Der Zukunftspakt der Vereinten Nationen soll dazu beitragen, die Durchführung eines sozialistischen Experiments im globalen Maßstab zu beschleunigen.
Gleich drei Vertragswerke sollen beim Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen am 22. und 23. September in New York von den Mitgliedstaaten verabschiedet werden: der Pakt für die Zukunft, der Globale Digitale Pakt und die Erklärung über künftige Generationen. Am vergangenen Donnerstag, dem 12. September, gab es nun eine digitale globale Konferenz im Vorfeld des Zukunftsgipfels, um Erwartungen an den Pakt und den Gipfel zu diskutieren. Gastgeber dieser virtuellen Live-Veranstaltung waren der Präsident der Republik Namibia und Bundeskanzler Olaf Scholz, da Deutschland und Namibia gemeinsam die Konferenz und den Zukunftspakt vorbereiten (achgut berichtete).
Der Zukunftspakt stützt sich auf die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030, die von den Vereinten Nationen 2015 beschlossen wurde, um einen vollständigen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft mit dem Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Damit diese globale Transformation gelingt, soll durch den Pakt vor allem das multilaterale System gestärkt werden – mit den Vereinten Nationen im Zentrum.
Der Zukunftsgipfel („Summit of the Future“) steht daher auch unter dem Motto: „Multilaterale Lösungen für eine bessere Zukunft“ („Multilateral Solutions for A Better Tomorrow“). Vier „Interaktive Dialoge“ sind als Tagesordnung geplant, als erstes der Dialog über die „Transformation der globalen Politikgestaltung und Beschleunigung der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ („Transforming global governance and turbocharging the implementation of the 2030 agenda for sustainable development“). Dabei soll es unter anderem um das „gerechte Management der globalen ökonomischen Ressourcen“ und beispielsweise Schuldenerlass-Initiativen gehen.
Außerdem wird betont, dass die Herausforderungen, vor denen die internationale Gemeinschaft stehe, zu groß seien, als dass jede Nation sie allein bewältigen könnte. Die Welt sei durch zunehmende geopolitische Spannungen und Terrorismus bedroht. Auch das Aufkommen neuer Technologien sei mit Sicherheitsaspekten verbunden. Und die Zunahme von Hate Speech schüre Spaltungen und Intoleranz. Deswegen seien „robuste und umfassende multilaterale Lösungen“ für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit nötig. Der zweite Dialog ist entsprechend mit „Stärkung des Multilateralismus für internationalen Frieden und Sicherheit“ („Enhancing multilateralism for international peace and security”) überschrieben. Mit anderen Worten: Die Mitgliedstaaten sollen akzeptieren, dass sie Kompetenzen an die Vereinten Nationen abgeben sollen.
Die Zukunft der noch nicht geborenen Generationen
Darüber hinaus sei die Verbesserung der digitalen Zusammenarbeit entscheidend, um das Potenzial von Wissenschaft, Technologie und Innovation zum Wohle der Menschheit zu nutzen. Digitale Technologien und Innovationen könnten nämlich dazu beitragen, die Umsetzung der Agenda 2030 zu beschleunigen. Die sich vergrößernde „globale digitale Kluft“ bleibe jedoch eine große Herausforderung: Mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung habe keinen Zugang zum Internet und laufe Gefahr, von den Vorteilen und Möglichkeiten der Digitalisierung ausgeschlossen zu werden, wodurch Ungleichheiten verstärkt würden.
Deswegen müsse sichergestellt werden, dass die Menschen überall den gleichen Zugang zu den Vorzügen des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts haben, was zu einer wohlhabenderen, gerechteren und nachhaltigeren Zukunft für alle führe. Der dritte Dialog trägt daher den Titel: „Für eine gemeinsame digitale Zukunft: Stärkung der integrativen Innovation und Zusammenarbeit zur Überwindung der digitalen Kluft“ („Towards a Common Digital Future: strengthening inclusive innovation and cooperation to bridge the digital divides”). Das klingt allerdings eher nach Zwangsbeglückung zum Wohle der Digitalkonzerne, die ihren Einfluss auf die Vereinten Nationen entsprechend nutzen.
Um ihren Ambitionen noch mehr Nachdruck zu verleihen, weisen die Vereinten Nationen darauf hin, dass es schließlich sogar um die Zukunft der noch nicht geborenen Generationen gehe, und fordert auf zur „Bewahrung unseres Planeten und zur Wahrung der Bedürfnisse und Interessen der heutigen und künftigen Generationen“. Diesem moralischen Appell kann sich wohl kaum ein Land entziehen – auch wenn noch völlig unklar ist, welche Bedürfnisse und Interessen künftige Generationen tatsächlich umtreiben werden.
Der vierte Dialog lautet dennoch: „Die Zukunft beginnt jetzt: Verbesserung des globalen Systems für heutige und zukünftige Generationen“ („The Future Starts Now: enhancing the global system for current and future generations”). Und die Vereinten Nationen verraten schon gleich die Lösung mit: Die Umsetzung der Agenda 2030 müsse beschleunigt werden. Dann werde – so wird suggeriert – alles wieder gut.
Erstaunlich ist allerdings, dass das bisherige Wirken der Vereinten Nationen offenbar wenig erfolgreich war. Oder wie ließe sich sonst erklären, dass etwa die Armut in der Welt gerade in den letzten Jahren wieder zugenommen hat? Denn laut einer Statistik der Weltbank lebten 1990 fast zwei Milliarden Menschen in extremer Armut. 2019 waren es dann nur noch 648 Millionen, doch 2020 plötzlich wieder 719 Millionen.
Ursache dafür waren offensichtlich die globalen Corona-Maßnahmen, die doch gerade von den Vereinten Nationen und der Weltgesundheitsorganisation, die ebenfalls eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen ist, vorangetrieben wurden. Wenn sich nun aber die koordinierten Maßnahmen der UN gerade nicht zum Wohle der ärmsten Menschen der Welt ausgewirkt haben, was spricht dann für eine weitere Zentralisierung von Befugnissen? Darum geht es letztlich nämlich bei dem Zukunftsgipfel in New York.
Migration für eine nachhhaltige Entwicklung
Mittlerweile liegen die jeweils dritten und damit letzten Versionen der Texte vor, die dort beschlossen werden sollen. Der aktualisierte Zukunftspakt (Stand 27. August) sieht insgesamt 60 „Actions“ (Maßnahmen) vor. Besonders bedenklich ist beispielsweise ein Passus, durch den die UN-Mitgliedstaaten zusichern sollen, dass bei „komplexen globalen Schockereignissen“ – also in Krisensituationen wie Pandemien, Klimanotständen oder Cybervorfällen – der UN-Generalsekretär eine zentrale Notfallplattform einberufen können soll. Die Vereinten Nationen würden dann die Führung bei der „kooperativen, koordinierten und multidimensionalen internationalen Reaktion“ auf diese komplexen globalen Schocks übernehmen. Die Staaten sollen sich auch dazu verpflichten, „die Reform der internationalen Finanzarchitektur zu beschleunigen, damit sie die Herausforderung des Klimawandels bewältigen kann.“ Die Finanzierungslücke für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele in den Entwicklungsländern müsse geschlossen werden, um eine wachsende Ungleichheit zwischen den Ländern und eine weitere Erosion des Vertrauens in das multilaterale System zu verhindern.
In der „Erklärung über künftige Generationen“ sollen sich die Mitgliedstaaten zudem noch dazu bereit erklären, „die Zusammenarbeit zwischen den Staaten zu verstärken, um eine sichere, geordnete und reguläre Migration zwischen Herkunfts-, Transit- und Zielländern zu gewährleisten, unter anderem durch die Erweiterung der Wege für eine reguläre Migration, wobei der positive Beitrag von Migranten zu integrativem Wachstum und nachhaltiger Entwicklung anerkannt wird“.
Im Klartext: Migration ist nach Ansicht der Vereinten Nationen per se ein „positiver Beitrag“ zur „nachhaltigen Entwicklung“. So wurde es ebenfalls schon im UN-Migrationspakt 2018 formuliert. Auch zum „Schutz des Rechts auf das erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit“ sollen sich die Staaten bekennen. Dazu zähle etwa der „gleichberechtigte Zugang zu sicheren, erschwinglichen, wirksamen und hochwertigen Arzneimitteln, Impfstoffen, Therapeutika und anderen Gesundheitsprodukten“. Die global agierenden Pharmakonzerne werden sicher nichts dagegen einzuwenden haben.
Während die Verhandlungen zum Zukunftspakt von Namibia und Deutschland geführt wurden, waren für die Vorbereitung des Digitalpakts übrigens Sambia und Schweden und für die Erklärung über künftige Generationen Jamaika und die Niederlande zuständig. Im Digitalpakt sollen sich die Länder u.a. explizit dazu verpflichten, die internationale Zusammenarbeit auszuweiten, um Desinformation und Hassrede im Internet zu bekämpfen. Dafür hat bereits die UNESCO Leitlinien entwickelt, und auch die WHO wollte beispielsweise in Bezug auf COVID-19 die Öffentlichkeit gegen „Falschinformationen“ immunisieren. So verschrieb sie sich explizit dem Kampf gegen die „Infodemie“, worunter sie allerdings auch ein Zuviel an Informationen versteht. Insgesamt sollen sich die Staaten einer tiefgreifenden digitalen öffentlichen Infrastruktur verschreiben, da diese das Potenzial habe, „die sozialen und wirtschaftlichen Chancen für alle zu verbessern“.
„Wir brauchen maximalen Ehrgeiz“
Digitale öffentliche Infrastrukturen sollen demnach alternativlos sein. Ob darunter auch zum Beispiel das Internet der Dinge und die biometrische Datenerfassung der Smart Cities fallen? Das käme einer flächendeckenden digitalen Kontrolle gleich. Dass sich die Staaten darauf einigen sollen, die Interoperabilität zwischen nationalen, regionalen und internationalen datenpolitischen Rahmenwerken zu fördern, macht es nicht besser. Zudem soll innerhalb der Vereinten Nationen ein „unabhängiges multidisziplinäres internationales wissenschaftliches Gremium für KI mit ausgewogener geografischer Vertretung“ eingerichtet werden. Zur Finanzierung der Umsetzung des Digitalpakts seien „öffentliche, private und multilaterale Ressourcen“ erforderlich unter Einbeziehung multilateraler Entwicklungsbanken. Hier wird wohl weder die Digital- noch die Finanzbranche Einspruch erheben.
Bei näherem Hinsehen wirken die drei Vereinbarungen insgesamt wie von den Interessen mächtiger Konzerne gelenkt. Auffällig wenig wird auch bislang in der Öffentlichkeit über den anstehenden Zukunftsgipfel berichtet. Denkbar knapp fällt etwa die entsprechende Pressemitteilung der Bundesregierung vom 13. September aus. Hier heißt es nur:
„Bundeskanzler Olaf Scholz wird am 21. September nach New York reisen. Dort wird er am 22. und 23. September am Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen teilnehmen und zur Eröffnung des Gipfels eine Rede halten. Deutschland hatte in den vergangenen knapp zwei Jahren gemeinsam mit Namibia den sogenannten Zukunftspakt als Verhandlungsführer vorbereitet. Es ist vorgesehen, dass dieser anlässlich des Zukunftsgipfels (,Summit of the Future‘) verabschiedet wird. Der Bundeskanzler wird daneben zahlreiche bilaterale und multilaterale Gesprächsformate wahrnehmen. Die Rückreise nach Berlin ist für den 24. September vorgesehen.“
Worum es inhaltlich geht, sollen die Bundesbürger wohl lieber nicht erfahren. Dabei war Scholz einer der Hauptredner der globalen virtuellen Konferenz am 12. September, also am Vortag der Pressemitteilung. Doch auch diese Rede ist nirgendwo als Text abrufbar, wohingegen der Beitrag von UN-Generalsekretär António Guterres schriftlich zur Verfügung steht. Allerdings enthält er überwiegend leere Floskeln. Immerhin hebt Guterres unmissverständlich die Bedeutung des Zukunftsgipfels hervor und sagt:
„Es sind nur noch wenige Tage bis zum Gipfel, aber es hat jahrelanger Anstrengungen bedurft, um diesen Punkt zu erreichen.“ Außerdem richtet er sich an die Gipfelteilnehmer und insistiert: „Ich appelliere an Sie, sich mit Nachdruck für möglichst tiefgreifende Reformen und sinnvolle Maßnahmen einzusetzen. Wir brauchen in diesen letzten Verhandlungstagen maximalen Ehrgeiz.“
Denn die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erforderten auch problemlösende Institutionen des 21. Jahrhunderts. Die Vereinten Nationen befänden sich in einer einzigartigen Position, um als Plattform und Treffpunkt für die maßgeblichen Interessengruppen zu fungieren.
Immer dieselben Phrasen
Und dann fällt noch der Satz:
„Da globale Schocks immer komplexer und folgenschwerer werden, brauchen wir Notfallplattformen, die automatisch in Kraft treten und die wichtigsten Akteure nach vereinbarten Protokollen zusammenbringen. Wir können nicht in die nächste globale Pandemie oder den nächsten globalen Schock gehen, ohne besser vorbereitet zu sein.“
Wenn es aber um derart viel geht, warum fallen dann etwa die Informationen der Bundesregierung so spärlich aus? In seien Ausführungen, die im Livestream der Veranstaltung zu sehen sind, wirbt Scholz dagegen nachdrücklich für den Zukunftspakt. Er betont, dass die internationale Ordnung vor immensen Herausforderungen stehe, doch alle Menschen ein Anrecht auf den Lebensstandard hätten, den die Einwohner Europas und der USA genössen. Der Zukunftspakt eröffne die Chance zu zeigen, dass globale Solidarität existiere. Scholz spricht sich für die nachhaltige Transformation der Wirtschaftssysteme etwa durch Förderung erneuerbarer Energien und multilateraler Entwicklungsbanken aus und bekräftigt, dass jeder Winkel der Welt fairen Zugang zu Technologien wie etwa Künstliche Intelligenz erhalten solle. Die Weltgemeinschaft stehe an einem Scheideweg zwischen Zusammenbruch und Durchbruch („Breakdown and Breakthrough“), doch er – Scholz – sei sicher, dass „wir die richtige Wahl treffen werden“.
Insgesamt sind die Video-Stellungnahmen von knapp 50 Ländern online, in denen überwiegend dieselben Phrasen zu hören sind. Auch beispielsweise Österreichs Präsident Alexander Van der Bellen spricht von einem „Scheideweg“, an dem sich die Welt befände. Moderiert wurde die Online-Konferenz übrigens von Melissa Fleming, die die Hauptabteilung für Globale Kommunikation der Vereinten Nationen leitet und zuvor als Pressesprecherin des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) tätig war. 2015 äußerte Fleming in einem Interview im Tagesspiegel die Ansicht, dass die Flüchtlingskrise große Chancen für Deutschland böte. In Bezug auf Flüchtlinge, die nach Europa kommen wollten, sagte sie wörtlich:
„Die Frage ist doch ganz offensichtlich nicht, wie man die Leute aufhält – das funktioniert nicht – sondern wie man ihr Kommen gut managt.“ In Hinblick auf die ostdeutschen Bundesländer sprach sie von Teilen des Landes, die vor 25 Jahren stark entleert worden seien und den Zuzug von Flüchtlingen gut gebrauchen könnten. Und sie fügte hinzu: „Ich habe aber gerade ein Interview mit Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow gelesen, das ich zukunftsweisend fand: Er sagte, er hoffe, dass Flüchtlinge in Thüringen bleiben möchten und dass sie auch ihre Familien nachholen.“ Auch der „Economist“ habe ausgerechnet, dass die Flüchtlinge für Deutschland ein Riesenwachstumsprogramm seien.
Offenbar soll insbesondere der Zukunftspakt dazu beitragen, die Durchführung eines sozialistischen Experiments im globalen Maßstab zu beschleunigen. Sozialistisch im Sinne einer weltweiten Vergemeinschaftung von Gütern aller Art, wobei es natürlich auch Profiteure gibt. Der Durchschnittsbürger wird eher nicht dazu gehören. In New York wird sich nun zeigen, welche Politiker tatsächlich verantwortungsvoll zum Wohle ihrer Bürger handeln und dem Pakt nicht zustimmen werden. Auf das politische Personal Deutschlands kann man da wohl kaum zählen.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.