Thilo Schneider / 08.03.2020 / 10:00 / Foto: Timo Raab / 41 / Seite ausdrucken

Michael ante portas

Wenn es an einem Samstag gegen 11.00 Uhr klingelt, dann ist es entweder die Post oder mein Freund Markus, der eben im Café unten sein Frühstück hatte und jetzt noch auf ein Schwätzchen vorbeikommt. Deswegen habe ich mir auch nichts dabei gedacht, als auf meine Nachfrage an der Gegensprechanlage, wer denn da sei, eine Männerstimme mit „Ich bin´s“ geantwortet hat und habe die Türe geöffnet. Vor mir steht da ein junger Mann in Jeans, Borussia-Dortmund-Trikot und einer Daunenjacke und einem prächtigen Vollbart. Ich schätze ihn so auf etwa 25 bis 30 Jahre. „Ehm, guten Tag“, sage ich und er nickt, schiebt mich zur Seite und setzt sich auf die Wohnzimmercouch. 

„Entschuldigung, aber was soll das?“, will ich wissen. Der Mann sieht mich an. „In meiner Wohnung hat es gebrannt“, sagt er. „Oh“, gebe ich höflich zurück, „das tut mir leid. Aber was tut das zur Sache? Wer sind Sie?“ Mein Besucher bleibt ganz ruhig. „Nennen sie mich… Nennen Sie mich Michael!“, schlägt er nach kurzem Zögern vor und fügt hinzu, „ich bin Ihr Nachbar“. Das verblüfft mich, denn ich habe gar kein Feuer in der Nachbarschaft bemerkt. „Ich habe gar kein Feuer in der Nachbarschaft bemerkt“, teile ich ihm mit.

„Klar nicht“, sagt er, „das war ja auch in Berlin. Haben Sie nicht gehört, dass es in Berlin gebrannt hat?“ Ich überlege. Habe ich irgendetwas von einem Großbrand in Berlin nicht mitbekommen? Gibt es erste Meldungen, warum das die Schuld der AfD ist? Twittern Stegner und Esken sich schon die Fingerspitzen wund? Nein. Ich bin völlig ratlos. „Wann soll das gewesen sein?“, will ich wissen, „jetzt erst kürzlich?“ „Nein“, sagt der Mann und entledigt sich seiner Jacke. Vor ungefähr acht Monaten.“

Jetzt setze ich mich auch: „Nur, damit ich das richtig verstehe: Sie heißen Michael, behaupten, Sie seien mein Nachbar, kommen aber aus Berlin, das 500 Kilometer entfernt ist und wo ihre Wohnung vor acht Monaten ausgebrannt ist. Habe ich das korrekt wiedergegeben?“ Michael, der bärtige Berliner Junge, schnauft. „Ja, das trifft es ganz gut“, bestätigt er. „Okay. Und was habe ich damit zu tun?“, will ich wissen.

„Ich wohne ab jetzt hier“, gibt er zurück und fängt an, sich die Schuhe auszuziehen. „Ehm, bitte?“, ich glaube mich verhört zu haben. „Du hast ganz richtig gehört“, duzt er mich plötzlich an, „ich wohne ab jetzt hier!“ „Eher nicht!“, knurre ich ihn an. „Ich kann Dir auch die Fresse polieren“, knurrt er zurück und ich schrumple in mich zusammen, „außerdem ist es Deine menschliche Pflicht, einem Kind in Not zu helfen.“ „Kind in Not? Wo?“, will ich wissen. „Ich“, sagt er, „ich bin das Kind in Not. Ich bin Fünfzehn.“ Ich sehe mir meinen ungebetenen Gast näher an. Dichter Bart, Fältchen um die Augen, grobe Poren… „Nie und nimmer sind Sie fünfzehn Jahre alt“, schließe ich meine Betrachtung ab. „Doch“, sagt der Mann, „bin ich!“ 

Für mich klingt das eher nach Hessisch!

Ich lasse mich nicht auf den Arm nehmen: „Na, dann zeigen Sie mal Ihren Ausweis!“ Er lächelt. „Den habe ich verloren und den konnte ich auch nicht mitnehmen, als das Feuer ausbrach“, erklärt er und ich habe das Gefühl, er verscheißert mich. „Hören Sie“, sage ich, „Sie kommen hierher, geben irgendeinen Namen, irgendeinen Herkunftsort und irgendein Alter an, Ausweis haben Sie auch keinen und erzählen mir außerdem Einen vom Pferd und haben die Unverschämtheit, sich hier einfach die Schuhe auszuziehen. Ich glaube Ihnen kein Wort. Sie sprechen nicht einmal Berliner Dialekt. Nicht ansatzweise! Für mich klingt das eher nach Hessisch! Und einer faustdicken Lüge.“

Der angebliche Michael sieht mich intensiv an: „Du kannst ja meine Familie fragen, wenn Du mir nicht glaubst.“ „Aha, und wie soll ich die Familie fragen, wer soll das sein?“, will ich wissen. „Das erfährst Du schon noch, wenn sie dann da sind. Meine Eltern, meinen Onkel, meinen Cousin, meine Frau, meine Schwestern und meine Kinder!“, legt er dar. „Wie? Was bedeutet „wenn sie da sind“?“, meine Wut wandelt sich in Entsetzen. „Außerdem haben Sie eben Kinder gesagt! Ich denke, Sie sind erst Fünfzehn“, rekapituliere ich weiter. „Bei uns bekommt man früh Kinder“, erklärt er, „und sie sind auch schon auf dem Weg hierher!“ „Hierher? In meine Wohnung? Sind Sie noch zu retten?“, schreie ich ihn an. „Ja“, gibt er trocken zurück, „von Dir!“

Er streckt seine Beine auf meiner Couch aus. „War ganz schön weit von Berlin hierher“, sagt er, „was gibt’s denn zu essen?“ Ich bin ob der Selbstverständlichkeit seiner Frage derart verblüfft, dass ich automatisch antworte: „Ich hatte heute Abend Rippchen mit Kraut geplant.“ „Das esse ich nicht, das ist ekelhaft“, stellt er fest, „Fisch wäre gut. Kannst Du Fisch besorgen?“ Ich springe auf und brülle ihn an: „Sonst noch was? Frühstück ans Bett? Raus hier!“ Mein Berliner Michael mit dem hessischen Zungenschlag lächelt: „Nö. Jetzt bin ich nun einmal hier. Hübsche Einrichtung übrigens. Obwohl ich gerne einen anderen Schrank hätte und die Couch…“, er räkelt sich kurz, „…ist ein wenig unbequem. Du könntest mir eigentlich eine Couch kaufen. Meine ist ja leider verbrannt!“ 

Das Bett vom Schatz und mir ist groß genug

Ich explodiere! „Ich rufe die Polizei“, brülle ich ihn an, „das ist Hausfriedensbruch, Diebstahl, Besetzung, Landnahme, Terrorismus, ich lasse Sie einbuchten. Gehen Sie! Hauen Sie ab! Gewinnen Sie Land! Verschwinden Sie! Das ist meine Wohnung!“ Michael lächelt: „Ja, das könntest Du tun. Aber, was meinst Du, wie sieht die Schlagzeile in Deiner Heimatzeitung aus? „Reicher Autor setzt armes minderjähriges Brandopfer und seine Familie vor die Tür“. Kommt ziemlich ungut bei Deinen Kunden und potentiellen Wählern an, findest Du nicht auch?“ 

Doch. Finde ich auch. Dass das sehr ungut wäre. Deswegen wohnt Michael jetzt seit zwei Monaten, seine Familie seit zwei Wochen bei uns. Wir sind alle zusammengerückt und das Bett vom Schatz und mir ist auch groß genug, um auch den beiden Kindern von Michael Platz bieten zu können. Sie bereichern uns sehr mit ihrer lustigen hessischen Sprache, die wir nicht verstehen, wenn sie schnell sprechen. Einmal in der Woche kocht Elsbeth, so hat sich Michaels Frau uns vorgestellt, für uns alle traditionelle Fischgerichte aus ihrer Heimat, wo immer diese sein mag, ansonsten versorgen wir Michael und seinen Anhang mit, wenn wir nicht gerade seinen Onkel zum Arzt fahren, weil der Rücken hat. 

Wir haben uns ganz gut miteinander arrangiert, auch wenn ich natürlich kein Bargeld mehr herumliegen lasse. Obwohl Michael neulich ein Zehn-Cent-Stück gefunden und bei mir abgegeben hat, kostet uns die Bewirtung des ganzen Clans schon eine Menge Geld. Lange kann das aber nicht mehr dauern, denn Michael hat glaubhaft versichert, dass er mit seiner Familie wieder nach Berlin geht, sobald irgendjemand seine Wohnung wieder aufgebaut und eingerichtet hat. Bis dahin wollen er und sein Anhang bleiben. Müssen sie auch alle. Wo sollen sie sonst hin? Was tut man nicht alles aus Nächstenliebe? Fast schon so viel wie aus Angst.  

(Weitere Feigheiten des Autors auch auf www.politticker.de

Foto: Timo Raab

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Karsten Kaden / 08.03.2020

Na wenigstens hat Michael nicht in ihrer Wohnung den Nero gegeben…

Leo Hohensee / 08.03.2020

Hallo Herr Schneider, das Bild wird erst richtig “rund” wenn Sie in einer Wohnanlage mit einem Gemisch aus Eigentums- und Mietwohnungen leben und der / die Vorsitzende des Verwaltungsrates mit größtem Mitgefühl für die Not von Michael eine Einquartierungs-Entscheidung getroffen hat: “alle haben sich räumlich einzuschränken; ein Ablass der Sünden kann nur erreicht werden durch die Übernahme der finanziellen Lasten vollumfänglich und durch eigene Anpassung an die fremden Sitten und die fremden Kulturen.”  Selbstverständlich sieht der /die Vorsitzende des Verwaltungsrates diese Entscheidung als Verpflichtung für ALLE an. Die Mieter in den Mietwohnungen, die sich die Übernahme der Kosten nicht leisten können - manche wollen auch nicht - egal, die können ja ausziehen. Jedenfalls erfolgte die Zusage zur Gastfreundschaft aus reiner Menschlichkeit, der Tross ist nun mal unterwegs! Seltsam bei dem Ganzen ist nur, dass der / die Vorsitzende selbst nicht von Einschränkungen und Lasten betroffen ist. Der / die Vorsitzende betreibt die Verwaltung gewerblich, sie bekommt für ihre Arbeit ein Salär, dass von der Eigentümergemeinschaft aufgebracht werden muss!

giesemann gerhard / 08.03.2020

Nun, hessisch is ja gar kei’ Sprach, sondern so, wie wenn einem ein Hund mit seiner weischen Zunge übers Gesischt leckt.

Fanny Brömmer / 08.03.2020

Die Metapher ist schräg, Herr Schneider. Michael und seine ganze verlogene, asoziale, arbeitsscheue, parasitäre Sippschaft quartieren sich bei einer Durchschnittsfamilie in Aleppo, Karachi, Kabul, Algier, Mogadishu, Kinshasa etc pp ein, Hauptsache Syrien. Horst, Alex, Thorsten, Wolfgang und all ihre Brüder, Freunde, Kumpels, Schulkameraden, Nachbarn aus dem heimatlichen Dorf, Land, Unkulturkreis machen sich mit ihrer jeweiligen Sippe in den Wohnungen der anderen Bewohner von Aleppo etc breit, lassen sich dort rundum versorgen und bedienen und v… erlieben sich in die Töchter, Mütter, Großmütter, während sie den Jungs, Vätern und Großvätern die Köpfe zertreten. Zerwuscheln, muss es natürlich heißen. Gehört zum full service package dazu. Aber halt! Das wäre ja brutalster KOLONIALISMUS! Dagegen hätten sich ja die Belgier im Kongo wie Nonnen im Klostergarten verhalten!

Klaus Schmid Dr. / 08.03.2020

Kein Wunder dass die deutschen Weiber so versessen auf die Energie-geladenen, Trauma-gestählten Neubürger sind, die sich so wohltuend von den einheimischen Waschlappen unterscheiden.

Rudi Knoth / 08.03.2020

Aber in Hessen sind doch Rippchen mit Kraut bekannt. Wiese will dieser Hesse eigentlich Fisch haben? Nur wenn er keinen Perso mehr hat, wie schaft er und seine Familie es dann mit der Ummeldung der Wohnung?Aber trotzdem eine gute parabel zu der Situation mit den “Flüchtlingen”, die hier nach Deutschland wollen.

Heinz Gerhard Schäfer / 08.03.2020

Sehr geehrter Herr Schneider,- könnten Sie auch noch eine Fortsetzung schreiben, wie diese (Ihre) Geschichte weitergehen wird? Würde mich brennend interessieren!

Heiko Engel / 08.03.2020

Ähhh…ja. So ginge es auch. Die Verantwortlichen lassen diese schrägen Figuren besser bei sich wohnen. Man sollte als Verantwortungsträger, auch auf dem intellektuellen Niveau eines Silberfischchens, immer mit guten Beispiel vorangehen. Und bedenken Sie, Herr Schneider, WIR sind vielmehr. Noch wissen wir es nicht. Aber das entwickelt sich. Apropos, wie entwickelt sich Ihr Verhältnis zu Lindtners Kasperbude ? Wollten Sie nicht demissionieren ? Sonnigen Sonntag.

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