Thomas Rietzschel / 25.10.2015 / 15:25 / 0 / Seite ausdrucken

Merkel: Wann, wenn nicht jetzt? Wer, wenn nicht ich?

Wollen die Politiker namentlich in die Geschichte eingehen, müssen sie bestehende Verhältnisse umstürzen. Sei es, dass sie die staatliche Ordnung auf den Kopf stellen, sich am Rechts- oder dem Wirtschaftssystem vergreifen, das Verhältnis eines Landes zu seinen Nachbarn grundlegend verändern, Frieden stiften, häufiger Kriege anzetteln, oder sei es, dass sie das politische Bewusstsein einer Nation mit symbolischen Akten fortwirkend verändern. Willy Brandt ist das mit seinem Kniefall in Warschau gelungen, Richard von Weizsäcker mit der Rede, die er am 8. Mai 1985 zum vierzigsten Jahrestag des Kriegsendes hielt.

Immer dann, wenn sie Hand an das Bestehende legen oder auch nur gesellschaftsprägende Vorstellungen über Bord werfen, sind die Politiker auf dem Sprung in die Geschichtsbücher. Ihre Namen werden überdauern, gleichviel, ob sie segensreich gewirkt oder Unheil heraufbeschworen haben.

Der Erhalt bestehender Zustände indes trägt ihnen keinen Nachruhm ein. Wer sich damit begnügt, das Erreichte, wie schlecht oder gut es auch sein mag, zu bewahren, wird von den Historikern vergessen, kaum dass er abgetreten ist.

Man denke nur an Kurt Georg Kiesinger, der auch einmal Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewesen ist. Selbst der hoch verehrte Kettenraucher Helmut Schmidt musste sich die historischen Meriten im wesentlichen als Schulmeister seiner Nachfolger ertrotzen. Oder wer, Hand aufs Herz, wüsste heute noch viel zu sagen über den Wanderfreund Karl Carstens, über Johannes Rau, die ehrliche Haut der SPD, oder über den Ökonomen Horst Köhler. Dabei haben doch alle drei einmal das höchste Amt im Staat, das des Bundespräsidenten, bekleidet.

Ganz anders dagegen Konrad Adenauer, dem kein Historiker je vergessen wird, dass er die staatliche Aussöhnung der Deutschen mit Frankreich und Israel zustande brachte, obwohl das damals keineswegs allen gefallen wollte. Ebenso wie „der Alte“ hat Helmut Kohl Jahrzehnte später nach dem „Mantel der Geschichte“ gegriffen, als er zum Vorteil des Landes die Chance wahrnahm, sich als „Kanzler der Einheit“ zu verewigen.

An dem Ehrgeiz, ähnliches zu vollbringen, „die Birne“ aus der Pfalz im Wettrennen um den Eintrag in die Annalen womöglich noch auszustechen, hat es auch seinem Nachfolger nicht gefehlt. Am Ende musste sich Gerhard Schröder jedoch mit sehr viel weniger begnügen. Aller Voraussicht nach wird seine „Agenda 2010“ in den Geschichtsbüchern der Zukunft bestenfalls mit einer Fußnote bedacht werden; mehr ist nicht drin.

Und was, um alles in der Welt, was hatte die amtierende Bundeskanzlerin bisher von der Nachwelt zu erhoffen? Um das scheinheilig gestiftete Kompliment der „mächtigsten Frau der Welt“ historisch zu zementieren, strampelt sie sich seit Jahren ab und landet doch nur einen Flop nach dem anderen - in der Klimapolitik, bei der prophetisch verheißenen Reduzierung der Erderwärmung, bei der subventionierten Entwicklung untauglicher Elektroautos, bei der scheiternden Energiewende, bei der Bewältigung der Euro-Krise sowie bei der Umerziehung der Griechen nach dem Vorbild der schwäbischen Hausfrau. Jedes Projekt bis hin zu den Millionen-teuren Gipfeltreffen und einem Weißwurst-Essen mit Barack Obama verpuffte wie ein Rohrkrepierer, jedes für sich ein Schuss in den Ofen. Nichts, das historisch von Belang gewesen wäre.

Erst in letzter Minute, als die Buchmacher schon Wetten auf ihre Nachfolge annahmen, hat die Geschichte Angela Merkel aus der Patsche geholfen. Als der Flüchtlingsstrom in Richtung Europa anschwoll, schlug ihre Stunde. Wann, wenn nicht jetzt, sollte sie sich ihren Platz in den Geschichtenbüchern sichern, indem sie nun ihrerseits alles dafür tat, die bestehenden Verhältnisse auf den Kopf zu stellen.

Das mag von Anfang an, als sie die Grenzen rechtswidrig öffnete, um alle Bedrängten dieser Welt in die Arme zu schließen, so nicht geplant gewesen sein. Auf jeden Fall aber verdankt sich das, was seither geschieht, dem Ehrgeiz einer Politikerin, die es mit der Geschichte aufnehmen will. Immer wieder erklärt sie uns, dass sich das Land, unser Land, mit dem von ihr befeuerten Zustrom weniger Flüchtlinge und unzähliger Auswanderer „nachhaltig verändern“ werde. Mit anderen Worten, dass genau das geschieht, was ihr namentliches Fortleben garantieren könnte, mit welcher Bewertung immer.

Es ist dieser Ehrgeiz, der die Politiker, die schwachen zumal, verführt, umkalkulierbare Risiken einzugehen. Weil sie sich selbst für erwählt halten, sich wie Angela Merkel ganz persönlich mit dem Staat identifizieren, „glauben“ sie, sie selbst seien der Staat, treibt sie der Ehrgeiz in den Wahnsinn, zu Entscheidungen, die sich rational nicht nachvollziehen lassen. Statt des Nötigen tun sie, tun sie, was sie für nötig halten. Berauscht von sich selbst, sind sie wie von Sinnen, unfähig zur Umkehr. Würden sie einlenken, müssten sie sich aus der Geschichte verabschieden.

Das gilt prinzipiell für Vladimir Putin und Baschar al-Assad ebenso wie für Angela Merkel. Auch wenn man sie natürlich nicht in jeder Beziehung auf eine Stufe stellen darf, so lässt sich doch das Handeln des einen wie des anderen nicht mehr politisch oder gar vernünftig, sondern bloß noch pathologisch erklären. Solange sie die Macht in Händen halten, wird ihnen aber niemand die fachärztliche Betreuung, die sie am dringendsten brauchten, anraten oder gar verordnen. Das verhindert schon ihre gesellschaftliche Stellung, zumal alle jene, die ihnen überhaupt noch näher kommen, existentiell von der ausgeübten Macht abhängig sind - bis hin zu den journalistischen Wasserträgern in den öffentlich rechtlichen Medien.

Da jedoch die Angst vor dem, was die Machtpolitiker auf ihrem Weg in die Geschichtsbücher anrichten, gleichwohl wächst - über fünfzig Prozent der Deutschen fürchten sich bereits vor den Folgen der Zuwanderung, vor drohender Kriminalität und Entfremdung im eigenen Land -. da das Volk die Faust in der Tasche ballt, steigt zugleich die Gefahr des Aufstandes der von oben herunter „durchregierten“ Bürger. Dass bei Pegida dunkle Gestalten mit marschieren, ändert nichts daran, dass es sich um eine wachsende, demokratisch legitimierte Protestbewegung handelt. 

Und bisher war es noch immer so, dass die Veränderungen, die eine politische Klasse mit Macht durchzusetzen versuchte, um sich selbst auf den Schild der Geschichte zu heben, eine Gegengewalt provozierte, die dann wiederum noch viel weitreichendere Umbrüche nach sich zog.

Das mag eine Hoffnung sein, eine gute Aussicht ist es nicht. Zu viel kann dabei zerstört werden. Damit, dass das geschehen könnte, ist durchaus zu rechnen. Aber auch dann werden diejenigen, die das zu verantworten haben, namentlich in die Geschichte eingehen, ihr Ziel erreicht haben. Ein verhängnisvoller Schuss in den Ofen.

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