Alexander Wendt / 20.03.2017 / 06:20 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 18 / Seite ausdrucken

Mit der Bahn ans Ende der Intoleranz

Wenn Sie in einem ICE mit funktionierendem WLAN sitzen, dann stoßen Sie beim Surfen möglicherweise auf einen Werbefilm der Deutschen Bahn, in dem das Unternehmen darlegt, wie angenehm es ist, in einem ICE mit WLAN zu reisen. Der neueste Film aus der Serie trägt den Titel „Zeit für Toleranz“.

Anders als Stammkunden denken könnten, befasst sich der Clip nicht mit Tipps für den Fall, dass der Zug gerade wieder den vorgesehenen Verkehrshalt in Wolfsburg verpasst oder sich die Klimaanlage im August verabschiedet, sondern er widmet sich einem weit über die Bahn hinausreichenden Thema. Wir sehen einen etwas milchbrötchenhaften jungen Mann in einem ICE-Großraumwagen vor einem Laptop, der über sein Gerät hinweg eine ihm schräg gegenübersitzende Muslima mit Hijab mustert.

Was er dabei denkt, erfahren wir durch Schrifteinblendungen. „Will sie das? Muss sie das?“, fragt sich unser Reisender. Vielleicht mache sie das ihrer Familie zuliebe. Oder, weil der Mann es so will? „Obwohl, so alt ist sie ja gar nicht.“ Das verschleierte Mädchen ist deutlich über zwanzig, also in einem Alter, in dem Muslimas praktisch noch nie verheiratet sind. Und überhaupt, denkt es in dem Mann weiter, was liest sie da? „Den Koran wahrscheinlich, was sonst?“ In der Tat liest die junge Frau in einem großformatigen Softcoverbuch, dem jeder Trottel ansieht, dass es alles Mögliche ist, nur nicht der Koran. 

Aber egal, sagt die innere Stimme des Mannes, „ich muss mich konzentrieren. Morgen ist Anatomieprüfung. Wo liegt nun dieser der Nucleus präopticus?“ Dabei legt sich der Schauspieler die Finger an die Schläfen, um ‚ich denke konzentriert nach’ zu signalisieren. Aus irgendeinem Grund googelt er nicht einfach. Aber vielleicht lahmt das WLAN zwischen Bamberg und Jena gerade, oder er weiß nicht, wo er suchen soll. Schließlich studiert er nicht Informatik. 

Da meldet sich die Hijab-Frau von schräg gegenüber, die nicht nur die Kunst des anmutigen Lächelns beherrscht, sondern auch die des Gedankenlesens: „Am Hypothalamus.“ Sie studiert nämlich auch Medizin, offenbar erfolgreicher als das Milchbrötchen, das einen Tag vor der Prüfung ohne Vorsagen noch nicht weiß, wo im Kopf hinten und vorne ist. Bei dem Softcoverbuch, das zeigt uns jetzt die Kamera, handelt es sich um einen Anatomieatlas.

Schnitt, der Zug eilt durch die Landschaft, Schnitt, beide sitzen jetzt nebeneinander. Die Muslima erklärt dem tumb danebenhockenden Mann am Rechnerbildschirm das menschliche Innenleben. Einblendung: „Zeit für Toleranz.“ Wir erfahren zwar nicht, wer hier wen warum toleriert, erhalten aber ein schöne Vorführung in Womansplaining. Alles in allem erscheint die junge Muslima so sanft, strebsam und patent, wie es Einwanderer aus Südostasien tatsächlich fast immer sind, weshalb über sie nie Toleranzfilme gedreht werden.

„Meine Freunde, wer wird denn gleich in die Luft gehen?"

Grundsätzlich weist die Initiative der Bahn in eine fruchtbringende Richtung. Ich würde gern zwei weitere Filme vorschlagen, deren Plot ich hier skizziere: 

1. In einer Berliner S-Bahn sitzen drei Araber zwei händchenhaltenden Jungs schräg gegenüber. Eine Schrift unten übersetzt das Kiezdeutsch in Standardsprache: „Guckt euch die beiden Schwuckos da an. Denen polieren wir jetzt die Fresse.“ Als sie sich erheben, schwebt das HB-Männchen nieder (um einmal ein Retro-Element einzuführen), und sagt: „Meine Freunde, wer wird denn gleich in die Luft gehen? Seht ihr nicht, dass da zwei Menschenkinder einander lieb haben? Und raucht mal öfter eine Shisha.“ Einer der sympathischen Jungs gegenüber (Matthias Schweighöfer) lädt die drei in perfektem Arabisch ein, sich doch zu ihnen zu setzen. Schnitt: Alle sitzen zusammen, Schweighöfer zeigt auf seinem iPhone Urlaubsfotos von sich und seinem Freund im Marokko-Urlaub. Man klopft einander auf die Schultern, steigt am Potsdamer Platz aus und geht gemeinsam zur Pro-Europa-Demo.

2. Im ICE sehen wir einen Reisenden, der ein Buch von Michael Klonovsky liest. Schräg gegenüber: eine herbe Frau mit eisgrauem Kurzhaarschnitt, Mutter-Gaia-Ohrringen und buntem Kropftuch um den Hals, in der es denkt: „Der liest also ein Buch von diesem Nazi. Also ein Hassbürger, was sonst? Vielleicht ist er verführt worden. Obwohl – so jung ist er gar nicht mehr. Weiß eigentlich sein Arbeitgeber Bescheid? Wie kann ich rausfinden, wo dieser Latenzfaschist wohnt und wer ihn beschäftigt?“ Da lächelt der Leser und sagt: „Mein Arbeitgeber schert sich nicht darum, was ich lese. Wollen Sie nicht auch ein bisschen tolerant sein?“ Beschämt nickt die Dame und lässt ihrerseits das Buch sinken. Zoom: die Aphorismensammlung von Katrin Göring-Eckardt. Wieder Schnitt: beide sitzen jetzt vis a vis, der Mann liest ihr aus dem Klonovsky-Band einen frivolen jüdischen Witz vor. Beide stoßen mit Weißbier an. 

Liebe Bahn, ich hoffe, dass jemand von eurer PR-Abteilung am Potsdamer  Platz mitliest. Ein Honorar verlange ich nicht, ich bitte Ihr geschätztes Unternehmen nur, als Dankeschön zwei bis drei "Achse"-Patenschaften abzuschließen.

Mehr von Alexander Wendt: www.alexander-wendt.com

Zur Leipziger Buchmesse erscheint die aktualisierte und erweiterte Ausgabe seines Buches „Der grüne Blackout. Warum die Energiewende nicht funktionieren kann“ als Hörbuch im John-Verlag (14,99) und als E-Book  in der edition blueprint (3,99)

Foto: Bildarchiv Pieterman

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stefan lanz / 20.03.2017

Achso, jetzt verstehe ich:  Die Kernkompetenz der Bahn ist Toleranz.  Die muss der Kunde auch haben, bei den ganzen Verspätungen, technischen Defekten, dem überwiegend übellaunigem Personal, verdreckten Toiletten und Wagons und dem vielen Angsterzeuger-Klientel das mitfährt.  DB - ich habe vestanden!

Heinrich Hayek / 20.03.2017

Diese Werbefilmchen gehören ins Genre Horrorfilm.

Wilfried Cremer / 20.03.2017

Wofür Dankeschön? Die Übergriffe von deutschen Studenten auf Muslima haben sich inzwischen zu einem echten Imageproblem der Bahn ausgewachsen. Da ist alles andere erstmal nachrangig.

Ines Schumann / 20.03.2017

Sehr geehrter Herr Wendt, Ihre Vorschläge sind prima und ich hatte beim Lesen auch die Bilder dieser von Ihnen vorgeschlagenen Plots im Kopf. Leider wird die Bahn diese Filme niemmals drehen, denn das würde ja bedeuten, dass wir (Deutschland bzw. Europa) die Nachricht senden, nicht WIR passen uns mit unserer Kultur EUCH an, sondern IHR sollt Eure Kultur der unseren in Europa anpassen. Was für eine Farce den traumatisierten Neubürgern gegenüber! Nein, nein. Die Bilder mit der hijab-tragenden Muslima sind schon so gewollt, wir sollen uns daran gewöhnen. Das ist ja der Plan, nicht anders herum. Da ich weder Bahn fahre noch öffentlich-rechtliches Fernsehen schaue, bleiben mir Filmchen dieser Art zwar erspart, aber im realen Leben werden wir uns immer mehr mit diesen Bildern auseinandersetzen müssen, in weiten Teilen Hamburgs, Berlins und NRW sind sie ja schon lange real.

Ronald Koch / 20.03.2017

Lieber Alexander Wendt, ich sitze wie jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit im Zug, nicht in einem ICE, auch nicht in einem IC sondern nur im Regionalzug. Kein WLAN weit und breit, aber Dank moderner Mobilfunktechnik bin ich in der Lage früh morgens schon die ersten Beiträge auf der Achse druckfrisch zu lesen. Besonders nach dem Wochenende ist die Fahrt von gut 1 ½ Stunden nicht gerade der fröhlichste Wochenauftakt. Heute aber ist meiner Stimmung deutlich heitere, dank Ihres Posts. Erst gestern ist mir dieser Spot als nicht zu überspringender Vorspann bei einem YouTube-Video vorgesetzt worden.  Die beiden von Ihnen ersonnenen Plots zauberten mir ein breite Grinsen ins Gesicht. Diese Spots müssen gar nicht gedreht werden, ich haben sie einem Ohrwurm gleich wohl heute den ganzen Tag (mindestens) im Kopf. Der Wochenauftakt ist stimmungsmäßig gerettet. Vielen Dank dafür!

Horst Lange / 20.03.2017

Fürwahr ein Thema, an dem sich die Geister spalten. Mal ein ernsthafter Versuch. Im Sommer sitzt auf einer Wiese eine junge Frau, die offensichtlich transsexuell ist, daneben eine Muslima. Die junge Frau droht einen Hitzschlag zu bekommen. Die Muslima nimmt ihr Kopftuch ab und spannt es mit zwei Stöcken zu einem kleinen Zelt. Während der Wind im Haar der Frauen spielt, entschwebt die Kamera gen Himmel und endet in einer überbelichteten Schwenkung auf die Sonne. Das wäre ein Statement.

JF Lupus / 20.03.2017

Es gibt viele, sehr gute Gründe, die Bahn zu boykottieren, dieser Artikel hat meiner Sammlung einen weiteren Grund hinzugefügt.

Emmanuel Precht / 20.03.2017

Da Ihr Vorschlag die Integrationsziele der Frau Özoguz und deren Brüder auf den Kopf stellt, sehe ich keine Chance dafür. Wohlan…

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