Gastautor / 25.10.2024 / 06:15 / Foto: Wikicommons (bearbeitet) / 34 / Seite ausdrucken

Milei, der Gottseibeiuns der Staatsgläubigen

Von Erich Weede.

Der argentinische Präsident Javier Milei, jetzt ein Jahr im Amt, hat was, das hierzulande aktuell komplett fehlt: einen ordnungs- und wirtschaftspolitischen Kompass. Und Argentinien hat das hinter sich, was Deutschland möglicherweise bevorsteht.

Philipp Bagus ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Rey Juan Carlos in Madrid. Mit dem argentinischen Präsidenten Milei verbinden Philipp Bagus nicht nur eine Freundschaft, sondern auch gemeinsame Überzeugungen. In seinem neuen Buch stellt Bagu den Präsidenten Milei und seine Politik vor. Außerdem berichtet er von Mileis Begeisterung von der Österreichischen Schule. Beide sind konsequente Anhänger dieser Schule der Ökonomik, deren bekannteste Vertreter wohl Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek sind. 

Diesen beiden verdanken wir die Einsichten, warum Planwirtschaften und Sozialismus nicht funktionieren können: Mises erkannte kurz nach der Russischen Revolution: Ohne Privateigentum an Produktionsmitteln beziehungsweise Unternehmen kann es keine Knappheitspreise auf Input-Märkten und keine rationale Ressourcenallokation geben. Hayek erkannte 1945: Ohne dezentrale Entscheidungen auf dem Markt kann das auf viele Köpfe verstreute menschliche Wissen nicht vollständig genutzt werden. Im vierten Kapitel informiert Bagus über weitere grundlegende Einsichten der Österreicher, wie etwa die subjektive Wertlehre, die Funktion der Unternehmer, die Instabilität einer von staatlichen Eingriffen beschädigten Marktwirtschaft und die abschüssige Bahn zum schleichenden Sozialismus.

Am Anfang des Buches erfährt der Leser – sowohl von Bagus als auch in einem Vorwort von Milei selbst – einiges über die Person und Vorlieben Mileis, über dessen intellektuellen Weg von Keynes über die Neoklassik zu den Österreichern, über seine Liebe zur Rock-Musik in der Jugend und heute noch zu seinen Hunden, deren Namen an freiheitliche Ökonomen erinnern. Auffällig ist auch seine Bereitschaft, in Diskussionen und in sozialen Medien seine Gegner oder auch Politiker allgemein als Diebe, Esel oder Parasiten zu beschimpfen.

Niedergang durch Staatseingriffe

Denn Steuern sind für Milei letztlich Diebstahl. Im Wahlkampf hat Milei nicht nur kräftig
ausgeteilt, sondern auch wie schon lange vorher viel einstecken müssen. Mileis Wahlsieg in Argentinien muss auf dem Hintergrund eines langen wirtschaftlichen
Niedergangs des Landes gesehen werden. Am Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte
Argentinien noch zu den reichsten Ländern der Erde, deutlich vor Frankreich oder
Deutschland. Als Agrargüterexporteur und Handelsnation wurde das Land stark von der
Weltwirtschaftskrise und dem dadurch zunehmenden Protektionismus betroffen. Aber der
Niedergang ist weitgehend selbst verschuldet durch eine mit Peron einsetzende und steigende Zunahme der Staatseingriffe und Staatsausgaben.

Kumpanei und Korruption waren die Begleiterscheinungen der staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft. Das Land erlitt ohne Krieg zwei Hyperinflationen und hatte, als Milei gewählt wurde, ein ähnlich bescheidenes Einkommen pro Kopf wie Russland oder Bulgarien. Nicht nur Milei, sondern vor allem viele junge Argentinier beurteilten das als Staatsversagen. Neben dem Versagen seiner Vorgänger verdankt Milei seinen Wahlsieg auch taktischem Geschick und unkonventionellem Vorgehen. So verloste er im Internet seine Abgeordnetenbezüge, was ihm massive Aufmerksamkeit und Zustimmung sicherte.

Bündnis mit Konservativen, Patrioten und Traditionalisten

Die folgende Liberalismus-Definition seines argentinischen Landsmannes Lynch setzte er bei Veranstaltungen ein wie Religionsgemeinschaften das „Vaterunser“ oder ein
Glaubensbekenntnis: „Liberalismus ist der uneingeschränkte Respekt des Lebensentwurfs anderer, der auf dem Grundsatz der Nichtaggression, auf dem Recht auf Leben, Freiheit und Eigentum beruht.“ Er ließ keinen Zweifel daran, dass er den Staat mit der „Kettensäge“ beschneiden wollte, dass er auch den Sozialstaat abbauen würde.

Soziale Gerechtigkeit ist für Milei nur ein Vorwand, um manche zu bestehlen und es hinterher anderen zu geben. In Mileis Wahlkampf ging es um den Gegensatz zwischen den ehrbaren und hart arbeitenden Menschen einerseits und Politikern und Parasiten anderseits. Zu Mileis Taktik gehörte auch das Bündnis mit Konservativen, Patrioten und Traditionalisten. Dass die Politik die Interessen des Heimatlandes und nicht etwa globale Anliegen in den Vordergrund stellen sollte, ist eine Auffassung, die Milei mit Donald Trump teilt. Dessen Protektionismus lehnt er allerdings entschieden ab.

Milei erkannte, dass man Wahlen nicht nur mit besseren Ideen zur Wirtschaft gewinnen kann, sondern dass auch der vorpolitische Raum und die Kultur die Sichtweise der Menschen formen. Nicht nur Politkern und Amtsinhabern aller Art steht Milei ablehnend gegenüber, sondern auch der Schicht der Intellektuellen, die sich meist im staatnahen Bereich bequem eingerichtet haben. Nicht nur öffentliche Gelder, sondern auch schon nur staatliche Akkreditierung sorgen nach seiner Auffassung für Staatsnähe bei den Professoren.

Staatshaushalt um real 35 Prozent gesenkt

Milei ist es trotz parlamentarischen Widerstands gelungen, den Staatshaushalt um real 35 Prozent zu senken. Die Vermeidung von Haushaltsdefiziten ist für ihn als radikalen Anhänger der österreichischen Schule der Ökonomik so wichtig, weil diese leicht Auslöser für eine Staatsfinanzierung durch die Zentralbank und damit für Inflationen werden, unter denen Argentinien so lange, intensiv und häufig gelitten hat. Milei weiß, dass es lange dauern wird, bis Argentiniens Volkswirtschaft sich von der aus seiner Sicht sozialistischen Misswirtschaft erholt haben wird, vielleicht drei oder vier Jahrzehnte.

Bagus und im Nachwort auch Markus Krall erwägen am Schluss noch, ob sich das Vorgehen Mileis anderswo, etwa in Deutschland, wiederholen lässt. Dabei wird die AfD und die Brandmauer der anderen Parteien gegen sie nicht erwähnt. Aber Bagus und Krall wissen, dass Linksparteien keine Mitkämpfer gegen den Sozialismus werden können und wollen.

Das Buch ist gut geschrieben und lesenswert. Für Freiheitsfreunde ist es ein Genuss. Für Anwärter auf Staatsämter sind Milei, Bagus und Krall natürlich Ärgernisse.

Philipp Bagus: Die Ära Milei. Argentiniens neuer Weg. München: Langen Müller, 260 S.,
Euro 22 Euro.

 

Prof. Dr. Erich Weede ist ein deutscher Soziologe, Psychologe, Politikwissenschaftler und seit 2004 emeritierter Lehrstuhlinhaber für Soziologie der Universität Bonn.

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Else Schrammen / 25.10.2024

Ein gelungener Coup von Milei: Finanzämter sckließe: eine Finanzagentur übernimmt die Aufgaben: 1/3 der Finanzbeamten entlassen: die restlichen kommen un andere Ressorts. Können wir uns den Milei nicht mal ausleihen? Es muss ja nicht gleich die Schließung der Finanzämter sein, aber mal den Haufen von den kürzlich installierten grünen, roten und gelben Beamten - ob geeignet oder nicht -  mal ausdünnen, ware das Schlechteste nicht!  Vor allem, weil garantiert im September 2025 für die Neuen ein gewaltiger Beförderungsschub ansteht. Denn im Novemver 2025 ... Wahlen ... Ampel?... Man weiß ja nie!

Christiane Neidhard / 25.10.2024

@Helmut Rott: “Von der Thora zu Al Capone Artikel Katholisches 14.3.24”. Eine prägnante Beschreibung der Persönlichkeit von Milei.

Frenzy Collini / 25.10.2024

Apropos Liberalismus: Der Gottseibeiuns erinnert mich stark an Liberace.

s.clemens / 25.10.2024

@Robert Schleif: Tycoons und lebenslange Hartzkarrieren sind genau die Mißstände, die durch eine freiheitliche Gesellschaft schneller erkannt und geändert werden (ok, Idealfall). Herr Hagenau hat ja auch schon dazu im Kommentar ausgeführt. Die schlechteste Lösung, wie wir jetzt sehen, ist ein verfetteter Staat, der nur mit den Tycoons verhandelt und den Hartzern neue Namen zukommen lässt. Natürlich ist ein Milei in Deutschland aktuell nicht denkbar angesichts der korrumpierten staatlichen Stellen, die mit einem Speckring aus Pseudo-Unternehmertum und pseudo-ethischen NGOs (Nah-Regierungs-Organisationen) umgeben sind. Da muss es noch viel schlechter werden- und das wird es!

Lutz Herrmann / 25.10.2024

Wie macht so ein Tycoon das eigentlich? Ich kenne das nur aus der Realität, dass Leute unanständig reich geworden sind, wenn Papa Staat die Gegenseite unterdrückt (also die Gewerkschaften zum Beispiel) oder aber erst durch einen ulkigen Eingriff die Basis für den unanständigen Reichtum geschaffen hat. Alles andere ist Marxsche Hirnpampe.

rei svager / 25.10.2024

gibt es da fakten, wo herr milei den “protektionismus eines donald trump” ablehnt?

Helmut Driesel / 25.10.2024

  Warum nicht, ausgerechnet in Südamerika, der freiheitliche Ansatz… Wenn Milei mehr ist als ein Handlanger der Gläubiger Argentiniens, dann möge er seine Vision durchziehen. Normalerweise muss man ja wohlgeboren sein, um sich einen “Lebensentwurf” leisten zu können. Die meisten normalen Leute entwerfen da nicht viel, sondern sie sind ständig am Reparieren und Aufarbeiten. Dazu kommt noch die Mühe des Verstehens. Und das alles im Hick-Hack des lebendigen Alltages. Wenn Scholz demnächst sein Gehalt im Internet verlost, sind alle Loser dabei, ich auch. Was werden wir dann über ihn denken? Aber im Großen und Ganzen sollen Wahlen ja Mehrheiten herausfinden, also, was mehrheitlich wünschenswert sei. Und das ist in D eine Form des Wirtschaftens, bei dem alle etwas abkriegen, egal, ob sie gut oder schlecht, dumm, faul oder behindert sind. Wenn das in Argentinien anders ist, ist es eben dort anders. Und es ist auch ein bisschen fragwürdig, dass die Österreicher offensichtlich nicht von den Erkenntnissen ihrer großen Sozialphilosophen profitiert haben. Ein Wunder, dass man dem sein Professorengehalt bezahlt hatte. Aus Sicht von “hart arbeitenden Menschen” ist jeder Sozialphilosoph ein parasitärer Nichtsnutz. Was wird die nächste deutsche Regierung tun, wenn der Milei nun einen Erfolg nach dem anderen verkündet? Sich ein Beispiel nehmen? Also beispielsweise alle Gehälter und Löhne um 10% senken, im Öffentlichen Dienst um 20%. In einigen Bereichen ist wahrscheinlich sogar eine Halbierung machbar. Sozusagen ein Kapitalschnitt von hinten durchs Auge…

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