Dass ein Antisemitismusbeauftragter Juden öffentlich „rechtsextrem“ nennt, darunter seit Neuestem auch einfache Mitglieder jüdischer Gemeinden, ist ein in Deutschland bislang einmaliger Vorgang.
Die Causa des Antisemitismusbeauftragten von Baden-Württemberg, Dr. Michael Blume, hat in den letzten Tagen eine neue Wendung genommen. Mittlerweile verdichten sich die Hinweise, dass Blume wie auch der baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann die Öffentlichkeit nicht nur über das wahre Ausmaß von Blumes Aktivitäten in sozialen Medien unvollständig informiert haben, derentwegen er Ende des vergangenen Jahres vom Simon Wiesenthal Center in dessen Antisemitismus-Liste von 2021 aufgenommen worden ist (Achgut.com berichtete darüber).
Der Vorwurf der Antisemitismusjäger aus Los Angeles rund um den Zentrumsleiter Rabbiner Marvin Hier und seinen Stellvertreter Rabbi Abraham Cooper hatte es in ihrer am 28. Dezember 2021 veröffentlichten Liste in der Tat in sich. Schrieben sie doch dem von der Landesregierung Kretschmann eingesetzten Blume zu, sich „an antisemitischen und antiisraelischen Aktivitäten in den sozialen Medien zu beteiligen“, indem er beispielsweise „Vergleiche zwischen Israel und Nazis“ dort „liken“ würde.
So konkretisierte das Wiesenthal Center in seiner Antisemitismus-Liste, dass Blume „seit 2019 seine Social-Media-Aktivitäten fortgesetzt habe, bei denen er ein Facebook-Posting mit ‚Gefällt mir’ markierte, in dem Zionisten mit Nazis verglichen wurden". Das Staatsministerium Baden-Württemberg, die Behörde des Ministerpräsidenten Kretschmann, in der die Geschäftsstelle des Antisemitismusbeauftragten angesiedelt ist, verneinte jedoch am 15. Februar 2022 in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage, ob ihm jene Äußerung Blumes bekannt sei, in der dieser Zionisten mit Antisemiten verglichen habe.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann selbst bezeichnete Anfang Februar 2022 in einem Brief an das Wiesenthal Center dessen Vorhaltung als „Rufschädigung des Beauftragten und des Landes Baden-Württemberg […], die jeglicher Grundlage entbehrt“. So hätten „nicht näher bestimmte ‚Likes’ oder ‚Retweets’ in einer Liste mit dem Verhalten des Iran und der Hamas gleichzusetzen, […] im gesamten Land großes Unverständnis hervorgerufen und dem Ansehen des Simon Wiesenthal Centers erheblich geschadet“.
Blume und sein „Klischee vom stets klugen Juden“
Die offizielle Version der baden-württembergischen Landesregierung erscheint zweifelhaft. Malca Goldstein-Wolf, eine deutsch-jüdische Aktivistin gegen Antisemitismus, hatte nämlich am 9. Oktober 2019 im sozialen Medium Twitter zwei Screenshots veröffentlicht, die Blumes „Like“ für einen Facebook-Post dokumentieren, in dem Zionisten mit Nazis in eine Reihe gestellt wurden. In einem Offenen Brief an Blume im Juli 2021 wies Goldstein-Wolf erneut auf diesen Vorfall hin.
Aber nicht nur das. Offenbar beschränken sich die vom Wiesenthal Center angemahnten Aktivitäten nicht allein auf soziale Medien, wie es Blume erst vor Kurzem im Kommentarbereich eines seiner aktuellen Artikel beim wissenschaftlichen Blogportal SciLogs selbst bekräftigte. So schrieb Blume am 6. Februar 2022, „mit seinem Auftritt bei Servus.TV hat Henryk Broder doch gerade das Klischee vom stets klugen Juden überaus gekonnt widerlegt“. Eine Aussage, die im Kern exakt jenes antisemitische Stereotyp reproduziert, das sie selbst vorgibt, auf humoristische Weise kritisch zu reflektieren.
Dass Blume hier auf Kosten eines jüdischen Publizisten fragwürdige Witze macht, lässt fragen, welches Verständnis Blume eigentlich von seinem Amt hat. Immerhin heißt es in der offiziellen Aufgabenbeschreibung des Antisemitismusbeauftragten: „Ein Teil seiner Aufgabe ist es, die Gesellschaft für aktuelle und historische Formen des Antisemitismus zu sensibilisieren.“
Blume mahnt das SWC ab
Bezeichnend in diesem Kontext ist auch die jüngste Äußerung des Antisemitismusbeauftragten Blume zu seiner Einordnung in die Antisemitenliste. Warf er doch am 18. Februar 2022 auf Twitter dem Wiesenthal Center vor, den Namen von Simon Wiesenthal „politisch missbraucht“ zu haben. Und äußerte sogar weiter in Richtung der Antisemitismusjäger: „Gerade wer Antisemitismus inklusive Antizionismus bekämpfen und die Demokratien auch in Israel und den USA verteidigen will, sollte offensichtlichen Missbrauch von Namen jüdischer Verstorbener nicht hinnehmen.“
Das Zentrum um Rabbiner Marvin Hier und Rabbi Abraham Cooper missbraucht also den Namen eines jüdischen Verstorbenen (!), so Blume. Solch eine Aussage muss man als Antisemitismusbeauftragter auch erst einmal treffen.
Doch damit nicht genug. Mittlerweile trifft Blumes Bannstrahl sogar einfache Mitglieder jüdischer Gemeinden in Deutschland. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sprach Blume am 10. Februar 2022 nämlich von „rechtsextreme[n] Menschen in den jüdischen Gemeinden (sic!), die sagen, wenn er [also Blume] mit einer Muslimin verheiratet ist, dann kann das kein echter Verbündeter sein“.
Juden, die ein Problem mit Nichtjuden haben
In einem Artikel bei SciLogs vom 11. Februar 2022 beteuerte er erneut, dass manche „Jüdinnen und Juden […] ein massives Problem mit Nichtjuden, mit Deutschen, mit Muslimen, mit religiös gemischten Ehen usw. haben“, denn „Extremisten gibt es in jeder Gesellschaft“.
Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Interview-Aussage, den Malca Goldstein-Wolf in einem Facebook-Post vehement bezweifelte, sollte ein deutscher Antisemitismusbeauftragter eigentlich darum wissen, dass eine Qualifizierung als „Rechtsextremist“ in Deutschland im polit-medialen Diskurs meist ausschließlich mit dem Nationalsozialismus assoziiert wird. In ihrem Kommentar bemerkte Goldstein-Wolf daher: „Warum Blume ausgerechnet Juden im Interview diffamiert, ist für einen Antisemitismus-Beauftragten recht befremdlich.“
Der Publizist Dr. Naftali Hirschl wies zudem in einem Statement darauf hin, dass Blume „ins Blaue ohne Belege“ reden und so „jüdische Gemeinden als Gemeinden, wo Rechtsextreme ungestört ihr Unwesen treiben können“, verunglimpfen würde. Solche Ansagen beschädigten „den Ruf jüdischer Gemeinden und befördern Antisemitismus“, so Hirschl weiter.
Denn wie Blume hiermit glaubhaft als „Ansprechpartner für die Belange jüdischer Gruppen“ beziehungsweise „Vermittler für Antisemitismusbekämpfung“ wirken kann, wie es der baden-württembergische Landtag bereits 2018 in seiner Stellenbeschreibung ja adressierte, steht dabei tatsächlich als offene Frage im Raum.
Blume weiß, was ein Jude am Schabbat darf und was nicht
Auch in Blumes Dauerfehde mit Benjamin Weinthal, einem israelischen Korrespondenten der Tageszeitung Jerusalem Post, den er aufgrund seiner Berichterstattung und journalistischen Arbeitsweise schon einmal mit „Rufmord“ in Zusammenhang gebracht beziehungsweise einen „Troll“ genannt hat, ließ sich Blume erst im September des vergangenen Jahres im sozialen Medium Twitter dazu hinreißen, Weinthal als „Rechtsextremisten“ zu bezeichnen.
Am 29. Januar 2022 wiederholte er seinen Vorwurf an Weinthal auf Twitter: „Finde es bezeichnend, dass Weinthal auch am Schabbat und an jüdischen Feiertagen das Trolling nicht lassen kann. Er missbraucht Religion wie Rechtsextreme anderer Gesellschaften auch.“ Warum Blume hier Weinthals jüdische Existenz ins Spiel bringt, sie dabei auf eine religiöse Komponente reduziert und überdies mit Rechtsextremismus verbindet, lässt fragen, welches Verständnis der Antisemitismusbeauftragte Blume eigentlich vom Judentum hat.
Da kann es nur als Hohn erscheinen, dass Blume selbst in seinen „Handlungsempfehlungen – Was tun im Kampf gegen Antisemitismus?“ aus dem „1. Bericht des Beauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus“ aus dem Jahr 2019 konstatierte, dass „Medienschaffende […] wie wenige andere Berufsgruppen im Netz und darüber hinaus antisemitische Anfeindungen [erleben]“.
Dass ein Antisemitismusbeauftragter Juden öffentlich „rechtsextrem“ nennt, darunter seit Neuestem auch einfache Mitglieder jüdischer Gemeinden, ist ein in Deutschland bislang einmaliger Vorgang, der zudem ein neues Licht auf die Anschuldigungen des Wiesenthal Centers wirft. Aus der Luft gegriffen erscheinen sie somit nicht. Allerdings sind derlei Äußerungen bislang folgenlos für Blume geblieben.
Die baden-württembergische Landesregierung von Ministerpräsident Kretschmann ist nunmehr gefragt, diesbezüglich eine vollumfängliche Aufklärung sicherzustellen. Insbesondere muss sie dabei beantworten, warum ihr Antisemitismusbeauftragter, Dr. Michael Blume, wiederholt Juden, ob nun Journalisten oder gar einfache Gemeindemitglieder, mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht hat.