Wolfgang Röhl / 06.12.2017 / 06:09 / Foto: U.S. N.A.R.A / 10 / Seite ausdrucken

#metoo: Alles begann mit dem Märchenprinzen

Klar, dass künftig noch vielen Frauen (und hoffentlich auch Männern) sexuelle Belästigungen einfallen werden, welche sie lange verdrängt hatten. Diese aber nun einer dank #meeto sensibilisierten Öffentlichkeit offenlegen können. Wussten Sie übrigens, dass Deutschland bei dem Thema Pionierarbeit geleistet hat?

Spätestens seit Januar 2013, als der Artikel „Der Herrenwitz“ (hier) erschien. In dem bravourösen Stück, das zufällig zeitnah zur Bundestagswahl erschien, enthüllte eine damalige „Stern“-Redakteurin, was ihr vor Jahresfrist nächtens an einer Hotelbar widerfahren war.

Nämlich schändliche Komplimente aus dem Rachen des weinseligen FDP-Oldtimers Rainer Brüderle („Sie könnten ein Dirndl auch ausfüllen“). Damit war #dirndlgate geboren; der Hashtag #aufschrei folgte sogleich. Viele Frauen posteten ähnliche und noch schlimmere Erfahrungen. Die Republik erlebte einen Megaaufreger, die Liberalen kriegten bei der Wahl die Packung.

Es kommt aber noch besser. Die Wurzeln von #metoo reichen zurück bis anno 1980! Da erschien im kleinen Hamburger Buntbuch-Verlag (ein publizistischer Offspin der zeitweise recht erfolgreichen Politsekte Kommunistischer Bund, in deren Dunstkreis auch Jürgen Trittin agitierte) ein autobiografischer Szeneschmöker, der sich wie geschnitten Brot verkaufte. „Der Tod des Märchenprinzen“ handelt von der 24jährigen linken Frau Svende Merian, die per Kleinanzeige nach „unmännlichen Männern“ fahndet.

„Und blubbert und blubbert“

Die Studentin lernt ausgerechnet einen Obermacho kennen. Ein Typ wie aus einem Crumb-Comic, der nur dies im Sinn hat: vögeln, vögeln, vögeln. Um sich dann stante pede auf die nächstbeste Anti-AKW-Demo zu verdrücken. Was man ihm vielleicht nicht wirklich verdenken kann, ist doch die Svende eine frühfeministische Nervensäge der Extraklasse. Sie schwallt ihren „Arne“ (unter dem Klarnamen Henning Venske später als „Sesamstraße“-Bespaßer und Kabarettist bekannt geworden) unablässig mit heftigen Gefühlsschüben zu, will immerfort alles analysieren, diskutieren, politisieren, problematisieren.

„Und blubbert und blubbert“, wie sich ihr Lover in einer Bekenntnisreplik („Ich war der Märchenprinz“) ungalant erinnerte. Über Venskes Version des Beziehungsdramas befand der „Spiegel“: „Liest sich weitaus witziger als der Ur-Märchenprinz.“

Erfolg hatte aber allein der Urprinz. Und was für einen! Nachdem Buntbuch das Werk einige zehntausend Mal verkauft und die Rechte an Rowohlt vertickt hatte – wohl in der irrigen Annahme, das Käuferpotenzial sei ausgeschöpft –, ging der Prinz dank professionellem Marketing erst so richtig ab. Mein eigenes Exemplar, das ich neulich noch mal gelesen habe (der „Märchenprinz” ist für mich – Spiegel hin oder her – ein zwerchfellerschütterndes Erlebnis, obwohl oder gerade weil es von einer komplett humorbefreiten Frau verfasst wurde), dieser rororo-Band also enthält die Impressumsangabe: 551.-557. Tausend Februar 1993.

Alles in allem, so schätzt die Autorin, habe sie fast eine Dreiviertelmillion Stück von ihrem Erstling losgeschlagen. Weit mehr, als Charlotte Roche ihren Bestseller „Feuchtgebiete“ verkaufte, der dem „Märchenprinzen” an vielen unappetitlichen Stellen verblüffend ähnelt.

Svendes Buch mit den nicht enden wollenden Jeremiaden über das ewig Schweinische im Mann, gewürzt mit allerlei Untenrum-Geschichten („Ich werde nie feucht. Wir nehmen Spucke, damit er überhaupt reingeht“), bediente über lange Jahre das Bedürfnis von Leserinnen nach Schmuddelkram, Psychogeschwafel und Selbsterfahrungsgedöns. Hauptsächlich war es aber wohl der epische Masochismus der Hauptfigur, der die weibliche Kundschaft faszinierte. Ach, Svende würde ja so gern die coole linke Powerfrau geben! Schafft es aber lange nicht, von Arne zu lassen. Denn der linke Saukerl kann leider auch ganz schön zärtlich sein.

Einmal kommt es zu einem unflotten Dreier im Hotelzimmer

Mit Svendes #metoo-Copyright verhält es sich so. Am Küchentisch schildert sie Arne einen sexuellen Missbrauch aus der Vergangenheit, der ihr erst spät als solcher aufgegangen ist. Mit 17 hatte sie sich in England in einen Burschen namens John verliebt, mit dem sie um die Pubs zog. Weil die beiden kaum Geld hatten, verfielen sie auf die Beischlafdiebstahlsnummer. Während Svende mit Typen rummachte, leerte John deren Taschen.

Einmal kommt es zu einem unflotten Dreier im Hotelzimmer. Hinterher ist Svende von dem Geschehenen angeekelt. Sie fühlt sich beschmutzt und missbraucht, ähnlich wie Jahrzehnte danach eine gewisse Gina-Lisa. Was war da in England anderes passiert als eine Vergewaltigung?

Dass Svende nach eigenem Bekunden bei dem Dreier mitgemacht hatte? Egal. Zählen sollte doch nur, was eine Frau hernach empfindet. Es keimte also bereits 1980 eine progressive Definition von sexueller Belästigung, die viele der heutigen Feministinnen gerne gerichtsfest hätten: Eine Frau, ein Wort.

Svende versorgt Arne mit Details über die erlebte Vergewaltigung. Zum Beispiel, dass der englische Freund ihr über einen zu Beklauenden zunächst versprochen hatte: „He only wants to lick you.“ Eine glatte Lüge: „Und plötzlich ist er drin.“

Wie reagiert der Märchenprinz? Das Schwein zeigt sich abgetörnt: „Interessiert mich jetzt eigentlich weniger.“

Klar, dass unter solchen Prämissen bei Svende und ihrem Prinzen kein Happy Ending drin ist. Um es kurz zu machen: Nach quälender, doch ergebnisloser Beziehungskistenarbeit, aufgezeichnet über 344 Seiten, bricht Svende mit dem partout nicht umzuerziehenden Macker. Nicht ohne – Fack ju, Venske – zum Abschied eine Warnung an die Schwestern auf ein Fenster von Arnes Altbauwohnung gesprüht zu haben: „AUCH HIER WOHNT EIN FRAUENFEIND“. Beachten Sie das AUCH.

Gerade wir als Deutsche dürfen also mit Stolz sagen: #metoo begann in Hamburg, nicht in Hollywood. Und zwar als #hetoo. Lest we forget.

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Leserpost

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Jörg Klöckner / 07.12.2017

@Gabriele Kremmel; @Werner Arning : Vielleicht ist an dieser Stelle die persönliche Beobachtung erlaubt, dass es auffallend viele Frauen waren, die den Einmarsch von Millionen jungen Männern aus patriarchalischen Kulturen bejubelt hatten und weiterhin verteidigen. Noch gut in Erinnerung sind mir die Zeitungsberichte unserer Lokalpresse, die 2014/2015 die korrekte Stimmung und Gesinnung vorbereiten sollten. Etwa die Aktion einer über 50-jährigen ledigen Frau, die eine ganze Gruppe junger Männer in ihrem Gutshaus unterbrachte und auf dem groß gedruckten Foto strahlte, während der von ihr Umarmte gar nicht so glücklich wirkte. Oder anders gesagt: Wie würden wir hier auf der Achse wohl reden, wenn Millionen junger, hübscher, paarungswilliger Frauen in Deutschland um Asyl nachgesucht hätten? Ich glaube, alle Frauen wären sich einig, dass dies die gefährliche Speerspitze einer Invasion sei, und man schnell die Grenzen verteidigen müsse.

Marcus Ingendaay / 07.12.2017

Lieber Wolfgang Röhl, ich geb’s zu, ich hatte das Buch auch—und sogar das Original! Später, Mitte der Neunziger, diente es zu vorgerückter Stunde und in kleiner Whiskey-Runde oft zum Vorlesen (in Auszügen) und Ablachen. Wir dachten ernsthaft, dieser Schwachsinn wäre erledigt. Deshalb wohl flog es bei einem Umzug um die Jahrtausendwende endgültig auf den Müll. OMG, wenn ich gewusst hätte, was erst noch passieren sollte. Ich kann nicht einmal sagen, ich wäre NICHT dabei gewesen. Bitter!

M.C. Mertens / 06.12.2017

Der Herr Venske wäre so gern der Märchenprinz gewesen. Die Replik ist dennoch gelungen und war seinerzeit völlig gefahrfrei, denn man musste als Mann bei der Femanzipation (die übrigens bereits ca. 1977 das Klassenzimmer betrat, Frau Merian ist eher da spät dran)  nicht mitmachen. Dann war man(n) ggf. ein “Schwein”, aber das war es dann auch.  Im Rückblick auf die 70er Jahre; Es ist fast alles schon mal dagewesen, déja vu überall. Der wesentliche Unterschied zu heute ist, dass man sich jetzt nicht mehr auf Meinungsfreiheit berufen kann und Falschmeinungen existenzielle Folgen haben können.  Die Erzählung legt schonungslos den Konflikt zwischen den (politischen) Projektionen und den Wünschen offen, doch die Autorin merkt es nicht.  Zudem möchte sie sich bei all dem politischen Gequäle auch noch als nette Schwiegertochter präsentieren. Arne durchschaut das natürlich, Irgendwann geht ihm Svende auf die Nerven und deshalb endet die Beziehung. Auch das blickt Svende nicht.

Uwe Samsel / 06.12.2017

Und die “Bewegung” #metoo ist jetzt sogar von Time als “Person des Jahres” gekürt.  Meine Fresse, das Denunziantentum kann sich freuen…

Ute Walenski / 06.12.2017

Wunderbar, Herr Röhl, wenn mal einer so über dieses “todesernste” Thema schreibt. Einfach mal was zum Lachen haben, das tut gut! Das Buch kenne ich übrigens gar nicht. Dabei war ich zu der Zeit auch sehr bemüht, dem Herrn Zeitgeist zu gefallen.

Rainer Nicolaisen / 06.12.2017

Ich find die metoo- Bewegung ja soo geil, doch noch großartiger wäre es, solches zu lesen wie: meine Mutter hat mir erzählt, daß ihr vor 60Jahren als Kind von 20Jahren…,oder von der Großmutter heißt es, daß vor 80 Jahren…., und am tollsten wäre: der und jener hat meine Urgroßmutter vor 100Jahren schon… Und was nicht alles vor 1000Jahren alles passiert ist…

Andreas Rochow / 06.12.2017

Die ziemlich chinesisch klingende, hohle “Me too”-Kampagne verdeutlicht, wozu die Digitalisierung die Menschheit bereits befähigt hat: Hysterie hat sich endlich von der Krankheit zur Weltmode emanzipiert. Nebenbei wird gleich noch die große Kunst des Generalverdachts kultiviert.

Frank Hill / 06.12.2017

Wie schön! Eigentlich hätte dieser Beitrag unter die Rubrik “Antidepressivum zum Sonntag” gehört. Ich kann mich erinnern, den “Märchenprinz” einmal in der Hand gehabt zu haben und zwischen Kopfschütteln und Lachanfällen weidlich hin -und hergerissen gewesen zu sein. Nebenbei: Ich hatte nach Lesen dieses Artikels ernsthaft erwogen, diese Buch in meine Bibliothek einzustellen (nicht neben die Beauvoir, Göttin bewahre!, ich hatte mehr an die Abteilung “Absurdica” gedacht) und es tatsächlich antiquarisch im Netz gefunden- ab 0,01€. Den Preis fand ich angemessen, aber die 3 Euro Versandkosten dazu- das war dann doch zuviel. Wenn ich einen Euro ‘drauflege, bekomme ich bei meinem Stammantiquar schon ein entzückendes Bändchen mit den “Venezianischen Epigrammen”. Die sind ihr Geld allemal wert.  Aber dennoch Dank für die Quellenforschung!

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