Die Masseneinwanderung seit 2015 droht nicht nur den Sozialstaat zu überlasten. Doch Millionen werden sich nicht wieder abschieben lassen. Und die Demographie wird die vorhandenen Probleme noch verstärken.
Der September 2015 erscheint mehr als sieben Jahre später wie ein längst vergangenes Ereignis und ist aus dem kollektiven Gedächtnis Deutschlands weitgehend verschwunden. Corona, Klima und aktuell der Ukrainekrieg haben die Folgen einer nach wie vor grenzenlosen Einwanderungspolitik fast unsichtbar gemacht. Aber das Verdrängte hat die Tendenz, hartnäckig in unser Bewusstsein zu treten. Es taucht in der täglichen Berichterstattung, trotz des Versuchs der öffentlich-rechtlichen Medien, Assoziationen mit der offiziellen Migrationspolitik zu verhindern, als etwas auf, das die ganze Zeit weiterschwelte, von den meisten Bürgern dieses Landes aber längst als etwas Unwiderrufliches betrachtet wird, als etwas, das man hinnehmen muss und von dem man in seiner heilen Welt auch nicht belästigt werden will.
Die gewalttätigen Angriffe auf Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte bei den Silvesterfeiern 2022 in Berlin, Düsseldorf und Frankfurt haben – ähnlich wie die Vorfälle am Jahreswechsel 2015 in Köln, die Stuttgarter „Party“-Randale im Sommer 2020 und die Morde in Würzburg im Juni 2021 – die massiven Probleme der Zuwanderung in Deutschland wieder schlagartig sichtbar gemacht. Politik und Medien reagierten erwartungsgemäß sofort mit den üblichen Verdrängungs- und Verschleierungstechniken. Nach einer kurzen Phase der medialen Aufregung und den üblichen politischen Forderungen setzte das Verdrängen und Vergessen ein.
Die anhaltende Migration aus den zerfallenden arabischen und afrikanischen Ländern mit ihren Youth Bulges, einem Überschuss an jungen Männern ohne gesellschaftliche Perspektive, ist ein Ereignis von weitreichender und irreversibler Bedeutung, wird aber behandelt wie eine Naturkatastrophe die über uns hereinbricht. [1] Wahrscheinlich werden wir gerade Zeugen einer der größten Umwälzungen in der europäischen Geschichte. Auch aktuell hat man nicht den Eindruck, dass irgendeiner der politisch Verantwortlichen in Deutschland den Ernst der Lage begreift. Der spätestens seit September 2015 herrschende Unwille der Regierung, sich mit unangenehmen Fragen und Entscheidungen auseinanderzusetzen, sie entweder in die Zukunft zu verschieben oder von anderen Akteuren eine Lösung zu erwarten, verhindert immer noch alle längst notwendigen Schritte. Länder wie Dänemark, Schweden, Italien und Österreich haben angesichts der zunehmenden Probleme bereits eine Änderung ihrer bisherigen Einwanderungspolitik angekündigt; in Deutschland bleibt es bei Merkels „Wir schaffen das“. Hunderttausende von hauptsächlich jungen, muslimischen, männlichen Einwanderern wurden und werden deshalb weiter aufgenommen und großzügig alimentiert. Jede Diskussion über die Folgen dieser Politik wird nach wie vor mit dem Vorwurf des Rassismus oder der Rechtslastigkeit umgehend im Keim erstickt. [2]
Der Sozialstaat ist bei offenen Grenzen nicht zu halten
Von den führenden politischen und medialen Repräsentanten, die mit der Klimahysterie und im Februar 2020 mit Corona von der 2015 selbst verantworteten Misere ablenken konnten, wird der durch die Masseneinwanderung hervorgerufene „Ausnahmezustand“ in Deutschland nach wie vor verleugnet. Dabei steht nicht nur der Sozialstaat, der allein im Rahmen eines Nationalstaates denkbar ist, mit der ubiquitären Öffnung für praktisch alle Einwanderungswilligen auf dem Spiel, da die wesentlichen Voraussetzungen (Solidarität, Reziprozität, Vertrauen, Homogenität) für sein Funktionieren unter der Last der Massenmigration brüchig werden. Die Berufung auf die allgemeinen Menschenrechte und die nach 1945 für ganz andere Situationen verabschiedeten Asylgesetze, so der Publizist Dimitrios Kisoudis, wurden zum Katalysator einer fatalen Dynamik: „Grundrechte werden zu Ansprüchen gegenüber dritten Staaten, die letztlich nichts anderes sind als Leistungsrechte, Ansprüche gegenüber den Staatsbürgern in den Staaten, die die Flüchtlinge plötzlich als Einwanderer aufnehmen müssen. Denn selbstverständlich beginnt die Integration in den deutschen Sozialstaat, sobald die De-Facto-Flüchtlinge deutschen Boden betreten haben.“ [3]
Diese Transformation, die Leistungs- und Teilhabeansprüche für Nichtstaatsbürger ohne rechtmäßigen Aufenthaltstitel einschließt, hat nicht nur in Deutschland bereits sichtbare Auswirkungen und wird über kurz oder lang den gewachsenen Sozialstaat zerstören. Ein stetiger Ausbau des Sozialstaats bei gleichzeitiger Öffnung der Grenzen für eine regellose Immigration ist zweifellos auf Dauer nicht möglich. Der Zivilisationshistoriker Rolf Peter Sieferle findet für diesen Widerspruch in seinem Essay Das Migrationsproblem ein eindringliches Bild: „Man kann die Märkte nach außen wie nach innen liberalisieren, doch kann man nicht zugleich die Grenzen öffnen. Man handelt dann wie der Bewohner eines gutgeheizten Hauses, der im Winter Fenster und Türen öffnet. Wenn das zur Abkühlung führt, dreht er eben die Heizung auf.“ [4]
Blicken wir auf ein paar aktuelle Daten, die die quantitative Dimension des Problems verdeutlichen. [5] Im Juni 2022 lebten erstmals über 84 Millionen Menschen in Deutschland; das waren etwa 2,9 Millionen mehr als zum Jahresende 2014. Dieser Anstieg ist vor allem auf Migranten aus Syrien (670.000), Afghanistan (220.000) und dem Irak (190.000) sowie – nach dem Angriff Russlands – auf geflüchtete Ukrainer zurückzuführen. Aber auch aus den EU-Staaten Rumänien, Bulgarien und Polen und aus afrikanischen Ländern wie Somalia sind stetige Zuzüge zu verzeichnen. Die Anzahl der Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit nahm von Ende 2014 bis Juni 2022 um 4,3 Millionen zu, während die Anzahl jener mit deutscher Staatsangehörigkeit rückläufig war (ein Minus von 1,5 Millionen). Im Jahr 2005 betrug die Anzahl der Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland 14,4 Millionen; Ende 2021 waren es bereits 22,3 Millionen – ein Zuwachs von über 50 Prozent.
Dramatische Verschiebungen in der Alters- und Geschlechterstruktur
Nach Daten des Bundesamtes für Migration (BAMF) wurden allein im vergangenen Jahr bis Ende November knapp 190.000 Asylbewerber mit Erstanträgen (plus 24.255 Folgeanträgen) registriert – das entspricht einem Anstieg von 43,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Unter ihnen machten 61.720 Syrer und 36.238 Afghanen fast die Hälfte aus. Von den insgesamt 214.255 Bewerbern wurden 37.408 (17,3 Prozent) als Flüchtlinge und lediglich 1.811 (0,9 Prozent) als Asylberechtigte eingestuft. Wie viele Personen zusätzlich unregistriert, somit illegal die deutsche Grenze überschritten oder durch Familiennachzug ins Land kamen, bleibt wie in den Jahren zuvor vollkommen unklar. Man kann hier aber gewiss von einer erheblichen Dunkelziffer ausgehen. Überdies sind während des russischen Angriffskriegs bis Dezember 2022 dem Bundesinnenministerium zufolge über eine Million Ukrainer im Ausländerzentralregister (AZR) verzeichnet worden.
Sieht man von der Sondersituation der Ukrainer und anderer europäischer Einwanderer wie etwa Polen ab, kommen mehrheitlich gering qualifizierte Personen nach Deutschland. Erinnern wir uns an die von Politik und Medien 2015/16 gefeierten „gut qualifizierten Syrer“. Konzernchefs wie der ehemalige Daimler-Chef Dieter Zetsche halluzinierten schon von einem „nächsten deutschen Wirtschaftswunder“ durch leistungsstarke Zuwanderer. Der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz fand die Masseneinwanderung „wertvoller als Gold“, und die unvermeidliche Kathrin Göring-Eckhardt sprach von einem „Geschenk für Deutschland“. Die Realität sieht indessen ganz anders aus. Lediglich 38 Prozent der Syrer im erwerbsfähigen Alter konnten einen Berufsabschluss oder Abitur vorweisen. Bei Afghanen ist dieser Anteil mit 21 Prozent noch wesentlich geringer; Somalier und Eritreer schneiden ähnlich schlecht ab.
Infolge der unbegrenzten Zuwanderung und hohen Geburtenraten insbesondere bei Migranten aus islamischen Ländern kommt es seit 2015 zu dramatischen Verschiebungen in der Alters- und Geschlechterstruktur. Die Personen mit Migrationshintergrund sind im Schnitt gut 11 Jahre jünger (36 Jahre) als die Autochthonen (47 Jahre). In einzelnen Alterskohorten zeichnen sich geradezu dramatische Veränderungen ab. So haben aktuell etwa 40 Prozent aller 0 bis 10-Jährigen einen Migrationshintergrund. Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen nennt für das Jahr 2011 einen Anteil von Viertklässlern mit Migrationshintergrund von 13,3 Prozent. Zehn Jahre später beläuft sich der Anteil bundesweit bereits auf 38,3 Prozent. In manchen Ländern wie Berlin oder NRW sind es knapp 50 Prozent, Tendenz überall steigend. Auch das Geschlechterverhältnis hat sich drastisch verändert. Seit September 2015 kamen monatlich tausende junger Männer nach Deutschland. Dadurch geriet das gewachsene demografische Gleichgewicht der Geschlechter aus dem Gleichgewicht. In der Altersgruppe zwischen 18 und 36 Jahren dürfte sich das Ungleichgewicht bereits auf mehr als eine Million beziffern. Ohne detaillierte soziologische Analyse kann man vereinfacht sagen, dass in Gesellschaften mit Männerüberschuss sich in der Regel Konflikte verschärfen – ein bis dato von der Politik vollkommen tabuisiertes Thema, das uns zukünftig häufiger beschäftigen wird.
7 bis 8 Millionen Muslime und viele Defizite
In der seit Jahren geführten Zuwanderungsdebatte spielt der religiöse Faktor (Stichwort: Islamkonferenz) die größte Rolle. Nach Hochrechnungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2021 lebten 2019 zwischen 5,3 und 5,6 Millionen Muslime in Deutschland. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung lag zu diesem Zeitpunkt zwischen 6,4 Prozent und 6,7 Prozent und ist seitdem weiter deutlich angewachsen. Präzise Daten gibt es nicht; manchen Schätzungen zufolge leben heute 7–8 Millionen Muslime in Deutschland. Unter den vielfältigen Problemen, die aus der Zuwanderung von Menschen mit ausgeprägtem religiösen Selbstverständnis in eine säkulare Gesellschaft resultieren, fallen die Faktoren der Schulbildung und Berufsausbildung besonders ins Gewicht. Im Jahr 2021 belief sich der Anteil der 18- bis unter 25-Jährigen ohne Schulabschluss bei den Menschen mit Migrationshintergrund auf 16,3 Prozent (ohne Migrationshintergrund: 4,5 Prozent). [6] Was den Anteil der 25- bis unter 35-jährigen Personen ohne berufsqualifizierenden Abschluss betrifft, zeigt sich eine noch größere Diskrepanz: Hier war das Verhältnis mit und ohne Migrationshintergrund 2021: 37,2 Prozent (Personen mit Migrationshintergrund) zu 11,1 Prozent.
Schüler mit muslimischem Hintergrund schließen in allen Bildungsvergleichen durchschnittlich am schlechtesten ab. Das hängt sicherlich auch mit sozioökonomischen Parametern zusammen. Zugleich jedoch zeigen die Bildungserfolge vietnamesischer Schüler, dass erfolgreiche Integration nicht allein vom sozialen Status der Eltern abhängt. Muslimische Einwanderer haben in einer säkularen Gesellschaft offensichtlich mit massiven Problemen zu kämpfen. Diese beruhen u.a. auf dem niedrigen Stellenwert von Bildung, dem Fehlen einer Leistungs- und Arbeitskultur, der Ungleichbehandlung der Geschlechter, der Unterstellung einer Superiorität des Islam mit der Folge einer strikten Zurückweisung der Wertvorstellungen des „dekadenten Westens“, einer kollektivistischen Kultur der Ehre und Schande und nicht zuletzt auf der inferioren Stellung der Frau in einer patriarchalen Gemeinschaft. Es wäre die Aufgabe unvoreingenommener empirischer Forschung, zu ermitteln, in welchem Ausmaß diese Parameter schulische Leistungen und ökonomischen Erfolg beeinflussen. [7]
Die hier mit statistischen Daten charakterisierte Einwanderungsdynamik trifft in den westlichen Ländern und insbesondere in Deutschland auf einen politisch und medial vorherrschenden moralischen Universalismus. Hauptverantwortlich für die Zunahme der von Friedrich Nietzsche so genannten „letzten Menschen“ [8] ist eine Art von „Moral Overstretch“, der keine eigenen Interessen mehr kennt und dem nationale und kulturelle Bindungen und Institutionen fremd, ja verdächtig geworden sind. Der von Beginn an erschreckende Mangel an Vernunft, Skepsis und Reflexion in Politik und Medien in Anbetracht der seit 2015 erfolgenden Masseneinwanderung hunderttausender junger Männer aus den zerfallenden arabischen und afrikanischen Staaten ist selbst erklärungsbedürftig. Deutschland ist zwar aufgrund seiner Geschichte für den „Moral Overstretch“ besonders anfällig; aber auch die Entwicklung in Ländern wie Schweden, Dänemark, Holland und Frankreich zeigt, dass dieses Phänomen sämtliche westeuropäischen Länder und Gesellschaften in Mitleidenschaft zieht.
Zuwanderung aus problematischen Kulturen als Gefahr für die Gesellschaft
Eine tief verankerte Schulddisposition hat in Deutschland zu einer umfassenden – und realitätsfernen – Moralisierung des öffentlichen Lebens geführt. Die offizielle Politik in Deutschland behandelt die Akzeptanz der ungeregelten Einwanderung wie eine Art von „Bußpflicht“, als eine Gelegenheit, die eigene und kollektive Schuld durch die Aufnahme der Opfer und Benachteiligten dieses Planeten abzugelten. Die alte Linke hat im Arbeiter das revolutionäre Subjekt gesehen; nun ist der (nichteuropäische) Migrant, „Schutzsuchender“ genannt, an die Stelle des Proletariats getreten. Er ist der Säulenheilige der neuen linken Utopie und soll das alte, müde und weiße Europa vielfältig und „bunt“ machen, d.h. die nationalen und kulturellen Identitäten zum Verschwinden bringen. Ein kollektives Bedürfnis und eine Sehnsucht nach Anerkennung drängen darauf, das Eigene im Rausch der Begeisterung über die eigene Empfindsamkeit zu opfern.
Wir benötigen keine psychologische Expertise, um zu erkennen, dass Migrationsströme aus despotischen, kollektivistischen, zutiefst verrohten und korrupten Staaten wie Afghanistan, Syrien, Marokko, Somalia oder dem Irak unsere Gesellschaft gefährden, zumal sie auf eine Justiz und eine Polizei treffen, die auf gewaltsame Auseinandersetzungen innerhalb ethnischer und religiöser Gruppen nicht vorbereitet sind. Konfliktträchtig sind insbesondere die vielen enttäuschten Erwartungen, das Ausharren in Massenunterkünften, das Fehlen von Bildungs- und Berufsabschlüssen – Voraussetzungen, um in einer westlich-säkularen Gesellschaft zu reüssieren –, Sprachbarrieren und religiöse Dogmen. Somit ist abzusehen, dass es in deutschen und westeuropäischen Städten immer häufiger zu gewaltförmigen „Konfliktlösungen“ kommen wird – mit deutlich erkennbaren Vorteilen für tribalistische Gemeinschaften gegenüber den „letzten Menschen“, durchgegendert und diversity-sensibel, da sie die Spielregeln demokratischer Übereinkunft nicht anerkennen. Zugleich sehen sich die Ordnungskräfte (der Rest-Leviathan) gehindert, repressive Machtmittel einzusetzen, die einem moralischen Universalismus abstoßend, ja prinzipiell illegitim anmuten – es sei denn, sie richten sich gegen „rechts“, d.h. in den allermeisten Fällen gegen Bürger, von denen nichts zu befürchten ist, wie etwa die Corona-Spaziergänge gezeigt haben.
Kollektivistische Gemeinschaften, die um Familie, Sippe und Clans zentriert sind, besitzen – wie historische Analysen belegen – durchweg ein höheres Gewaltpotenzial als individualistische Gesellschaften. Norbert Elias und der französische Soziologe Emil Durkheim haben in ihren Studien aufgewiesen, dass mit zunehmender funktionaler Differenzierung der Gesellschaft, fortschreitender Arbeitsteilung und mit Affektzwängen und Selbstregulierung die Gruppenbindungen schwächer werden. Das Individuum gewinnt Distanz von Familie und Sippe; Ich und Wir sind nicht mehr identisch. Einzelne Normverletzungen innerhalb der Gruppe werden nicht mehr als persönliche Kränkungen erfahren, und die Ehre wird nicht mehr von einem strengen Gruppencode gewahrt, der bei Abweichungen von moralischen Normen zu Rache oder Sühne verpflichtet. Gewalt wird mehr und mehr geächtet, Aggression als Schwäche betrachtet. Diese in unserer Gesellschaft internalisierten Haltungen und Regulierungen kollidieren nun mit denen völlig andersgearteter Gemeinschaften. Das Hauptproblem der Gegenwart besteht daher nicht in der Gefahr von Exzessen fanatisierter Gewalttäter, sondern ist weit umfassender. Die größte Gefahr für unsere Gesellschaft erwächst aus der Reproduktion von Milieus, die keinerlei Bindung an den Staat und seine Gesetze haben und Loyalität nur gegenüber ihren religiösen, ethnischen und familiären Kreisen empfinden. Ebendiese Gruppen holen wir uns aber – nicht erst seit 2015 – unkontrolliert ins Land. Ein bindungs- und perspektivloses Milieu fördert, toleriert und begeht auch – wie vielfach bereits geschehen – terroristische Akte. Die Berufung auf den Islam fungiert dabei als ideologische Legitimation und begünstigt vielfach die Radikalisierung der Akteure. [9]
Die beschleunigte Einwanderungsdynamik ist wahrscheinlich irreversibel
Letztlich stellt uns die beschriebene Entwicklung vor eine einzige Frage: Kann Europa seine Grenzen schützen, ohne selbst totalitär zu werden? Selbst wenn in naher Zukunft die Grenzen wieder als Schutz und nicht nur als etwas Aufzulösendes betrachtet werden, erscheint es nicht vorstellbar, dass bereits abgelehnte Asylbewerber rasch und in der Größenordnung von Hunderttausenden zurückgeführt werden können. Die notwendigen Rückführungen würden schon alleine an der Kostenfrage und der Logistik scheitern, selbst wenn ein politischer Wille dazu vorhanden wäre. Massentransporte, die Einwanderer gegen ihren Willen entweder auf andere Länder verteilen (Stichwort: Quotenlösung) oder sie, bei Ablehnung des Asylgesuchs, in ihre Heimatländer zurückbringen – falls die Identität überhaupt festgestellt werden kann und der Herkunftsstaat zustimmt – sind in demokratischen Staaten ausgeschlossen. Aus diesem Dilemma können wir uns nicht befreien. Die seit 2015 beschleunigte Einwanderungsdynamik ist daher wahrscheinlich irreversibel.
Im Jahr 1982 konnte der SPD-Kommunalexperte Martin Neuffer im Spiegel noch eine Stellungnahme unter dem dramatischen Titel: „Die Reichen werden Todeszäune ziehen“ veröffentlichen. Mit dem, was er dort äußerte, würde der SPD-Politiker heute nicht nur eine Anzeige wegen Volksverhetzung provozieren, sondern auch aus seiner Partei (sozusagen als ein früher Sarrazin) ausgeschlossen werden. Neuffers Fazit nimmt die Probleme der Gegenwart 1982 in prophetischer Weise vorweg:
„Natürlich müssen wir helfen – sogar bis an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit und unter großen eigenen Opfern. Aber unser kleines Land kann nicht zur Zuflucht aller Bedrängten der Erde werden. Es bleibt uns keine andere Wahl, als das Asylrecht drastisch einzuschränken. Damit sollte aber nicht so lange gewartet werden, bis die ersten Millionen schon hier sind und die Binnenprobleme bereits eine unlösbare Größenordnung erreicht haben. Wir müssen die Frage unverzüglich diskutieren und entscheiden.“ [10]
Dieser Text erschien zuerst in: TUMULT, Vierteljahresschrift für Konsensstörung, Ausgabe Frühjahr 2023
Dr. Alexander Meschnig, geboren in Dornbirn (Österreich), studierte Psychologie und Pädagogik in Innsbruck und promovierte in Politikwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Auf der „Achse“ analysiert er unter mentalitätsgeschichtlicher und psychologischer Perspektive die politische und gesellschaftliche Situation in Deutschland.
Fussnoten:
[1] Zum Youth Bulge als Hauptursache für gewalttätige Konflikte, Bürgerkriege und Fluchtbewegungen vgl. Gunnar Heinsohn: Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen. München 2008. Afrika, der Kontinent mit der höchsten Geburtenrate, wächst jede Woche um etwa eine Million Menschen. Es spielt deswegen überhaupt keine Rolle, ob Deutschland jedes Jahr 200.000, 500.000 oder noch mehr Migranten aufnimmt. Millionen weiterer Auswanderungswilliger stehen allein in Afrika bereit. Aber so genau will das niemand wissen. Man schließt hierzulande gern die Augen und fordert, von nebulösen Formeln wie „europäische Lösung“ abgesehen, die „Fluchtursachen zu bekämpfen“. Vgl. Alexander Meschnig: „Eine neue Form der Kolonisierung?“, in: TUMULT, Herbst 2018, S. 12-17
[2] Niemand spricht im Übrigen darüber, was der millionenfache Zustrom für diejenigen bedeutet, die die Integration der Neuankommenden in ihrem Lebensumfeld faktisch zu bewerkstelligen haben. Den Dauergeschichten sympathischer Flüchtlinge in den Haltungsmedien stehen keine Geschichten von verzweifelten Einheimischen gegenüber, deren Welt sich gegen ihren Willen verändert, die ihre Straße, ihr Dorf, ihre Stadt nicht mehr erkennen und ihr vertrautes Umfeld zunehmend als fremd wahrnehmen. Allein, wer eine solche Äußerung des Fremdseins, des Verlustes an Heimat, des Unwillens, die von außen erzwungenen Veränderungen zu begrüßen, von sich gibt, wird von den Tugendwächtern sofort als ewiggestrig denunziert und in den Medien als Beispiel für den latenten Ausländerhass in Deutschland vorgeführt.
[3] Dimitrios Kisoudis: Was nun? Vom Sozialstaat zum Ordnungsstaat (Die Werkreihe von TUMULT, #2). Waltrop/Berlin 2017, S. 99.
[4] Rolf Peter Sieferle: Das Migrationsproblem. Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung (Die Werkreihe von TUMULT, #1). Waltrop/Berlin 2016, S. 29.
[5] Dass statistische Zahlen im „Zeitalter des Postfaktischen“ für die Vertreter einer unbegrenzten Einwanderungspolitik keine Bedeutung mehr haben, zeigte bereits 2010 die Debatte rund um Thilo Sarrazins Beststeller Deutschland schafft sich ab. Der Hauptvorwurf an den Autor reduzierte sich darauf, dass dieser mit (falschen) Zahlen operiere, Zahlen aber schon per se abstrakt und deshalb menschenverachtend, vulgo: rechts, seien. Haltung/Ideologie steht über Fakten/Realität. (siehe hier)
[6] Leider gibt es hier keine genaue Aufschlüsselung nach Herkunftsländern, wie sie etwa Thilo Sarrazin in Deutschland schafft sich ab vorgenommen hat.
[7] Die 2002–04 erstellten Arab Human Development Reports im Auftrag der Vereinten Nationen konstatieren, was die arabischen Länder heute noch kennzeichnet: die geringsten politischen Rechte für Bürger, die niedere gesellschaftliche Stellung der Frau, die meisten Analphabeten, die geringste Innovationskraft, die wenigsten wissenschaftlichen Patente. Selbst die Anzahl der übersetzten Bücher ist verschwindend gering. Alle Voraussetzungen für eine langfristig prosperierende Wirtschaft fehlen: persönliche Disziplin, korruptionsfreie Räume, Leistungsgratifikationen, Innovationsdynamiken, kurz, ein Bildungs- und Arbeitsethos, die entscheidende Grundlage für die westliche (und ostasiatische) Dominanz in Wissenschaft und Forschung. Siehe dazu: Siegfried Kohlhammer: „Kulturelle Grundlagen wirtschaftlichen Erfolgs“, in: Merkur, Nr. 691 (Nov. 2006).
[8] Friedrich Nietzsche hat in seiner autobiografischen Schrift Ecce homo, 1908 posthum erschienen, als einer der ersten im „guten Menschen“ eine Gefahr gesehen: „Die Existenz-Bedingung der Guten ist die Lüge –: anders ausgedrückt, das Nicht-sehn-wollen um jeden Preis, wie im Grunde die Realität beschaffen ist. (…) In diesem Sinne nennt Zarathustra die Guten bald ‚die letzten Menschen‘, bald den ‚Anfang vom Ende‘; vor Allem empfindet er sie als die schädlichste Art Mensch, weil sie ebenso auf Kosten der Wahrheit als auf Kosten der Zukunft ihre Existenz durchsetzen. (…) Die Guten – die waren immer der Anfang vom Ende.“ (Friedrich Nietzsche: Ecce Homo. Wie man wird, was man ist. Köln 2007 (Orig. 1908), S. 121.
[9] Alle (linken) Vorstellungen von Integration gehen am eigentlichen Problem weit vorbei: Es existiert vielfach bei Einwanderern kein Wunsch nach Integration, sondern nach Differenz zum als dekadent empfundenen Westen, da diese Abgrenzung Identität verspricht.
[10] Martin Neuffer: „Die Reichen werden Todeszäune ziehen“, in: Der Spiegel, Nr. 16/1982.