Was sagt das Grundgesetz über Bundestagsabgeordnete? „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Achse-des-Guten-Herausgeber Henryk M. Broder appelliert in einem Schreiben an alle Bundestagsabgeordneten, dem von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes ihre Zustimmung zu versagen. Würde das Gesetz beschlossen, sind soziale Netzwerke bei drohender Millionenstrafe gehalten, als rechtswidrig angezeigte Inhalte umgehend zu löschen, ohne dass ein Gericht über die Rechtmäßigkeit entscheiden kann. „Können Sie mit gutem Gewissen einem Gesetz zustimmen, das ausweislich des Gesetzestextes auch nicht strafbare Inhalte zu löschen zwingt? Kann dies mit Art. 5 GG in Einklang stehen?“, fragt Broder in seinem Schreiben. Auf die Reaktionen sind wir gespannt. Hier der Brief an die Abgeordneten im Wortlaut:
Sie werden am Freitag, 19.05.2017, im Bundestag in 1. Lesung das Netzwerkdurchsetzungsgesetz behandeln, das bei Medien, Verbänden und in der Öffentlichkeit auf breite Kritik gestoßen ist.
Die Entgleisungen in den sozialen Netzwerken sind eine Tatsache. Sie sollten bekämpft werden, wenn sie bestehende straf- oder zivilrechtliche Vorschriften verletzen. Niemand muss sich beleidigen lassen, keine freie Gesellschaft sollte Volksverhetzung ein Forum geben. Aber: dies lässt sich alles ohne die drastischen Eingriffe in Freiheitsrechte bewerkstelligen, die der Gesetzentwurf des Justizministers vorsieht. Dessen Gesetz nach Meinung vieler hochrangiger Juristen im Übrigen verfassungswidrig ist und die Art. 3, 5 und 12 GG verletzt.
Bereits nach jetzt geltendem Recht haftet jedes soziale Netzwerk zivil- und strafrechtlich, wenn es rechtswidrige oder strafbare Inhalte nach Kenntnis nicht entfernt.
Statt mit einem verfassungswidrigen Gesetz die Gewaltenteilung zu verletzen und die Rechtsdurchsetzung an ungeschulte Zeitarbeitskräfte von Facebook et al auszulagern, sollte die Justiz für diese Aufgabe hinreichend ausgestattet werden. Dorthin gehört diese für eine freiheitliche Gesellschaft grundlegende Klärung, was rechtmäßig ist und was nicht.
Können Sie mit gutem Gewissen einem Gesetz zustimmen, das ausweislich des Gesetzestextes auch nicht strafbare Inhalte zu löschen zwingt? Kann dies mit Art. 5 GG in Einklang stehen?
Warum enthält das Gesetz keine Regelung, die Nutzern das Vorgehen gegen Löschungen und Sperrungen ermöglicht, wenn diese zu Unrecht erfolgt sind?
Ich bitte Sie, sich nachstehenden Gegenentwurf zum NetzDG für ein Gesetz zur Gewährleistung freier Rede und Einhaltung straf- und zivilrechtlicher Vorschriften in den sozialen Netzwerken (Meinungsfreiheitsgesetz – MfG) des Rechtsanwalts Joachim Steinhöfel anzusehen und sich zu überlegen, ob ein solcher Entwurf dem Anliegen, Auswüchse im Netz zu bekämpfen und gleichzeitig die verfassungsmäßigen Freiheitsrechte der Bürger zu wahren, nicht weit besser gerecht würde.
Gerne höre ich hierzu von Ihnen
Ihr
Henryk M. Broder
Herausgeber http://www.achgut.com
Weitere Informationen: http://www.achgut.com/artikel/das_meinungsfreiheitsgesetz_ein_gegenentwurf_zu_heiko_maas
Angefügt ist der oben erwähnte Gesetzentwurf:
§ 1 Anwendungsbereich
Dieses Gesetz gilt für soziale Netzwerke. Dies sind Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht im Inland Plattformen im Internet betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
§ 2 Inländischer Zustellungsbevollmächtigter
Anbieter sozialer Netzwerke haben für Zustellungen in Deutschland in ihrem Impressum einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen.
§ 3 Haftung für rechtswidrige Inhalte Dritter
Anbieter sozialer Netzwerke haften auch für von Dritten eingestellte rechtswidrige Inhalte, wenn sie diese nach Kenntnis nicht unverzüglich entfernen.
§ 4 Haftung für Löschungen und Sperrungen
(1) Anbieter sozialer Netzwerke können auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wenn sie Inhalte Dritter entfernen, deren Veröffentlichung nicht gegen deutsches Recht verstößt.
(2) Anbieter sozialer Netzwerke können auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen werden, wenn sie Profile Dritter löschen oder befristet sperren, soweit der betroffene Dritte deutsches Recht nicht verletzt hat.
(3) Die Vorschriften der Abs. 1 und 2 gelten dann nicht, wenn der betroffene Dritte die AGB (Gemeinschaftsregeln) des sozialen Netzwerks verletzt hat und die AGB ihrerseits rechtmäßig sind. Dies gilt dann nicht, wenn das soziale Netzwerk eine marktbeherrschende Stellung hat.
§ 5 Bagatellklausel
Die Ansprüche aus § 3 MfG können nur dann geltend gemacht werden, wenn die rechtswidrigen Inhalte geeignet sind, die Interessen des Betroffenen spürbar zu beeinträchtigen.
§ 6 Gerichtsstand
Für Klagen aufgrund dieses Gesetzes ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist.
§ 7 Inkrafttreten
(1) Dieses Gesetz tritt am Tag der Verkündung in Kraft.
(2) Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wird mit Inkrafttreten dieses Gesetzes aufgehoben. Alle etwa aufgrund dieses Gesetzes ergangenen Entscheidungen sind gegenstandslos.