Ich stimme zu, daß Merkel taktische Fehler gemacht hat. Und daß die “Euro-Rettung” eine viel zu teure Variante und die ursprünglichen Kreditgeber zu sehr geschont hat. Richtig auch, daß die Troika-Auflagen zu sehr auf die reine Budgetseite achteten und zu wenig auf die volkswirtschaftlichen Reformen. Trotzdem stimme ich nicht zu, daß alles ein Desaster gewesen wäre. Griechenland hat (auch wenn man einige Buchungstricks wegrechnet) bis Anfang 2015 seine Budgetprobleme weitgehend in den Griff bekommen. Und die griechische Wirtschaft war preislich wieder wettbewerbsfähig - sowohl die Exportindustrie wie der Tourismus waren auf dem Weg in gute Zuwachsraten. Bis dann Syriza kam und mit typisch linker Politik alles wieder kaputt gemacht hat. Es ist auch nicht richtig, daß Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen könnte. Wenn überhaupt ein Primärüberschuß da ist, dann ist das nur noch eine Frage der Konditionen. Mit Streckungen und niedrigen Zinsen ist irgendwann jede Schuld abzahlbar. Deutschland und Rußland haben auch erst vor wenigen Jahren ihre Schulden aus der Zeit des ersten Weltkriegs getilgt. Natürlich ist das dann kein gutes Geschäft mehr für die Kreditgeber - aber das kann Deutschland nun wirklich verkraften. Wenn Syriza den Karren jetzt vor die Wand fährt, dann ist es durchaus möglich, daß eine bessere Regierung das Land wieder vorwärts bringt. Alle Syriza-Maßnahmen lassen sich mit einem Federstrich wieder rückgängig machen. Die Griechen werden zwar heftig für diese Phase politischen Irrsinns büßen, können aber wieder auf den Stand kommen, den sie Anfang 2015 schon hatten. Plus bessere Chancen, die noch fehlenden Reformen wirklich durchzukriegen.
Wann kommt das denn mal bei den Leidmedien an? Merkel wird von links bis ganz links gelobt, dass mit die Tränen kommen. Ich kann das Zeugs gar nicht mehr lesen vor lauter Merkelismus. Insbesondere die Zeit tut sich hervor mit Elogen, was mir einige Schweissperlen auf die Stirn treibt. Denn wenn die Regierungsführung nach Gusto dieser Leichtmatrosenpostille von Statten geht, wie schlimm muss es dann stehen um das Land?
Nichts liegt mir ferner als Frau Merkel in Schutz zu nehmen aber sie ist nun einmal nicht die alleinige Akteurin auf europäischen und nicht einmal auf der deutschen Bühne. Sie ist bestimmt auch nicht die einzige Politikerin die ihre Politik an Umfragewerten orientiert. Mal ganz abgesehen davon, dass auch wo anders Umfragen gemacht werden, haben auch andere Parlamente, nicht nur der Deutsche Bundestag, den Rettungsschirm ratifiziert. Mir scheint die Argumentation von Dr. Hartwich auch nicht konsistent zu sein wenn auf achgut gleichzeitig Artikel erscheinen nach denen Milton Friedmann schon 1977 und M. Thatcher und einige Jahre später das Scheitern einer Währungsunion voraussagten und dieses noch auf der Grundlage flexibler Wechselkurse und damals schon hoch defizitären griechischer Handelsbilanz. Dr. Hartwich müsste also erklären wie ein Land an dem der Dienstleistungssektor über 70% das BIP erstellt, durch Abwertung der Währung wettbewerbsfähiger sein könnte. Dr. Hartwich datiert den Beginn der griechischen Krise auf 2010. Realistischer wäre es die griechische Krise Jahrzehnte zurück zu datieren. Sie wurde mit dem Beitritt Griechenlands zur EU 1981 und endgültig mit der Aufnahme Griechenlands in den Euro zur europäischen Angelegenheit. Herrn Tsipras zum Sieger und Frau Merkel zu Napoleon nach Waterloo zu phantasieren scheint doch etwas hoch und daneben gegriffen zu sein. Ich hatte es bislang für eine Spezialität auf dem Balkan gehalten, krachende Niederlagen wie auf dem Amselfeld als Siege zu feiern, aber diese unangemessene Euphorie scheint weiter verbreitet zu sein. Man kann Frau Merkel die „Klimapolitik“ vorwerfen, die sie seit 1996 betreibt. Man kann ihr die Regierungspolitik seit 2005 vorwerfen mit der sie ihr Bekenntnis zu Ludwig Erhard auf dem Parteitag zu Leipzig über den Haufen geworfen hat und man kann ihr den Atomausstieg und die „Verwirklichung“ des EEG vorwerfen. Man kann ihr aber nicht ihre Umfragewerte und die desaströse Zustimmung von rot-grün zu ihrer desaströsen Politik vorwerfen.
“Erstaunlicherweise kann man in einer Demokratie trotz eines derart inkompetenten und fahrlässigen Handelns immer noch populär sein. Wären deutsche Wähler ein wenig logischer veranlagt, würden sie Merkel zum Rücktritt zwingen.” Ich lebe selbst im Ausland und kann über meine Landsleute nur den Kopf schütteln. Ich verstehe diese Niebelungentreue gegenüber Merkel nicht. Ihr gesamtes Mandat ist eine Aneinanderreihung von Versagen, angefangen mit der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, die einige Monate später dann ganz abgeschafft werden sollten, E10, die gewendete Energie, Griechenland. Ich verstehe die Deutschen nicht!
Frau Merkel hat zwei wirkliche wirtschaftliche Desaster zu verantworten: den Euro und die sogenannte Energiewende. Und die Folgen beider Desaster sind nicht isoliert, sondern breiten sich auf die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft aus: Der Euro hat die Wirtschaftsstrukturen in ganz Europa durcheinander gebracht, den europäischen Frieden zerstört, Wanderungen der Bevölkerungen ausgelöst und radikale Parteien in Europa gezüchtet; die Energiewende zerstört die Landschaften durch Windmühlen und Stromtrassen, vertreibt ganze Industrien aus Deutschland und etabliert jahrzehntelange Zahlungsverpflichtungen - und das ohne Entlastung der Umwelt! Frau Merkel nimmt das in Kauf, solange nur ihre Umfragewerte stimmen? Entweder Frau Merkel erkennt das alles nicht, oder sie hat kein Gewissen. Oder gibt es eine freundlichere Erklärung?
“Wären deutsche Wähler ein wenig logischer veranlagt, würden sie Merkel zum Rücktritt zwingen.” - vielleicht sind die deutschen Wähler logischer, als es den Anschein hat: was wäre denn die Alternative zu Merkel? Aus womöglich ähnlichen Gründen halten sich die Republikaner in den USA damit zurück, gegen Obama ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten, da dessen Alternative erst mal “crazy uncle” Joe Biden wäre.
Dieser Beitrag beschreibt zutreffend Abläufe, Fehleinschätzungen, taktisches Versagen und total falsches Vorgehen unserer Regierung (übrigens auch der EU), blendet aber aus, dass die möglichen Alternativen zu Merkel & Co noch Schlimmeres erwarten lassen. Wir sitzen wieder einmal durch die Schuld der ewig Unverantwortlichen in einem Dilemma, aus dem nur dann ein Ausweg gefunden werden kann, wenn alle Beteiligten den auch wollen, was ich persönlich bezweifele. Deutschland sollte vielleicht mehr mit Finnland, den Niederlande, den baltischen Staaten, Polen, Österreich und Slowenien den Schulterschluss wagen, da Frankreich zur Zeit alles andere als ein zuverlässiger “Freund” ist.
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