Georg Etscheit / 28.11.2022 / 16:00 / Foto: Pixabay / 23 / Seite ausdrucken

Mit deinem Traditionsunternehmen auf Du und Du

„Hey Georg“, schrieb mir die „Manufaktur und Traumfabrik Strunkmann & Meister“, „der Paketboote hat uns gerade mitgeteilt, dass du soeben dein Paket erhalten hast. Hurra!“ Also echt total megavielen Dank lieber Jan, liebe Irina, Elke, Anja, Katja, Maria, Nicole, Özden, Claudia, Laura, Maggie, Melanie, Pascal und Saskia, allen, die im supertollen Team mitarbeiten!

Mein eigenwilliger Vater hatte diverse Marotten, mit denen er die Familie mitunter zur Weißglut trieb. Ich habe einige davon übernommen, darunter seine Vorliebe für kratzige Badetücher, mit denen er sich jeden Morgen nach der Dusche trockenrieb. Wir Kinder und meine Mutter hassten das Schmirgelpapier. Mittlerweile mag ich es morgens auch lieber rau als weich, die heute üblichen superflauschigen Frotteetücher finde ich langweilig. Mein Vater besaß eine ganze Kollektion solch hochwertiger Massagetücher. Leider versäumte ich es, sie bei der Haushaltsauflösung nach seinem Tod sicherzustellen.

Ein paar Jahre später entdeckte ich sie wieder, als ich bei einem befreundeten Adligen eine Nacht auf seinem Schloss verbrachte. Dort hingen die gleichen Tücher neben dem Waschbecken, die ich von meiner Kindheit und Jugend kannte. Hergestellt wurden sie laut Etikett von der Firma Strunkmann & Meister aus Bielefeld. Deren Spezialität ist nach Maß und von Hand gefertigte Bett- und Tischwäsche, die auf Wunsch mit den Initialen oder dem Emblem des Besitzers versehen werden. Heute nennt sich das „Personalisierung“. Auf den Tüchern meines adligen Freundes prangte natürlich das Wappen seiner Familie.

Strunkmann & Meister ist das, was man ein Traditionsunternehmen nennt. Gegründet im Jahre 1832 in Bielefeld, fertigt die Manufaktur seit 190 Jahren „hochwertige Heimtextilien“, wie es auf der Webseite heißt. Bielefeld war damals ein Zentrum des Leinenhandels und Strunkmann & Meister exportierte einen großen Teil seiner Ware nach Osteuropa bis ins frühere Zarenreich, darunter exklusive Tafelwäsche aus Reinleinen-Damast. Eine festliche Tafel war seinerzeit unvorstellbar ohne feine Tischtücher und große Servietten. Nur Bauern saßen an rohen Holztischen und wischten sich den Mund am Ärmel ab. Heute ist es en vogue, am nackten Holztisch zu speisen. Möglicherweise wird bald auch wieder das gemeinsame Essen aus der großen Schüssel propagiert, um die Umwelt zu schonen und Energie zu sparen – Bowl-Sharing.

Unerschütterliche Liebe zu Stofftaschentüchern

Bis in den Zweiten Weltkrieg hinein unterhielt das Unternehmen Filialen in ganz Deutschland, Amsterdam, Kairo, sogar in Buenos Aires. Eine Luxusadresse für Menschen, die sich höchste Qualität zu entsprechenden Preisen leisten konnten und wollten. Im Bombenhagel ging das alles dahin, doch es gelang recht schnell, aus geretteten Maschinentrümmern die Leinenweberei und die übrigen Produktionsstätten wieder in Betrieb zu nehmen. Bis in die 90er Jahre unterhielt Strunkmann & Meister noch eigene Filialen in Berlin, Hamburg, München, Düsseldorf, Frankfurt und Wiesbaden und belieferte illustre Kunden wie das englische Königshaus, das Bundeskanzleramt oder meinen adligen Freund.

2013 übernahm der junge Unternehmer Jan Heipcke die westfälische Traditionsadresse. Damals, so hieß es, habe das Unternehmen vor der Pleite gestanden. Heipcke hatte an der European Business School (EBS) im Rheingau nahe Wiesbaden studiert, einer der ersten privaten Managerschulen Deutschlands. Die Aufnahmebedingungen sind hart, die Studiengebühren happig, dafür war den Absolventen, kurz EBSler genannt, ein Job in Führungsposition so gut wie sicher. Die EBS setzte schon früh auf die Globalisierung und führte verpflichtende Auslandsemester ein. Seit 2011 firmiert die EBS als „Universität für Wirtschaft und Recht“ mit Sitz in Wiesbaden.

Heipcke machte 2006 seinen Bachelor an der EBS, arbeitete danach in einem Beratungsunternehmen und betätigt sich heute als „Experte für Unternehmensnachfolge“. Ein Artikel im Handelsblatt bescheinigt dem Manager, der in Bedrängnis geratene Traditionsfirmen übernimmt, eine „romantische Ader“. Der Enddreißiger ist keine „Heuschrecke“. Er wolle, so heißt es beim Fashion Network, „Tradition und Handwerk bewahren“ und stelle die von ihm übernommenen Unternehmen „durch neue Vertriebskanäle oder moderne Zielgruppenansprache zukunftssicher auf“. Dabei setze er auf Online-Shops oder die Ansprache neuer Zielgruppen über Social-Media-Aktivitäten und Newsletter. 

Mittlerweile umfasst Heipckes Holding eine Handvoll Unternehmen, darunter die angeblich älteste Seifenmanufaktur Deutschlands und der Schweizer Einsteck- und Taschentuchhersteller Lehner Switzerland, wobei man Heipcke unternehmerischen Mut bescheinigen muss, gelten Taschentücher heutzutage doch nicht nur als hoffnungslos antiquiert, sondern auch als unhygienisch. Ich selbst habe meine unerschütterliche Liebe zu Stofftaschentüchern statt Tempos ebenfalls von meinem Vater übernommen und bin auch mit dieser Leidenschaft weit abseits des Mainstream unterwegs.

„Hallo Georg, willkommen im Club der Schäfchenzähler“

2019 rief Heipcke bei Strunkmann & Meister neben der nach wie vor möglichen Maßfertigung die Billiglinie „seit1832“ ins Leben: „Nun können wir endlich jedem die Möglichkeit bieten, in den Genuss von handgemachter Bettwäsche in verschiedenen Farben zu kommen – modern, aber dennoch zeitlos.“ Dabei flogen leider auch die kratzigen Massagetücher aus dem Sortiment. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es den meisten Kunden nicht gefällt und das Handtuch deswegen retourniert wurde“, schrieb man mir in einer Mail, in der ich wissen wollte, wo das Schmirgelpapier geblieben sei, das ich vor dem Relaunch noch auf der Webseite von Strunkmann & Meister gesehen hatte, das mir damals aber etwas teuer erschien. Zu spät! Jetzt heißt es: „Kratzige Handtücher waren gestern! Mit unseren hochwertigen Gäste-, Hand- und Duschtüchern aus 100 % GOTS zertifiziertem Baumwoll-Frottee wird Abtrocknen zum kuschelweichen Erlebnis!“

Auch die Kundenansprache per Mail – ich hatte schließlich doch etwas bestellt, nämlich eine „atmungsaktive“ Tagesdecke – ist zeitlos-modern:

„Hallo Georg, willkommen im Club der Schäfchenzähler. Schon bald wirst du deine seit1832 Produkte erhalten und dich fragen, wie du je ohne sie leben konntest. Wir legen in Kürze in unserer Manufaktur in Bielefeld los und bereiten alles für deine Bestellung vor. Prüfe doch in der Zwischenzeit noch einmal, ob du auch die richtigen Farben, Stoffe und vor allem Maße bestellt hast. Änderungen deiner Bestellung sind noch für wenige Stunden möglich. Schicke uns dazu einfach eine Mail an info@seit1832.de.“

Der „Club der Schäfchenzähler“ funktioniert folgendermaßen:

„Du liebst unsere Bettwäsche? Dann werde auch du Teil der Schäfchenzähler Community: Zeige uns deinen gemütlichsten Moment mit deiner Lieblingsbettwäsche auf Instagram unter dem Hashtag #1832schafe oder tagge uns mit @seit1832. Jeden Monat wählen wir unter allen Teilnehmern unsere liebsten Bilder aus und stellen sie sowohl hier auf unserer Website, als auch auf Instagram vor. Zusätzlich hast du jeden Monat die Chance, ein Bettwäsche-Set in deiner Wunschfarbe zu gewinnen! Denn am Ende jeden Monats losen wir unter allen Teilnehmern aus.“ 

Ich halte die hübsche Kundenbindungsidee übrigens für nicht besonders durchdacht, weil jemand, der nachts die Schäfchen zählen muss, unter Schlaflosigkeit leidet. Dabei soll man doch in Bettwäsche von Strunkmann & Meister schlafen wie ein Murmeltier im Winter. 

Einen Tag nach Aufgabe der Bestellung erhielt ich folgende Mail:

„Hallo, es ist soweit. Gerade wurde deine Bestellung fertiggestellt und liebevoll in ein Paket gepackt. Das ist nun auch schon auf dem Weg zu dir. Wir wünschen dir jetzt schon einmal ganz viel Freude mit deinen neuen seit1832 Produkten. Dein seit1832 Team von der Manufaktur und Traumfabrik Strunkmann & Meister. P.S.: Nicht vergessen, wir sind für dich und deine seit1832 Textilien da. Solltest du Fragen haben oder irgendetwas nicht perfekt sein, lass es uns wissen ...“

Nach vier Tagen war das Paket glücklich angekommen. „Hey Georg“, teilte mir die Manufaktur und Traumfabrik Strunkmann & Meister mit, „der Paketboote hat uns gerade mitgeteilt, dass du soeben dein Paket erhalten hast. Hurra! Wir wünschen dir jetzt ganz viel Spaß mit deiner Auswahl unserer Produkte.“ Also echt total megavielen Dank lieber Jan, liebe Irina, Elke, Anja, Katja, Maria, Nicole, Özden, Claudia, Laura, Maggie, Melanie, Pascal und Saskia, allen, die im supertollen Team von seit1832 mitarbeiten. 

Alles perfekt, keine weiteren Fragen!

Foto: Pixabay

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Th. Radl / 28.11.2022

“Möglicherweise wird bald auch wieder das gemeinsame Essen aus der großen Schüssel propagiert, um die Umwelt zu schonen und Energie zu sparen – Bowl-Sharing.” Wenn es so weitergeht, wie es sich momentan entwickelt, werden wir, die hier schreiben und lesen und kommentieren, es noch am eigenen Leibe erleben, dass wir Grassuppe essen werden. Und da wird gar nichts “geshared” werden, weil es nicht genug für alle gibt, weil die Grasflächen den Windrädern gewichen sein werden. Das bisschen, das es zu essen geben wird, wird ungefähr so fröhlich und friedlich gefeiert wie Fussball in Belgien von “Gruppen junger Männer”. Das, was ab den 70ern als Grusel-Science-Fiction in den Kinos lief und schon vorher als Roman bekannt war (z.B. 1984, Schöne neue Welt, 2022 - die überleben wollen, Blade Runner u.ä.), heute sagt man wohl Dystopie dazu, scheint die Vorlage für den “Großen Reset” und die “Transformation” zu liefern. Ich bin gespannt, wann “Soylent Grün” (beachte “Gün”: Wird heute vermutlich als “vegan” vermarktet!) auf den Markt kommen wird. Nach “16 guten Jahren” ist das ein gruseliger Alptraum, aus dem man aufwachen möchte, was aber nicht geht, weil es in Wirklichkeit unser aller Alltag ist!

Manuel Leitgeb / 28.11.2022

Wer mich in einem Bestätigungsemail so dümmlich duzt und mich wie in ein Kind anspricht, dem streich ich die Bestellung auch prompt wieder. Ach, Verzeihung, heutzutage sagt man ja, dem “cancel” ich die Bestellung.

Rid Banks / 28.11.2022

Sehr sehr viele Unternehmen in den Staaten handeln ebenso, nicht aufdringlich aber hoeflich und bestimmt. Und wie hier ueblich im netten Du, jedenfalls besser so als vielleicht andersherum.

Ulla Schneider / 28.11.2022

Ohhh, ich wusste gar nicht, daß es noch Firmen in Germoney gibt, die traditionell im Textilem qualitativ hochwertige Leinen- Waren anfertigen( homepage). Für gewöhnlich besuchte ich aus beruflichen Interesse diese früher.  - Oben, bei HH Richtung Lübeck gab es einmal eine fabelhafte Firma mit erst!!!! klassigem Leinen die leider leider pleite ging.  Sie arbeiteten mit zurückgekauften Maschinen aus France. Phantastisch verarbeitetes Leinen - fast wie Seide - ich habe noch einen Ballen davon.  -  Nur warum dutzt ein königliches Textilwarengeschäft seine Kunden? Tradition und Handwerk heißt immer SIE.  Achtung vor dem Produkt und dem Kunden. Die British machen es vor.  - Ich haben einen Tipp für Sie, Herr Etscheid. Witzigerweise auch umzu Bielefeld, aber sicherlich auch woanders in antiken Läden oder auf Flohmärkten an kleinen Stoffständen und da meistens unterm Tisch. Die Handtücher, die Sie suchen sind aus Leinen, meist mit Mustern gewebt, damit sie richtig “rubbeln”. Die Fäden sind unregelmäßiger, dadurch teilweise kürzer und stehen etwas ab. Über den Rücken gezogen ist es fast eine Massage.  - Passen Sie auf beim Kauf von wunderbarem Leinen, sonst geht es Ihnen wie mir. Mein Schrank ist voll.

Gabriele Kremmel / 28.11.2022

Wie, die liefern mit Booten? Interessant.

Yehudit de Toledo Gruber / 28.11.2022

Sehr geehrter Herr Etscheit, wer hätte gedacht, daß Sie sich auch mit Textilien auskennen. Da auch ich eher “kratzige”  Badtücher bevorzuge (zum Mißfallen meiner Familie), hier ein Tip: Hängen Sie doch Ihre Handtücher noch sehr feucht (also wenig geschleudert) “draußen” auf. Sie werden feststellen, daß dann Ihre Handtücher alles andere als weich sind und beim abtrocknen - und mit etwas Nachhilfe - die Haut herrlich massieren.

Gus Schiller / 28.11.2022

Gab es denn für die exzessive Werbemaßnahme wenigstens eine Gratisgarnitur Bettwäsche?

Manni Meier / 28.11.2022

Netter Artikel, passt gut zur ZDF Diskussion über “katarischen Bademäntel”.

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