Ein Neurolinguist von der Freien Universität Berlin will das Klimasprech noch katastrophaler, als es ohnehin schon ist. Dem liegt ein dürrer Gedanke zugrunde, von dem noch nicht einmal das Gegenteil richtig ist.
Die Freie Universität Berlin ist sich nicht zu schade, per Pressemitteilung auf die Veröffentlichung eines jungen Neurolinguisten hinzuweisen, der am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie tätig ist, zwar keine Ahnung vom Thema hat, aber auch mal was zur Rettung der Menschheit vor der Klimaapokalypse beitragen will.
Seine originelle Idee, die es in aufgeblasener Form in die Zeitschrift „Frontiers in Climate“ geschafft hat: Wenn wir nur alles noch etwas reißerischer formulieren könnten, dann würden die Menschen bestimmt aufhören, CO2 auszustoßen. Denn Bálint Forgács hat „die Sprache selbst“ als „eines der zentralen Probleme der derzeitigen Klimakommunikation“ identifiziert: „Die Sprache selbst stellt ein Hindernis für eine offene gesellschaftliche Debatte und die notwendigen politischen und rechtlichen Regelungen dar.“
Da der Mann als Neurolinguist bezeichnet wird, dürfen wir annehmen, dass er sich denkt, dass Sprache irgendwie aufs Gehirn wirkt. Und wenn sie etwas heftiger wirkt, dann wird uns wohl ein Licht aufgehen. Sein Forschungsgegenstand ist nämlich die neuronale Verarbeitung von visuellen Metaphern mit Hilfe der funktionalen Magnetresonanztomographie.
Die Lösung des Problems stellt er sich so vor:
„Eine Änderung der milden Ausdrücke der Klimasprache – von der Kühle der Grundlagenforschung zur Hitze und dem Mitgefühl medizinischer Zusammenhänge – könnte produktivere öffentliche und politische Debatten ermöglichen, die zu wirksameren politischen Lösungen führen könnten. Das Sprechen und Denken in medizinischen Begriffen könnte die Wahrnehmung von Worst-Case-Szenarien von Hypothesen oder Untergangsstimmung in lebensrettende Interventionen verwandeln. In der Regel beginnen wir damit, Fieber zu senken, bevor es außer Kontrolle gerät, geschweige denn die Schwelle zum möglichen Tod überschreitet.
Statt Schönfärberei könnte eine ruhige und ernsthafte Diskussion über Sicherheitsmaßnahmen in medizinischer Hinsicht, z. B. über klimatische Kippkaskaden als Metastasen, eine ehrlichere Bewertung der erforderlichen rechtlichen und regulatorischen Schritte fördern, damit unser Heimatplanet bewohnbar bleibt.“
Puh! Ausgerechnet die Geheimwaffe der Potsdamer Klimafolgenforscher, die ominösen „Kipppunkte“, die normale Klimaforscher schon lange als Panikmache bewerten, möchte er nicht nur zu „Kippkaskaden“ – wer soll mit so einem Wort etwas anfangen können? – aufputschen, sondern uns dann auch gleich noch als „Metastasen“ verkaufen.
Wie einfach Klimarettung geht
Die Kaskaden hat er von Chef-Alarmist Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung übernommen, der zwar noch nicht auf den Trichter mit den Medizinmetaphern gekommen ist, ansonsten aber seit Langem praktiziert, was der junge Neurolinguist fordert. Er spricht von Kaskadenrisiken, Massenaussterben, planetarer Krise und so weiter und so fort. Wir kennen das alles zur Genüge.
Axel Bojanowski verweist in seinem sehr lesenswerten Buch „Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten" darauf, dass der Weltklimarat IPCC von den Kipppunkten keineswegs überzeugt ist. Die Phänomene könnten zwar nicht ausgeschlossen werden, doch es gebe ungenügende Evidenz und einen Mangel an Daten. Er zitiert auch Jochem Marotzke, Kodirektor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie, der auf die Frage, welcher Kipppunkt ihm am meisten Sorge bereite, erwiderte: „Keiner.“ Oder den Klimaforscher Zeke Hausfather, der 2022 konstatierte: „Unsere Modelle berücksichtigen heute so ziemlich alle wichtigen Rückkopplungen oder Kippelemente, von denen wir wissen. Und sie zeigen im Allgemeinen, dass die Reaktion des Klimas ziemlich linear ist – es also nicht ‚kippt‘.“
Bojanowski erzählt auch die Geschichte, wie es zur Erfindung der „Kipppunkte“ durch Rockström-Vorgänger Hans Joachim Schellnhuber gekommen war. Der hielt 2004 einen Vortrag über „Achillesfersen der Erde“, und als ihn ein BBC Reporter um verständlichere Formulierungen bat, fiel ihm das populärwissenschaftliche Buch The Tipping Point ein, das er gerade gelesen hatte. Da geht es zwar um etwas ganz anderes, nämlich hauptsächlich um Marketing, aber egal. Die BBC war zufrieden und titelte „Erde vor Kipppunkten gewarnt”. Und Schellnhuber war auch zufrieden. „Gute Metaphern sind von unschätzbarem Wert“, resümierte er und organisierte gleich eine Konferenz beim britischen Wetterdienst zum Thema, über die der britische Klimaforscher Mike Hulme sagte: „Durch die Inszenierung der neuen Sprache der Katastrophe wurde die Konferenz selbst zu einem Wendepunkt in der Art und Weise, wie der Klimawandel in der Öffentlichkeit diskutiert wird.“
Wir sehen: Wenn einer 2024 auf die Idee kommt, die öffentliche Debatte über das Klima durch eine reißerische Sprache zu manipulieren, ist er nicht gerade seiner Zeit voraus. Der Spiegel beschwor schon 2006 Ernteausfälle, Wüstenbildung, Völkerwanderungen, Wasserknappheit, Korallensterben, Eisbären auf Schollen, Malaria und Kippelemente.
Um die Seiten rund um seine wenig originelle Idee zu füllen, klärt uns der Neurolinguist noch auf, wie einfach Klimarettung geht. Alles, was mit der Entfernung von CO2 aus Abgasströmen oder der Atmosphäre zu tun hat, bezeichnet er als „fiktive Technologien […], meist um weitere Kohlenstoffemissionen zu rechtfertigen.“ Dafür sei keine Zeit und gebe es keinen Bedarf, denn die „derzeit verfügbaren grünen Technologien“ seien „mehr als ausreichend“. Schließlich hätten wir nur noch „5 Jahre Zeit“ und dann sei die Chance auch nur „66 Prozent“, dass wir dem Fiebertod noch entgehen. Herr Forgács weiß Bescheid.
Man müsse halt nur die Vorschriften ändern
Dass er in Wirklichkeit vom Ausmaß der notwendigen Maßnahmen zur Umstellung auf „klimaneutrale“ Energieversorgung keinen blassen Schimmer hat, offenbart Forgács auf eindrückliche Weise, indem er die gigantische globale technologische Transformation, die dafür notwendig wäre, allen Ernstes mit der Umstellung auf bleifreies Benzin und FCKW-freie Kühlschränke vergleicht. Man müsse halt nur die Vorschriften ändern. Und vor allem erstmal die Sprache: Klimawandel und Klimaerwärmung will er durch „Klimazerstörung“ und „Klimaselbstmord“ ersetzen. „Greenhouse“ durch „Hothouse“, „Backofen“ hält er auch für geeignet. Ebenso „Globale Verbrennung“ und „Überhitzung.“ Und natürlich sollte man „übermäßigen Konsum“ als „selbstvergiftenden Drogenmissbrauch“ darstellen.
An einer Stelle klingt an, dass es ein Problem geben könnte: Kosten-Nutzen-Abwägungen. Und deshalb sei die medizinische Sprache so wichtig: „Genau wie medizinische Entscheidungen sind auch umweltpolitische Entscheidungen besser, wenn sie nicht von finanziellen oder ideologischen Erwägungen geleitet werden […].“ Geld darf also keine Rolle spielen. Hier rennt er zumindest bei deutschen Politikern offene Türen ein.
Es wurmt ihn, dass die Gegenseite offenbar nicht auf seine „wissenschaftliche Studie“ gewartet, sondern sich selbst schon geeignetes Vokabular zurechtgelegt hat. Es sei „alarmierend, dass bestimmte Arten, über das Klima zu sprechen, zu einem Tabu geworden sind: Die Erörterung von Worst-Case-Szenarien wird oft als ‚Alarmismus‘ bezeichnet, Hoffnungslosigkeit angesichts jahrzehntelanger Untätigkeit als ‚Untergangsstimmung‘ und die Forderung nach tatsächlichen Nullemissionen als ‚unrealistisch‘.“
Ermutigung von Aktivisten
Was er uns nicht erklärt, ist, wie man den Vorwurf des Alarmismus entkräften kann, indem man sich noch alarmistischere Formulierungen ausdenkt. Hier noch eine Kostprobe für die Sprache, die uns retten soll: „Das Klima verändert sich nicht, es wird zerstört. Die natürlichen Systeme sind nicht besorgniserregend; sie werden verstümmelt. Die biologische Vielfalt geht nicht verloren, sie wird abgetötet. Die technologische Zivilisation und die Homo-sapiens-freundliche Biosphäre unseres Heimatplaneten Erde können noch gerettet werden, wenn unsere Politik anerkennt, dass die Menschheit inzwischen auf der Intensivstation liegt.“
In der Pressestelle der FU ist man nicht einmal in der Lage, den Namen der Zeitschrift richtig zu schreiben, in der der lächerliche Meinungsbeitrag, der aus irgendwelchen Gründen als „Studie“ bezeichnet wird, erschienen ist. Dafür wird beim Gendern von „Aktivist*Innen“ gleich doppelt gemoppelt mit Sternchen und großem Binnen-I. Und warum kommen solche überhaupt vor? Weil „Forschende, Medienschaffende und Aktivist*Innen“ mit der „Studie“ ermutigt werden sollen, „neue, kraftvolle und emotionale Metaphern zu entwickeln und zu verbreiten, die die Dringlichkeit und die Risiken des Klimawandels prägnant und verständlich darstellen.“ An einer der führenden deutschen Hochschulen scheint man keine Skrupel zu haben, nicht etwa die Suche nach Wahrheit, sondern die Ermutigung von Aktivisten zu den vordringlichen Aufgaben der Wissenschaft zu zählen.
An der FU mag man glauben, mit der Verbreitung von solchem Schund einen kleinen Beitrag für eine bessere Welt zu leisten. Tatsächlich unterminiert man das Vertrauen in unsere wissenschaftlichen Einrichtungen nur noch weiter.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Novo Argumente.
Thilo Spahl ist Diplom-Psychologe und lebt in Berlin. Er ist freier Wissenschaftsautor, Mitgründer des Freiblickinstituts und Redakteur bei „Novo“. Dieser Beitrag erschien zuerst bei Novo-Argumente. Mehr von Thilo Spahl lesen Sie im Buch „Schluss mit der Klimakrise: Problemlösung statt Katastrophenbeschwörung“.
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