Seit Monaten sehen die Bewohner unseres Landes zu, manche mit Zustimmung, die meisten mit immer häufigeren und stärkern Albträumen, wie die beste Demokratie, die Deutschland je hatte, zerstört und durch ein chaotisches, gesetzloses, „buntes“ Durcheinander ersetzt wird, in dem die Modalitäten des Zusammenlebens nach einer Anweisung aus dem Kanzleramt „täglich neu ausgehandelt” werden müssen.
Es soll niemand sagen, das wäre hinter unserem Rücken geschehen. Was vor unseren Augen geschieht, ist so geplant und auch veröffentlicht worden. Der Rechtsstaat soll ersetzt werden durch einen Zustand, der von Staatsministerin Aydan Özoğuz am 21.September 2015 in einem Strategiepapier formuliert wurde: „Wir stehen vor einem fundamentalen Wandel. Unsere Gesellschaft wird weiter vielfältiger werden, das wird auch anstrengend, mitunter schmerzhaft sein. Unser Zusammenleben muss täglich neu ausgehandelt werden.“
Dieses “täglich neu aushandeln müssen” hebelt den Rechtsstaat aus. Es ist ja gerade das Erfolgsmodell des Rechtsstaats westlicher Prägung, dass die Bürger in gesicherten Verhältnissen leben, die nicht täglich neu ausgehandelt werden müssen. Strategisches Ziel - oder bewusst eingegangener unvermeidlicher strategischer Kollateralschaden - nach dem vorgelegten Strategiepapier ist die Beendigung des Rechtsstaates und die Beseitigung einer der wichtigsten Errungenschaften europäischer Zivilisation, die sichere Abgrenzung der Spielräume jedes einzelnen Bürgers, von der Merkel- Regierung diktiert.
So lange Merkel Kanzlerin ist, so lange gibt es öffentliches Nachdenken darüber, von welchen Überzeugungen unsere Regierungschefin geleitet ist, die bei ihrer ersten Amtsübernahme mit dem Satz überraschte, sie wolle Deutschland dienen. Dabei ist völlig unwichtig, ob sie den Verstand verloren hat oder mit kühler Absicht handelt.
Viel gefährlicher als unsere Kanzlerin ist das Versagen der demokratischen Institutionen.
Der Bundestag, der eigentlich die Aufgabe hat, die Regierung zu kontrollieren, kommt seiner Aufgabe längst nicht mehr nach. Die Abgeordneten könnten ebenso gut zuhause bleiben, statt im Plenum wie zu unseligen Volkskammerzeiten die Vorlagen aus dem Kanzleramt abzunicken, oder eben darauf zu verzichten, wenn die Kanzlerin entscheidet, dass, wie in der so genannten Flüchtlingsfrage, nicht abgestimmt werden soll. Eine Opposition, die diesen Namen verdiente, gibt es nicht. Jeder Versuch des Widerspruchs oder auch nur der Nachfrage wird im Keim erstickt.
Dabei ist es nicht so, dass allen politisch Verantwortlichen die sich abzeichnenden katastrophalen Folgen der Merkelschen Politik verborgen blieben. Unser Vizekanzler Siegmar Gabriel, so hört man hinter vorgehaltener Hand aus dem Reichstag, soll im kleinen Kries gebarmt haben, die „Alte soll die Grenze endlich schließen“. Aber er handelt nicht, sagt öffentlich das Gegenteil und lässt die Steilvorlage für die eigene Kanzlerschaft ungenutzt.
Aus CSU- Kreisen gibt es immer mal wieder Ankündigungen, die Widerstand gegen die Merkel-Politik vorspiegeln sollen. Keine dieser Ankündigungen wurde auch nur ansatzweise umgesetzt. Man bekommt wachsend das Gefühl, dass es sich nur um Ablenkungsmanöver handelt, die mit Merkel abgesprochen sind, um die Bevölkerung temporär ruhig zu stellen.
Wie sehr der Bundestag nur noch ein Schattenparlament ist, wurde am vergangenen Mittwoch bei Merkels Regierungserklärung vor dem EU-Gipfel in Brüssel klar. Die Kanzlerin, die monatelang eine europäische Kontingent-Lösung als den ultimativen Ausweg aus der „Flüchtlingskrise“ verkündet hat, sagte plötzlich Europa (sic!) „würde sich lächerlich machen“, wenn es Kontingente beschlösse, obwohl nicht einmal der Beschluss zur Umverteilung von 160 000 Flüchtlingen umgesetzt sei.
Merkel demonstrierte damit, dass sie unter keinen Umständen gewillt ist, die Verantwortung für ihr Scheitern zu übernehmen. Sie kommt damit durch, weil es weder eine Opposition, noch Medien gibt, die sie an ihre Verantwortung erinnern.
In ihrer Rede hat Merkel auch klar gemacht, welches neue Pferd sie bestiegen hat. Ausgerechnet Rezip Erdogan soll nun ihr Rettungsanker sein. Sie wünsche sich, so die Kanzlerin dreist, dass man bald erkennen möge, dass „der türkische Weg“ der richtige sei. Schon einen Tag später stand sie in Brüssel im Regen, als der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu nicht erschien. Kurzerhand wurde dafür gesorgt, dass die Flüchtlingsfrage von der Tagungsordnung genommen wurde und der Gipfel sich nur mit Groß-Britanien beschäftigte. Wieder gab es dazu kaum kritische Kommentare in den Medien. Stattdessen mussten wir zur Kenntnis nehmen, an welcher Frittenbude Merkel ihren Hunger stillte. Dafür wird übergangen, welche Zugeständnisse Merkel an Erdogan gemacht hat.
Erinnern wir uns: Die Macht von Präsident Erdogan war nach der Juniwahl von 2015 ins Wanken geraten, die Kurdenpartei ins Parlament eingezogen, die Fortschrittspartei AKP hatte ihre Mehrheit verloren. Alles lief auf Neuwahlen hinaus und die Umfragen deuteten auf eine Wiederholung des Wahlergebnisses vom Juni hin. In dieser fragilen Situation, mitten im Wahlkampf, fuhr Frau Dr. Merkel zu Erdogan und bescherte ihm durch Ihren Wunsch, die Außengrenze der EU quasi in die Türkei zu verlegen, medienwirksame Wahlkampfhilfe. Sie stellte lauter Dinge in Aussicht, die in der EU nicht abgesprochen waren. Visumfreiheit, weitere Verhandlungen über den EU-Beitritt und 3 Milliarden Euro. Erdogan gewann mit Merkels Hilfe die Wahl im November glanzvoll und als Folge tobt der Bürgerkrieg mit den Kurden.
Obwohl die Türkei immer tiefer in religiöse, nationale und internationale Konflikte abrutscht und deshalb als Pufferstaat gegen das syrische Chaos denkbar ungeeignet ist, hat Merkel bei ihrem jüngsten Besuch sogar, offenbar wieder unabgesprochen, Flugverbotszonen befürwortet, die sich in Libyen als verhängnisvoll erwiesen haben.
Niemand, weder die Oppostion, noch die Medien, hält Merkel vor, wie absurd unter diesen Umständen „der türkische Weg“ ist. Er ist nicht Ausweg aus dem Flüchtlingsdilemma, sondern nur Kennzeichen des Größenwahns von Merkel und Erdogan.
Auch das kommunistisch-rechtsnationalistische Griechenland hat sich als europäischer Partner längst disqualifiziert. Dass die Außengrenze der EU wieder auf Nicht-EU-Gebiet errichtet werden soll - nämlich in Mazedonien - spricht über die gescheiterte Merkelsche Europa- und Nahostpolitik Bände. Aber der Kanzlerin wird weiter erlaubt, zu dilettieren. Die Länder der Balkanroute haben nun beschlossen, die bei ihnen aufgelaufenen Einwanderer per Zug an die deutsche Grenze zu bringen. Tagtäglich strömen weiter tausende Menschen über unsere Grenze und die Verantwortlichen und Betroffenen verhalten sich, wie das Kaninchen vor der Schlange, in Schockstarre.
Jeder kann zu diesem Zeitpunkt wissen, dass die Merkelsche Politik in jedem Punkt gescheitert ist. Es wird auch keine Wunderwaffe geben, die uns aus dem Dilemma heraushilft. Da die Kanzlerin die Richtlinien bestimmt hat, muss sie endlich die Verantwortung dafür übernehmen.