Die Flüchtlingskrise hat viele Gewinner hervorgebracht, zum Beispiel die Besitzer abgerockter Pensionen, Vermieter von Wohn-Containern und Dixi-Klos. Aber dieser wirtschaftliche Impuls erwies sich als letztlich nicht nachhaltig. Ganz im Gegensatz zur Migrationsforschung. Die kann noch in 50 Jahren der Frage nachgehen, was aus den Enkeln der in den letzten Jahren Eingewanderten geworden ist, was deren Integration befördert oder behindert hat. Roger Letsch hatte ja kürzlich auf der Achse Erhellendes und Erheiterndes zu dieser sich im Aufwind befindlichen wissenschaftlichen Disziplin berichtet, es war anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Instituts für Migrationsforschung und interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück
Jetzt gibt es sogar etwas zu feiern. Nämlich ein neu gegründetes Deutsches Zentrum für Integrations-und Migrationsforschung (DeZIM), bestehend aus zwei Säulen: Dem DeZIM-Institut und der DeZIM-Gemeinschaft. Das Institut wird von einer Doppelspitze geleitet, bestehend aus Professor Frank Kalter – Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Soziologie an der Universität Mannheim – und Frau Professor Naika Foroutan.
Das dem Familien-Ministerium (BMFSFJ) angegliederte Institut soll Forschung und Politikberatung leisten. Die Gemeinschaft setzt sich aus den „zentralen Akteuren der Integrations- und Migrationsforschung“ zusammen – darunter natürlich auch dem Osnabrücker IMIS. Es soll innovative Forschungsperspektiven und Synergieeffekte entwickeln. Die Koordinierungsstelle des DeZIM ist an der Humboldt-Universität (HU) in Berlin angesiedelt, dem Dienstsitz von Naika Foroutan.
Diese ist vielleicht dem ein oder anderen noch in Erinnerung aus der Debatte um Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Unter ihrer Herausgeberschaft entstand seinerzeit dazu ein Dossier, in dem die Autoren allerdings einem „unverstandenen Zahlengestöber“ folgten und – so damals das Urteil von FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube – „Empirie als Durcheinander“ auffassten
Forschungsschwächen bei vorbildlicher Haltungsnote
Diese forschungsmethodischen Schwächen der Politologin – bei allerdings vorbildlicher Haltungsnote – hinderten die gebürtige Iranerin aber nicht an einer steilen akademischen Karriere, immer unter dem Dach der Humboldt-Universität. Von der Leitung der Forschungsgruppe „Junge islambezogene Themen in Deutschland“ ab 2009 ging es über den Posten einer stellvertretenden Institutsdirektorin bis zur Professorin für Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik. Und nun ist sie also noch Teil der Doppelspitze des DeZIM. Damit sind wir auch schon mitten im Thema: Einen kritischen Blick von außen auf Institutionen und Personen der deutschen Migrationsforschung.
Einige Leser mögen das 2014 auf Deutsch erschienene Buch „Exodus“ von P. Collier kennen, in dem die als gesichert geltenden Erkenntnisse der Migrationsforschung gut lesbar aufbereitet sind. Wie der linksliberale „Guardian“ zu Recht lobte, „eine Stimme der Vernunft in einer vergifteten Debatte“, die laut Collier geprägt wird von dem „Migrationstabu“. Gemeint ist damit im Wesentlichen die Unfähigkeit, unvoreingenommen und offen das zu sehen und vieles andere zu sagen, was ist. Nebenbei sei erwähnt, dass Collier in seinem Buch praktisch alle politischen, soziokulturellen und ökonomischen Probleme vorhersagt, mit denen ein Land zu kämpfen haben wird, wenn es jahrelang eine offene Debatte des Themas meidet, um sich dann unvermittelt einer unkontrollierten Massenmigration von vorzugsweise jungen und schlecht ausgebildeten Männern aus kulturell weit entfernten Gesellschaften zu öffnen.
Nicht nur diese Episode macht deutlich, dass Politik sich zumindest nicht primär von wissenschaftlichen Erkenntnissen leiten lässt. Der Einfluss von Wissenschaft oder Wissenschaftlern auf den politischen Gang der Dinge ist natürlich komplex und soll hier nur sehr grob skizziert werden: Einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen und ihren Protagonisten kann es gelingen, im Chor mit ihnen geneigten Medien, NGOs und vielleicht auch einigen Prominenten eine bestimmte Stimmung oder Einstellung in Teilen der Öffentlichkeit zu erzeugen oder zu verstärken, die dann von politischen Parteien aufgegriffen wird. Beispiele dafür sind die aktuellen Themen Inklusion, Gender und Klimawandel. Beim Thema Willkommenskultur setzte sich aber zunächst die Politik an die Spitze des Zuges. Medien und Wissenschaft sprangen allerdings sofort begeistert auf.
Dynamik in Richtung Agitprop-Institut
Wenn nun, wie im Falle des DeZIM-Instituts, eine wissenschaftliche Einrichtung nicht unabhängig ist, sondern Teil eines Ministeriums welches die wissenschaftliche Agenda bestimmen kann, haben wir es mit einer anderen Ausgangslage zu tun. Für die beteiligten Forscher ist diese Situation verbunden mit dem Druck, im Sinne der jeweils aktuell geltenden Politik möglichst positive Ergebnisse zu liefern, zumindest nicht das Gegenteil. Wer will schon schlechte Nachrichten?
Auch wenn zwischen kritischer oder objektiver empirischer Forschung und bloß wissenschaftlich verbrämter Propaganda eine breite Grauzone liegen mag, sollte man – gerade bei einem dermaßen polarisierenden Forschungsgegenstand – die Dynamik in Richtung auf eine Art Agitprop-Institut in der gegenwärtigen, ja etwas angespannten politischen Situation nicht unterschätzen. Ob die Stimme der DeZIM-Gemeinschaft in den Gremien des DeZIM-Instituts und die „Doppelspitze“ stark genug sind eine solche Entwicklung zu verhindern, bleibt abzuwarten. Die etwas nähere Beschäftigung mit ausgewählten DeZIM-Akteuren stimmt einen diesbezüglich allerdings eher nicht zuversichtlich.
Der weibliche Teil der Doppelspitze, Prof. Foroutan, leitet stellvertretend an der HU das Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung. Es besteht aus immerhin sieben Abteilungen, die die Bandbreite des Themengebiets abdecken sollen. Die Durchsicht der aktuellen oder kürzlich bereits abgeschlossenen Projekte lässt einen gleich mit der Frage zurück, was bei der Erforschung von Ursachen der „Bildungsungleichheiten zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund“ die „neue Perspektive“ sein soll. Die zu nennen wäre aber zwingend notwendig, da es natürlich bereits eine Menge einschlägiger Forschungsergebnisse gibt und man darüber hinaus vollmundig behauptet, sich konzentrieren zu wollen auf „theoriegeleitete empirische Forschung, die (man) immer wieder an die Grundlagenforschung zurückbindet“.
Jede Menge sozialwissenschaftliche Forscherprosa
Aber auch weitere Projektbeschreibungen im Internet-Auftritt des Instituts spiegeln diesen Anspruch nicht wider. Man findet meist nicht einmal ansatzweise die konkreten, zu untersuchenden Hypothesen. Dafür jede Menge sozialwissenschaftliche Forscherprosa, etwa in den Projekten „Geflüchtete Frauen und Familien“, „Frauen mit Migrationshintergrund im zivilgesellschaftlichen Engagement bei der Unterstützung von geflüchteten Menschen“ oder „Motive und Handlungsmacht vollverschleierter Frauen in Deutschland“. Hier sollen auf der Grundlage einer Befragung von vollverschleierten Frauen politische Handlungsmöglichkeiten herausgearbeitet werden. Sollte man „Handlungsmöglichkeiten“ nicht auch oder gar eher von einer Befragung der Mehrheitsgesellschaft abhängig machen?
Bei einigen Projekten handelt es sich gar ausschließlich um politischen Aktivismus. Beispiel dafür ist das von der Bundeszentrale für politische Bildung – gemeinsam mit der Rosa Luxemburg Stiftung – geförderte Projekt „Rassistische Instrumentalisierungen geschlechtspolitischer Fragen im Kontext migrationsgesellschaftlicher Verhältnisse“. Alles klar?
Hat man sich durch die „Projekte“ geklickt, bleibt ein ungutes Gefühl, ausgelöst von der grundierenden Haltung, die fast immer durchscheint und die sich vielleicht so fassen lässt: (a) Migranten oder Flüchtlinge sind irgendwie die besseren Menschen. Auch kommt es darauf an, (b) vor allem das Positive im Migranten zu sehen, sowohl bei voll verschleierten Frauen als auch bei Migranten mit antisemitischen Einstellungen, die ja oft selbst Opfer von Rassismus waren und sind. (c) Wir schrecken auch vor abseitigen Erklärungen nicht zurück, wenn es der richtigen Sache dient.
Denn, so Naika Foroutan am 27.November letzten Jahres vor dem Abgeordnetenhaus Berlin, es sei keinesfalls so, dass ab einem bestimmten Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund die Klasse „kippe“. „Gucken Sie sich einmal Diplomatenschulen an! Da sind 100 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund.“ Ist das vielleicht die o. g. „neue Perspektive“? (d) Die Einheimischen interessieren uns – außer als Quelle von Diskriminierung und Rassismus – bei dem ganzen Geschehen eigentlich nicht. Mit Ausnahme der freiwilligen Flüchtlings-Helfer, am besten weiblich und mit Migrationshintergrund: der Helferadel sozusagen.
Migrationsforscher als PR-Botschafter
Wenn ein akademischer Bereich prosperiert, ist das gemeinhin verbunden nicht nur mit einem Wachstum an Stellen und finanzieller Ausstattung, sondern vor allem auch an Studentenzahlen. Anna-Lea will jetzt nichts mehr mit Medien machen, sondern mit Refugees, Integration und Fluchtursachen. Auch die Forschungsaktivität nimmt natürlich zu. Allein im Bereich der sog. Flucht- und Flüchtlingsforschung verfünffachten sich die Projekte seit 2013. Vom gestiegenen Interesse der Medien ganz zu schweigen. So hat Prof. Oltmer vom IMIS Osnabrück 2017 sage und schreibe 103 Medienbeiträge geleistet, meist TV- oder Radiointerviews.
Interviews erlauben im Vergleich zu populär- oder wissenschaftlichen Artikeln manchmal eher einen unverstellten Blick auf die Gedanken- und Gefühlswelt des Protagonisten. Ein schönes Beispiel dafür ist das Interview das Dr. Kleist, ebenfalls vom IMIS, der ZEIT gab. Es geht dabei unter anderem um die Familienzusammenführung, die er selbstverständlich vorbehaltlos unterstützt. Auf den Einwand des Interviewers, dass schon jetzt 14.000 Lehrer fehlten, wird geantwortet: „… diese Forderung galt auch schon vor der Flüchtlingskrise.“ Damit folgt er einer auch in ganz anderen Kreisen nicht unbeliebten Argumentation: Den Kredit? Kann ich leider nicht zurückzahlen. Ich war schon vorher pleite. Ist das etwa ein Problem? Und bloß nicht thematisieren, dass Migranten mit denen, die schon länger hier leben, um irgendetwas konkurrieren könnten.
Überhaupt scheint eine optimistische Grundhaltung im IMIS weit verbreitet zu sein. Der vor allem mit historischer Migrationsforschung befasste Professor Christoph Rass wundert sich in einem Gespräch mit der Welt im Januar 2018, dass die Wahrnehmung von Flucht und Zuwanderung in Deutschland noch immer mit Problemen und Konflikten assoziiert werde und es bei dem Thema insgesamt an Gelassenheit mangele. Außerdem sei Migration der Normalfall: „Wir sind alle immer wieder unterwegs, wandern ab oder zu. Aber wir machen uns diese Tatsache zu selten bewusst.“ Ach so.
Googelt man sich durch die wissenschaftliche Migrationslandschaft, landet man rasch bei dem von der Bundesregierung und mehreren Stiftungen gesponserten „Rat für Migration“ (RfM), deren Schriftführerin Frau Foroutan ist. Im Fachbeirat findet sich eine Melange aus Medienschaffenden, ergänzt um Vertreter der geldgebenden Stiftungen.
Laut Selbstauskunft ist der RfM ein bundesweiter Zusammenschluss von rund 150 Wissenschaftlern, „die zu Fragen von Migration und Integration forschen“. Zentrale Aufgabe sei es, die öffentliche Debatte zu diesen Themen kritisch zu begleiten. Dazu vermittele der Rat Experten, erstelle Publikationen und einen „Mediendienst Integration“.
Die RfM-Homepage empfängt den Leser während der GroKo-Verhandlungen mit einem „Appell an die Koalitionsparteien: Mut zur Vielfalt“. In den Koalitionsverhandlungen würden Themen wie „Begrenzung und die Angst vor Überforderung und Überfremdung“ dominieren. Dabei sei Deutschland doch „schon lange ein Land, das von Einwanderung und Vielfalt geprägt ist“. Also eine ähnliche Argumentationsfigur wie eben bei Dr. Kleist: Wir haben schon viele, deshalb brauchen wir noch mehr. Ist das tatsächlich die aktuelle Kernbotschaft einer sich als Verbund von einschlägigen Wissenschaftlern verstehenden Organisation?
Kann man sich vorstellen, dass bei einer deutlich mehr als hundertprotzentigen Auslastung der OPs die zuständige Chirurgenvereinigung die einweisenden Ärzte auffordert, unbedingt noch mehr operationsbedürftige Patienten zu schicken? Nein! Und warum nicht? Für die Migrationsforscher selbst ändert sich durch ihren Appell erst einmal nichts, die Chirurgen dagegen hätten die Patienten selbst an der Backe.
Beim RfM-Mediendienst findet sich auch ein Text, der auf der Eröffnungsrede basiere, welche die „Frankfurter Geschlechterforscherin Helma Lutz“ auf der letzten RfM-Jahrestagung gehalten hat. Der vielsagende Titel: „Was #MeToo und die Kölner Silvesternacht eint“. Der geneigte Leser wird sich vorstellen können, wohin hier die Reise geht: weg von irgendeiner kulturspezifischen Sicht hin zu einer weltweit und damit auch am Kölner Hauptbahnhof gültigen und wirksamen „hegemonialen Männlichkeit“. Mit dem besonderen Kick, dass seit den Kölner Ereignissen „als muslimisch markierte junge Männer unter Generalverdacht“ stünden und deren Stigmatisierung als latente Gefahr sich etabliert habe. Tja, das Leben kann so gemein sein.
Neben dem RfM ist auch der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) bemüht, den wissenschaftlichen, politischen und öffentlichen Raum zu beeinflussen. Die neun Mitglieder, jeweils Universitätsprofessoren, sind bis auf eine Ausnahme beruflich nicht direkt verbunden mit dem DeZIM. Tragende Stiftungen sind u.a. die VW, Robert Bosch und Bertelsmann Stiftung. Neben eigenen Forschungsergebnissen und tatsächlich informativen Statistiken legt der SVR jedes Jahr ein „Integrationsbarometer“ und ein Gutachten zum Stand der Integration vor.
Insgesamt kommt der SVR im Vergleich zum RfM deutlich nüchterner und sachlicher daher. Im Jahresgutachten 2017 etwa wird vorsichtig empfohlen, jenseits der EU-Grenzen Aufnahmezentren einzurichten und dort die Asylverfahren durchzuführen. Außerdem sollten nicht asylberechtigte Personen konsequenter abgeschoben werden. Jüngst präsentierte der SVR zwei Studienergebnisse: Für viele junge Migranten drohe der Unterricht an deutschen Schulen in einer Sackgasse zu enden. Es drohe gar eine „verlorene Generation“. Dazu passend lasse der schulische Hintergrund vieler Migranten nicht erwarten, dass sie die theoretischen Prüfungen in der dualen Ausbildung schaffen. Den kritischen Beobachter der deutschen „Flüchtlingspolitik“ kann das alles nicht überraschen. Vorausgesetzt, er ist kein hauptberuflicher Migrationsforscher.
Gut geölte Forschungs- und Veröffentlichungsmaschinerie
Die andere DeZIM-Doppelspitze, Frank Kalter, pflegt neben dem Thema Migration und Integration durchaus noch andere wissenschaftliche Interessen. Die Forschungsaktivitäten seines Instituts sind jeweils eingebunden in das „Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung“. Ansonsten fallen inhaltlich und forschungsmethodisch eher anspruchsvolle Projekte auf. Etwa eine vergleichende Längsschnittstudie über 10 Jahre zur Integration von Migranten der zweiten Generation in Deutschland, den Niederlanden, Schweden und England.
An dem Institut wird eine offensichtlich gut geölte Forschungs- und Veröffentlichungsmaschinerie mit Hilfe von Drittmitteln, auch aus Fördertöpfen der EU, am steten Laufen gehalten. Ein „unverstandenes Zahlengestöber“ oder „empirisches Durcheinander“ gibt es hier wohl kaum. Schließlich kann eine Einrichtung wie das DeZIM ja auch nicht von zwei Statistikphobikern geleitet werden. Dafür dürfte der weibliche Teil der DeZIM-Doppelspitze eine bessere Vernetzung mit der medial-politischen Szene mitbringen.
Bleibt die Frage, wer sonst noch mitspielt bei der DeZIM-Gemeinschaft. Da ist zunächst das Interdisziplinäre Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (InZentIM) an der Universität Duisburg-Essen. Es tritt mit einem breiten Anspruch an, nämlich „Wandel, Chancen und Herausforderungen“ der Migration in zentralen gesellschaftlichen Bereichen zu beforschen. Dazu gehört so etwas Solides wie die Untersuchung des Wahlverhaltens von Deutschen mit Migrationshintergrund bei der letzten Bundestagswahl.
Bei einigen anderen Projekten wundert sich aber zumindest der (Halb-)Laie: Wie haben es die drei beteiligten Institute geschafft, für das doch etwas schütter anmutende Projekt „Ethik der Migration“ eine finanzielle Förderung für 2,5 Jahre zu ergattern? Als Freund des Fußballs lese ich natürlich gerne über das Projekt „Kicking Girls - soziale Integration von Mädchen mit Migrationshintergrund durch Fußball“. Beachtliche 5.000 Mädchen würden durch Turniere und Camps jährlich erreicht. Aber was wird da eigentlich beforscht? Die Passgenauigkeit?
Die Gesinngungspolizei hält Wacht
Mit dabei ist auch das Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG), dass sich seinem Schwerpunkt entsprechend beispielsweise mit der Frage „Islamistischer Extremismus – was hilft?“ oder „Konfliktverstehen und –management im Ehrenamt der Flüchtlingshilfe“ beschäftigt.
Bei dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg handelt es sich um eine Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, die entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag, aber eher nur punktuell, auch mit Fragen zu Migration und Integration befasst ist. Monatlich erscheint ein informativer „Zuwanderungsmonitor“ mit aktuellen Daten.
Bleibt als letztes Mitglied im DeZIM noch Professor Ruud Koopmans zu erwähnen, der im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) die Abteilung Migration, Integration, Transnationalisierung leitet und zugleich eine Professur an der HU für Soziologie und Migrationsforschung innehat. Er hält in Berlin die Fahne der soliden empirischen Migrationsforschung hoch, mit relevanten Beiträgen zu Themen wie Multikulturalismus versus Assimilation oder auch zu Islam und Gewalt.
Außerdem hat er kürzlich eine in Berlin zwar nicht ganz selten vergebene, gleichwohl hohe wissenschaftliche Auszeichnung erhalten, und zwar von der Fachschaft: Nach Auffassung dieser studentischen Gesinnungspolizei bereite er den „Nährboden für antimuslimischen Rassismus“. Der Vorgang wurde bei der taz zur Anzeige gebracht. Die akademischen Kollegen beobachteten die Verleihung dieser Auszeichnung allerdings ohne eindeutige Reaktion.
Gefangene eines moralischen Zeitgeistes
Der aufmerksame Leser wird registriert haben, dass im DeZIM keine ostdeutsche Universität vertreten ist. In den neuen Bundesländern gibt es erst seit 2017 ein entsprechendes Projekt, nämlich das an der TU Dresden am Institut für Politikwissenschaft in Zusammenarbeit mit der Universität Duisburg-Essen von der Stiftung Mercator unterstützte „Mercator Forum Migration und Demokratie“ (MIDEM). Die vier Forschungsgruppen, z. B. „Populismus“ oder „Krisendiskurse zu Migration und Integration“, werden koordiniert von Dr. Oliviero Angeli, der auch schon ein gefragter Interviewpartner zu sein scheint. Kürzlich äußerte er sich zur etwas angespannten Situation in Cottbus – und traf gleich den richtigen Ton. Auf die Frage, ob man die Integrationsprobleme nicht durch eine drastische Beschränkung der Zuwanderung besser lösen könne, antwortete er geradezu reflexartig: „Das ist keine hilfreiche Lösung“.
Also auch hier: mehr, immer mehr, damit es - endlich oder noch - besser wird. Wäre er doch wenigstens den ganz einfachen Kausalitätsregeln gefolgt und hätte entsprechend mit „Ja“ geantwortet. Dann hätte ihm doch immer noch frei gestanden, ein „aber“ anzuschließen. Etwa: „Ja, aber wir müssen den einmal eingeschlagenen Weg der Wiedergutwerdung konsequent zu Ende gehen, auch wenn es manchmal schwierig ist.“
Nun sind Logik und Vernunft in Verbindung mit der schlichten Fähigkeit, das zu sagen was ist, erkennbar nicht die Stärke der meisten Akteure der deutschen Migrationsforschung. Die scheinen vielmehr Gefangene eines moralischen Zeitgeistes zu sein, der aber schon seit etlichen Jahren mehr und mehr in Widerspruch geraten ist zu den tatsächlichen Entwicklungen auf diesem Gebiet.
Abschließend drängen sich zwei Fragen auf: Wie lange kann es die deutsche Migrationsforschung noch durchhalten, einen ganz zentralen Themenbereich, nämlich die sozialen Folgen der Migration für die Aufnahmegesellschaft, weitgehend zu ignorieren? Zweitens, welche DeZIM-Forschungsergebnisse wird uns demnächst eine stolze Ministerin präsentieren? Vielleicht, dass selbst ein hoher Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund und schlechten Deutschkenntnissen das Leistungsniveau einer Klasse nicht negativ beeinflusst? Studien mit gegenteiligem Ergebnis hätten es nämlich versäumt, die ungünstigen Folgen einer Diskriminierung durch die Lehrer zu erfassen. Die brauchen einfach mehr Fortbildung, dann schaffen wir das.