Henryk M. Broder / 13.04.2018 / 16:00 / 17 / Seite ausdrucken

Minister Asselborn macht keine Gefangenen

Kurz nachdem feststand, dass Viktor Orbán seinem Vornamen einmal mehr alle Ehre gemacht und die Wahlen zum ungarischen Parlament gewonnen hatte, rief der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn die übrigen EU-Staaten auf, dem Land die Stirn zu bieten. „Vor allem nach dieser Wahl in Ungarn ist es an Deutschland und Frankreich sowie allen Mitgliedstaaten, die nicht auf Gleichgültigkeit setzen, sich schnell und unmissverständlich auf der Basis des europäischen Vertragswerks einzubringen, um diesen Wertetumor zu neutralisieren“, sagte er der WELT.

Asselborn ist für seine markigen Sprüche bekannt. Sein historisches Vorbild ist der deutsche Kaiser Wilhelm II, der im Juli 1900 anlässlich der Abreise deutscher Einheiten zur Niederschlagung der Boxeraufstände in China den Soldaten zurief, kein Pardon zu geben und keine Gefangenen zu machen: „Möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“

Ein anderer Text, die gleiche Melodie

Zwei Weltkriege und 118 Jahre später hat das Lied einen anderen Text, aber die Melodie ist die gleiche. Der ungarische „Wertetumor“, soll „neutralisiert“ werden, unter dem vereinten Oberkommando von Deutschland und Frankreich, bevor er die anderen EU-Mitglieder angreift.

„Neutralisieren“ ist ein Begriff aus der Sprache der Militärs. Er bedeutet dasselbe wie „keine Gefangenen machen“. Welche „Werte“ meint Asselborn? Den Expansionsdrang, die Korruption und die Vetternwirtschaft in der EU, wie sie von seinem Freund Jean-Claude Juncker verkörpert werden? Und mit welchen Mitteln will er den Tumor neutralisieren? Sollte eine EU-Arme die Ungarn zur Vernunft bringen? So, wie es die Sowjets 1956 versucht haben?

Möglich, dass Asselborn es anders gemeint hat. Vielleicht wollte er sagen: Die Ungarn können wählen, wen sie wollen, aber die Ergebnisse der Wahl müssen von der EU-Kommission abgesegnet werden, in Ungarn ebenso wie in allen anderen „Mitgliedstaaten“.

Das wäre ein wesentlicher Schritt vorwärts zur europäischen Integration und zur Bildung einer europäischen Demokratie im Sinne der Werteunion. Dazu müsste man die Wahlrechte nur ein wenig ändern, es unter einen EU-Vorbehalt stellen. So könnte der Tumor minimal-invasiv neutralisiert werden.

Zuerst erschienen in der Züricher Weltwoche

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Martin Landvoigt / 13.04.2018

Wer bislang die EU für eine gute Sache hielt, die eben auch nicht ganz perfekt ist, sollte noch mal seine Einstellung überprüfen. Verbale Entgleisungen können mal passieren, z.B. im Privaten. Bei hochrangigen Politikern in den Medien ist das schon nicht mehr so einfach. Aber dass das dann unwidersprochen durch die Medien geht, ist völlig unakzeptabel. Aber auch die anderen Aussagen Asselborns sind verstörend: 'Asselborn erklärte dagegen, Europa sei nicht zusammengerückt und aufgebaut worden, „um nationalen Ideologen in den Regierungen freie Fahrt zu gewähren, es wurde gegründet, damit der Ruin der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sich nicht wiederholt“. Dies werde nur durch „unsere Werteunion“ dauerhaft garantiert.' Wer denn nun die nicht mehr geduldeten nationalen Ideologen und das verbotene Gedankengut sei, dass entscheidet Brüssel. Ich meine dazu: Nur weiter so, dann hat der Spuk der EU bald ein Ende. Denn eine Aufgabe nationaler Identität und Souveränität zugunsten der EU ist sicher nicht Mehrheitsfähig.

Claudia Maack / 13.04.2018

Ist Neutralisieren jetzt nicht so schlimm wie Entsorgen? Bei Entsorgen kriegten sich in Deutschland alle "Menschen mit Haltung" wochenlang gar nicht mehr ein, wie menschenverachtend das sei. Weil die Frau Özuguz "entsorgt" werden sollte und Gauland das gesagt hatte (wobei das Verb "entsorgen" längst in der Umgangssprache benutzt wird). Aber bei Neutralisieren sind "Menschen mit Haltung" nicht so kleinlich. Obwohl "Neutralisieren" nun wirklich ein unschöner Euphemismus aus der Militärsprache ist und nicht unbedingt umgangssprachlich benutzt wird. Aber es war ja Asselborn der das sagte, und es traf mit Orban schon "irgendwie den Richtigen". Da ist Menschenverachtung sogar Pflicht. Dieses kindische Lagerdenken ist nur noch peinlich.

Werner Arning / 13.04.2018

Junker, Macron und Asselborn mögen sich. Und zusammen mögen sie Merkel. Merkel steht der größten europäischen Wirtschaftskraft vor und sie ist willig. Willig diese Kraft im Sinne „Europas“ einzusetzen. Gemeinsam geht es gegen Störenfriede, die sich partout nicht an die vorgegebenen Werte halten möchten. Ungarns Volk scheint irgendwie ganz andere Werte zu haben. Frech. So etwas verdient „neutralisiert“ zu werden, so ein Tumor aber auch. Denn bei „unseren Werten“, nein, da kennen wir keinen Spaß. Da sorgen wir für Ordnung. Ungarn zieht euch warm an.

Frank Mora / 13.04.2018

Die Spezialisten für Steuervermeidung (oder besser -hinterziehung) Juncker und Asselborn, seit Jahrzehnten an den Schalthebeln der Macht im Finanzparadies an der Mosel sind die richtigen Vertreter der "Europäischen Werte". Wie groß ist der Schaden für die "kleinen Leute", die auch den wohlgemästeten EU-Apparat mit den Steuern am Leben erhalten, die große Unternehmen, auch Dank Juncker, Asselborn und ihre Kumpels in Holland, Irland oder auf den Mittelmeerinseln Malta und Zypern nicht bezahlen. Wofür letztere drei von den Steuergeldern der Kleinen Leute "gerettet" wurden.

Thomas Klingelhöfer / 13.04.2018

Komisch, immer wenn die EU (oder Merkel?) eine Botschaft an Leute senden will, welche der Insubordination gegen "europäische Werte" überführt scheinen, taucht Asselborn als Außenminister des Ministaats Luxemburg auf und verkündet in harschen Worten das Verdikt. Traut sich nur der Hofnarr, warum äußern sich nicht die eigentlichen Absender?Wie lange noch möchte man das Publikum veralbern?

Stefan Bley / 13.04.2018

Der eigentliche Wertetumor ist doch jener, den Viktor Orban zu bekämpfen ausgerufen hat.

Klaus U. Maschmann / 13.04.2018

Lieber Herr Broder,sehr gut, daß Sie unnachgiebig und mit immer glasklaren Worten den Finger in die vielfältigen Wunden halten. Gestalten wie Asselborn und Juncker - die sich wie durch ein Wunder über viele viele Jahre hinweg als Wortführer und selbst erkorene Wertewächter an die Spitze der EU setzen konnten - sind es, die besonders zur EU-Verdrossenheit beitragen. Erstaunlich, wie elegant diese Exzellenz-Demokraten mit dem Widerspruch umgehen, einerseits selbst kontinuierlich Hass und Hetze gegen mißliebige EU-Partner zu verbreiten, zugleich aber jeden als Antidemokraten und und Hetzer zu diskreditieren, der sich kritische Gedanken zum europäischen Filz und insbesondere auch zu der europäischen Asylpolitik und deren Auswirkungen auf die Mitgliedsstaaten macht.

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