Henryk M. Broder / 12.03.2018 / 13:36 / Foto: Bernd Cross / 44 / Seite ausdrucken

Ministerin für Kunst, Wissenschaft und private Meinungen von Schriftstellern

Gestern abend, kurz vor 18 Uhr, am Ende der Sendung "Kultur heute" im Deutschlandfunk, ein Update zum Fall Tellkamp:

Bei einer Dresdner Diskussion mit dem Lyriker Durs Grünbein über Meinungsfreiheit hat der Schriftsteller Uwe Tellkamp davon gesprochen, es gebe eine Gesinnungsdiktatur in der Flüchtlingsfrage und hat seine Nähe zu der AfD und der ausländerfeindlichen Pegida öffentlich gemacht. Sachsens Kunstministerin Eva Maria Stange sieht das mit dem sachlichen Diskurs im Fall Tellkamp durchaus anders. Das sei seine Privatmeinung, die sie aber nicht teile. Verallgemeinerungen dieser Art gäben denen Futter, die mit ausländerfeindlichen Parolen das gesellschaftliche Klima vergiften, sagte die sächsische Kunstministerin. 

Der Deutschlandfunk sagt nicht, was Tellkamp gesagt hat, dass nämlich die große Mehrzahl der „Geflüchteten" in das deutsche Sozialsystem einwandert, das ihnen eine Vollversorgung bietet, und dass sie allein aus diesem Grund nach Deutschland kommen; der Deutschlandfunk sagt nur, was Sachsens Kunstministerin Eva Maria Stange über Tellkamp gesagt hat, unter anderem, dass dieser „seine Privatmeinung" geäußert habe, die sie „nicht teile".

Das ist eine Nachricht, die der DLF seinen Hörern nicht vorenthalten mag. Ein Schriftsteller sagt etwas, und die für Kunst und Wissenschaft zuständige Ministerin des Landes, in dem der Schriftsteller lebt, stellt daraufhin klar, es handle sich um seine Privatmeinung, die sie nicht teile. Zum Aufgabenbereich der Ministerin für Kunst und Wissenschaft in Sachsen gehört offenbar auch, die Äußerungen von Schriftstellern zu begutachten und sie daraufhin zu prüfen, ob diese Äußerungen mit den Ansichten der Ministerin übereinstimmen oder nicht. Das ist der in Sachsen geltende Maßstab für die Qualität und Zulässigkeit einer Meinung. Wobei dem Schriftsteller immerhin als mildernder Umstand eingeräumt wird, dass er seine „Privatmeinung" geäußert habe, weswegen er nur abgemahnt, aber nicht aus dem Berufsverband der Schriftsteller ausgeschlossen wird, wie es noch in der DDR der Fall gewesen wäre.

In Sachsen ist Frau Stange keine Unbekannte. Ihre Biografie ähnelt der von Angela Merkel. Im Westen geboren, wurde sie in der DDR sozialisiert. Sie war Mitglied der SED, studierte an der Pädagogischen Hochschule Dresden und schrieb dort eine Doktorarbeit über Untersuchungen zur Planung, Führung und Gestaltung des Physikunterrichts unter besonderer Beachtung lernpsychologischer Erkenntnisse mit dem Ziel der bewußten Ausbildung ausgewählter geistiger Handlungen, dargestellt am Beispiel der Stoffeinheit „elektromagnetische Induktion“, Klasse 9.

1998 trat sie der SPD bei, wurde dreimal zur Ministerin ernannt, zur stellvertretenden Vorsitzenden der Sachsen-SPD gewählt und amtierte acht Jahre als Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Seit Dezember 2017 hat sie wieder einen Platz am Kabinettstisch, zuständig für Kunst, Wissenschaft und private Meinungen von Schriftstellern.

Und so lebt ein kleines Stück DDR in der Person von Frau Eva Maria Stange in Sachsen weiter. Die wiedergeborene Sozialdemokratin achtet darauf, dass das „gesellschaftliche Klima" nicht vergiftet wird. Jedenfalls nicht von einem Schriftsteller. Wenn es jemanden gibt, der es darf und kann, dann ist das Frau Stange. Sie hat es immerhin gelernt.

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Albert Sommer / 12.03.2018

Sollte es nicht stattdessen heißen “Ministerin für Zensur von Kunst und Wissenschaft?” Ihre politische Kinderstube kann Frau Stange offensichtlich nicht verbergen. Wir sollten Sie aber wissen lassen, das wir auf ihre Meinung pfeifen, zumindest in dem Land in dem wir bis vor einiger Zeit noch gut und gerne lebten.

Cornelia Buchta / 12.03.2018

Gerade zwei Minuten bevor ich Ihren Artikel las, Herr Broder, berichtete ich meinem Mann von einem unverschämten SWR Report über das gleiche Thema Grünbein vs Tellkamp. Ein sogenannter “Experte” verbreitete hier ebenfalls ausschließlich seine eigene abschätzende Meinung über Tellkamp. Man lernte nichts über die jeweiligen Argumentation sondern nur, dass der Experte es als absurde Litanei beurteilte. - Fazit: weg mit der vorverdauten Kost und im Internet den Originalton anhören. Den Verdauungsvorgang betrachte ich nämlich als MEINE Privatangelegenheit.

Karl Baumgart / 12.03.2018

@ Gudrun Meyer Seit zwei Jahren kaufe ich regelmäßig die WELTWOCHE aus Zürich. EINE OFFENBARUNG!!! Die NZZ kommt jedoch häufig nicht gut weg in den Kommentaren der WELTWOCHE, in denen es um die Themen geht, die Tellkamp zu seinen Äußerungen bewogen haben. In der Schweiz - bis zu dem Beginn meiner regelmäßigen Lektüre der WELTWOCHE für mich so etwas wie eine terra incognita - hat man bis auf die schiere Größenordnung des uns von der Kanzlette bescherten Problems mit allen seinen Aspekten - schlägt man sich mit den gleiche Miseren herum. Eins heißt Sommaruga.

K. Meier / 12.03.2018

Ist Frau Stange vielleicht eine Reinkarnation des DDR-“Bücherministers” Klaus Höpke ? Es ist absolut grausam, wenn man jetzt wieder mal die nach dem Ende der DDR veröffentlichten Dokumentationen über politische Prozesse oder das staatliche Verhalten der DDR gegenüber Intellektuellen aller Art liest und einem auf Schritt und Tritt Gemeinsamkeiten mit heute aufstoßen.

Werner Brunner / 12.03.2018

Sehr geehrter Herr Broder , sie behaupten in ihrem ersten Satz , Herr Tellkamp hätte seine Nähe zur AFD öffentlich gemacht ! In manchen seiner Argumente vertritt er ähnliche Thesen wie die AFD , deswegen muss er aber noch lange nicht ” in der Nähe ” sein . Bitte etwas genauer formulieren ! Konnten , oder wollten sie nicht ?

Frank Domnick / 12.03.2018

Habe heute aus gegebenen Anlass die FAZ gekündigt. Und siehe da, es war gur. GEZ geht leider noch nicht.

Hartmut Jung / 12.03.2018

Zur Ehrenrettung des DLF muss man aber sagen, dass am Tag vorher ein Kommentar gesendet wurde, der sich sehr kritisch mit der Reaktion des Suhrkamp Verlages auf Tellkamps Äußerungen befasst hat.

Gabriele Schulze / 12.03.2018

Das hat sich Marshall McLuhan wahrscheinlich nicht dabei gedacht, aber man kann konstatieren: the medium is the message. Ist auch an der Basis angekommen: neulich Randale mit Polizei in einem Café downtown Godesberg, ich stand vom Rewe kommend an der Bushaltestelle. Ein deutscher älterer Mann meinte, ja, das sei häufig hier so, nach 20 Uhr solle man besser nicht hier sein. Und fügte hinzu: aber das dürfe man ja nicht sagen, dann sei man ja Nazi. Ich sagte, doch, Tatsachen darf man sagen.

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