Dushan Wegner, Gastautor / 07.07.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 56 / Seite ausdrucken

Messeralltag und Mitgefühl

Mit den Lockdowns schien auch die Messergewalt weniger zu werden. Doch die Ausgangsverbote sind vorbei – und die Gewalt ist wieder da. Doch man redet nicht mehr darüber. Werdet nicht kalt wie die Linken, nicht innerlich tot wie die Journalisten, nicht abgehoben und weltfremd wie Politiker.

Man gewöhnt sich an alles, nur an Schmerzen, an die gewöhnt man sich nicht – und das ist tatsächlich lebensrettend. Schmerz weist auf ein Problem hin. Die Natur sagt uns: „Kümmere dich um das Problem, das den Schmerz verursacht – jetzt!“ Und manchmal ist es ein größeres Problem, wenn sich kein Schmerz einstellt, etwa wenn mit einem inneren Organ etwas nicht stimmt.

Apropos inneres Organ: Es ist gar nicht so lange her, dass Meldungen über den „zweckfremden Einsatz“ von Schneidegeräten noch die deutsche Republik bewegten – ich meine: Messerstechereien. Ein Messerstich in die Leber, oder andere lebenswichtige Organe, so etwas war das Thema des Tages. Und wir kannten auch die Routine. Jemand hatte jemanden mit dem Messer gepiekst. Schneller als das Opfer „Ufff!“ sagen konnte, schwärmten die Wachbataillone politischer Korrektheit aus, um zu verhindern, dass jemand unangenehme Fragen zum Geschehen stellt. Igendwann kam die Wahrheit dann doch heraus, und wir redeten darüber.

Dann wurde es ruhig um die schnell gezückten Messer. Das hing wohl mit der Corona-Panik zusammen, und mit Ausgangsverboten. Wenn keiner draußen ist, dann kann auch keiner draußen abgestochen werden. Jedoch, der Lockdown wurde wieder aufgehoben, und auch die Messer sind wieder da. Ist Ihnen aber aufgefallen, was nicht wiederkam? Die Aufregung über Messerstecher, die bleibt heute aus. Es passiert jedoch weiterhin!

Aus Berlin wird ganz aktuell getitelt: „Überfallen, ausgeraubt und in den Bauch gestochen“ (berliner-zeitung.de, 3.7.2022). Soso. Wie sind die Zustände dort sonst so? Berlin litt in derselben Nacht offenbar zum wiederholten Mal an fehlenden Rettungswagen. Nun, wer 1 Million Euro für die „autofreie Friedrichstraße“ ausgibt (tagesspiegel.de, 26.4.2022) oder 6 Millionen Euro für das „Flussbad Berlin“ im Spreekanal (n-tv.de, 1.7.2022), dem bleiben halt keine 200.000 Euro pro Rettungswagen übrig in seinem „Gender Budgeting“ (berlin.de).

So isset halt in Berlin

Mehr aus dem linken Traumland Berlin: „Mann bei Messerangriff im Gesicht verletzt“ (berliner-zeitung.de, 3.7.2022). Ein „Unbekannter“ hat einem Mitmenschen via Messer mehrere „Schnittverletzungen im Gesicht, am Rumpf und an den Armen zugefügt“ (berliner-zeitung.de, 3.7.2022). Dass der Schwerverletzte überhaupt in ein Krankenhaus gebracht werden konnte, das gilt in Berlin heute wohl schon als Glück.

In Neukölln fand ein Streit samt Messerstecherei am Döner-Imbiss statt (berliner-zeitung.de, 3.7.2022). Der schwerverletzte Unterlegene wurde mit einem Rettungswagen für Schwerlastpatienten ins Krankenhaus gebracht – es standen schlicht keine regulären Rettungswagen zur Verfügung. (Es wäre interessant, herauszufinden, ob mehr Leute mit Messerverletzung oder mit Covid-19 in Berliner Krankenhäusern liegen.)

Manchmal wird mit dem Messer ja bloß gedroht: Vier junge Männer überfielen eine 87-Jährige und ihren 81-jährigen Ehemann, drohten mit dem Messer (berliner-zeitung.de, 2.7.2022). So isset halt in Berlin, da geht es etwas ruppiger zu. Und manchmal hat der eine Beteiligte ein Messer und der andere ebenfalls eine Waffe, nämlich eine Eisenstange, und dann prügeln sie sich halt, bis der Arzt kommt (berliner-zeitung.de, 2.7.2022). Alle diese Meldungen stammen übrigens vom selben, vom vergangenen Wochenende. Alle sind sie aus Berlin.

Dazu muss man sich klarmachen, dass ein Drohen mit dem Messer oder kleinere Kratzer vermutlich oft gar nicht erst angezeigt werden, oder es nach einer Anzeige in die Zeitung schaffen, und dennoch zur Atmosphäre der Angst beitragen. Doch, ich werde müde, über Berlin zu reden. Vor einigen Tagen fiel mir eine krasse Meldung aus Hamburg auf. Ich zitiere welt.de: „Eine 19-Jährige wartet im Hamburger Osten auf ihren Bus – als sie völlig unvermittelt von einem Mann mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt wird“ (welt.de, 23.6.2022).

19 Jahre alt. Die Niedergestochene in Hamburg war 19 Jahre alt. Haben Sie den Aufschrei in der Republik gehört? Das Mitgefühl? Die kollektive Empathie? Die Denkworte in TV und die besorgten Kommentare zur besten Sendezeit? Ich auch nicht. Hat sich Deutschland dran gewöhnt? Ich will mich nicht „dran gewöhnen“. Was würde es denn bedeuten, sich dran „zu gewöhnen“? Nein, wenn wir Menschen Mensch bleiben wollen, dürfen wir uns nicht „dran gewöhnen“. Doch, seien wir ehrlich: Wir üben uns durchaus darin, emotional wegzuschauen, selbst wenn wir die Meldung lesen.

Vielleicht bin ich ein dramatisches Weichei

Wir hören oder sehen die Worte einer Meldung zwar, doch unser Geist weigert sich inzwischen, die Worte in innere Bilder umzusetzen. Es wäre zu viel. Diese Weigerung könnte jedoch mit Gewöhnung verwechselt werden – oder sogar mit Abstumpfung. Ja, wir selbst könnten uns für abgestumpft halten! Es ist menschlich, das nicht mehr sehen und wissen zu wollen, und also ist es verständlich. Jedoch, es bleibt wahr, dass die oder der Betroffene sich eben nie dran gewöhnen wird. Ihr oder sein Leben ist ab da ein anderes.

Mich schockiert diese unsere neue Kälte. Nein, das war nicht immer so. Früher war mehr Mitgefühl, echtes öffentliches Mitgefühl mit dem Mitmenschen. Ich will es frei von der Leber weg sagen: Lasst uns nicht so kalt wie die Linken sein, so zynisch wie Politiker, niemals so herzlos, hirnlos, gewissenlos wie Journalisten.

Diese Meldungen sind mehr als nur Daten und Wörter. Diese Meldungen bedeuten Menschen. Und: Wir reden von einer Republik, einer Gesellschaft. Jeder Messerstich schneidet auch in eben diese Gesellschaft. Mich schockieren Meldungen über Messerstiche noch immer. Nennen Sie mich pathetisch, aber ich kann nicht anders, als zu denken: Das hätte mein Kind sein können. Vielleicht nennt man mich dafür ein dramatisches Weichei. Ich nenne es Menschsein. Ich will, dass es besser wird. Wenn wir aber wirklich wollen, dass es besser wird, dürfen wir nie zulassen, dass die Messergewalt in unseren Köpfen und Herzen das neue Normal wird.

Früher rief man: „Empört euch!“ Ich werde bescheidener. Ich sage heute nur: „Gewöhnt euch bitte nicht daran!“ Werdet nicht kalt wie die Linken, nicht innerlich tot wie die Journalisten, nicht abgehoben und weltfremd wie Politiker. Und passt auf euch auf. Lasst euch nicht verletzen, nicht am Körper und nicht an der Seele – und doch, bleibt verletzlich.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Dushan Wegner.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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W.Schneider / 07.07.2022

Das ausbleibende Mitgefühl für die bedauernswerten Opfer dieser Messerattacken ist das Ergebnis der seit der Coronapolitik in der Bevölkerung implementierten, neuen Solidarität. Die Solidarität gilt nicht mehr dem Individuum. Die Solidarität im neuen Gewand ist ein Gemeinschaftsgefühl mit dem Volkskörper, in dem solche Einzelfälle, wie bei Impfungen die unerwünschten Nebenwirkungen gewertet werden, nicht das Gesamtbild einer intakten Politik stören dürfen. In diesem Sinne der neuen Solidarität muss man eben Kontaktbeschränkung hinnehmen, wenn auch der totkranke Angehörige die letzten Wochen seines Lebens ohne einen Besuch und die Zuwendung seiner Liebsten allein im Krankenzimmer verbringen darf. So muss die 19-jährige Frau das sehen. Sie ist unbedeutend!

Thomas Heiland / 07.07.2022

Igor Rostislawowitsch Schafarewitsch russischer Mathematiker und sowjetischer Dissident, Freund von Andrei Sacharow und Alexander Solschenizy, analysierte in seinem Werk “Der Todestrieb in der Geschichte: Erscheinungsformen des Sozialismus” das Scheitern der UdSSR. Sein Ergebnis war und ist ernüchternd und erschreckend zugleich: Kulturen stehen am Abgrund, wenn sie dem Sozialismus - egal ob nationaler oder internationaler Spielart - anheimfallen. Den verbreiteten Irrtum über die wirklichen “Triebkräfte” der jeweiligen führenden Akteure fasste er in folgendem Satz zusammen: ” Wenn die Nachtigall singt, meinen die meisten Menschen der Gesang sei Ausdruck ihrer Musikalität, das ist falsch - es ist Ausdruck ihres Geschlechtstriebes; wenn Sozialisten ihre wohlklingenden Forderungen verkünden ist das nicht die Manifestation von Menschlichkeit - es ist Ausdruck des Todestriebes!” Werdet nicht kalt wie die Linken, nicht innerlich tot wie ihre Journalisten - höchste Zeit!

Wolfgang Richter / 07.07.2022

Bei dem genannt massiven Auftreten von Messermännern und sonstigen Aggressiven in Berlin könnten sich doch die staatlichen “Ninja- Turtles”, die vor Monaten noch im Überschwang ihrer Kräfte bei den Anti-Corona-Maßnahmen-Demos Rentner und ähnlich körperlich unterlegene Zeitgenossen “vermöbelten” richtig ausleben. Wo sind ‘se denn? Gerade Wochenende oder Urlaub? Oder einfach kein Bock auf die Auseinandersetzung mit Leuten, die ihre geglaubte körperliche und sonstige Überlegenheit rigoros ausleben?

G Romanowsky / 07.07.2022

Überall fehlt es an Fachkräften, offenbar aber nicht in der Branche der Messerstecher und Menschenhändler. Der Boom scheint nicht aufzuhalten zu sein, Dank Carola Rackete & Co.  Wenn das so weiter geht, ist es wohl an der Zeit, über eine Frauenquote der Messerstecher(innen), incl. Menschenhändler(innen) nach zu denken. Soviel Sarkasmus wäre vor 2015 undenkbar.

W. Renner / 07.07.2022

Gut dass wir so scharfe Waffengesetzte haben. Bei den unzähligen Messergemetzeln und Amokfahrern, ist schliesslich noch kein einziger Mensch erschossen worden.

David Matthas / 07.07.2022

Wer die Hand gegen mich erhebt ,dessen Hand ich abschlage…wer mein Fleisch und Blut bedroht..den töte ich zuerst… Mir gleich,woher der kriminelle stammt…Das Gesetz bin in dem Moment ich..den es gibt niemand anderen auf diesem Planeten,der mich und meine Familie verteidigen würde..Zigfach erlebt…Zivilcourage???Fehlanzeige!!.weder sie ,noch er..noch dieser zutiefst korrupte Staat ...oder dessen Schergen… Das ist meine Realität…

Sabine Schönfeld / 07.07.2022

Als “Heuchler und Menschenfeinde” wurden Vertreter der AfD gestern von Abgeordneten der Altparteien im Bundestag beschimpft, ausgerechnet noch, weil sie sich für impfgeschädigten Bürger eingesetzt hatten! Sind das nicht viel eher die passenden Bezeichnungen für jene unzähligen Vertreter der Altparteien, die durch ihre Migrationspolitik seit 2015 all diese Messerangriffe in Deutschland nicht nur gefördert, sondern faktisch erzeugt haben? Auch ich vermisse hier jegliches Mitgefühl mit den deutschen Opfern, das von Seiten der Altparteien allen Kriegsopfern und jedem sonstig Notleidenden in einem Dritteweltland selbstverständlich gezeigt wird. Wahre Menschlichkeit hingegen unterscheidet nicht. Und wie menschlich können diejenigen wohl sein, die das Leid der Nächsten vollkommen kalt lässt? Das ist der Grund, warum ich den Vertretern der Altparteien faktisch keine einzige humanistische Anwandlung mehr glaube. Wenn ihnen ihre Nachbarn zu Hause schon völlig gleichgültig sind, haben sie dagegen wirklich ehrliche Anteilnahme für Menschen aus Afrika oder dem Nahen Osten? Wohl kaum. Nach meinem Empfinden paart sich hier eher faktischer Zynismus mit extremer narzisstischer Selbstdarstellung. Eiskaltes Gutmenschentum ohne einen Hauch von Menschlichkeit.

S. Malm / 07.07.2022

Ach Herr Wegner, das sind alles nur lokale Ereignisse, was für die hinterste Seite unter Vermischtes im ebenfalls lokalen Käseblatt; und alles andere wäre ja auch nur den Nazis in die Hände gespielt, das geht doch garnicht! Einmann war halt ein bißchen im Psychostreß, da kann das Messerzücken schon mal vorkommen, das darf man dann nicht überbewerten!

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