Thilo Sarrazin / 17.03.2018 / 06:22 / Foto: Tim Maxeiner / 54 / Seite ausdrucken

Merkel wird durchhalten

Die Zustimmung der SPD-Mitglieder zur Großen Koalition hat der taumelnden ehemaligen Arbeiterpartei eine Atempause und der Bundeskanzlerin Angela Merkel eine vierte Amtszeit verschafft. Bei der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021 wird sie mit 16 Amtsjahren ebenso lange wie Helmut Kohl und zwei Jahre länger als Konrad Adenauer regiert haben. Alle Spekulationen, ihre Amtszeit könnte vorzeitig enden, halte ich für unbegründet:

Nur einmal in der bundesdeutschen Geschichte gab ein Bundeskanzler sein Amt freiwillig auf. Das war im Mai 1974 Willy Brandt, als sein enger Mitarbeiter Günter Guillaume als DDR-Spion entlarvt wurde. Konrad Adenauer musste 1961 vor seiner letzten Wahl zum Bundeskanzler eine Amtszeitbegrenzung auf zwei Jahre zustimmen, da war er bereits 87 Jahre alt. Ludwig Erhard stürzte 1966, als die von ihm geführte Koalition mit der FDP auseinanderbrach. Helmut Schmidt stürzte 1982, als die FDP die sozialliberale Koalition verließ und Helmut Kohl ins Amt verhalf. Wer aber könnte Angela Merkel stürzen, nachdem sie am 15. März vom Bundestag erneut gewählt wurde? Und warum sollte sie vor Ablauf ihrer Amtszeit ihr Amt freiwillig aufgeben?

Der SPD fehlt jeder Anreiz, die jetzt unter Schmerzen zustande gekommene Regierungsbeteiligung vorzeitig aufzukündigen. In der Koalitionsvereinbarung und bei der Verteilung der Regierungsämter hat sie sich einen Einfluss gesichert, der über ihr mageres Wahlergebnis von 20,5 Prozent weit hinausgeht. Die aktuellen Umfragen sehen die SPD stabil bei 16 Prozent. Wenn sie weiterhin den Eindruck von Fahrigkeit oder Willkür erweckt, könnte es bei Neuwahlen aber auch deutlich weniger werden.

Für die SPD kann es in den kommenden Jahren nur die Devise geben, durch solide Regierungsarbeit das eigene ramponierte Image wieder allmählich zu verbessern. Mit Andrea Nahles als Partei- und Fraktionsvorsitzender und dem bisherigen Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz als Vizekanzler und Finanzminister gibt es dazu eine faire Chance. Wie die Vergangenheit zeigte, harmonieren zudem beide gut mit Angela Merkel.

Der eigentliche Schwachpunkt ist die CSU

In der CDU hat Angela Merkel ihre Position gestärkt, indem sie der Riege der jungen und jüngeren Nachfolger wichtige Partei- und Regierungsämter gab. Jetzt muss sich die Schar der Kronprinzen und -prinzessinnen erst einmal einarbeiten und in Ämtern bewähren. Das schafft für einige Jahre Ruhe. Der eine oder andere wird dabei sicherlich auch Glanz verlieren oder gar scheitern. Für Machtspielchen haben sie vorerst weder Zeit noch Gelegenheit.

Der eigentliche Schwachpunkt der künftigen Bundesregierung ist paradoxerweise die CSU. Ihr Vorsitzender Horst Seehofer hatte als bayerischer Ministerpräsident die Flüchtlingspolitik und den Kontrollverlust der Bundesregierung seit 2015 so scharf kritisiert, dass sein Verhältnis zu Angela Merkel als völlig zerrüttet gelten kann. Am Ende aber machte er alles mit, und sein Schlingerkurs konnte die CSU vor empfindlichen Verlusten bei der Bundestagswahl nicht retten. Deshalb muss er jetzt sein Amt als bayerischer Ministerpräsident räumen und dem bisherigen Finanzminister Markus Söder überlassen. Parteivorsitzender darf er noch für einige Jahre bleiben, aber er ist angezählt.

In der Bundesregierung wird er als Innenminister für die wichtigsten Fragen der deutschen Innenpolitik rund um Fluchtmigration, Asyl und Einwanderung zuständig sein. Er macht nicht den Eindruck, mit einem Sack voll neuer Ideen in sein neues Amt zu kommen. Er wirkt eher wie ein alternder Löwe, der bisweilen unlustig die Pranke hebt, um sich Respekt zu verschaffen. Wie will er sich da durchsetzen bei den europäischen Innenministern, gegen ein feindseliges Kanzleramt, das auf seine Niederlage wartet, und gegen eine linke sozialdemokratische Justizministerin? Ich befürchte deshalb, dass in der neuen Regierung nicht nur der Bundesinnenminister Horst Seehofer sondern mit ihm auch die wichtigsten Fragen der Innenpolitik und der Zukunft Deutschlands unter die Räder kommen.

Niemals einen schweren Fehler zugeben

Die einzige Hoffnung, die man an dieser Stelle paradoxerweise haben muss und vielleicht auch haben kann, ist Angela Merkel. Ihre großen Fehler sind bekannt:

  • Der überstürzte Ausstieg aus der Kernenergie, die falsch angelegte Energiewende
  • Die Aufgabe der Währungsarchitektur des Maastricht-Vertrages zugunsten einer kopflosen Rettungspolitik
  • Der Verzicht auf eine Reform der Sozialsysteme, die hemmungslose Abgabenpolitik
  • Vor allem aber der opportunistische, leichtfertige und gedankenlose Umgang mit der Fluchtmigration und ihren Folgen

Angela Merkel befolgt eine Grundregel des politischen Machterhalts, niemals einen schweren Fehler zuzugeben. Entsprechend patzig und wegwerfend reagiert sie, wenn sie mit den sachlichen und politischen Folgen ihrer Fehlsteuerung von 2015 konfrontiert wird. Zu diesen Folgen zählt nicht zuletzt eine AfD im Bundestag, die in den Umfragen mittlerweile der SPD im Nacken sitzt.

Aber natürlich weiß Angela Merkel, dass die ungelösten Fragen von Fluchtmigration und Einwanderung ihr historisches Bild verdunkeln, wenn sie weiter ungelöst bleiben. Alle bedeutenden Kanzler versuchten, am Ende ihrer Karriere den richtigen Schlussstein zu setzen, der ihr historisches Monument sein würde. Bei Konrad Adenauer war dies der deutsch-französische Freundschaftsvertrag, bei Helmut Schmidt die Nachrüstung, bei Helmut Kohl der Euro, bei Gerhard Schröder die Reform des Arbeitsmarktes.

Bei Angela Merkel sollte es die Sicherung der Grenzen und die so bewirkte Bewahrung der deutschen und europäischen Kultur sein. Kann ihr solch ein Gedanke überhaupt kommen? Kann sie soweit von sich selbst zurücktreten? Ich weiß es nicht.

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

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Jochen Lindt / 17.03.2018

Ich glaube nicht daß Merkel durchhält, denn die nächste Migrationswelle kommt.  Diesmal von zwei Seiten.  Da wäre zunächst Algerien, das nur auf die Todesmeldung seines Diktators Bouteflika wartet.  Die neue Regierung Algeriens wird Druck aus dem Kessel lassen und die jungen Männer gen EU ziehen lassen.  Und dann ist da der Krieg der Türken in Syrien, der weiterhin für Nachschub sorgt.  Und der Familiennachzug. Und die Sache mit der Polygamie, die der Steuerzahler finanziert. Und die Integration, die es nicht gibt, weil 95% nur ins Sozialsystem einwandern.  Die Probleme werden nicht verschwinden und sie kann sie nicht aussitzen, wie sie es bei Kohl gelernt hat.  Den Pessismismus Sarrazins bezüglich Merkel teile ich diesmal nicht.

Helge-Rainer Decke / 17.03.2018

@U.Unger, gestatten Sie mir, zu Ihren postfaktischen Stellungen, Unterstellungen, Behauptungen, Mutmaßungen und Weissagungen, folgende Bemerkungen einzubringen. In meinen noch unveröffentlichten Aphorismen, unter dem Arbeitstitel “Kantisches und die Transzendenz“, habe ich auf der Grundlage empirischer Forschungsergebnisse a posteriori (ex post), postuliert, es gibt eine Kritik der reinen Unvernunft. Die Transzendenz dieser Ästhetik ruht stoisch auf dem Fundament eines horizontalen Bewusstseins vertikaler, kognitiver Dissonanzen. Vice versa. Verknotete Gedanken erzeugen Läsionen am sublimierten Libido. Deshalb ist die Zerschlagung des Glaubens an die Kraft des Wortes unabdingbar, um den Quantensprung vom Irrealen zum Realen zu entschleunigen. Vielleicht sollten Sie, sehr geehrter Herr Unger, sich dieser Metamorphose unterziehen. Es befreit die Kleinen Grauen Zellen vom Ballast postfaktischer Denke. Oder auch nicht.☝️

Stefan Leikert / 17.03.2018

Ich würde mir das mal ganz in Ruhe anschauen. Immerhin ist die Jagdsaison erst mit dem 14. März richtig eröffnet worden. Der Spaß beginnt gerade erst.

Walter Neumann / 17.03.2018

Klingt ja sehr wohlwollend, Herr Sarrazin, Merkel soll also durchhalten. Ich glaube eher, spätestens nach der Bayern-Wahl (CSU deutlich unter 50%) ist Schluss mit lustig, auch in Berlin. Und Seehofer wird elend scheitern, außer laut brüllen hat der nichts mehr drauf. Die verfehlte Migrationspolitik kann Frau Merkel gar nicht mehr lösen, das Kind liegt im Brunnen, schauen Sie sich den Migranten-Anteil in unseren Schulen an. Das war es dann, Deutschland.

Mark Schild / 17.03.2018

Mittlerweile kann ich den Ausführungen Merkels nicht mehr zuhören. Wie die Staatsratsvorsitzende Recht, Gesetz und Sprache vergewaltigt, ist unerträglich. Wenn sie sagt, dass der Islam zu Deutschland gehört, sollte sie auch den Mut haben zu sagen, dass dann Scharia und Antisemitismus auch zu Deutschland gehören.

Martin Thiel / 17.03.2018

Herr Sarrazin, Ihre Analyse ist wie immer treffend und punktgenau. Leider verheißt sie nichts gutes für die nächsten Jahre, für die Deutschen und ihr Land.

Viola Heyer / 17.03.2018

Merkel agiert wie der Geisterfahrer, der behauptet all die anderen seien verkehrt unterwegs.

Jürgen Schnerr / 17.03.2018

Das rein politische hat Herr Sarrazin treffend beschrieben. Bis auf den letzten Absatz; so eine Reaktion halte ich von AM nicht für wahrscheinlich! Aber das Leben spielt sich nicht ausschließlich in der Blase Politik und Medien ab. Ich denke schon, dass nach den LT-Wahlen im Herbst 2018 in Bayern und im Herbst 2019 in Sachsen und Thüringen die Karten aufgrund des Stimmverhaltens der Wähler neu gemischt werden. Gerade in Sachsen ist doch schon derzeit mehr los, als in der gesamten Rest-BRD. Man google nur mal zu Uwe Steimle, Tellkamp, Weißgerber, etc. was da an Veranstaltungen, Lesungen, Aufrufen und sonstigen Aktionen stattfindet und wer da wo und wie seinen Namen und seine Unterschrift einsetzt. In Ostdeutschland und da insbesondere in Sachsen findet in den nächsten 2 Jahren die Kernschmelze des derzeitigen politischen Systems statt!

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