Der Koalitionsvertrag wurde gestern unterschrieben, heute folgen Kanzlerwahl und Amtsübernahme der neuen Regierung. Und was ist neu? Die Textbausteine. Der „Wumms“ ist weg.
Bundeskanzler Olaf Scholz hinterlässt vielleicht nicht das beeindruckendste politische Erbe, aber er hat ein paar bleibende geflügelte Worte hinterlassen. Während der kurze Satz „Wie schaffen das.“ durch Scholzens Amtsvorgängerin seine Unschuld verlor, verlegte sich der Genosse Kanzler mit „Wumms“ und „Doppelwumms“ zum Teil gleich auf die Kleinkindsprache. Was bleibt sonst? Ja, das „Sondervermögen“. Diesen Begriff nutzen jetzt auch Parteifreunde seines Nachfolgers, wenn sie über die geplanten Mega-Schulden der Koalition reden. Für so viele Wummse findet sich vielleicht auch einfach kein eingängiges Wort.
Auch die „Zeitenwende“, die Genosse Scholz ausrief, bleibt als Begriff vielleicht noch etwas in Gebrauch. Die vom neuen Kanzler versprochene „Politikwende“ wird es wohl wahrscheinlich nicht schaffen, denn sie wird in dieser Form nicht eintreten, wenn man dem Koalitionsvertrag Glauben schenken darf.
Wenn man aus der Unterzeichnungszeremonie etwas über die Politik der neuen Koalition herauslesen kann, dann ist es schon einmal die Neuordnung der Textbausteine. Friedrich Merz verkündet statt „Politikwechsel“: „Sie bekommen mit dem morgigen Tag eine Regierung, die mit Reformen und Investitionen sich bemüht, Deutschland nach vorne zu bringen“ und natürlich auch „…die Dinge in Deutschland zum Guten zu wenden.“ Das, finden Sie, klingt beinahe scholzisch belanglos? Natürlich war auch von der „Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch vor unserer Geschichte“ die Rede, „in Zeiten eines tiefgreifenden Wechsels eines tiefen Umbruchs“.
Da muss man auch mal mit den großen Textbausteinen klotzen: „Und so wissen wir, dass es eine geradezu historische Pflicht ist, diese Koalition zum Erfolg zu führen.“
Das sagt wohl einiges über die Gedankenlandschaft des neuen Kanzlers aus, dass er bei „historischer Pflicht“, nicht daran denkt, das Land zum Erfolg zu führen, sondern „diese Koalition“.
Kann’s der Genosse Vizekanzler besser?
Der Vizekanzler, Genosse Lars Klingbeil, hatte sich zur Feier der Vertragsunterzeichnung noch schönere Textbausteine mitgebracht als Merz. Das ist vielleicht auch kein Wunder, denn kaum ein deutscher Spitzenpolitiker zeigt sich von seinen eigenen Worten regelmäßig so ergriffen wie er selbst.
Da sagt der Vizekanzler: „Wir leben in Zeiten der Umbrüche, und diese Umbrüche brauchen Entscheidungen. Unsere Welt sortiert sich neu, und es liegt jetzt an uns, ob Deutschland diese neue Welt-Ordnung mitgestaltet, die Umbrüche gestaltet oder ob wir zugucken und am Ende vielleicht sogar gestaltet werden.“ Oder: „Wir wollen Deutschland wieder dahin führen, wo es hingehört, nämlich nach vorne.“
Wenn das nicht nach einer entschlossenen Regierungsmannschaft klingt? Es bleibt nur einigermaßen rätselhaft, was diese großen Worte mit dem 144-seitigen Koalitionsvertrag zu tun haben, den die Parteivorsitzenden da nun unterschrieben? Oder mit den neuen Ministern? Vor allem, wenn der derzeit führende Genosse sagt: „Gemeinsam schaffen wir den turn around“ fragt sich der Zuschauer, von welcher Kehrtwende er da spricht. In allen wesentlichen Politikbereichen ist der Koalitionsvertrag doch angefüllt mit einem „Weiter so“ in einer allenfalls leicht modifizierten Spielart. An den „Klimazielen“ hält die Regierung fest und eine „Energiewende“ weiterhin für nötig. Deren wichtigster Maßstab ist nach wie vor der CO2-Ausstoß, hinter dem die Punkte Versorgungssicherheit und Energiepreis weiterhin wohl hintangestellt bleiben.
Bei so viel ergreifenden Worten kann auch Markus nicht anders, als zu zeigen, was sein Textbausteinkasten hergibt. Er hatte die kommende Bundesregierung schon während der Verhandlungen als „letzte Patrone“ der Demokratie bezeichnet. Jetzt sieht der bayerische Regent im schwarzroten Bündnis mehr als eine notwendige Zweckbeziehung, „nämlich eine Verantwortungsgemeinschaft, nicht irgendeine x-beliebige Koalition oder irgendeine Regierungsbildung, sondern tatsächlich eine neue Verantwortungsgemeinschaft“.
Bürger wollen das ganze Spektrum
Eigentlich sind schwarzrote Regierungen seit 20 Jahren alles andere als neu. Aber immerhin scheinen sie wild entschlossen, neue Selbstbezeichnungen für das Alte zu finden – und auch neue Minister, die wahrscheinlich dennoch auch dem bisherigen Politikmodell folgen.
Allein mit neuen Textbausteinen wird es allerdings nicht zu schaffen sein, den murrenden Bürgern zu suggerieren, ihre Wünsche nach einem Politikwechsel würden jetzt berücksichtigt. Eine Mehrheit hat bekanntlich Mitterechts gewählt. Doch die CDU-Wähler bekommen nicht, was ihnen versprochen wurde. Und den AfD-Wählern wird von vielen Politikwende-Verweigerern erzählt, dass ihnen diese Möglichkeit einer Proteststimme am besten verboten werden müsste. Das sind tolle Signale zum Regierungswechsel.
Gut, die neue Regierung ist nicht dafür verantwortlich, dass die abtretende Innenministerin diese Debatte schnell noch mit der Veröffentlichung der Rechtsextremismus-Einstufung der AfD losgetreten hat. Aber sie verantwortet, was sie nun daraus macht.
Alle Parteien links von der CDU haben natürlich ein großes Interesse daran, dass die Brandmauer zur AfD möglichst unüberwindbar ausgebaut wird. Nur so kann die Partei von Friedrich Merz weiterhin auf dem Merkelschen Bündniskurs nach links gehalten werden.
Doch bei den Bürgern gibt es den Bedarf, im gesamten demokratischen Spektrum zu wählen, und das reicht von links nach rechts. CDU und CSU hatten diesen politischen Raum früher einmal weitgehend inne und unter Merkel nach und nach aufgegeben. Dass solche Leerstellen dann neu besetzt werden, hätte niemanden wundern dürfen, aber jetzt sollten die Christdemokraten doch gelernt haben, dass genau dieser Kurs, den sie weiter gehen will, die AfD stark gemacht hat und stärker machen wird. Wie krank und schwach muss eine Demokratie sein, in der diejenigen, die vorgeben sie zu verteidigen, die größte Oppositionspartei verbieten wollen?
Kein Tag der Hoffnung
Dass die Regierungsparteien Stimmen zurückgewinnen könnten, wenn sie in der Zuwanderungspolitik, wie auch in der Wirtschafts- und Energiepolitik pragmatisch und nicht ideologisch agieren und regieren würden, ist eine Binsenweisheit. Ebenso hilfreich wäre es, wenn der Staat keine Volkserziehungsansprüche gegenüber mündigen Bürgern mehr geltend machen würde. Es hat sich in „unserer Demokratie“ leider mittlerweile in so vielen Bereichen eine Obrigkeitskultur durchgesetzt, die zeigt, dass dem politischen Personal immer weniger bewusst ist, dass die Bürger der Souverän sind. Und darauf fußt nichts weniger als die verfassungsmäßige Ordnung. Es lässt sich aber durch keine noch so wohlklingende Sprechblase kaschieren, wenn man die Bürger nicht mehr als Souverän wahrnimmt und behandelt.
Friedrich Merz hat heute seinen ersten Tag als Bundeskanzler, Lars Klingbeil als Vizekanzler. Es ist leider kein Tag der Hoffnung, denn alles spricht für eine „Weiter so“-Politik mit allen fatalen Folgen. Viele deutsche Politiker scheinen nur Geld und gute Worte als politische Instrumente zu kennen. Aber die reichen nicht aus. Statt jetzt ihre Textbausteinkästen neu zu sortieren, sollten sie lieber ihren politischen Instrumentenkasten besser ausstatten und wieder lernen, den Souverän als Souverän anzusehen.
Am heutigen 6. Mai wird es wohl eher bei der Neuordnung der Textbausteine bleiben. Wie lange werden die Koalitionäre wohl auf den mit der „Alternativlosigkeit“ verzichten?
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.