Peter Grimm / 23.05.2020 / 09:40 / Foto: Pixabay / 44 / Seite ausdrucken

Mit 71 Jahren in der Risikogruppe

71 Jahre sind ein reifes Alter. Damit gehört man in diesen Tagen zweifelsfrei zur Risikogruppe. Und um das heutige Geburtstagskind ist es wahrlich nicht besonders gut bestellt. Diejenigen, deren Beruf es ist, sich um seine Pflege zu kümmern, sind zögerlich, weil sie die Infektionen, die dem Jubilar gerade drohen, nicht erwartet hätten.

Der Jubilar des heutigen Tages ist das Grundgesetz, am 23. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossen. In seinem 71-jährigen Leben hat es schon viele Änderungen erfahren, aber niemals in der Grundsubstanz. Bei allen Mängeln, die man finden kann, beschreibt es eine freiheitlich-demokratische Ordnung und gibt dem Staat die unbedingte Aufgabe, seinen Bürgern die Ausübung ihrer Bürgerrechte zu gewährleisten. Manche Selbstverständlichkeit aus der Geburtsstunde gilt einigen späteren Nutznießern der freiheitlichen Ordnung als anrüchig, beispielsweise, dass das Deutsche Volk das Verfassungssubjekt, mithin der Souverän ist. Dennoch haben auch diejenigen, denen sonst jede Erwähnung des Volks – insbesondere des deutschen – verdächtig ist, dem Jubilar nicht vorgeworfen, „völkisch“ zu sein.

Doch zum 71. Geburtstag praktizieren Bundesregierung und Landesregierungen im Land des Grundgesetzes die Einschränkung vieler elementarer Grundrechte durch die Hintertür. Sie haben nicht, weil es nötig war, mittels einer parlamentarisch legitimierten Ausrufung des Notstands die Bürger unter Vormundschaft der Regierungen gestellt, sondern durch eine koordinierte Anwendung des Infektionsschutzgesetzes. Dass sich das Grundgesetz in einigen Teilen durch diese Hintertür aushebeln lässt, hatte wohl niemand erwartet, der die Feierlichkeiten zu seinem runden Geburtstag vor einem Jahr noch für selbstverständliche Routine hielt. Und nun, zum 71., bekommt das gute alte Werk eine Lücke vorgehalten, die seine Autoren sicher nicht wollten.

Es ist ein Virus, welcher den Jubilar nun bedroht. Nicht jenes Corona-Virus, das viele Bürger ängstigte und ängstigt, sondern der Erreger des Obrigkeitsstaats, der autoritären Ordnung, die sich darin gefällt, das Leben der Menschen vormundschaftlich regeln zu können, ohne dass die sich in dem einer freiheitlichen Ordnung angemessenen Maße wehren können. Die Bürger wurden zwangsweise möglichst vereinzelt. Jedes Zusammentreffen mit wichtigen Bezugspersonen, mit dem mehr oder weniger breiten Freundes- und Bekanntenkreis, sollte unterbunden werden. Versammlungen und Demonstrationen waren verboten und die Bürger mussten sich ein stark reduziertes Versammlungsrecht erst vor Gerichten erklagen. Und das, was die Menschen jetzt als „Lockerungen“ genießen, wird den Bürgern nicht mehr als selbstverständliches Recht, sondern nur als staatliche Gnade, die ihnen jederzeit wieder entzogen werden kann, zugestanden.

Absurdes Theater und keine Satire

Aber auch im Notstand gibt es ja noch den Rechtsstaat. Wenn unser 71-jähriges Geburtstagskind angegriffen wird, dann sind da noch Institutionen, die es verteidigen sollten. Beispielsweise das Bundesverfassungsgericht. Es scheint aber etwas zögerlich zu sein, wenn es darum geht, ein klares Wort dazu zu sagen, unter welchen Bedingungen und Verantwortlichkeiten in einem entsprechend bedrohlichen Krisenfall die Bürger ihrer verfassungsmäßigen Rechte beraubt werden dürfen und vor allem, wie das nicht geschehen darf.

Während wir darauf also noch warten müssen, gibt es zum Geburtstag absurdes Theater. Mancher Politiker und Meinungsbildner fürchtet gerade dort, wo mit dem Grundgesetz in der Hand gegen die Regierungspolitik demonstriert wird, das Aufkommen von Verfassungsfeinden. Unbestritten kommen zu solchen Demonstrationen auch etliche Mitbürger, die es nicht gut mit der freiheitlich-demokratischen Ordnung meinen. Doch sind nicht zuerst die Stimmen der Bürger wichtig, die vielerorts tatsächlich für Grundrechte und ihr Grundgesetz auf die Straße gehen und nicht zuvörderst die der eventuellen Unterwanderer? Denn die warnenden Stimmen der Obrigkeit in den letzten Wochen klingen geradezu so, als würde sich mancher eigentlich freuen, wenn es zu mehr Unterwanderungen und Übernahmen der Demonstrationen durch dubiose Gruppen käme, weil dann die gesellschaftliche Debatte über die Grundrechtseinschränkungen wieder kaltgestellt ist. Dabei sind doch Bürger, die bereit sind, für ihr Grundgesetz auf die Straße zu gehen, vielleicht der beste Ausdruck dessen, was jahrelang als „Verfassungspatriotismus“ angepriesen wurde.

Doch kommen wir zum absurden Theater zurück. Da gab es noch eine andere bemerkenswerte Aufführung zum Verfassungsjubiläum. Es wirkt wie eine verunglückte Satire. In Mecklenburg-Vorpommern wurde nicht nur eine alte SED-Juristin zur Landesverfassungsrichterin gewählt, sondern die Genossin Verfassungsrichterin besteht auch noch darauf, Mitglied einer vom Verfassungsschutz der Verfassungsfeindlichkeit verdächtigten Gruppierung zu bleiben. Wer hat die richtigen Worte, diesen Irrsinn angemessen und dennoch stubenrein zu beschreiben?

Gut, man könnte sich beruhigen, dass es ja hier nur um die Landesverfassung von Mecklenburg-Vorpommern geht. Aber wer Landesverfassungen nicht ernst nimmt, warum sollte er das dann mit dem Grundgesetz tun? Und wenn solche Fehlbesetzungen an einem Landesverfassungsgericht möglich sind, kann man sich ja schon fragen, ob das nicht beim Bundesverfassungsgericht ebenso dräut?

Das Grundgesetz ist jetzt 71 Jahre alt und gerade recht gefährdet. Es braucht zur Zeit viel Aufmerksamkeit und viele Unterstützer, die nicht wollen, dass es bestenfalls als inhaltsleere Staffage für eine völlig andere Bundesrepublik endet.

Foto: Pixabay

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Hjalmar Kreutzer / 23.05.2020

Kritiker der Euro- und EU-Politik, der Klimapolitik, der Energiewende, der Dieselverbote, der Immigrationspolitik, der political correctnesx, des Islam-Appeasements werden von der „Obrigkeit“ zunächst einmal als Rechtsextreme, Verfassungsfeinde, Verschwörungstheoretiker diffamiert. Sollten diese es wagen, auch an den Corona-Maßnahmen Kritik zu üben, kann die Regierung und können die Medien dann alle Kritiker dieser Maßnahmen in gleicher Weise diffamieren. Damit alle freiheitsbeschränkenden Maßnahmen aufgehoben werden, müsste vielleicht die AfD beantragen, diese beizubehalten, was Merkel dann als unverzeihlich erklären würde. (Ironie wieder aus.)

M. Schneider / 23.05.2020

Unsere Regierung scheint der Ansicht zu sein, dass 70 Jahre Grundgesetz genug sind! Dieser Eindruck verstärkt sich täglich mehr, verfolgt man aufmerksam die aktuelle Politik. Sorgen wir als Bürger dafür, dass diesen 70 Jahren noch weitere Jahrzehnte folgen!

Karl Dietsch / 23.05.2020

Der wichtigste Artikel des Grundgesetzes von 1949 war Artikel 146: In diesem Artikel erklärt sich das Grundgestz explizit zu einem Provisorium, das abgeschafft wird, wenn eine Verfassung in Kraft tritt, die vom Deutschen Volk- und nicht von einem wie auch immer zusammengesetzten Parlament- in freier Entscheidung beschlossen wurde. Dieses Recht wurde dem Deutschen Volk am 31.8.1990 genommen, als der ursprüngliche Artikel 146 durch den heutigen Artikel 146 er- setzt wurde. Ich glaube nicht, daß je eine der parlamentarisch vertretenen Parteien diesen eklatanten Verstoß gegen das Grundgesetz dem Verfassungsgericht zur beurteilung vorgelegt hat. K. Dietsch

Karla Kuhn / 23.05.2020

Lothar Rumold, “Wer also ohne Gerichtsurteil zu wochenlangem Hausarrest verurteilt worden war, hatte nicht etwa seine Freiheit verloren, nein, er war nur anders frei.”  GENIAL. Michael Weichenhan, Ihrer Ausführung stimme ich voll zu ! Frau Sabine Schönleder, NEIN es sieht gar nicht gut aus für den Patienten, seit “Schwester” AGIT PROP die Leitung übernommen hat.  Leistet sie etwa “Sterbehilfe??”

Robert Loeffel, Bern / 23.05.2020

Heute sagte die grosse Staatsratsvorsitzende in der Welt.de zu diesen 71jährigen Feierlichkeiten in einem Video zu den Grundgesetz Einschränkungen: „Dieses Virus ist eine Zumutung für eine Demokratie“. Diese salbungsreichen Worte kommen von einer Kanzlerin die ständig das Grundgesetz missachtet und die Demokratie aushebelt weil alles Alternativlos ist. Wahlen rückgängig macht aber kein Wort verliert zu dieser widerlichen Wahl einer Linken und ehemaligen SED Krake in ein Verfassungsgericht eines Bundeslandes. Die Liste der alten Seilschaften der DDR die sich heute in Deutschland an verschieden Stellen und Schalthebeln in der Politik und verschiedenen Organisationen wohlig eingerichtet haben ist endlos. Alles nur möglich durch gleichgeschaltete Presse und Rundfunk und wer noch Beweise sucht wer bei der Wiedervereinigung Deutschland übernommen hat kann Merkels neue Volkspolizei gegen die Bürger an den Grundgesetz Demos prügelnd bei der Arbeit studieren. Wie schrieb der ehemalige Kohl Berater Hans-Hermann Tiedje quasi im Schweizer Journalisten Exil 2018 in der NZZ: Merkel habe sich wie eine Grabplatte auf Deutschland gelegt. Seit diesen Zeilen ist wieder viel Wasser den Rhein hinuntergelaufen und die Raute von IM Erika ist tausendfach auf und zugegangen und hat den grössten Teil der Deutschen in eine Massenhypnose versetzt und nun sitzen sie da und huldigen alternativlos die grosse Staatsratsvorsitzende im Mao Kittel.

Helmut Driesel / 23.05.2020

  Das Problem am Gesetz ist nicht der Text sondern die Interpretation. Je älter und realitätsferner die gesetzten Imperative sind, um so weiter lassen sie sich durch Interpretation entstellen. Das sieht man gut an den imperativen Texten in der Bibel. Das Grundgesetz hat Mängel. Und ich bin wirklich gespannt, welche Minderheit seinen “ewigen” Bestand verteidigen wird, wenn eine Mehrheit der Vernunft es ändern oder neu fassen will. Nun haben ja hier schon Autoren angedeutet, dass das Grundgesetz mit der Republik in ihrer herkömmlich nationalen Ausprägung enden würde. Das ist deswegen interessant, weil man es nicht simpel durch einen gleichartigen Text mit “Europa” an den entsprechenden Stellen ersetzen kann. Die Vereinheitlichung der europäischen Kulturen wird also zwingend mit dem Verlust unserer traditionellen gesetzten Fundamente des Rechtsstaates einher gehen. In der vagen Hoffnung auf etwas Besseres. Die sollte auch niemandem genommen werden. Wer das nicht mehr erleben wird, muss auch nicht zum Hoffen gezwungen werden. Sehen Sie, sehr geehrter Herr Grimm, ich wage hier mal ein Gleichnis der seltsamen Art: Mein biologischer Vater, der Inbegriff eines cholerischen Familientyrannen, starb einige Wochen vor der Währungsunion an seinem 71. Geburtstag. Von einem unerwarteten Schlaganfall dahin gerafft. Das hatte ihn vor langem Siechtum in einem deutschen Pflegebett bewahrt. Denn es erwartete ihn eine lange verdrängte Erbkrankheit. Und ich höre ihn noch heute, wie er sich darauf freute, dass es in der künftigen Republik echte Bordelle gäbe, “mit ganz jungen Dingern!” So nahe können Unglück und Gerechtigkeit beieinander liegen.

Ilona Grimm / 23.05.2020

@Thomas Brox: Vielen Dank für die Info! Habe mir die Website gleich abgespeichert und werde mich sicher öfters dort umschauen. Sehr interessant!

Klaus Kalweit / 23.05.2020

Focus fragt zu dieser Verfassungsrichterin: “Wie konnte das nur passieren?” Meine Antwort wurde zensiert: Ja, wie nur? Da haben doch tatsächlich Leute immer wieder behauptet, Deutschland unter Merkel sei stetig nach links gerückt. Nun sieht es so aus, als ob das richtig ist. Das ist eine Verfassungsrichterin, die sagt, nirgendwo im GG sei der Kapitalismus als System festgeschrieben. Ich interpretiere diese Aussage so, daß das GG der Planwirtschaft und dem Sozialismus nicht entgegensteht. Ich denke, daß diese Richterin nicht die erste ist, die unsere Verfassungsgerichte bereichert. Da ist z.B. auch die Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer. Wird die Justiz auf links gebügelt?  

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