Klar, dass künftig noch vielen Frauen (und hoffentlich auch Männern) sexuelle Belästigungen einfallen werden, welche sie lange verdrängt hatten. Diese aber nun einer dank #meeto sensibilisierten Öffentlichkeit offenlegen können. Wussten Sie übrigens, dass Deutschland bei dem Thema Pionierarbeit geleistet hat?
Spätestens seit Januar 2013, als der Artikel „Der Herrenwitz“ (hier) erschien. In dem bravourösen Stück, das zufällig zeitnah zur Bundestagswahl erschien, enthüllte eine damalige „Stern“-Redakteurin, was ihr vor Jahresfrist nächtens an einer Hotelbar widerfahren war.
Nämlich schändliche Komplimente aus dem Rachen des weinseligen FDP-Oldtimers Rainer Brüderle („Sie könnten ein Dirndl auch ausfüllen“). Damit war #dirndlgate geboren; der Hashtag #aufschrei folgte sogleich. Viele Frauen posteten ähnliche und noch schlimmere Erfahrungen. Die Republik erlebte einen Megaaufreger, die Liberalen kriegten bei der Wahl die Packung.
Es kommt aber noch besser. Die Wurzeln von #metoo reichen zurück bis anno 1980! Da erschien im kleinen Hamburger Buntbuch-Verlag (ein publizistischer Offspin der zeitweise recht erfolgreichen Politsekte Kommunistischer Bund, in deren Dunstkreis auch Jürgen Trittin agitierte) ein autobiografischer Szeneschmöker, der sich wie geschnitten Brot verkaufte. „Der Tod des Märchenprinzen“ handelt von der 24jährigen linken Frau Svende Merian, die per Kleinanzeige nach „unmännlichen Männern“ fahndet.
„Und blubbert und blubbert“
Die Studentin lernt ausgerechnet einen Obermacho kennen. Ein Typ wie aus einem Crumb-Comic, der nur dies im Sinn hat: vögeln, vögeln, vögeln. Um sich dann stante pede auf die nächstbeste Anti-AKW-Demo zu verdrücken. Was man ihm vielleicht nicht wirklich verdenken kann, ist doch die Svende eine frühfeministische Nervensäge der Extraklasse. Sie schwallt ihren „Arne“ (unter dem Klarnamen Henning Venske später als „Sesamstraße“-Bespaßer und Kabarettist bekannt geworden) unablässig mit heftigen Gefühlsschüben zu, will immerfort alles analysieren, diskutieren, politisieren, problematisieren.
„Und blubbert und blubbert“, wie sich ihr Lover in einer Bekenntnisreplik („Ich war der Märchenprinz“) ungalant erinnerte. Über Venskes Version des Beziehungsdramas befand der „Spiegel“: „Liest sich weitaus witziger als der Ur-Märchenprinz.“
Erfolg hatte aber allein der Urprinz. Und was für einen! Nachdem Buntbuch das Werk einige zehntausend Mal verkauft und die Rechte an Rowohlt vertickt hatte – wohl in der irrigen Annahme, das Käuferpotenzial sei ausgeschöpft –, ging der Prinz dank professionellem Marketing erst so richtig ab. Mein eigenes Exemplar, das ich neulich noch mal gelesen habe (der „Märchenprinz” ist für mich – Spiegel hin oder her – ein zwerchfellerschütterndes Erlebnis, obwohl oder gerade weil es von einer komplett humorbefreiten Frau verfasst wurde), dieser rororo-Band also enthält die Impressumsangabe: 551.-557. Tausend Februar 1993.
Alles in allem, so schätzt die Autorin, habe sie fast eine Dreiviertelmillion Stück von ihrem Erstling losgeschlagen. Weit mehr, als Charlotte Roche ihren Bestseller „Feuchtgebiete“ verkaufte, der dem „Märchenprinzen” an vielen unappetitlichen Stellen verblüffend ähnelt.
Svendes Buch mit den nicht enden wollenden Jeremiaden über das ewig Schweinische im Mann, gewürzt mit allerlei Untenrum-Geschichten („Ich werde nie feucht. Wir nehmen Spucke, damit er überhaupt reingeht“), bediente über lange Jahre das Bedürfnis von Leserinnen nach Schmuddelkram, Psychogeschwafel und Selbsterfahrungsgedöns. Hauptsächlich war es aber wohl der epische Masochismus der Hauptfigur, der die weibliche Kundschaft faszinierte. Ach, Svende würde ja so gern die coole linke Powerfrau geben! Schafft es aber lange nicht, von Arne zu lassen. Denn der linke Saukerl kann leider auch ganz schön zärtlich sein.
Einmal kommt es zu einem unflotten Dreier im Hotelzimmer
Mit Svendes #metoo-Copyright verhält es sich so. Am Küchentisch schildert sie Arne einen sexuellen Missbrauch aus der Vergangenheit, der ihr erst spät als solcher aufgegangen ist. Mit 17 hatte sie sich in England in einen Burschen namens John verliebt, mit dem sie um die Pubs zog. Weil die beiden kaum Geld hatten, verfielen sie auf die Beischlafdiebstahlsnummer. Während Svende mit Typen rummachte, leerte John deren Taschen.
Einmal kommt es zu einem unflotten Dreier im Hotelzimmer. Hinterher ist Svende von dem Geschehenen angeekelt. Sie fühlt sich beschmutzt und missbraucht, ähnlich wie Jahrzehnte danach eine gewisse Gina-Lisa. Was war da in England anderes passiert als eine Vergewaltigung?
Dass Svende nach eigenem Bekunden bei dem Dreier mitgemacht hatte? Egal. Zählen sollte doch nur, was eine Frau hernach empfindet. Es keimte also bereits 1980 eine progressive Definition von sexueller Belästigung, die viele der heutigen Feministinnen gerne gerichtsfest hätten: Eine Frau, ein Wort.
Svende versorgt Arne mit Details über die erlebte Vergewaltigung. Zum Beispiel, dass der englische Freund ihr über einen zu Beklauenden zunächst versprochen hatte: „He only wants to lick you.“ Eine glatte Lüge: „Und plötzlich ist er drin.“
Wie reagiert der Märchenprinz? Das Schwein zeigt sich abgetörnt: „Interessiert mich jetzt eigentlich weniger.“
Klar, dass unter solchen Prämissen bei Svende und ihrem Prinzen kein Happy Ending drin ist. Um es kurz zu machen: Nach quälender, doch ergebnisloser Beziehungskistenarbeit, aufgezeichnet über 344 Seiten, bricht Svende mit dem partout nicht umzuerziehenden Macker. Nicht ohne – Fack ju, Venske – zum Abschied eine Warnung an die Schwestern auf ein Fenster von Arnes Altbauwohnung gesprüht zu haben: „AUCH HIER WOHNT EIN FRAUENFEIND“. Beachten Sie das AUCH.
Gerade wir als Deutsche dürfen also mit Stolz sagen: #metoo begann in Hamburg, nicht in Hollywood. Und zwar als #hetoo. Lest we forget.