Tobias Kaufmann / 06.09.2007 / 22:38 / 0 / Seite ausdrucken

Mit gekauftem Schneid

O tempora, o mores! Der Sittenverfall, den Cicero im antiken Rom beklagte, hat seinen Höhepunkt erreicht: “Selbst renommierte Redaktionen schrecken inzwischen nicht mehr davor zurück, den Grundsatz von der Trennung bezahlter Werbung und redaktionellem Teil aufzugeben.” Das enthüllt der Leiter des Pressereferats im Bundesumweltministerium, Michael Schroeren, jetzt in der “Süddeutschen Zeitung”. Und fügt hinzu, Journalisten ließen sich den Schneid “abkaufen”.

Oder weniger spitzfindig: Zeitungen sind käuflich. Das deutet auch Klaus Vater im selben Artikel an. Der Sprecher von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sagt, neuerdings würden Anzeigenleiter neben den Redakteuren Platz nehmen, wenn er mit Schmidt Redaktionen besuche. Böse Kommerzialisierung!

Nun fragt man sich, wie Menschen, die sonst übertriebene “Skandalisierung” durch die Medien beklagen, plötzlich dazu kommen, eine Kerze für den unabhängigen Journalismus anzuzünden. Und warum sie diese Kerze dazu nutzen, mal eben den Ruf der gesamten deutschen Zeitungslandschaft abzufackeln.

Könnte das eine Retourkutsche dafür sein, dass der “Kölner Stadt-Anzeiger” kürzlich einen unsittlichen Antrag der Werbeagentur “Flaskamp” öffentlich machte? Jenes Angebot, Zeitungen mit bezahlten Anzeigen zu beglücken, wenn sie sich an einer PR-Tour des Bundeswirtschaftsministeriums beteiligen - nicht in einer Verlagsbeilage der Anzeigenabteilung, sondern im redaktionellen Teil? Einige Zeitungen haben bei der Grenzüberschreitung mitgemacht. Die große Mehrzahl nicht. Beim “Kölner Stadt-Anzeiger” nimmt die Anzeigenabteilung nicht an Gesprächen mit Politikern teil. Da kann kommen, wer will.

Wen also wollen die Sprecher mit ihrer Pauschalkeule treffen? Wollen sie sagen, dass die Sitten von den Verlagen so verdorben wurden, dass die Politik gar nicht anders kann, als unlautere Geschäfte anzubieten? Schließlich muss die Regierung in Sachen PR mit Konsumwarenherstellern mithalten können. Über die wird ja nur noch positiv berichtet, seit es Anzeigenwerbung gibt. Oder hat jemand mal Kritisches über Spielzeug aus Fernost gelesen?

Aber vermutlich ist das die böswillige Interpretation eines überempfindlichen Journalisten. Ist Ministeriumssprecher Schroeren vielleicht nur verwundert darüber, welch famose Presse sein Dienstherr Sigmar Gabriel genießt? Vielleicht hat er das Gefühl, dass Klimakatastrophenpanik und AKW-Pannen manchen Journalisten den Schneid abgekauft haben. Wir werden uns bemühen, diesen rufschädigenden Eindruck zu korrigieren. Es sei denn, die Anzeigenabteilung hat was dagegen ...

Kölner Stadt-Anzeiger, 6. September 07

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