Gastautor / 21.08.2021 / 16:00 / Foto: Pixabay / 29 / Seite ausdrucken

Merkels populistische Rodeo-Politik: Immer oben bleiben

Eigentlich steht es einem Schweizer ja nicht zu, sich kritisch über deutsche Politik zu äußern. Da es jedoch umgekehrt durchaus üblich ist, hier eine aktuelle Analyse des Zustands der deutschen Politik.

Von Claudio Zanetti.

 "Machtverfall – Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik" ist eines der interessantesten politischen Bücher dieses Jahres. Wir leben in irren Zeiten. Das erkennt man daran, dass sogar ein politisches Sachbuch mit Frau Merkel und Armin Laschet auf dem Titelbild offenbar zwingend mit einer Philippika gegen Donald Trump und Dresche gegen die AfD beginnen muss. Niemand soll auf den Gedanken kommen, der Autor finde A gut, bloß weil er über B schreibt. Als Autor, der in der Hauptstadt "vernetzt" bleiben will, darf man es sich höchstens mit denen verscherzen, die ohnehin keiner mag. Und je klarer man sich zur Mehrheit bekennt, desto mehr Bücher lassen sich verkaufen.

Es fällt auf, dass Robin Alexander zwar, wie es sich gehört, vehement gegen "Populisten" wettert, aber offenbar kein Problem mit Populismus selbst hat. Er schimpft zwar kollektiv gegen all jene, denen der Mainstream das Etikett "Populist" angehängt hat, aber er erkennt nicht, dass das, was er auf beinahe 400 Seiten beschreibt, Populismus in Reinkultur ist. Sämtliche in dem Buch beschriebenen Spitzenpolitiker sind auch Spitzenpopulisten. Nur im Zusammenhang mit Söders politischer „Nahtoderfahrung", die ihn vom Asyl-Saulus zum Willkommenskultur-Paulus werden ließ, schimmert so etwas wie Ironie des Ungläubigen durch. Söder hatte aber auch gar dick aufgetragen und lieferte sogar mehrere Versionen seiner Bekehrung.

Sachfragen sind im politischen Berlin der Merkel-Ära weitgehend irrelevant geworden. Dafür sind Personen und Meinungsumfragen – das Manna des Populisten – umso wichtiger. Alexander beschreibt ein System, in dem Gunst oder Missgunst der Kanzlerin der Goldstandard ist. Regiert wird mit Sympathiebekundungen oder Liebesentzug, und Frau Merkel soll angeblich über ein Elefantengedächtnis verfügen. Wiederholt musste ich an Ian Kershaws Beschreibungen des NS-Staats denken, in dem sich die Akteure der zweiten Reihe untereinander nichts schenkten und sich mitunter sogar heftig bekämpften. Die Loyalität zum Chef stand aber nie infrage. 

Natürlich ist es heute in Deutschland möglich, die Kanzlerin zu kritisieren. Doch, wer es tut, hat dafür einen hohen Preis zu bezahlen. Friedrich Merz wagte es, nun wird er mit Verachtung gestraft und sabotiert. Der "gut vernetzte" Robin Alexander kann sich nicht dazu durchringen, solche Arroganz der Macht zu kritisieren. Im Gegenteil, er macht sich sogar über Merz’ Ohnmacht lustig. Nicht mit Empathie rechnen kann auch Annegret Kramp-Karrenbauer, die brutal demontiert wurde, weil sie es gewagt hatte, in einer Karnevalsproduktion einen faulen Spruch über gendergerechte Toiletten zu machen. So etwas kann einem in einem politisch-korrekten Biotop, das sich von boshaften und humorlosen Bloggern und Youtubern antreiben lässt, leicht Amt und Würde kosten.

Checks und Beinstellen

Das Stück, das die Protagonisten in "Machtverfall" aufführen, heißt "Corona". Doch auch hier geht es nicht um sachliche Inhalte oder um das sorgfältige Abwägen der Vor- und Nachteile oder gar der Wirksamkeit von Maßnahmen gegen die Pandemie. Beschrieben wird ein mit allen Tricks und Listen ausgetragener Wettbewerb um die Gunst der Kanzlerin – und um die nächste Kanzlerkandidatur. Entscheidend ist, wer in welche Ränkespiele eingeweiht wird, und in welches Lager man sich schlägt. Und der richtige Zeitpunkt eines Medienauftritts ist häufig wichtiger als das, was dabei gesagt wird. Punkten lässt sich dafür mit der Lancierung von so unsinnigen Begriffen, wie "Brückenlockdown" oder mit Kraftausdrücken gegen Andersdenkende, die es auszugrenzen gilt. "Checks and Balances" sind in der real existierenden Bundespolitik weitgehend inexistent. Sogar das Verfassungsgericht spurt. Es gibt Checks und Beinstellen. Und wer am meisten Gegner zu Fall bringt, ist Sieger.

Robin Alexander macht viele gute und wichtige Beobachtungen, doch weigert er sich hartnäckig, diese auch kritisch zu würdigen, was vermutlich daran liegt, dass er seinem Beziehungsnetz nicht zutraut, eine Belastungsprobe zu überstehen. Er beschreibt beispielsweise Angela Merkels panische Furcht vor einer Corona-Ansteckung. Doch obwohl diese alle Züge einer tiefsitzenden Paranoia aufweist, attestiert Alexander der Kanzlerin die kühne Standhaftigkeit des großen und weitsichtigen Steuermanns.

Problematisch ist dieser Verzicht auf Kritik an der Kanzlerin vor allem dort, wo es um die flagrante Missachtung der Institutionen geht. Dabei ist offensichtlich, dass Frau Merkel nicht viel übrig hat für verfassungsrechtliche Einwände, die der Umsetzung ihrer Pläne im Wege stehen. Dass es die vornehmste und wichtigste Aufgabe eines Rechtsstaats ist, Machtkonzentrationen zu verhindern, scheint niemanden zu kümmern.

Frau Merkel mag kurze Wege. Je informeller, desto besser. Die Partei kümmert sie kaum, hat sie doch ihren Dienst getan. Die Bundestagsfraktion hat ihr zu folgen oder zu schweigen. Föderalismus empfindet sie als lästig. Ihr Lieblingsgremium ist der – im Grundgesetz nicht vorgesehene – Koalitionsausschuss. Hier erfolgen die Zugeständnisse, die den Machterhalt sichern. Ohne es zu realisieren, beschreibt Robin Alexander ein System, das ich als "Rodeo-Politik" bezeichnen möchte – nur das "oben bleiben" zählt. Alles andere ist unwichtig. Bleibt zu hoffen, dass der "Machtverfall" wenigstens heilsam ist.

Disclaimer: Eigentlich steht es einem Schweizer ja nicht zu, sich öffentlich über deutsche Politik zu äußern, und das auch noch kritisch. Aber erstens, haben viele Entscheidungen, die in Berlin oder via Berlin in Brüssel getroffen werden, direkte Auswirkungen auf die Schweiz, und zweitens sind meine diesbezüglichen Hemmungen gefallen, seit es der deutsche Staatspräsident Gauck auf Staatsbesuch in der Schweiz für angezeigt hielt, uns Schweizer vor den Gefahren der direkten Demokratie zu warnen.

 

Claudio Zanetti ist ehemaliger Schweizer Nationalrat (SVP) und  Kommunikationsberater

Machtverfall: Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik: Ein Report. Von Robin Alexander. Siedler Verlag.

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Leserpost

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Wolfgang Laudan / 21.08.2021

Vielen Dank für die meines Erachtens mehr als zutreffende Beschreibung des politischen Systems in D.! Haben Sie keine Hemmungen, die Dinge beim Namen zu nennen, die Irren in D. haben auch keine Hemmungen, mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen und vergessen dabei, dass vier ihrer Finger auf sie selbst zeigen.

Frank Holdergrün / 21.08.2021

Robin Alexander ist ein ganz geschickter und schleimiger Opportunist, dieses Buch ist eine einzige Bewunderung für Merkel, ein Phamphlet der Extraklasse eines unterwürfigen Journalisten, der mitmischen will. Vielleicht muss man so werden, um im Berlin-Tümpel noch gefragt zu sein. Bei Merkel’s Besuch im Weißen Haus grinst ein dicker Mann Merkel frech an, steht in dem Buch. Es ist Steve Bannon, zumindest etwas schlanker als Herr Alexander oder Frau Merkel. Bannon hält den Westen für dekadent und schwach, die Menschenrechte wären für ihn ein Witz, schreibt Alexander. Nun, Bannon war einer der wenigen, die klar vermittelten, was der Islam vorhat, im Gegensatz zu Alexander, der von Menschenrechten wohl weniger versteht. Dafür aber mehr vom Schleimen und jenem Schmutzel-Schleim, den Politik umgibt. Den hat er in dem Buch gut dargestellt, ich habe jede Seite gelesen - und musste am Ende auf ein stilles Örtchen.

Harald Hotz / 21.08.2021

Die schweizer Perspektive ist durchaus angebracht: zuletzt hat mich Merkel manchmal an Dürrenmatts “Der Besuch der alten Dame” erinnert, manchmal auch an die Anstaltsleiterin in “Die Physiker”, zuletzt jedoch immer öfter an einen allerdings stark gealterten Peter Ustinov als Nero vor dem brennenden Berlin - äh Rom - in Quo vadis - “Braun, bringnsemamal meine Laute unne Vase für meine Tränen!”- Wer sie wirklich ist und was sie will, weiß bis heute keiner, da sie ihr “Mein Kampf” nie verfaßt hat. Vielleich schreibt sie es oder läßt sie es ja jetzt im Ruhestand von Robin Alexander schreiben. Ich habe immer noch den Verdacht, daß sie das gesamte politische Personal und alle einflußreichen Medienakteure hat auf sich vereidigen lassen:  „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich der Führerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel,  unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Trittbrettfahrer bereit sein will, jederzeit für diesen Eid meine Überzeugungen zu verraten.“ ;-)

Alex Fischer / 21.08.2021

Keine Sorge, werter Autor, Ihnen stehen saemtliche Rechte zu, die durchgeknallte Scheisshauspolitik dieser vom deutschen Steuerzahler gemaesteten Dummweiber an den Schaltstellen der Macht in Deppiland zu kritisieren. Zumal diese gerne mal ihre dicken Zeigefinger gen Staaten richten, die nicht so ueberzeugt sind von der Neuen Weltordnung (NWO) - Polen und Ungarn als Beispiel zu nennen…

Wolf Hagen / 21.08.2021

Robin Alexander kommt aus einem linken SPD Elternhaus, war nicht bei der Armee, sondern Zivildienstleistender in einem linken “EineWelt”-Öko-Laden und sogar Schreiberling bei der taz. Man muss Herrn Alexander, als Links-Sozialisiertem, also hoch anrechnen, dass er überhaupt bemerkt, dass irgendetwas schief läuft in der “Deutschland AG”. Nun hat er es wirtschaftlich geschafft und sitzt in der Chefredaktion der “Welt”. Natürlich kann er jetzt nicht plötzlich schreiben was wirklich ist, denn das würde ihn Job, Ansehen und wahrscheinlich sämtliche Freunde kosten.

Rainer Niersberger / 21.08.2021

Zu Herrn Alexander, einem Gernegross, aber realiter ein Systemzwerg, eruebrigt sich jedes Wort. Er gehoert dazu und will das auch. Aendern will er gar nichts. Punkt. Aufschlussreich, wenn auch nicht neu ist das Distanzierungsphaenomen. Dieses findet man in diversen Ausgestaltungen und Formulierungen auch in diversen Artikeln der Pseudokritiker, auch auf Achgut, inzwischen etwas weniger auf TE.  Die verbale Vernichtung von Trump und der AfD ist sozusagen obligatorisch, verraet aber ausreichend viel ueber den Autor. Im Kern geht es um das doch irgendwie Dazugehoeren, die Ausgrenzungsangst und de innerer Verbundenheit mit dem System oder der Systemblase. Ein bisschen bundesdeutsche Elite ist immer noch besser, als den rechten Prolls, igitt, zugerechnet zu werden. Kaschiert wird das Ganze mehr oder weniger geschickt mit dem Hinweis auf Meinungsfreiheit oder einige, ausgewählte und verzerrte Aussagen des ein oder anderen Funktionärs. Ein Verfahren, das natuerlich nur auf die AfD angewandt wird.  Dass hier mit partiell massiven logischen Brüchen, erhebliche Inkonsequenzen und Mutmaßungen “gearbeitet” wird, wird, da es ja gegen die boesen Rechten geht, mehr als akzeptiert. Ueber die Abschaffung der FDGO, der Nation, Zivilisation und Kultur durch die Elite unter Merkel schaut man da doch grosszuegig hinweg.  Das scheint im Vergleich zur AfD das kleinere Problem zu sein. Die typische konservative Geschmeidigkeit oder Fassade, die den politischen Kampf mit dem Feind schlicht verweigert und sich lieber anderweitig profiliert.

Michael Kunkel / 21.08.2021

Herr Zanetti, Ihrer Analyse des Buches von Robin Alexander bzw. der Zustände innerhalb der Berliner Blase, wie wir das nennen, ist nichts hinzuzufügen. Zur Ehrenrettung des WELT Journalisten sei gesagt, dass es im Merkel Regime schon hochgradig mutig ist, wenn man auch nur leiseste Kritik an Ihrer Majestät übt. Der Mann muss noch einige Jahre seinem Beruf nachgehen. Wenn er vom Rinnsal der Informationen aus der Blase abgeschnitten würde, dann könnte er em besten gleich einpacken und umschulen. Aber es besteht Hoffnung. Ostdeutsche können sowieso zwischen den Zeilen lesen, und für uns Wessis bleiben ja Gottseidank die NZZ, die Achse, Tichy, Reitschuster und andere. So sind wir nicht ganz hinter´m Berg, wie unsere Regierenden mit ihrer Propagandamaschinerie und ihren Cyber-Trollarmeen das gerne hätten.

Stefan Riedel / 21.08.2021

“Dass es die vornehmste und wichtigste Aufgabe eines Rechtsstaats ist, Machtkonzentrationen zu verhindern, scheint niemanden zu kümmern.”. Den deutschen Michel schert das nicht. Einmal Merkel, nochmal Merkel und einen Michel. Können wir in D wieder so tief sinken? Danke für den ungeschminkten schweizerischen Blick auf das was von D noch übrig bleibt (nicht viel).

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