Henryk M. Broder / 19.04.2017 / 06:30 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 22 / Seite ausdrucken

Mit Aydan Özoguz richtig Rechnen lernen

Man muss kein Genie im Einsteinschen Sinne sein, um es in der SPD bis an die Spitze zu bringen. Die jetzige Führungsmannschaft beweist es. Man muss auch keine Ideen, kein Programm und keine praktische Politik-Erfahrung haben, es reicht, dass man vor Jahren als Bürgermeister einer Kleinstadt gescheitert ist, um sich für ein hohes Amt zu qualifizieren.

Ein besonderer Fall ist die Politikerin Aydan Özoguz, eine der sechs stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD, Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Sie ist durch einige extrem originelle Wortmeldungen aufgefallen. Frau Özoguz sprach sich gegen ein generelles Verbot von Kinderehen aus, da eine solche Maßnahme die jungen Ehefrauen "ins soziale Abseits" drängen könnte, während ihnen die Ehe ein gewisses Maß an Schutz biete. Im Zusammhang mit dem Verbot eines Salafisten-Vereins forderte sie die Sicherheitsbehörden dazu auf, bei Razzien "mit Augenmaß" vorzugehen, damit es nicht zu einer weiteren Radikalisierung der jungen Muslime komme. Der Kampf gegen die Islamisten sei nur gemeinsam mit den Muslimen zu gewinnen. Sie hat ein "Strategiepapier" zur Integration verfasst, in dem sie betont, Integration sei keine Einbahnstraße. „Wir stehen vor einem fundamentalen Wandel. Unsere Gesellschaft wird weiter vielfältiger werden, das wird auch anstrengend, mitunter schmerzhaft sein.“ Das Zusammenleben müsse täglich neu ausgehandelt werden. Eine Einwanderungsgesellschaft zu sein, heiße, „dass sich nicht nur die Menschen, die zu uns kommen, integrieren müssen“.

Zuletzt hat Frau Özoguz den Ausgang des Erdogan-Referendums ins rechte Licht gerückt und vor übertriebenen Reaktionen gewarnt."Unter dem Strich haben nur etwa 14 Prozent aller hier lebenden Deutschtürken mit Ja gestimmt. Das ist klar nicht die Mehrheit. Das muss man mal zur Kenntnis nehmen", sagte sie der "Saarbrücker Zeitung".

Eine kleine radikale Minderheit also, nicht repräsentativ für die türkische "Community", kein Grund zur Aufregung. Obwohl sich Frau Özoguz ganz furchtbar aufregt, wenn die AfD bei irgendwelchen Wahlen auch nur in die Nähe dieses Wertes kommt.

Wie sind die 14 Prozent zustandegekommen? Wir wissen es nicht. Vielleicht hat sie Kopfrechnen auf einer Hamburger Gesamtschule gelernt, vielleicht hat sie einfach keine Ahnung, wie Prozentzahlen errechnet werden, auf welche Bezugsgrößen es dabei ankommt.

Die nackten Zahlen sehen so aus:

In Deutschland leben etwa 2,9 Millionen Deutschtürken, Menschen mit türkischem Migrationshintergrund, die entweder den türkischen, den deutschen oder beide Pässe haben.

Etwa 1,43 Millionen waren bei dem Referendum wahlberechtigt.

Knapp die Hälfte der Wahlberechtigten hat an der Wahl teilgenommen. In absoluten Zahlen: 661.000.

Etwa 63% derjenigen, die zur Wahl gegangen sind, haben mit Ja gestimmt (416.000), 37% mit nein (245.000).

Wenn man nun die Zahl derjenigen, die mit Ja gestimmt haben (416.000) auf die Gesamtzahl der Deutschtürken (2,9 Millionen) bezieht, dann landet man in der Tat etwa bei den 14 Prozent, die Frau Özoguz ermittelt hat. Genau genommen sind es noch weniger, 12 Prozent. Und so könnte man auch sagen: 88 Prozent der in Deutschland lebenden Deutschtürken haben nicht für Erdogan gestimmt.

Wenden wir diese Methode probeweise auf die letzte Bundestagswahl an. 

Im Jahre 2013 gab es in Deutschland rund 80 Millionen Einwohner. Wahlberechtigt waren 62 Millionen, die Wahlbeteiligung lag bei 72 Prozent. Das heisst: 44,6 Millionen nahmen an der Wahl teil. Würde man nun die 41 Prozent der Stimmen, die auf die CDU entfielen, auf die Gesamtzahl der Einwohner beziehen, könnte man sagen, dass nur etwa 22 Prozent die CDU gewählt haben. Hört sich doch schon ganz anders an, oder? Fast 80% haben Merkel nicht gewählt, Kinder, Greise und ein paar Deutschtürken mitgezählt!

Das ist der Trick, mit dessen Hilfe Frau Özoguz die Zahl der Erdogan-Fans in Deutschland runterrechnet. Von 63 Prozent auf 12 bis 14 Prozent. Als Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration macht sie eine prima Arbeit. Sie wird ja nicht fürs Rechnen bezahlt. Das muss man mal zur Kenntnis nehmen.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Georg Dobler / 19.04.2017

Verehrter Herr Broder,  ungefähr 86 Prozent haben also nicht an der Abstimmung teilgenommen oder mit “Nein” gestimmt. Ich kann mich nicht dazu durchringen dass das jetzt unbedingt die “besseren” Bürger und die “Ja-Abstimmer” die “Schlechteren” sind. Letztere haben letztendlich nur an einem legalen demokratischen Prozess teilgenommen. Aus einem “Ja” unbedingt etwas anti-Deutsches zu finden halte ich für zu weit her geholt. Vorschlag: Beurteilen wir doch einfach jeden Mitbürger mit Migrationshintergrund so wie jeden Anderen auch nach seinem jeweiligen Verhalten. Allerdings sollte man dann gegen die, die gegen unsere westliche Gesellschafts- und Rechtsordnung agieren konsequent vorgehen, den Deutschen Pass wieder wegnehmen, abschieben. Das kommt dann dem Zusammenleben mit Denen die sich an unsere Rechtsordnung halten positiv zu Gute. Wieder nur eine schöneTheorie, oder?

Bernd Kehl / 19.04.2017

Dieses Rechenbeispiel auf das SPD Ergebnis der BTW 2013 angewand ist noch eindrucksvoller…

Ingrid Gathmann / 19.04.2017

Sehr geehrter Herr Broder, in meiner Mail von soeben ist mir ein Rechenfehler unterlaufen. Mit Ja gestimmt haben 29,1 % nicht 46, wie von mir angegeben. (Ich habe die Zahlen der Wähler mit der Zahl der Ja-Stimmen vertauscht - zu schnell “geschossen”. Bitte, meine Zuschrift nicht veröffentlichen. Danke. Ingrid Gathmann

Ingrid Gathmann / 19.04.2017

Sehr geehrter Herr Broder, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die tatsächlichen Zahlen zur Abstimmung über das türkische Referendum genannt haben. Ich habe noch weiter gerechnet: wenn von den 1.43 Mill. Wahlberechtigten 416.000 mit Ja gestimmt haben, sind das 46 % aller Wahlberechtigten und nicht 14 %. Über diese Zahl habe ich mich gestern in der FAZ schon gewundert, heute wird sie von anderen Zeitungen wiederholt (u. a. “Mannheimer Morgen” bzw. “Weinheimer Nachrichten” Kommentar von Madeleine Bierlein). So verbreitet sich “fake news” unkontrolliert. Ein Jammer. Mit freundlichen Grüßen Ingrid Gathmann

Klaus Nortmann / 19.04.2017

Vielleicht kann ich erklären, wie Frau Özoguz auf die 14% gekommen ist: Bei der letzten Bundestagswahl hat die SPD 25.7% der Stimmen erreicht. Ihrer Rechnung folgend - 44.6 Millionen Stimmen von ca. 80 Millionen Einwohnern - kann man feststellen: Es haben 14.3% der Einwohner für die SPD gestimmt. Vielleicht hat Frau Özoguz das Erdogan-Referendum mit der Bundestagswahl verwechselt? Aber auch für Deutschland gilt: “Was schadet, sind die pauschalen Urteile” - zum Beispiel, wenn man Deutschen eine Nähe zur Sozialdemokratie unterstellt.

Frank Holdergrün / 19.04.2017

Mit dieser Rechnung liegt die SPD in Baden-Württemberg gem. letzter Landtagswahl bei 8% mit sinkender Tendenz. Dort schüttelt sie deshalb politischen Widersachern nicht mal mehr die Hand. “LENI kommt” verlautet es dort jetzt kumpelhaft von Wahlplakaten zur Bundestagswahl und gemeint ist Leni Breymaier, ein vielsagender Name, die mir in der Vorwahlschule jetzt wohl die neue SPD-Grundrechenart näher bringen wird: gerechtes Rechnen.

Richard DAWSON / 19.04.2017

Now that is what I call fake news. The dear lady faked a picture.

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