Nicht einmal die schlechteste Bundesregierung aller Zeiten führt zu einer Merkel-Nostalgie. Kein Wunder, die setzt ja nur fort was die Jubilarin begonnen hat.
Gestern hatte Angela Merkel Geburtstag. Die ARD produzierte eine fünfteilige Doku-Serie unter dem einfallsreichen Titel "Schicksalsjahre einer Kanzlerin". Die höchsten Orden, die Bund und Länder so zu vergeben haben, hat sie schon in den letzten zwei Jahren bekommen. Also gab es von den Medien die erwartbare Würdigungen ihrer angeblichen Lebensleistung. Eine ehrliche Bilanz der Merkel-Regentschaft vermeiden alle politischen Verantwortungsträger sowohl der aktuellen und vorigen Bundesregierung, als auch Merkels Anhängerschaft bei Grünen und FDP. Warum sollten sie eine solche Bilanz auch ziehen? Ihre Energiewende-Politik, ihre Migrations-Politik, die in ihrer Kanzlerschaft vorangetriebene gesellschaftliche Umgestaltung setzen sie ja konsequent fort.
Die Tatsache, dass die langen Merkel-Jahre, vor allem die erste Hälfte, als „gute Zeit“ in Erinnerung sind, liegt nicht an Merkel, sondern an einer insgesamt weniger angespannten Weltlage und daran, dass Deutschland noch von seiner Substanz zehren konnte. Von Merkel gingen keine nennenswerten Initiativen aus, sie war eine Verwalterin des Stillstandes. Es fällt schwer, sich an irgendetwas zu erinnern, was man als substanzielle Politik betrachten könnte. Zu Merkel fallen einem Raute, Hosenanzug, Unfrisur, vielleicht total alltägliche Urlaubsfotos ein, aber keine staatsmännische Entscheidung. Das einzige Mal, als sie „Geschichte schrieb“, war es durch eine weitreichende Fehlentscheidung, die Grenzöffnung von 2015 ff. Sie wurde als Mutter Theresa gefeiert, dabei kostete ihre Entscheidung sie nichts, die Bevölkerung sehr viel. Bis heute wurde sie dafür nicht zur Rechenschaft gezogen, von wem auch, alle machten damals mit.
Ihre Corona-Politik war auch fatal, aber unterschied sich nicht wesentlich von der anderer Länder, da Merkel eigentlich immer erst wartete, was die anderen machten, um es dann nachzumachen und als „alternativlos“ darzustellen.
Nichtstun als Staatskunst
Ihre angeblichen Erfolge, zum Beispiel die Eurorettung, erweisen sich in der Rückschau als Taschenspielertricks. Sie spielte mit Frankreichs Nicolas Sarkozy die Retterin Europas, aber eigentlich zog Mario Draghi die Fäden und „rettete“ Griechenland und die Eurozone auf Kosten nachfolgender Generationen durch den massiven Aufkauf von Staatsanleihen.
Auch sonst war sie die große Blenderin, die vieles ankündigte, was nötig wäre, vieles sagte, was richtig klang und sehr allgemein gehalten war und dann eigentlich nichts Wesentliches machte, außer Bewährtes langsam zu unterminieren. Scholz probiert es ihr nachzumachen durch nebulöse Binsenweisheiten zu verkünden und Nichtstun als kluge Abwägung und ruhige Hand zu verkaufen, aber anders als bei Merkel nehmen die Medien ihm das nicht ab.
Die Ehe wurde von ihr entwertet, der Sozialstaat ausgebaut, Schulden vermehrt, die Wehrpflicht abgeschafft, dann der Atomausstieg ohne Not in die Wege geleitet. Über die fatale Entscheidung von 2015 ist schon so viel geschrieben worden, dass man darauf hier nicht mehr eingehen muss, auch wenn es Merkels wohl folgenschwerster Fehler war und bis heute eine Dynamik in Gang gesetzt hat, die vielleicht niemand mit Regierungsmacht mehr aufhalten könnte, selbst wenn er oder sie es wollte.
Natürlich war nicht alles falsch während ihrer Regierungszeit, der Staatsapparat lief weiter und erfüllte die Anforderungen, sie traf sich mit anderen Staatschefs, hielt harmlose Reden, unter den anderen mittelmäßigen Führern galt sie zeitweise als „Anführerin der freien Welt“, wohl weil sie das nach den USA zweitwichtigste Land des Westens regierte und Trump als Präsident der USA von den Medien zum Aussätzigen erklärt wurde. Ein wenig Glanz von Obama fiel auch auf sie, eine gewisse Distanz zu Trump wurde ihr als Kampf für westliche Werte, Frieden und Völkerverständigung ausgelegt. Die Abwrackprämie und eine zeitweise Verminderung der Mehrwertsteuer führten kurzzeitig zu etwas Erleichterung, waren aber alles andere als große Wirtschaftsreformen. Die Arbeitsmarktreformen von Schröder wurden unter ihrer Regierung langsam unwirksam und immer neue Bürokratie und neue Steuern erfunden.
Bis heute eine der besten Zusammenfassungen der langweiligen und trägen Merkeljahre gab Marc-Oliver Hartwich hier, unbewusst einen Monat vor Merkels „historischer“ Grenzöffnung, die plötzlich alle Erinnerung an Merkel nur noch auf „Flüchtlinge“ reduzieren sollte.
Sebastian Biehl, Jahrgang 1974, arbeitet als Nachrichtenredakteur für die Achse des Guten und lebt, nach vielen Jahren im Ausland, seit 2019 mit seiner Familie in Berlin.