Chaim Noll / 06.11.2021 / 12:00 / Foto: Kuebi / 97 / Seite ausdrucken

Merkel geht, der Selbstbetrug bleibt

Angela Merkel hat Grund zum Lachen. Neuerdings. Auf dem Klima-Gipfel in Glasgow, zu dem die ums Weltklima besorgten Regierungschefs, gekrönten Häupter und progressiven Wirtschaftsbosse zu Dutzenden in Privatjets einflogen, um sich mal wieder persönlich zu treffen, war sie außer sich vor Heiterkeit. Ein Foto zeigt sie mit Camilla, der Herzogin von Cornwall: Die scheidende Kanzlerin hält ein weitgehend geleertes Glas in der Hand und lacht lauthals wie die „trunkene Alte“ Malle Babbe auf Frans Hals' berühmtem Gemälde von 1633. Ihre Lustigkeit hat etwas Ausschweifendes, etwas Barockes. Das Bild von Frans Hals hängt in den Staatlichen Kunstsammlungen in Berlin.

Das Biestige und Bittere ist aus Angela Merkels Gesicht verschwunden, jetzt, wo sie vom Bundespräsidenten ehrenhaft entlastet, vom Parlament mit Beifall überschüttet, von ihren Hofschreibern in Zeit und Spiegel als Heroine verewigt, als Ziel allgemeinen Unmuts aus dem Verkehr gezogen, sozusagen in Sicherheit ist. Die schreibenden Schmeichler verbreiten ein Video, auf dem sich der französische Präsident, ein zunehmend unbeliebter Potentat wie sie, „mit inniger Umarmung“ von ihr verabschiedet. Zuvor hat er ihr noch das Großkreuz der Ehrenlegion umgehängt. „Auf ein letztes Glas Wein mit der Kanzlerin“, titelt launig die FAZ und bescheinigt ihr einen „gesegneten Durst“. Sie sei in höheren Politikerkreisen schon lange als Liebhaberin eines guten Tropfens bekannt, oft hätte man die Abende nach den Sitzungen beim Wein verbracht, besonders damals, als Merkel und Macron bei der „Regulierung“ der EU-Schuldenkrise „zusammengewachsen“ seien. Daher gab es jetzt, wie die FAZ berichtet, einen Trinkspruch zum Abschied: Jamais en vain, Toujours en vin, Niemals vergebens, immer mit Wein. Dann wurde gemeinsam ein französisches Trinklied gesungen.

Weitaus nüchterner betrachtet der britische Historiker Niall Ferguson in einem kürzlich veröffentlichten Interview Merkels Kanzlerschaft: „Steht Deutschland heute besser da als 2005, als Merkel Bundeskanzlerin wurde? Nein, ganz im Gegenteil. Merkel wird völlig zu unrecht als starke Führungsperson angesehen. Das ist eine Erfindung der Medien. Was soll denn bitte ihre große Leistung gewesen sein? Gut, die Eurozone ist bis heute nicht zusammengebrochen, wenngleich es knapp davor war (…) Merkel hat keine großen Leistungen vorzuweisen, dafür aber viele Fehlentscheidungen.“

Deutschland sei unter Merkels Kanzlerschaft so geschwächt worden, erklärt Ferguson, dass es nicht mehr verteidigungsfähig sei, weder nach außen noch nach innen. „Merkel ist Putins beste Agentin“, führt er hinzu. Mit dem Bau der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 hätte sich Deutschland in der Energieversorgung „vollkommen von Russland abhängig“ gemacht. Daher sei die Annexion der Krim von Deutschland faktisch akzeptiert worden. „Was würde geschehen“, fragt Ferguson, „wenn Putin sich die gesamte Ukraine holen will? Deutschland ist für einen solchen gewaltigen Konflikt überhaupt nicht vorbereitet – weder politisch noch militärisch. Deutschland hat sich Putins Willen unterworfen.“

Eine feige, pseudo-progressive, medienwirksame Agenda

Deutschland war auf vieles „nicht vorbereitet“ während Merkels Kanzlerschaft, weder auf den Ansturm hunderttausender junger Männer aus Maghreb und Mittlerem Osten noch auf den Ansturm der Wassermassen bei der „Jahrhundertflut“ im Sommer 2021, immer wieder erwies sich, dass die Verwaltung nicht mehr funktioniert, die Infrastruktur morbide ist, Polizei und Justiz von seltsamen Behinderungen paralysiert sind, dass man die dringenden Probleme nur noch vor sich her schiebt und am liebsten verschweigt. Unter Angela Merkel wurde eine feige, pseudo-progressive, medienwirksame Agenda abgearbeitet, aber das Wesentliche versäumt.

Ferguson zeichnet das Bild eines schwachen Landes, ins Abwärts geführt von einer Hochstaplerin. Angela Merkel weiß besser als jeder andere Mensch, wie wenig sie dem Amt gewachsen war, das sie mit Arglist und Machtgier sechzehn Jahre lang okkupierte. Wie jedem guten Demagogen ist es ihr gelungen, Millionen Menschen zu täuschen. Statt die wachsenden Probleme ihres Landes anzugehen, hat sie insgeheim das „System Merkel“ ausgebaut, in dem sie ausschließlich ihrem Machterhalt dienliche Handlanger aufsteigen ließ, charakterlose Mitmacher, zuletzt noch einen unfähigen Kandidaten für die Bundestagswahl, durch dessen Faillissement sie ihre eigene Partei ruinierte.

War schon die Demut erstaunlich, mit der deutsche Mehrheiten sechzehn Jahre lang die sich mehr und mehr offenbarende Misswirtschaft geduldet haben, ist für Ferguson und viele andere ausländische Beobachter umso mehr verwunderlich, dass sich im September dieses Jahres eine Mehrheit für die Fortsetzung dieser Selbstdemontage entschieden hat. Der designierte neue Kanzler Olaf Scholz werde Merkels ruinöse Politik fortführen, sagt Ferguson voraus, offenbar sei die deutsche Gesellschaft unfähig zur Veränderung: „Deutschland will die Stagnation – und wird dafür teuer bezahlen.“ Die deutsche Wirtschaft sei Weltspitze gewesen im Automobil- und Maschinenbau, darauf habe man sich zu sehr verlassen. Zudem wäre es eine Wirtschaft des Zwanzigsten Jahrhunderts – dummerweise befinden wir uns längst im Einundzwanzigsten.

Deutschlands Schwächen werden ins Krisenhafte übergehen

Der von Angela Merkel mit aller Macht durchgesetzte Apparat apologetischer Medien wird die braven deutschen Steuerzahler auch weiterhin über den Niedergang ihres Landes täuschen. „In keiner Disziplin ist Deutschland so gut wie im Selbstbetrug“, resümiert der britische Historiker. „Ihr Deutschen könnt nur so unbeschwert leben, weil die USA euch eine permanente militärische Sicherheitsgarantie gegeben haben (…) Zugleich werden die USA aber von vielen Deutschen verachtet. Das wird über kurz oder lang zu einem gewaltigen Problem führen.“

Zu einem weiteren. Deutschlands Schwächen werden unter der kommenden realitätsfernen Regierung ins Krisenhafte übergehen. Angela Merkel hat, wie die beflissene Berichterstattung über ihren ehrlosen Abgang zeigt, erfolgreich dafür gesorgt, dass die akkumulierenden Probleme des Landes von der offiziellen Öffentlichkeit verschwiegen und verdrängt werden. Jeder Psychologe wird mir darin zustimmen, dass die Verdrängung der zugrundeliegenden Probleme eine Krankheit erst recht verschärft. Die Atmosphäre des Schweigens, der Anpassung, der politischen Korrektheit liegt wie ein giftiger Hauch über diesem Land und hindert bereits die Schulkinder an der Entfaltung ihrer zum Überleben notwendigen Kreativität.

Angela Merkel hinterlässt Deutschland tief gespalten und vibrierend von innerem Hass. Abweichende Meinungen – ob sie die Flüchtlingspolitik betreffen, die Klimapanik oder die Corona-Impfung – werden mit einer Wut verfolgt, die ins Atavistische geht. Sie selbst hat das Rentenalter erreicht und kann sich unter den Lobgesängen der von ihr installierten Hofmedien zurückziehen. Ganz sicher ist es nicht, ob sie nicht doch auf irgendeinem Weg zurückkehrt in die große Politik, doch dann wird es ein Posten in einem internationalen Gremium sein, das noch weniger transparent ist als die vier deutschen Regierungen, die sie zu verantworten hat. Ihren Landsleuten hinterlässt sie einen Berg Probleme, doch für sie war es eine gute Zeit. Sie lacht neuerdings oft und gern. Ich glaube, sie lacht uns aus.

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Leserpost

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Wilhelm Jans / 06.11.2021

Frau Merkel - obwohl sie immer beherrscht und “überzeugend” auftrat ist eine Trümmerfrau, allerdings in dem Sinn, dass sie Trümmer hinterlässt. Nicht nur Deutschland liegt in Trümmern, was den meisten noch nicht klar ist, sonder auch die CDU. Es bedarf wie nach dem Krieg wieder der Trümmerfrauen oder Trümmermänner, die die Trümmer beseitigen. Diese sind nicht in Sicht. Der Trümmerhaufen wird eher größer. Wohlstand ade!

Stanley Milgram / 06.11.2021

Nicht erst ins “Krisenhafte”, sondern gleich ins Chaos. Über Nacht kommt die Hyperinflation und Panik. Oder Blackout, was am Ende aufs Gleiche rauskommt. Da führt auch kein Weg mehr dran vorbei, irgendwann brennen die Gelddruck-Maschinen der EZB halt durch. Hätte man vor 2 Jahren gesagt, was heute Realität ist, man hätte denjenigen ausgelacht. GG außer Kraft, 1G und Impfzwang im Backlog. Und genauso verhält es sich mit meinem ersten Satz. Abwarten…

A.Ziegler / 06.11.2021

Tatsächlich ist Nordstream 2 das einzig Gute ihrer Kanzlerschaft, und das hat ihr Schröder hinterlassen. Sie hat es einfach nur laufen lassen. Meine sich von der Vermutung zur festen Überzeugung verdichtete Meinung dagegen ist: Merkel hasste und hasst das wiedervereinigte Deutschland Sie hat der BRD nie verziehen „ihre“ DDR aufgelöst zu haben, in der sie zweifellos auch eine schöne Karriere gemacht hätte. Mit viel Glück und Grausamkeit gelang es ihr dann, eine noch grössere Karriere zu machen, die sie abgesehen von ihrer persönlichen Befriedigung nur zur Rache nutzte. Nie hat man von ihr ein klares, unverschwurbeltes Bekenntnis zu Deutschland und den Deutschen gehört. Sie war eine durch und durch unpatriotische Kanzlerin. Das Video, wo sie die deutsche Fahne wegwirft sagt wirklich alles über sie und alles über ihr Verhältnis zur BRD. Nie hätte sie das mit einer DDR Fahne gemacht. Die Deutschen folgen unverständlicher Weise Politikern, die ihr Volk eigentlich verachten und ihnen Schaden wollen. Seltsame Mentalität. Wer hätte wohl 1944 eine Reichswahl gewonnen, wenn es sie gegeben hätte?

Albert Pelka / 06.11.2021

Und diesmal, ihr liebe Leut,  kriegen wir unser Staats-Verhängnis nicht nach Chile entsorgt wie zu Margots Zeiten. Was einem an den Schuhsohlen höngen gelieben ist -  wie Hundescheiße - wirkt quasi weitere 17 Jahr und ein paar zerquetschte nach. Wenigstens für unser Riechhirn; und erst recht für die andern , die das noch mehr riechen werden. Einmal die IM-Erika-Pest, immer die Im-Erika-Pest, am eigenen Leib sozusagen, noch übers Grab hinaus wahrscheinlich. Ach wir Armen.

Jochen Brühl / 06.11.2021

Ich hatte mir das Interview von Ferguson, welches T-Online führte, bereits genussvoll reingezogen. Die zunehmend verblüfften Fragen von den T-Online-Merkelisten waren für sich sehr unterhaltsam. Bis auf die Nordstream2 Pipeline teile ich die Diagnose. Natürlich wäre es besser, wenn man die nicht bräuchte und mit eigener Energie unabhängig bliebe. So heftig wie kurz nach dem 08. Mai 1945 wird es aber mit den Russen nicht werden, Bei anderen Personengruppen in Deutschland bin ich mir da nicht so sicher. Außerdem kollabiert Deutschland gerade an allen Ecken und Enden, da Merkels weise Entscheidungen inzwischen in allen feinen Verästelungen der Gesellschaft und des Staates angekommen sind. Damit ist die Abhängigkeit von Russland und die fehlende Möglichkeit gegen Russland im Zweifel handeln zu können, völlig egal.

Karl Napp / 06.11.2021

Unter Frau Dr. Angela Dorothea Merkel haben es sich die Parlamentarier weitgehend bequem gemacht, indem sie - statt die Regierung zu kontrollieren - im vorauseilenden Gehorsam bereitwillig deren alternativlose Aufträge phantasie- und alternativlos erfüllt haben. Erfolg: Das Parlament ist gewachsen, für die Parlamentarier hat sichs gelohnt.

Benedikt Diller / 06.11.2021

Sehr geehrter Herr Noll, so gut ich Ihre persönliche Abneigung gegen Frau Merkel auch verstehen kann, so muss ich Ihnen doch wider- sprechen: Der Niedergang der zweiten deutschen Republik begann nicht erst mit dieser Bundeskanzlerin. Vielmehr war Merkel nichts weiter als Kohls und Schröders glückliche Erbin, deren neoliberales Zerstörungswerk sie ruhig lächelnd und hocheffektiv fortführte.

Heribert Glumener / 06.11.2021

Mag sein, dass Merkel uns auslacht. Aber sie lacht vor allem befreit – befreit von dem Druck, als Marionette globalistischer Taktgeber handeln zu MÜSSEN und befreit von der Angst, doch noch hochzugehen (Druck-Angst-Zittern). Was den Alkoholkonsum betrifft: ich weiß nicht, ob die Bilder von den Einkäufen in ihrem Lieblingssupermarkt, HIT in Berlin, noch im Netz sind. Aber wer den weißweinlastigen Einkaufswagen sieht, erahnt, was los sein mag. Meine Prognose: „Weißwein war ihr letztes Wort, und dann war sie fort“ (eine Fortsetzung der „Karriere“ bei UNO, WEF oder andernorts ist nicht unmöglich, aber eher unwahrscheinlich – mission accomplished, die will ihren Frieden, in vino ist nicht nur spätabendliche veritas, er sediert auch gut und hilft gegen’s Zittern).

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