Welt lache über uns, fügte er noch hinzu. „Wir dürfen jetzt die Reklame am Gebäude außen nicht mehr brennen lassen. Jedes Mal wenn ich mit dem ID vorbeifahre, vollelektrisch… da kann man doch nur den Kopf schütteln.“

Dann schlug er als guter Bayer noch vor, die Pinkelrinnen auf dem Oktoberfest anzuzapfen, also die flüssigen Ausscheidungen von Millionen Besuchern der Wiesn zu sammeln, aufzubereiten und „teuer zu verkaufen“. Toller Vorschlag – Urin besteht zu einem beträchtlichen Teil aus Harnstoff. Pro Tag scheidet ein Mensch etwa 20 Gramm davon aus. Und wenn man ordentlich Bier in sich hineinschüttet, wie auf der Wiesn, wird die körpereigene Produktion nochmals deutlich angekurbelt. Als ich vor einigen Jahren letztmalig eine Toilette in einem Bierzelt frequentiert habe, musste ich lange anstehen und hätte das kostbare Nass fast… Weitere Details erspare ich mir und Ihnen!

Das Oktoberfest, das ab nächsten Samstag nach zweijähriger Corona-Zwangspause endlich wieder stattfinden kann, verfügt natürlich über eine eigene Pressestelle. Frage meinerseits an die Pressedame: „Wissen Sie näherungsweise, wieviel Urin jedes Jahr während der Wiesn in die Pinkelrinnen der Festzelte fließt. Könnte man das auffangen und gegebenenfalls recyceln?“ Ich schrieb noch ausdrücklich in die Mail hinein, dass die Frage angesichts der Gas- und AdBlue-Krise sehr ernst gemeint sei, bierernst sozusagen. Schließlich habe man schon im Mittelalter Urin und Kot gesammelt, um damit Leder zu gerben. Auch hier ließ die Antwort nicht lange auf sich warten: „Uns liegen hierzu bedauerlicherweise keine Daten vor.“

Gibt es bald öffentliche Urininseln?

Jetzt aber mal Butter bei die Fische. Jedes Jahr wird das Oktoberfest, wenn es denn steigen kann, von rund sechs Millionen Menschen besucht, das sind fast viermal so viele, wie die Stadt München Einwohner hat. Natürlich gibt es da viele Mehrfachzählungen. Zudem kann man davon ausgehen, dass sich etliche Wiesngäste vielleicht schon zu Hause erleichtern, um nicht an einer stinkenden und/oder fehlgenutzen Pinkelrinne anstehen zu müssen. Oder sie verkneifen sich das Wasserlassen bis zur Rückkehr ins Hotel oder in die eigene Wohnung.

Also sollte man realistischerweise davon ausgehen, dass jeder der sechs Millionen alljährlich gezählten Wiesnbesucher zumindest die Hälfte einer Tagesration an Harnstoff auf dem Festplatz lässt, also zehn Gramm. Wenn man das sammelte, käme man auf rund sechzig Tonnen feinsten Oktoberfest-Harnstoffs. Und weil AdBlue, wie erwähnt, nur zu einem Drittel aus, so die chemische Bezeichnung, Kohlensäurediamid besteht, könnte man damit 182 Tonnen AdBlue anrühren. Das entspräche 3,75 Prozent des Tagesbedarfs auf deutschen Straßen. Mehr als ein Tropfen auf den heißen Asphalt ist das nicht.

Im Rahmen weiterer Energienotstandsgesetze könnte man sich vorstellen, die Urinausscheidungen ALLER in Deutschland lebenden Menschen zu sammeln und zu AdBlue zu verarbeiten. In diesem Fall schlüge die volle Tagesration an Harnstoff von zwanzig Gramm pro Mannfrausonstwas und Tag zu Buche. Das wären rund 1.660 Tonnen, was in etwa einem vollständigen Tagesbedarf entspräche.

Die Vollerfassung und Nutzbarmachung des bundesdeutschen Harndrangs wäre in einem politisch und organisatorisch so vorbildhaft aufgestellten Land wie dem unsrigen mühelos zu bewältigen. Man müsste die Menschen nur bei Strafe dazu anhalten, ihr Wasser nur noch ins Potschamperl (bayerisch für Nachttopf) abzuschlagen. Kommunale Beauftragte, sogenannte Bieselwarte, würden die Maßgabe überwachen und den Urin regelmäßig einsammeln. Alternativ könnte man auch auf das Freiwilligkeitsprinzip setzen und öffentliche Urininseln einrichten, als zeitgemäße Ergänzung der beliebten Wertstoffinseln.

Auch großtechnische Lösungen wären vorstellbar, etwa die Harnstoffrückgewinnung aus Haushaltsabwässern. Dann müsste man auch nicht aufs ökologisch wertvolle, weil Wasser sparende Duschpinkeln verzichten. Von einem freilich sollte man unbedingt Abstand nehmen: nämlich direkt in den AdBlue-Tank zu brunzen. „Selbst gepanschtes Urin-AdBlue“, so fand dankenswerterweise Auto Bild heraus, führe nicht nur zu einer ungenügenden Stickoxid-Reduktion, sondern erfülle auch den Tatbestand des Steuerbetrugs.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Roland Hübner / 13.09.2022

Frage: Wieviel könnte eine 4-köpfige Familie durch sorgsames Auffangen und verkaufen des Urins monatlich zur Aufstockung des Haushaltseinkommens erzielen. Und wie hoch wäre der Zusatzeffekt, wenn der Haushaltsvorstand statt 2 halbe Bier täglich 4 konsumiert? Auch wäre interessant, wie sich dies auf das Bruttosozialprodukt Deutschlands ausirkt, wenn das verpflichtend für alle Haushalte (außer Politikerfamilien) wäre. Natürlich müßte auch die Besteuerung geprüft werden. Fragen über Fragen.

Uta Buhr / 13.09.2022

Danke für diesen aufschlussreichen Artikel. Ich empfand es von jeher als “unverzeihliche” Verschwendung, diesen wertvollen Rohstoff einfach im Klo runter zu spülen. Demnächst wird unsere hoch kompetente Regierung bestimmt ein neues Gesetz verabschieden, das Urin-Verschwendung unter Strafe stellt. Jeder Bürger und jede *In im besten Deutschland aller Zeiten wird verpflichtet, seinen/ihren Urin zu sammeln und dafür eigens ernannten Blockwarten täglich die abgesonderte Menge mitzuteilen. Achtung - schummeln giltettt nicht. Denn jeder, der sich unsolidarisch verhält und den Staat betrügt, kann zu einer Gefängnisstrafe von bis zu 2 Jahren ohne Bewährung verknackt werden. Unseren Arbeitsminister Heil Hubertus wird diese Methode freuen. Denn angesichts eines künftig zu erwartenden riesigen Heers Arbeitsloser werden so viele neue Jobs geschaffen. Fazit: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt.

H. Krautner / 13.09.2022

Wenn Restaurants- und Gaststättenbetreiber dann zukünftig den von ihnen gesammelten Urin aus ihren Toiletten gewinnbringend verkaufen können, dann sind dort zukünftig auch endlich die Straßenpassanten gerne gesehene Toilettenbenutzer und werden nicht mehr unfreundlich angemotzt, wenn sie die Restaurant- und Gaststättentoiletten benutzen wollen.      Wenn die Gäste schon zunehmend nicht mehr zu Essen ins Restaurant kommen, dann kommen sie doch wenigstens zum Pinkeln. Vielleicht gleicht das die Umsatzverluste dann aus? Wer zum Pinkeln kommt bekommt dann vielleicht ein Freibier?

Claudius Pappe / 13.09.2022

Gestern irgendwo gelesen das CO2 knapp wird…......................nein nicht in der Luft, sondern das in Tanks und Flaschen für die Industrie. Was macht ein Luftzerleger so ?

Karl Stefan Dr. Dreher / 13.09.2022

Ja ja - obgleich ich als ehrlicher Dieselfahrer gerne bereit bin, in den Diesel-Urinator zu “investieren” - kostenlos (aber wie/wo)!. Doch für meine lebergereinigte Ausscheidungs-Mischung (auch Rückstände Bier, Wein, Schweinebraten, ...) will ich rechtssicher nicht verantwortlich sein müssen! Das regelt letztendlich für mich als tiefgläubigen Christen (nix EKD etc.) unter Außerachtlassung des insbesondere in der EKD und des völlig unglaubwürdigen “Bodenpersonals” der Staat. Ob das besser wird - bezweifele ich leider!

Marko Buchholz / 13.09.2022

Allein der Artikel und die süffisanten Kommentare zeigen doch deutlich wohin uns die Ampelmännchen innerhalb eines Jahres gebracht haben. Erst ins Abseits und jetzt in den Abgrund!

Stefan Hofmeister / 13.09.2022

Pinkeln gegen Putin. Das hat was. Ich hätte noch einen Vorschlag: Die Methanausscheidungen von Rindern in den Ställen “einfangen”. Damit ließe sich doch sicher auch gleich noch das Gasproblem lösen!

George van Diemen / 13.09.2022

Das Buch zur öffentlichen Sammelstelle:  “Clochemerle” von Gabriel Chevallier

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