Titus Gebel / 28.04.2018 / 17:00 / Foto: Ildar Sagdejev/Specious / 11 / Seite ausdrucken

Merkel ist nur ein Symptom

Von Titus Gebel.

Angela Merkel ist nicht das eigentliche Problem. Angela Merkel ist nur ein Symptom. Andere westliche Staaten haben vergleichbare Sorgen. Irgendwann, warum nicht jetzt, sollten wir uns daher fragen, wie unsere künftige Gesellschaftsordnung beschaffen sein muss, um zu verhindern, dass Menschen wie Merkel, Maas oder Schäuble über das Schicksal von Millionen bestimmen. 

Seit langer Zeit schon sind unsere ärgsten Feinde nicht mehr Naturereignisse oder Raubtiere, sondern ausschließlich andere Menschen. Die entscheidende Frage ist daher, wie wir die Gemeinschaft mit unseren Mitmenschen gestalten. Menschen sind in der Lage, sich auf bestimmte Weltanschauungen zu verständigen und für diese sogar ihr Leben zu opfern. Handelt es sich dabei um fragwürdige oder gefährliche Ideen, haben alle anderen ein Problem. Das einzig wirkliche Menschheitsproblem ist mithin, dass Menschen anderen Menschen ihren Willen aufzwingen möchten. Die Aufgabe ist daher, eine Ordnung zu schaffen, die das verhindert.

Die vorherrschende Meinung im Westen geht davon aus, dass die Kombination von Demokratie und Rechtsstaat bereits eine ausreichend gute Methode sei, um Machtmissbrauch zu unterbinden und ein gedeihliches Zusammenleben zu ermöglichen. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks wurde gar prognostiziert, das Ende der Geschichte sei eingetreten. Liberale, rechtsstaatliche Demokratien seien die Quintessenz der Entwicklung, ein weiterer Fortschritt nicht mehr möglich und letztlich würden weltweit alle Systeme darauf hinauslaufen. Das ist allerdings ein Irrtum, unter anderem deshalb, weil auch unsere freiheitlich-demokratischen Verfassungen etwas sind, das nach dem Zivilrecht aller Staaten unzulässig wäre: nämlich Verträge zu Lasten Dritter. 

Auch unser Zusammenleben ist ein Markt

Alle Probleme in westlichen Demokratien haben Folgendes gemeinsam: Erstens hat eine kleine Minderheit aufgrund ihrer eigenen Einschätzungen und Präferenzen Entscheidungen getroffen, die sämtliche Menschen in ihrem Herrschaftsbereich betreffen. Zweitens hat diese Minderheit keinerlei wirtschaftliche Nachteile zu befürchten, wenn ihre Entscheidungen finanziellen oder anderweitigen Schaden verursachen. Drittens ist die Hauptlast zur Umsetzung der Entscheidungen von denjenigen zu tragen, die nicht mitentscheiden durften. Dieser Grundmechanismus wird auch nicht dadurch beeinträchtigt, dass im Einzelfall Parlamentszustimmungen erforderlich sind oder weitere Gremien einbezogen werden.

Aber auch unser Zusammenleben ist ein Markt, ob wir das nun gut finden oder nicht. Jeder Markt ist gekennzeichnet durch das Zusammenführen von Angebot und Nachfrage an Waren, Dienstleistungen und Rechten. Staaten existieren, weil eine Nachfrage nach ihnen besteht. Eine staatliche Ordnung schafft einen Rahmen, in dem der Mensch sozial interagieren und friedlich Leistungen und Güter tauschen kann. Das Bestehen von Sicherheit und festen Regeln macht es möglich, dass Menschen in sehr großer Zahl miteinander auskommen können. Ein derartiges Zusammenleben ist so attraktiv, dass dafür auch erhebliche Freiheitseinschränkungen hingenommen werden. Vermutlich ziehen selbst die meisten Bewohner Nordkoreas das Verbleiben im Land dem freien Robinson-Dasein auf einer einsamen Insel vor. Der Mensch ist nun mal ein Herdentier.

Der Markt des Zusammenlebens ist nicht nur der wichtigste, sondern auch der größte aller Märkte. Staatliche Aktivitäten machen etwa 30 % des weltweiten Bruttosozialproduktes aus. Die Performance ist gleichwohl dürftig. Das bilanziell größte „Unternehmen“ auf diesem Markt, die Vereinigten Staaten von Amerika, macht pro Jahr Verluste in Höhe von etwa 1000 Milliarden US-Dollar. Manche Marktteilnehmer, etwa Schweden und Deutschland, ziehen bewusst unqualifizierte, alimentierungsbedürftige Neukunden an und vertreiben dadurch ihre zahlungsstarke Stammkundschaft. Einige Wettbewerber, etwa Iran oder Nordkorea, töten gar ihre eigenen Kunden für Verhaltensweisen, die anderswo nicht einmal als strafwürdig gelten. Jeder einigermaßen befähigte Unternehmer sollte das besser hinbekommen.

Vereinbarungen um den Systemwettbewerb auszuschließen

Wenn man nun die Leistungen des Staates bieten und gleichzeitig dessen Nachteile vermeiden könnte - nämlich immer mehr Besteuerung und Bevormundung bei beständiger Änderung der Spielregeln - dann hätte man ein besseres Produkt geschaffen. Hat das System Erfolg, werden mehr Menschen Vergleichbares wollen. Dafür benötigt man freilich neue Konzepte. Wird jeder Neuansatz von vornherein als utopisch abgelehnt, ist Stagnation die wahrscheinliche Folge. Die Crux bisheriger Staatsutopien besteht freilich darin, dass eine freiwillige Teilnahme an ihnen nicht vorgesehen ist. Fast alle diesbezüglichen Überlegungen waren und sind im Grunde totalitär, angefangen bei Platon mit seinen Philosophenkönigen über die Diktatur des Proletariats bei Marx bis hin zur aktuellen Idee einer Großen Transformation. Eine erleuchtete Minderheit will ihre Sicht der Dinge durchsetzen, unabhängig davon, ob alle anderen das gut finden oder nicht. Wird diese Minderheit durch eine demokratische Mehrheit ersetzt, ändert sich nur die Zahl der gegen ihren Willen bevormundeten Menschen, nicht das Prinzip.

Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren findet zwischen staatlichen Ordnungen dagegen kaum statt. Im Gegenteil werden von staatlicher Seite kartellartig internationale Vereinbarungen forciert, um einen Steuer- oder Systemwettbewerb möglichst auszuschließen. Das kommunistische Modell ist zwar seit dem Zerfall der Sowjetunion im Markt des Zusammenlebens praktisch nicht mehr vertreten, aber auch dieser Prozess hat über siebzig Jahre gedauert.

Und hier liegt ein weiteres Problem: Es besteht in diesem Marktsegment nur die Möglichkeit, durch Übernahme der Regierung, Revolution oder Sezession ein neues „Produkt“ einzuführen. Dadurch ist es extrem schwierig, in den Markt überhaupt einzudringen. Erkenntnisgewinne über die Eignung von Staatsformen dauern Generationen, sind zu Lebzeiten der Betroffenen oft überhaupt nicht feststellbar. Auch in demokratischen Staaten fehlt durchgehend ein Ventil für Minderheiten, um Gegenmodelle zu installieren, welche sich später möglicherweise als überlegen herausstellen. 

Die Idee, dass Staat und Markt zwei getrennte Sphären sind, und dass es normal ist, wenn ein Führer oder eine Versammlung weiser Menschen für uns entscheidet, scheint uns in Fleisch und Blut übergegangen zu sein. So sehr, dass wir Selbstbestimmung als Alternative nicht einmal in Erwägung ziehen. 

Warum nicht akzeptieren, dass Menschen verschieden sind?

Dazu ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, wir hätten eine neue Marmeladensorte geschaffen. Wir könnten uns nun mit anderen streiten, welche Marmelade die beste ist, könnten Bürgerinitiativen, Vereine und Parteien gründen, die unsere Sorte bewerben. Wir würden versuchen, Medien, Künstler, Intellektuelle und mächtige Interessengruppen auf unsere Seite zu ziehen. Würden Gutachten und Umfragen in Auftrag geben, welche die Überlegenheit unserer Marmelade über andere Sorten belegen. Kurz gesagt, wir würden Marmeladenpolitik betreiben. So etwas wäre lächerlich, nicht wahr? Soll doch jeder die Marmelade kaufen, die ihm schmeckt! Dann wird sich schon zeigen, ob unsere Sorte Erfolg hat.

Auf die Idee, diesen Ansatz auf unser Zusammenleben zu übertragen, sind wir aber noch nicht gekommen. Hier kämpfen wir nach wie vor leidenschaftlich darum, welches die „richtige“ oder „gerechte“ Art des Miteinanders ist. Warum akzeptieren wir nicht einfach, dass wir Menschen verschieden sind, und dass das, was A gefällt, B noch lange nicht zusagen muss?

Wir erhalten nicht bessere Mobiltelefone, weil wir als Aktionäre auf der Hauptversammlung mitbestimmen können, sondern weil jeder Einzelne das von ihm gewünschte Produkt kaufen kann und schlechtere Mobiltelefone irgendwann nicht mehr nachgefragt werden. Weil das alle anderen auch so machen, gibt es heute hervorragende und preisgünstige Geräte. Selbst arme Menschen in Entwicklungsländern können sich inzwischen Mobiltelefone mit umfangreichen technischen Fähigkeiten leisten. Das funktioniert deshalb so gut, weil die Lösungsfindung auf dem Markt ein evolutionärer Prozess ist, der durch Mutation (Versuch und Irrtum), Selektion (Profitabilität oder Pleite) und Reproduktion (Nachahmung erfolgreicher Lösungen) stattfindet.

Diesen bewährten Mechanismus müssen wir nun auf die Systeme unseres Zusammenlebens übertragen. Wenn jeder jeden Tag mit seinen Kaufentscheidungen darüber mitbestimmen kann, welche Produkte weiter bestehen und welche nicht, ist das nicht viel eher eine Demokratie im Sinne einer Herrschaft aller? Jedenfalls verglichen mit dem Abgeben der Stimme aller paar Jahre für Politiker, deren Absichten man nicht genau kennt und deren Umsetzung ungewiss ist.

Die Sichtweise einer Gesellschaftsordnung als „Produkt“ und der friedliche Wettbewerb der Systeme um Bürger als „Kunden“ ermöglicht eine erhebliche Entschärfung bisheriger politischer Konflikte. Gibt es erst einmal ausreichend Alternativen, sind sowohl Ordnungen, die auf Abstammung und Gemeinschaftsgefühl beruhen, wie solche, die Privateigentum ablehnen, nur noch technische Produkte unter vielen. Das gilt selbst dann, wenn deren Veranstalter diese Betrachtungsweise vehement ablehnen. Solange Neuversuche auf begrenztem Territorium und mit Freiwilligen stattfinden, ist der Schaden bei einem Scheitern zudem überschaubar und aufgrund der informierten Freiwilligkeit der Teilnehmer auch akzeptabel.

Die Schaffung neuer Systeme des Zusammenlebens im 21. Jahrhundert ist nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich.nStefan Zweig erkannte bereits 1936 in Castellio gegen Calvin, dass die Mehrheit niemals den „Geduldigen und Gerechten“ die Lenkung des Staates anvertrauen werde, sondern immer irgendwelchen Blendern, die große Schicksalsfragen konstruieren und darauf die Antworten wissen. Das ist nun schon so häufig in der Menschheitsgeschichte passiert, dass es doch relativ nahe liegt, wenn die „Geduldigen und Gerechten“ jetzt einmal anfangen, ihre eigenen Gemeinwesen zu gründen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. 

Titus Gebel ist Unternehmer und promovierter Jurist. Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Einleitungskapitel seines Buchs „Freie Privatstädte – mehr Wettbewerb im wichtigsten Markt der Welt“. Siehe auch hier und hier.

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Karla Kuhn / 28.04.2018

“...wie unsere künftige Gesellschaftsordnung beschaffen sein muss, um zu verhindern, dass Menschen wie Merkel, Maas oder Schäuble über das Schicksal von Millionen bestimmen.”  WIE ? MUTIG und sich auf keinem Fall einschüchtern lassen. Sie muß sich INFORMIEREN, die Augen geöffnet lassen und deutlich als SOUVERÄN agieren. UND, ganz wichtig, sie muß ZUSAMMEN HALTEN !! “Wenn mein starker Arm es will, stehen alle Räder still.” (Das Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, geschrieben 1863 von Georg Herwegg) “„Geduldigen und Gerechten“  die erinnern mich aber fatal an den “Aufstand der Anständigen.”  Ich bin für Menschen mit einem GESUNDEN MENSCHENVERSTAND.

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