Thilo Thielke
Angela Merkel hat jetzt auch in Ostafrika neue Freunde. Vermutlich viele neue Freunde. Als mich mein Lieblingstaxifahrer, Juma, am Kilimandscharo-Flughafen abholt, sprudelt es aus nachgerade ihm heraus. „Was für ein Wahnsinn“, strahlt er, daß „Mörkel jetzt die Grenzen aufgemacht hat und den Reichtum des Landes mit dem Rest der Welt teilen will“.
Von überall her würden die Menschen jetzt nach Deutschland strömen, hat er erfahren. Er hat im Internet die Bilder der „Flüchtlinge“ gesehen, die mit frischen Euro-Scheinen wedeln, und er weiß, daß an deutschen Bahnhöfen gute Menschen stehen und mit Teddybären und Naschwerk werfen – und daß das alles in diesem Fall nichts mit rheinischem Karneval zu tun hat, auch wenn es so aussieht, sondern irgendetwas mit „Welcome-Kultur“.
Ob er dann nicht auch kommen soll, will er wissen. Ich lächele gequält.
Jeder, der noch seine sieben Sinne beisammen hat, weiß daß das nicht gutgehen kann, was gerade passiert. Daß ein Wohlfahrtsstaat nicht Millionen schlecht ausgebildeter Männer aus aller Herren Länder verkraftet. Daß ein Staat verantwortungslos handelt, wenn er seine Steuerzahlerbürger kleinhält und ausquetscht und trotzdem immer mehr Geld braucht – und den so gewonnenen Wohlstand dann verpulvert, ohne seine Finanziers zu fragen, ob sie das alles überhaupt wollen.
Daß es sich nicht gehört, arme Menschen anzulocken, um sein eigenes Gewissen zu beruhigen, und dann traurig zuguckt, wie sie im Mittelmeer ersaufen. Das ist eine Mischung aus Ironman und Big Brother mit echten Toten.
„Juma, ich weiß nicht“, sage ich. „Sie laden Dich zwar ein, aber sie holen Dich nicht ab. Sie wollen erst, daß Du ein klappriges Boot besteigst und Dich aufs Mittelmeer wagst, und, wenn Du dann nicht ertrunken bist, dann mußt Du über die Balkanroute. Es regnet und schneit dort. Wenn Du das alles geschafft hast, lassen sie Dich einfach so über die Grenze und geben Dir Schokolade und Geld und ein Dach über dem Kopf. Und dann wollen sie Dich, nachdem Du Dein ganzes Erspartes auf den Kopf gehauen hast, wieder abschieben. Das sagen sie zwar, aber sie tun es eigentlich nicht. Du kannst dann auch untertauchen. Bei anderen ist ein reines Glücksspiel. Den Afghanen sagen sie zum Beispiel: Eure Chance, Asyl zu bekommen, liegt bei fünfzig Prozent. Die einen dürfen dann bleiben, die anderen müssen zurück. Und alles wird gefilmt und kommt live im Fernsehen.“
„Stimmt das?“ will Juma wissen. Er glaubt mir nicht.
„Ich schwöre, es ist so. Ich war gerade in Deutschland. Das ist Wahnsinn, aber er hat Methode. Merkel sagt, wir könnten unsere Grenzen nicht schützen und wie viele kämen, liege nicht in unserer Hand – auch wenn jeder weiß, daß das Quatsch ist. Aber weißt Du schon das Neuste?“
Juma ist gespannt. Germany muß ein Tollhaus sein. Er will mehr erfahren.
„Sie sagen jetzt, sie wollen die Probleme in den Heimatländern der sogenannten Flüchtlinge lösen. Damit keine mehr kommen.“
„Sie wollen die ganze Welt retten?“ Juma staunt nicht schlecht.
„Ja, sie wollen jetzt die ganze Welt retten“, pflichte ich ihm bei, „sie haben offenbar nicht genug Leute für die Grenzsicherung, zu viele sind damit beschäftigt, Steuern einzutreiben, Knöllchen zu schreiben und die Benachteiligung der Frau beenden.“
Spätestens ab jetzt wird Juma mißtrauisch. Die Deutschen versuchen gemeinsam mit anderen freundlichen Völkern schon seit langem, die Probleme seines Landes zu lösen, aber es wird nicht besser, sondern eigentlich immer schlimmer, je mehr sie sich einmischen. Früher kamen sie und hofierten den Staatschef Julius Nyerere. Nyerere war ein Lehrer und ein Kommunist. Er hat alles verstaatlicht, was er in die Finger bekam, und Firmen, die vorher profitabel waren, waren irgendwann bankrott. Danach hatte er die Idee, Millionen Menschen in Staatsdörfer umzusiedeln. Alle durften für den Staat und seine tollen Ideen arbeiten und die alten Stammesgemeinschaften wurden aufgelöst. Natürlich hat nichts funktioniert, aber Nyerere träumte weiter vom neuen Menschen und errichtete ein Einparteiensystem, um besser auf die Bedürfnisse seiner Untertanen eingehen zu können. Er wurde für den Irrsinn mit Entwicklungshilfe geflutet, und ein Begriff bürgerte sich ein: „Tanzaphilia“.
So viel hat sich seitdem nicht geändert. Als wir zu Hause ankommen, ist es wieder einmal dunkel. Irgendwer hat den Strom abgestellt. „Nyereres Partei, die CCM, hat wieder einmal die Wahlen gewonnen“, erzählt Juma, „es war knapp und man weiß nicht, ob es mit rechten Dingen zuging. Aber alle freuen sich, daß es keine Unruhen gibt wie vor ein paar Jahren in Kenia. Nur Strom, den haben wir immer noch nicht.“
Dabei gab es einmal recht viel „Entwicklungshilfe“, die für den Ausbau der Stromversorgung ausgegeben werden sollte. Das Geld lag auf der tansanischen Zentralbank, doch dann stellte sich, Ende 2014, heraus, daß raffgierige Politiker und ihre Freunde sage und schreibe 124 Millionen Dollar davon auf private Auslandskonten transferieren ließen. Natürlich waren alle entsetzt darüber, und die Opposition forderte den Rücktritt des Premierministers Mizengo Pinda, doch der hatte keine Lust, und die sogenannten Geberländer, darunter auch Großbritannien, hielten erst einmal weitere 490 Millionen Dollar, die an Hilfe schon zugesagt waren, zurück.
Lange hielten sie ihren Boykott aber nicht durch. Es herrscht schließlich Mittelablußdruck bei den Entwicklungshilfeministern: Das Steuergeld muß weg! Und wem soll man es geben? Den Herrschern von Kongo oder Burundi oder Ruanda oder Uganda oder Kenia? Das sind alles seltsame Regierungen, die sprichwörtlich über Leichen gehen.
Vor einer Weile verkündete die Bundesregierung deshalb stolz, sie habe 210 Millionen Dollar für Tansania lockergemacht, für Gesundheit, Wasser und Artenvielfalt. Aber wofür spielt eigentlich keine große Rolle. „Das Geld kam und kommt. Es ist kaum an irgendwelche Auflagen gebunden“, verriet mir die sambische Autorin Dambisa Moyo vor einer Weile, „die Geberländer nehmen Afrikas Führer einfach nicht an die Kandarre, sondern lassen zu, daß sie ihr Geld in die Schweiz schaffen und auf der Champs-Elysees shoppen gehen.“
„Glaubst Du wirklich, Mörkel kann Afrika retten, wenn sie nicht einmal ein paar Kilometer Grenze sichern kann?“ fragt Juma zum Abschied.
Wir lachen beide herzlich, auch wenn uns nicht zum Lachen zumute ist. Dann verschwindet mein Freund in der Nacht. Ich glaube, er wird bleiben. Deutschland ist ihm etwas unheimlich geworden.
Thilo Thielke, 47, war viele Jahre für den SPIEGEL unterwegs, bevor er sich 2013 in Tansania niederliess, wo er am Fuße des Kilimandscharo eine Lodge betreibt und Reportagen schreibt.