Messer haben in den letzten Jahren hierzulande bei der zwischenmenschlichen Kommunikation oder auch der handfesten Konfliktklärung enorm an Bedeutung gewonnen. Gestern wurde beispielsweise ein 31 Jahre alter Mann im badischen Karlsbad getötet, als ein Streit zwischen zwei kleinen Männergruppen mit dem Messer ausgetragen wurde, wie der SWR berichtet:
„Bei dem Streit in der Nähe des Bahnhofs von Karlsbad-Langensteinbach sind am Montagabend sechs junge Männer aufeinander getroffen - sofort sei es zwischen den beiden Dreiergruppen zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen, so die Polizei. […]
Die Männer haben laut Polizei und Staatsanwaltschaft auch Messer eingesetzt. Dabei wurde ein 31-Jähriger so schwer am Hals verletzt, dass er seinen Verletzungen noch am Tatort erlag. Ein 22-jähriger Begleiter des Opfers musste nach einer Schnittverletzung am Arm im Krankenhaus behandelt werden. Er konnte die Klinik mittlerweile wieder verlassen.
Die Polizei konnte drei Verdächtige festnehmen. Zeugen hatten die Beamten unter anderem zu einer Gartenhütte geführt, wo sich zwei 18-Jährige nach der Auseinandersetzung versteckt gehalten haben. Ein weiterer 20-jähriger Verdächtiger wurde in einem Linienbus festgenommen. Zwei der Männer werden am Dienstag dem Haftrichter vorgeführt. Die Ermittlungen dauern an, die Hintergründe der Tat sind noch unklar.“
Dank der fürsorglich betreuenden Berichterstattung wird jede Andeutung vermieden, die den bösen Generalverdacht stärken könnte, die steigende Zahl der Messerkämpfe in Deutschland habe etwas mit dem starken Zustrom junger Männer aus Kulturräumen, in denen das Messer als weitgehend akzeptiertes Konfliktklärungsinstrument gilt, zu tun.
Wunsch zum entschlossenen Handeln
Auch der deutsche Nachwuchs kann vielerorts inzwischen wieder auf der Straße lernen, dass Schneid- und Stichwerkzeuge der Interessendurchsetzung und praktischen Umverteilung durchaus dienlich sind. Ein Beispiel aus Dortmund konnte man - ebenfalls gestern - in der Westfälischen Rundschau nachlesen:
„Zum wiederholten Mal ist in Dortmund-Wickede ein zwölf Jahre alter Junge auffällig geworden, wie die Polizei berichtete. Gegen 16.20 Uhr sprach dieser nach Zeugenaussagen zunächst ein sechsjähriges Mädchen an, das in einer Mehrfamilienhaus-Siedlung am Polliusweg mit anderen Kindern spielte. Der Täter bedrohte das Mädchen mit einem Messer und forderte sie auf, ihm ihr Mobiltelefon zugeben.
Außerdem richtete er das Messer in einer Stechbewegung gegen einen neunjährigen Jungen, der jedoch noch rechtzeitig ausweichen konnte. Da keines der Kinder ein Telefon dabei hatte, zerstach der Zwölfjährige im Anschluss das Hinterrad eines Fahrrades, bedrohte die Kinder verbal und zerkratze vermutlich auch ein Auto in der Nähe.“
Kein Wunder, dass besorgte Politiker hier handeln wollen. Und heutzutage gilt es ja als entschlossenes Handeln, wenn man etwas verbietet. Messer lassen sich zwar wegen ihres alltäglichen Nutzens im Haushalt nicht verbieten, aber vielleicht doch, sie im öffentlichen Raum mit sich zu führen. Mancherorts wurden bestimmte Brennpunkte schon zu Messerverbotszonen ausgerufen.
Ein Messer für jeden Anständigen
Mit seinem Protest gegen drohende Messerverbote hatte deshalb der bayerische Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger von den Freien Wählern für Aufmerksamkeit gesorgt:
„Bei den Internationalen Jagd- und Schützentagen auf Schloss Grünau bei Neuburg an der Donau beklagte Aiwanger am Wochenende, dass einerseits über ein Taschenmesserverbot an öffentlichen Orten gesprochen werde, andererseits aber schulterzuckend hingenommen werde, dass sich "Leute mit mehreren Straftaten und Körperverletzungsdelikten" frei in Deutschland bewegten. Der Wirtschaftsminister betonte: "Ich bin überzeugt, Bayern und Deutschland wären sicherer, wenn jeder anständiger Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte und wir würden die Schwerkriminellen einsperren. Das wäre der richtige Weg.“
Klar, dass er damit einen Shitstorm erntete, denn solche Sätze können durchaus als Aufforderung zur Bewaffnung der „Anständigen“ gelesen werden. Ebenso erwartbar bei einem deutschen Politiker ist der Versuch der Schadensbegrenzung nach dem Shitstorm. Aiwanger erklärt der Presse, wie er denn eigentlich verstanden werden wollte:
„Es gehe schlichtweg darum, dass er gegen weitere Verschärfungen des ohnehin strengen deutschen Waffenrechts sei, „was vor allem legale Waffenbesitzer treffen würde, zum Beispiel Schützenvereine und Trachtengruppen“. Das diskutierte Messerverbot an öffentlichen Orten führe in die falsche Richtung und bringe gesetzestreue Bürger plötzlich in Schwierigkeiten. „Stattdessen müssen wir gegen Gewalttäter gezielter vorgehen“, betonte Aiwanger.“
Was Aiwanger vielleicht eigentlich hatte sagen wollen, war wohl, dass das Problem nicht die Messer sind, sondern die Menschen, die sie zum Töten, Verletzen oder Bedrohen ihrer Artgenossen einsetzen. Nur bei der Forderung, hier gegen die Messerstecher „gezielter“ vorzugehen, betritt man natürlich dünnes Eis. Denn um gezielter vorgehen zu können, muss man ja wissen, wer denn besonders häufig mit dem Messer für seine Interessen eintritt. Und auch die, die das gar nicht so genau wissen wollen, ahnen, dass man auf eine Personengruppe stoßen könnte, die es vor schlechtem Ruf zu schützen gilt. Leider hält sich ja der Irrglaube, dass man dumpfe Vorurteile vermeiden könne, indem man Probleme beschweigt, statt die näheren Umstände und Ursachen zu erklären und dann auch nach zielgerichteten Lösungen zu suchen.
Erinnerungen an West-Berlin
Aber was wäre wohl passiert, wenn Aiwanger gesagt hätte, man müsse genau hinschauen, wer auf deutschen Straßen zusticht, um nicht Messer aus dem Verkehr ziehen zu müssen, sondern lieber diejenigen, die sie als Angriffswaffen nutzen? Da hielt er es wohl für leichter, sich für die Messer der Anständigen einzusetzen.
Und andere Politiker setzen eben gern auf Messerverbote, auch wenn die kaum praktisch durchsetzbar sind. Vielleicht ist dies zum Abschluss ein Anlass für einen kleinen Ausflug in die Zeitgeschichte. Im Westen gab es das härteste Waffen- und Messerverbot in den beginnenden achtziger Jahren in West-Berlin. Es galt aufgrund einer alliierten Vorschrift aus der frühen Nachkriegszeit. Über dieses Verbot berichtete der Spiegel 1984 nur noch als anachronistische Kuriosität, um zu beschreiben, warum sich der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) in den USA für die Aufhebung überkommener alliierter Vorschriften einsetzte:
„Die Androhung der Todesstrafe etwa, formal verbindlich noch immer für Waffenbesitz oder selbst, wie Diepgen übertrieb, "für den Besitz eines langen Küchenmessers" vorgesehen - solche Sanktion, so Diepgen zu Vertretern des US-Außenministeriums, passe wohl nicht mehr zu der veränderten Rolle der zu Schutzmächten der Stadt gewordenen Sieger. […]
Nach dem ständig modifizierten Kontrollratsgesetz Nummer 43 von 1946, damals erlassen zur Verhinderung der Wiederaufrüstung Deutschlands, stehen "atomische Kriegsführungsmittel" ebenso wie "militärische Hieb- und Stichwaffen" auf der Verbotsliste.
Den Alliierten ist es da gleich, ob es sich um ein Springmesser handelt - das laut Ergänzungsorder der Alliierten Kommandantur vom 24. Juni 1981 lediglich Personen zugestanden wird, "die durch den Verlust oder den Verlust des Gebrauchs einer oder beider Hände registriert sind" - oder um einen knapp hundert Jahre alten Hofbeamten-Degen mit Perlmuttgriff und Feuervergoldung, den anno dunnemals Kammerrichter und Postministeriale zu Kaisers Geburtstag trugen.“
Mag es damals auch nicht so viele Messerstechereien gegeben haben wie heute, durch das Kontrollratsgesetz ist wahrscheinlich keine verhindert worden. Alle Gesetze wirken ohnehin nur in dem Maße, indem sie auch durchgesetzt werden. Und wenn die Kräfte von Polizei und Justiz schon jetzt nicht reichen, dürfte es um die Durchsetzung neuer Verbote und Verschärfungen auch nicht besser bestellt sein. Verantwortungsträger müssten daher zunächst an der Rechtsdurchsetzung arbeiten, statt an zusätzlich durchzusetzenden Vorschriften. Nur das ist leider eine kaum publikumswirksame Mühe.