Außenminister Hans-Dietrich Genscher flog mal aus den USA zurück nach Deutschland. Als er über der Grönlandsee aus dem Fenster blickte, sah er einen Jet mit dem Bundesadler, der ihm entgegenkam. Er winkte nach dem Steward und fragte ihn: "Da, die Bundeswehr-Boeing dahinten, wer ist das, wer fliegt da nach Amerika?"
Der Steward ging ins Cockpit und bat den Captain, in Köln/Bonn nachzufragen. Er kam zurück und sagte: "Das ist der Genscher, Herr Minister, der ist unterwegs nach Washington." "Aber der Genscher, das bin ich doch", sagte Genscher. "Ja," sagte der Steward, "nur, der ist soviel unterwegs, dass er sich eben manchmal in der Luft selbst begegnet."
Der Witz ist veraltet. Heute erzählt ihn die Berliner Journaille mit Angela Merkel. Sie ist die am meisten gereiste Bundeskanzlerin, die Deutschland je hatte. Allein in den ersten 24 Wochen dieses Jahres hat sie über drei Dutzend Auslandsreisen bewältigt. Seit ihrem Dienstantritt 2005 besuchte sie 79 Staaten, etliche mehrfach, Frankreich 42mal. Wenn es bei der Luftwaffe Bonus-Meilen gäbe, hätten sie und Professor Sauer jedes Jahr ein Paar Roundtripps um den Globus frei. Die zahllosen Inlandflüge, meist per Helikopter, sind dabei noch nicht eingerechnet.
Verrückt nach Angela
Und nun also Argentinien und Mexiko. Für die Kanzlerin muss die pompöse Lateinamerika-Safari ein solides Erfolgserlebnis gewesen sein. Die Argentinier waren ganz verrückt nach ihr. Te queremos, Angela maxima. Das Protokoll stellte ihr sogar ein kleines rotes Podest hinters Rednerpult, damit sie grösser wirkte als der Gastgeber, Staatspräsident Mauricio Macri. Sie wird es bedauert haben, dass die Argentinier sie nicht wählen können.
Aber den Deutschen fällt es natürlich leichter, eine Kanzlerin wiederzuwählen, die in so fernen Welten so angehimmelt wird. Führerin der freien Welt wurde sie in Buenos Aires genannt. Gegen ihren Willen, sagte ihr Pressesprecher. Ganz unsympathisch waren ihr die Huldigungen aber wohl auch nicht. Denn es ist Wahlkampf in Deutschland.
Nur beim Thema Fußball wurden sie sich nicht einig. Bei der WM in Moskau nächstes Jahr müsse Argentinien wieder Champion werden, meinte Macri. Das sah Merkel ganz anders
Also, Flug Berlin - Buenos Aires mit 200.000 PS und großer Entourage, darunter viele Wirtschaftskapitäne, 15 Stunden nonstop im Airbus A 340, dem größten Flugzeug der Bundesluftwaffe. Danach Buenos Aires - Mexiko-City, dann zurück nach Berlin, 30.000 Kilometer in vier Tagen. Auf den drei Teilstrecken hat der vierstrahlige Kanzlerjet beinahe zwanzig große Tanklastzüge voll Kerosin vernuckelt, der Liter für 1,10 Euro.
Brücken bauen am Rio de la Plata
Was hat der Parforce-Flug gebracht außer dem Austausch von Floskeln und Artigkeiten? Am Rio de la Plata teilte die Kanzlerin mit, in einer Zeit der Globalisierung müsse man Brücken bauen. Kein Widerspruch. Da Deutschland und Argentinien keine Probleme miteinander haben, gab es auch keine zu bereden. Deshalb war das Gespräch mit Präsident Macri auch schnell beendet. Beim Besuch der Synagoge "Templo de Libertad" sprach die Besucherin sich gegen den Antisemitismus aus. Rabbi Simón Moguilevsky bedankte sich: Es möge doch mehr solche famosen Personen auf der Welt geben.
Tags drauf in Mexiko pries Merkel Präsident Pena Nietos "mutigen Reformwillen" und bedankte sich für dessen Bereitschaft, sein Land in den Kampf gegen die Erderwärmung einzubringen. Man werde auch für mehr Zusammenarbeit eintreten. Sie tat den begleitenden Journalisten nicht den Gefallen, wenigstens ein bißchen gegen Präsident Trump zu stänkern. Die schärfste Spitze war ihre Bemerkung, mit Mauern könne man keine Probleme lösen. Ansonsten alles nur Friede, Freude, Eierkuchen. Die mitreisenden Bosse hatten kaum Zeit, sich mit Geschäftspartnern auszutauschen.
Der transatlantische Phrasenwechsel berührte kaum politische Inhalte. Es wurde nichts erörtert, was man nicht auch telefonisch hätte besprechen können. BILD berichtete noch, die zwei Würdenträger hätten mit Bier statt mit Wein auf die deutsch-mexikanische Freundschaft angestoßen. Mexiko und Deutschland sind nämlich zwei führende Biernationen.
Trump ist noch teurer
Man hat nicht vernommen, dass in Berlin jemals ein Parlamentarier nach dem Zusammenhang von Angela Merkels enormen Flugkosten und dem Ertrag ihrer politischen Gespräche im Ausland gefragt hätte. Ja, gewiss, wenn Donald Trump verreist, ist es wahrscheinlich noch teurer. Aber Overkill bleibt Overkill, auch wenn andere Staats- und Regierungschef Reisespesen noch sorgloser verschwenden als die Kanzlerin.
Für den G-20-Gipfel am 7. und 8. Juli werden in Hamburg-Fuhlsbüttel fünfzig große Regierungsflugzeuge erwartet. Warum bilden Nachbarn keine Fluggemeinschaften? Der Indische Präsident könnte in Riad zwischenlanden und den saudischen König an Bord nehmen. Der australische Staatschef könnte die Päsidenten von Singapur und Indonesien einsammeln und Pekings Xi Jinping könnte Moskaus Putin mitnehmen. Sie haben alle die Klimaakte von Paris unterschrieben, die den weitweiten CO2-Ausstoß, unter anderem den von Flugzeugen, reduzieren soll. Aber nein, jeder braucht seinen eigenen Flieger. Niemand soll glauben, sie könnten sich nichts leisten.
In Deutschland hat die Verschwendung System. Für den Gebrauch der sieben Airbusse, sechs zweistrahligen Challenger und einer kleinen Hubschrauberflotte versemmelt der parlamentarische Apparat jährlich Kosten, die wohl ausreichen würden, alle deutschen Schulen und Kindergärten, die das nötig haben, zu renovieren. Trotzdem, der Bundesrechnungshof und der Bund der Steuerzahler, die acht geben sollen, dass Regierung und Behörden nicht zuviel Geld ausgeben, haben die Bundestags-Airline nicht auf dem Zettel.
Leerflüge zwischen Berlin und Köln
Gut 3,5 Millionen Euro im Jahr gibt der Staat allein für Flüge zwischen Köln und Berlin aus, bei denen kein einziger Passagier an Bord ist (Stand von Ende 2013). Die Regierungsflieger sind trotz des Umzugs von Bundestag und Bundesregierung von Bonn nach Berlin vor 18 Jahren weiterhin am Militärflughafen in Köln-Wahn stationiert. Fordert ein Regierungsmitglied einen davon an, kommt dieser leer nach Berlin, um den Minister abzuholen. Beim Rückflug bringt die Maschine ihn wieder nach Berlin, anschließend kehrt sie leer nach Köln zurück. Dabei kann man mit Linie im Schnitt fast alle halbe Stunde von Berlin nach Köln fliegen (und umgekehrt), allerdings mit mehr Tuchfühlung zum Volk, als der politische Klasse lieb sein mag.
Formlosen Zugriff auf den Flugservice haben alle politischen Nobilitäten, außerdem der Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Allerdings nur, wenn der Reisezweck mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu erüllen ist, wie es offiziell heißt. Einfache Abgeordnete können ihn auch nutzen. Sie brauchen dazu aber das Laissez-passer des Bundestagspräsidenten. Die Kosten gehen zu Lasten des Verteidigungsministeriums.
Wie unbekümmert Abgeodnete auf Bundeswehrmaschinen zugreifen und sie gegebenenfalls, wenn sie es sich anders überlegt haben, wieder abbestellen, zeigten im Mai 2010 die Bestellung und die Stornierung eines Flugzeugs durch die grünalternativen Minister Renate Künast und Jürgen Trittin, die auf der politischen Bühne gern gegen das zügellose Herumjetten der kleinen Leute polemisieren.
Die zwei grünen Prinzipale hatten für Kurztrips in Brasilien eine Challenger aus Deutschland bestellt. Dann änderten sie unvermittelt ihr Programm. Der Auftrag wurde gestoppt, als die Maschine bereits auf dem Weg war. Aber auch nur deshalb, weil deutsche Medien angefangen hatten, den Skandal zu recherchieren. Sonst wäre die Challenger leer nach Brasilien weitergeflogen und leer wieder zurückgekehrt.
Eine Charter für die innerbrasilianischen Flüge wäre vor Ort für weniger als 50.000 Euro zu haben gewesen. Ein Challenger-Flug allein von von Köln nach Sao Paolo und zurück kostet das Fünffache. Die damals oppositionelle CDU/CSU forderte die Schadensverursacher auf, die tatsächlichen Kosten für den Leerflug aus der eigenen Tasche zu zahlen. Das lehnten sie ab. Sie sagten, sie hätten sich an die Regeln gehalten. Dabei blieb's.