Merkel gilt nicht mehr als Herrin der Lage

Die CSU wollte Angela Merkel im bayerischen Wahlkampf gar nicht sehen. In Hessen tritt dagegen Ministerpräsident Volker Bouffier gleich serienweise mit der Bundeskanzlerin wahlkämpfend auf. Bouffier war immer loyal mit Merkel, doch die Umfragen sagen ihm ähnlich große Verluste voraus wie der CSU in Bayern. Für beide geht es bei der Wahl am kommenden Sonntag nicht nur um viel, sondern inzwischen um alles. Nach neuen Umfragen droht Bouffier nicht bloß der Verlust von mehr als 10 Prozentpunkten mitsamt schwarz-grüner Regierungsmehrheit. Mittlerweile formiert sich sogar eine grün-rot-rote Mehrheit, womit der Sturz Bouffiers plötzlich möglich zu werden droht.

Für Bouffier ist diese Entwicklung beinahe tragisch. Er gilt als respektierter und besonnener Ministerpräsident, Hessen steht wirtschaftlich blendend da und seine skandalfreie schwarz-grüne Regierung galt lange als Modell für Deutschland. Trotzdem scheint ihn die Implosion der Volksparteien voll zu treffen. Bouffier setzt in der letzten Wahlkampfwoche nun alles auf das Thema „grün-rot-roter Linksschock”. Eine linke Regierung sei „das letzte, was wir gebrauchen können”. Für Hessen als „wirtschaftsstarkes Land” wäre eine solche Koalition eine „Katastrophe”. Tausende Arbeitsplätze stünden vor der Vernichtung, Investitionen würden zurückgefahren, warnt Bouffier und versucht mit derart dramatischen Appellen auf der Zielgeraden die bürgerlichen Wähler noch zu mobilisieren.

Doch auch für Angela Merkel wird der Urnengang in Hessen zur Schicksalswahl. Zum einen droht ihr der Zusammenbruch der Großen Koalition, falls die Sozialdemokraten nach Bayern (9,7 Prozent) nun auch in Hessen historisch abstürzen sollten. Rutscht die Sozialdemokratie am kommenden Sonntag in die Nähe oder gar unter die Zwanzig-Prozent-Linie und sackt sie auch in ihrem alten Stammland Hessen hinter die Grünen zurück – dann dürfte bei den Sozialdemokraten im Bund eine dramatische Erschütterung folgen. In mehreren Landesverbänden droht ein Aufstand der Parteibasis, nicht mehr nur gegen Andrea Nahles als Parteivorsitzende sondern auch gegen die Große Koalition in Berlin.

Das Thema Minderheitsregierung auf der Tagesordnung

Doch Merkel sieht sich auch in der eigenen Partei zusehends unter Druck. Ihr Rückhalt in der CDU schwindet von Woche zu Woche mehr. „Wenn die Union nach der miserablen Bundestagswahl nun auch in wichtigen Landtagswahlen historisch einbricht, dann brauchen wir offensichtlich einen Neuanfang an der Parteispitze”, heißt es aus der CDU-Fraktion im Bundestag. Merkel möge ihre Kanzlerschaft weiter führen, doch die Partei brauche „schon aus Selbstachtung” endlich eine Erneuerung, hört man auch aus süd- und ostdeutschen Landesverbänden. In den ostdeutschen Parteigremien wächst insbesondere die Sorge, dass andernfalls bei der Europawahl im Mai und den Landtagswahlen im Herbst (Brandenburg, Thüringen, Sachsen) die AfD durchgehend stärkste Partei werden könne. Dies gelte es unbedingt zu verhindern. Merkel gilt seit dem Sturz ihres Fraktionsführers Kauder nicht mehr als Herrin der Lage.

Sollte Bouffier einbrechen oder gar stürzen, würde ihre eigene Kandidatur beim CDU-Parteitag im Dezember schwer belastet. Kein geringerer als Wolfgang Schäuble hat in bemerkenswerter Offenheit bereits zu Protokoll gegeben, Merkel sei in der CDU nicht mehr „so unangefochten”. Schäuble bringt – auch mit Blick auf die erschütterte SPD – das Thema Minderheitsregierung auf die Tagesordnung. Schäubles Schwiegersohn Thomas Strobl, der starke Mann der Südwest-CDU, orakelt zusätzlich über einen zweiten Anlauf zur Jamaika-Koalition. Beide Alternativen zur Großen Koalition eint der Umstand, dass Angela Merkel dann kaum mehr Kanzlerin bleiben könnte.

Noch halten die Parteispitzen in SPD und CDU diszipliniert die Luft an, um den taumelnden Wahlkampf in Hessen nicht noch weiter zu beschädigen. Noch wird nicht offen über das politische Erdbeben gesprochen, das Berlin in wenigen Tagen droht. Doch am Sonntag, 18 Uhr, wird es kommen. Und die Stärke der Erschütterung wird davon abhängen, ob die SPD mit einem blauen Auge davon kommt und Volker Bouffier die bürgerlichen Wähler auf der Zielgeraden doch noch mobilisieren kann. Dafür geht er mit Angel Merkel Arm in Arm weite Wege in den letzten Tagen – bis tief ins hessische Hinterland, Kassel in Nordhessen, Fulda im katholischen Osten, Dieburg im protestantischen Süden, selbst Ortenberg im Wetteraukreis mit seinen genau 9036 Einwohnern. In Ortenberg erhielten die beiden Volksparteien bei der Kommunalwahl vor zwei Jahren noch 72,3 Prozent der Stimmen. Selbst die entlegensten Hoffnungsorte werden von Merkel aufgesucht, um die Kanzlerschaft zu retten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in The European

Foto: Boston Traveller/ Harry Trask/AP via Wikimedia Commons

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Matthias Kaufmann / 24.10.2018

“Dieburg im protestantischen Süden”? Dieburg ist die katholische Enklave mit eigener Wallfahrt in protestantischer Umgebung! Dort wird sogar ein veritabler Karneval gefeiert…

Martin Stumpp / 24.10.2018

Herr Kolb, das Parteiprogramm der Grünen lesen die Wähler der Grünen genauso wenig wie die Wähler der NSDAP deren Parteiprogramm gelesen haben oder die Islamversteher sich die Mühe machen den Koran oder die Hadith zu lesen. Hinterher wundern sich alle wie es passieren konnte. Ich hoffe nur, dass ich dann weg bin und bin froh keine Kinder in dieses irre Land gesetzt zu haben.

Jan-Hendrik Schmidt / 24.10.2018

“Selbst die entlegensten Hoffnungsorte werden von Merkel aufgesucht, um die Kanzlerschaft zu retten.” Nur darum geht es Merkel: um ihre Kanzlerschaft zu retten, nicht um Deutschland zu retten. Das ist Merkels einziges Bestreben. Es wird interessant sein zu sehen, ob sich die Leute wieder von ihrem Endspurt in Hessen einlullen lassen werden.

Karl Baumgart / 24.10.2018

@ Karla Kuhn Informieren Sie sich mithilfe des Internets mal über den Begriff ‘konstruktives Misstrauensvotum”, werte Karla Kuhn. Sie können so erfahren, wieso es zu dieser Entwicklung in unserem ‘Hohen Haus’ bisher nicht gekommen ist!

Wolfgang Richter / 24.10.2018

Der Herr Bouffier hatte sich die Macht gesichert, indem er meinte, sich mit den Grünen ins politische Bett legen zu können. Neben anderen (u.a. Berliner)  Gründen könnte auch dies zur Abkehr klassischer CDU-Wähler führen. Wenn er sich jetzt auch noch unter Aus- blendung des merkelschen Negativimages mit selbiger auf Wahlkampfbühnen stellt, hat er es Dank offenkundiger Dummheit nicht anders verdient, als massiv abgestraft zu werden. Mögen die Links-Grünen Herren übernehmen. Dann können sich schon mal die überwiegend aus gleicher politischer Ecke kommenden Nehmerländer des Finanzausgleichs einen engeren Gürtel schnüren, da Hessen infolge der zu erwartenden Fortschriftspolitik abgewirtschaftet werden und nicht mehr zahlen wird. Und das Scharren der C-Partei-freunde im Hintergrund belegt wieder mal den schönen Vergleich—Feind-Todfeind-Parteifreund—. Bis zum Neuanfang muß es offenbar erst noch weiter abwärts gehen, um sodann einen Phönix zu erhoffen.

Karla Kuhn / 24.10.2018

“Merkels Regierung ist unfähig zu politischem Wandeln” heute bei t-omline.  “.....selbst Ortenberg im Wetteraukreis mit seinen genau 9036 Einwohnern. In Ortenberg erhielten die beiden Volksparteien bei der Kommunalwahl vor zwei Jahren noch 72,3 Prozent der Stimmen. Selbst die entlegensten Hoffnungsorte werden von Merkel aufgesucht, um die Kanzlerschaft zu retten.”  Du meine Güte, WIE weit ist dies Frau gesunken !  Bietet sie sich jetzt an wie saueres Bier ?WARUM kann sie nicht mit Anstand und Würde, vor allem mit WÜRDE aus ihrem AMT scheiden ? Mittlerweile muß es ja selbst zu ihr vorgedrungen sein, daß sie - bei vielen Menschen, sogar im eigenen Lager- kaum noch Rückhalt hat ?? Ich habe in Deutschland bisher noch keinen Politiker-innen erlebt, der/die derart fest an seinem Sessel klebt wie Frau Merkel und WARUM kann es nicht möglich sein, diese Frau ihres Amtes zu entheben ? WIR leben noch immer in einer Demokratie, wir leben nicht in afrikanischen Staaten.wo sich die Diktatoren bis zum Sankt Nimmerleins Tag halten können. (jedenfalls in vielen). Das ist schon keine Posse mehr, das ist eine TRAGÖDIE !! 

U. Unger / 24.10.2018

Herr Weimer, der große Koalitionskrach in Berlin und ein Knall in der CDU? Glaube ich mittlerweile nicht mehr, selbst wenn die AFD in Hessen zwischen 15 und 20% holt, dürfte dies am Teflon beider Parteien abrutschen. Man hat sich zu sehr daran gewöhnt ohne Programmatik, aber pro Migrationschaos in irgendeiner Koalition aus Altparteien mit gebrauchtem Personal weiter zu machen. Man bastelt sich die große Zustimmung aus dem teilnahmslosen Verhalten der Nichtwähler. Nur wenn es in Hessen gelingt, eine deutlich hohe Wahlbeteiligung zu erreichen, bei der die AFD deutlich über den Ergebnissen der letzten Landtagswahlen liegt, könnte dies zu Aufregung im unteren Funktionärsbereich führen. Solange man für 10 - 15 % Jobverlierer unter den Mandatsträgern Trostverwendungen besorgen kann, dürften die klugen Vorhersagen zu einem Koalitionsbruch, verursacht durch Hinterbänkler (Sarrazin) verzögert werden. Der gemeinsame Kampf gegen rechts dürfte noch lange verbinden, was früher tief zerstritten war.

Thomas Bonin / 24.10.2018

Um Merkel (schlussendlich) Beine zu machen, bedarf es wohl erst der konsequenten publizistischen Sterbehilfe seitens der etablierten Massenmedien, zumal sich diese (allen voran die Öffentlich-Rechtlichen) nach wie vor als zuverlässigste Systemstütze (per Mischung aus Hofberichterstattung und [allenfalls] zahmer Kritik) erweisen. Anderenfalls wäre (zumindest) die CDU als (sich gebende) Volksversteher-Partei längst dort, wo die SPD mittlerweile gelandet ist. Vorbei sind die Zeiten, als beispielsweise H. Kohl seinerzeit (angesichts auftauchender Journalisten) vorsichtshalber schnellen Schrittes dem Fluchtausgang zustrebte oder selbst G. Schröder noch reichlich Fett abbekam. Stattdessen wird einem Gutteil der Untertanen tagtäglich Glauben gemacht, dass all die sichtbar gewordenen gesamtgesellschaftlichen Bruchlinien als überwindbare Anlaufschwierigkeiten im Rahmen eines Erlösungskonzepts zu Nutz & Frommen der Menschheitsgeschichte zu deuten sind (die Legende von der “Wunderwaffe” lässt grüßen). Vertreter der alten Journalistenschule (bis auf verbliebene, sich vorzugsweise im Feuilleton-Teil “austoben” dürfende Ausnahmen) sind sukzessive mehrheitlich ersetzt worden durch angepasste (entsprechend deutlich jüngere) Jahrgänge. Gegenwind kommt derzeit nur von einer Partei (die bekanntlich aus allen Rohren niedergeschrieben wird) sowie von zahlreichen (Tendenz steigend) außerparlamentarisch operierenden digitalen Plattformen. Es wird noch Zeit und Anstrengungen brauchen, um die Fronten der Meinungskartelle zu durchbrechen; dann allerdings dürfte auch die große Stunde der “Widerständler” & Wendehälse gekommen sein.

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