Es scheint, als könnten Afrikaner keine Bäume pflanzen. Diesen Eindruck vermittelte der französische Präsident Emmanuel Macron auf dem virtuellen Treffen des „One Planet Summit“ am 11. Januar 2021. Deshalb sollen auf Betreiben Frankreichs bis 2025 insgesamt 14,4 Milliarden Dollar (11,8 Milliarden Euro) von 50 Staaten aufgebracht werden, damit im Süden der Sahara mehr Bäume, Büsche und Kulturpflanzen gesetzt werden. Schon 2015 auf dem Pariser Klimagipfel COP 21 wurden vier Milliarden Dollar als „Hilfe“ zugesagt. Allerdings wurden laut einem UNO-Bericht vom Herbst 2020 nur vier Prozent des Planes umgesetzt: Statt 100 Millionen sind nur vier Millionen Hektar an Grünflächen entstanden. Als Gründe nannte die Vize-Generalsekretärin der UNO, Amina Mohammed, Mangel an Geld, an Arbeitskräften (!), aber auch unklare Zuständigkeiten, Rivalitäten und Unsicherheit durch Terrormilizen.
Allerdings sind nur 870 Millionen tatsächlich in die „Grüne Mauer“ geflossen. Die zuständige Agentur hat nach eigener Darstellung nur 200 Millionen erhalten. Es sind offenbar 670 Millionen „versickert“.
Ich stelle mir die Frage: Warum wurden im Senegal und in Äthiopien Millionen Bäume gepflanzt und in Eritrea Trassenkulturen angelegt, alles ohne ausländische Hilfe? In Burkina Faso wurde ein einfaches Bewässerungssystem entwickelt. In einem reichen Land wie Nigeria geschieht jedoch nur wenig. Milliarden-Zahlungen der internationalen Gemeinschaft werden keine Bäume pflanzen, und sie werden die Pflanzen auch nicht pflegen. Stefan Brändle zitiert im Standard, Wien (14.1.2021) Patrice Burger von Cari, einem Netzwerk für den Kampf gegen die Wüstenbildung, die meist sehr arme Landbevölkerung sei „nicht überzeugt, dass ihnen das Projekt eine bessere Zukunft verspricht“. Sie bevorzugten ihre bisherigen Anpflanzungen, auch wenn diese nur spärliche, aber immerhin sichere Früchte abwerfen. Den Instruktionen von oben über die Anbauweisen trauten sie nicht.
Der französische Agronom Pierre Hiernaux veröffentlichte am 14.10.2020 in „Nature“ seine Forschungen. Demnach dringt die Wüste im Bereich der Grünen Mauer nicht mehr vor. Die Regenmengen würden seit den 1980er Jahren wieder zunehmen und damit auch die Begrünung des Sahelgebietes. Auch der Geograph und Klimaforscher Stefan Kröpelin konnte beobachten, dass der Klimawandel die Sahara offenbar sehr viel früher wieder ergrünen lässt, als es allein nach dem natürlichen Zyklus der Fall wäre. Kröpelin ist Wissenschaftler an der Forschungsstelle des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Köln und kennt die Sahara so gut wie kaum ein anderer. „Ich fahre jedes Jahr in die gleichen Gebiete. Sie liegen abseits von Siedlungen und werden nicht mal mehr von Nomaden genutzt. Und da ist seit Ende der 1980er Jahre ein vorsichtiger Trend zum Wiederergrünen der Sahara auszumachen“, sagte er im Gespräch mit n-tv am 8. November 2017. „Die Niederschläge nehmen völlig zweifelsfrei zu. Der Grasbewuchs kommt wieder. Später kommen die Mäuse und Vögel, dann gibt es mehr Weiden, und schließlich kehren die Gazellen zurück.“
Problematisch sei, so Hiernaux, das ungebremste Bevölkerungswachstum in diesen Ländern. Das fördere durch Übernutzung der Böden die Bodenerosion und Wüstenbildung. Dieses Thema wurde aber in Paris einmal mehr nicht angesprochen. Es ist ein heikles Thema, bei dem man den Vorwurf des Rassismus fürchtet. Aber wer möchte, dass Afrika seine Menschen irgendwann selbst ernähren und in Lohn und Arbeit bringen kann, sollte auch helfen, die dortigen Geburtenraten zu senken. Schon heute haben viele Afrikaner wenig Aussicht darauf, dass das Land, auf dem sie geboren wurden, sie ernähren können wird.
Wie Einheimische sich selbst helfen
Die Sahelzone wird von über 300 Millionen Menschen bewohnt, mehrheitlich Kleinbauern, die ihre landwirtschaftlichen Parzellen mit jeder Generation weiter aufteilen. So schrumpfen Erträge auch wegen der Desertifikation. Milliarden Bäume sollen die Wüstenbildung eindämmen. Bäume liefern den Bauern der Sahelzone seit Menschengedenken Feuerholz, Blätter und Früchte als Nahrungs-, Futter- und Heilmittel. Allerdings haben nur wenige Regierungen den Plan umgesetzt. Noch werden die Ressourcen nicht gut und nachhaltig bewirtschaftet, sondern ausgeschöpft. Das führt zu mehr Wüstenbildung und Zerstörung des Bodens. Mit dem Pflanzen von Bäumen soll der Vormarsch der Wüste im Sahel aufgehalten werden. Obwohl afrikanische Regierungen sich nur für Städte interessieren und sich über die Landflucht sowie die wachsenden Slums wundern, gibt es kaum ökologische Parteien in Afrika. Lediglich in Ruanda konnte die dortige Partei zwei Sitze erobern.
Die „Grüne Mauer“ (The Great Green Wall/ La Grande Muraille Verte) ist ein Projekt der Afrikanischen Union, mitfinanziert von der Weltbank, von der EU und dem BMZ (Globale Umweltfazilität). Das Konzept geht auf den britischen Forstwissenschaftler Richard St. Barbe Baker zurück. Die Mauer wurde bereits 2007 beschlossen, und seit 2010 gibt es eine gemeinsame Agentur „Great Green Wall Agency“, der die betroffenen Länder Senegal, Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Nigeria, Tschad, Sudan, Äthiopien, Eritrea und Djibouti angehören. Diese grüne Mauer soll sich von Dakar bis nach Djibouti (7.700 km) erstrecken und die Sahara daran hindern, sich noch mehr auszubreiten. Sie soll mit Bäumen „gebaut“ werden, die dicht aneinandergereiht werden, um für ein feuchtes Klima zu sorgen. Die Bäume sollen eine Barriere für den Wind bilden, Feuchtigkeit in Luft und Boden erhöhen und die landwirtschaftliche Nutzung des Gebietes verbessern. Bislang wurden 15% der Mauer gepflanzt. Senegals Grüne-Mauer-Politik ist die erfolgreichste auf dem Kontinent. Im Senegal wächst die grüne Mauer jährlich um ca. 5.000 Hektar. Laut offiziellen Angaben konnten im Senegal bereits mehr als 11 Millionen Bäume gepflanzt werden. Das ist auch Frauenkooperativen zu verdanken. Die meisten Bäume sind einheimische Akaziengewächse, die keine Bewässerung brauchen. Das Gummi arabicum der Bäume kann für Lebensmittelzusatzstoffe und in Marmeladen verwendet werden. Das Programm gibt den Menschen vor Ort neue Lebensmöglichkeiten. Tierarten wie Antilopen sind zurückgekehrt. Insgesamt will der Staat Senegal 340.000 Hektar bewalden. In anderen Ländern, wie im Nordteil von Nigeria, ist bislang wenig geschehen.
Vorläufer sind Baumpflanzprojekte von Thomas Sankara in Burkina Faso, das Green Belt Movement (Grüngürtelbewegung) der Kenianerin Wangari Maathai und der einfache Bauer Yacouba Sawadogo in der Provinz Yatenga in Burkina Faso, der bereits in den 80er Jahren des vorherigen Jahrhunderts mit der uralten Zai-Methode (Pflanzenlöcher werden mit einem Gemisch aus Hirsekörnern, Asche, Blättern und Dung gefüllt und bedeckt) Böden regenerierte und alleine am Rand der Sahelzone einen Wald von 30 Hektar pflanzte. Zudem bremste er mit dem Anhäufen von Steinen das Abfließen des Regenwassers. Inzwischen hat sich der Grundwasserspiegel rund um Yacoubas Wald gehoben.
Sakina Mati aus Dan Saga im Süden von Niger nutzt die Triebe der Baobab-Bäume, die in einem verborgenen unterirdischen Netzwerk aus Wurzeln durch die Erde kommen. Mit einem kleinen Messer schneidet sie bei Sprösslingen die Triebe ab, sodass alle Kraft in Wurzel und Stamm fließt, aus dem Trieb kein Busch, sondern letztlich ein Baum wird. Die kleinen Sprösslinge bekommen ein Nest aus Zweigen und werden vor Kühen geschützt. So hat sie 150 Affenbrotbäume gezogen – ohne einen einzigen Setzling gepflanzt zu haben. „Mit genug Bäumen retten wir das Klima auf der ganzen Welt“, das hat Sakina Mati auch Michelle Obama bei einer Einladung ins Weiße Haus gesagt (Bernd Dörries, „Die Baumschule“, in: SZ Nr. 225, 29. September 2020, S. 3).
„Alter weißer Mann macht Film über alten weißen Mann“
Der australische Agronom Tony Rinaudo entdeckte Anfang der 1980er Jahre, dass im Niger von Bäumen entblößte Ackerflächen dort biologisch keineswegs tot waren. Vielmehr hatten im Untergrund zahllose Baumwurzeln, Stümpfe und Samen überlebt. jahrzehnte- oder gar jahrhundertealte Waldreste, die regelmäßig zur Regenzeit neue Triebe entwickeln. Diese Triebe wurden bis dahin allerdings genauso regelmäßig von Ziegen abgefressen oder beim Abbrennen der Felder vernichtet. Rinaudo zeigte den Bauern, wie sie Wurzeln und Baumreste nutzen können. Sie müssen lediglich einige Baumtriebe erhalten, sie vor Ziegen schützen und sie regelmäßig beschneiden. So entstehen nach drei, vier Jahren neue Bäume, die an das lokale Klima und die Böden angepasst sind. Die Bäume spenden Schatten und brechen den Wind; sie schützen die Hirse- und Sorghum-Äcker der Bauern vor Hitze und Sturm. Heute stehen im Süden Nigers 300 Millionen Bäume – vierzigmal mehr als vor 30 Jahren. Das Mikroklima hat sich verbessert, die Landwirtschaft ist ertragreicher geworden. Vielerorts hat sich die Baumdichte mehr als verzwanzigfacht – mit erheblichen Auswirkungen auf das Mikroklima und damit die Lebensqualität der Bauern und ihrer Familien. Für die Entdeckung und Entwicklung dieser Methode erhielt Rinaudo 2018 zusammen mit Yacouba Sawadogo aus Burkina Faso (siehe oben) den „Alternativen Nobelpreis“.
Volker Schlöndorff dreht derzeit einen Film über Tony Rinaudo mit dem Arbeitstitel "Der Waldmacher", das ist sein Spitzname. (Inzwischen wurde Schlöndorff – ganz im Sinne des Zeitgeists – signalisiert, dass er "als alter weißer Mann" unmöglich einen Film über einen alten weißen Mann drehen könne, der Afrika rette. Jetzt will er das Thema erweitern.) David Signer zitiert Schlöndorff (vgl. NZZ-online 9.12.2020): "Die meisten afrikanischen Regierungen interessieren sich kaum für die Bauern und ökologische Fragen. Das gilt selbst für die Landwirtschaftsministerien. Ein Chefbeamter erpresste 5.000 Dollar Spesen von uns, nur damit er mit uns zu den Wiederaufforstungsgebieten hinausfuhr."
Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Drei Nachauflagen folgten 2019 und 2020. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.