Wenn Pressekonferenzen um 4:00 Uhr nachts anberaumt werden, müssen große Worte fallen. Das liegt in der Natur der Dinge. Sie erlaubt in nächtlicher Stunde ein bisschen Metaphysik. Der Politiker darf sich für einen kurzen Augenblick der Transzendenz als Erlöser verstehen. Die Ernüchterung kommt mit dem Tagesanbruch.
„Die Welt hat heute auf uns geschaut“, sagte Angela Merkel, „wir haben gezeigt, dass wir die richtigen Schlüsse gezogen haben“. „Frankreich“, fügte Sarkozy hinzu, „wollte eine Tragödie verhindern, eine Pleite Griechenlands wäre eine Tragödie gewesen“.
Fassen wir zusammen: Eine griechische Tragödie, bei der die Welt auf uns schaut? Welche Welt? Und was ist in dieser Nacht wirklich passiert? Außer, dass in Verhandlungen mit den Banken, ein Schuldenschnitt durchgesetzt wurde.
Mit all den bombastischen Verlautbarungen erweckt die Politik den Eindruck, man sei dabei, die griechische Problematik zu lösen. Davon kann aber nicht die Rede sein.
Alles, was bisher ausgehandelt wurde, auch das Ergebnis der letzten Nacht, dient einzig und allein dem Erhalt und der eventuellen Steigerung der Kreditwürdigkeit Griechenlands, seiner Hebelung. Nun kann man natürlich behaupten, das sei die Voraussetzung für alles weitere, aber es kommt auch auf den Sinn von allem weiteren an, auf die Inhalte. Man kann nicht die Metaphysik in Mehrwert verwandeln und damit den Börsenwert füttern.
Im Kern der griechischen Pleite hat nicht, wie man zurzeit gerne denkt, der entfesselte Kapitalismus gewütet, sondern die Trägheit und Ineffizienz eines auf byzantinischen Traditionen basierenden Klientelsystems.
Dieses Klientelsystem in Verwaltung, Justiz, Arbeitswelt und Sozialbereich ist der Hauptverursacher der Zahlungsunfähigkeit. Wenn Staat und Gesellschaft einen Schuldenberg von 170 % der Leistung zusammengetragen haben, können nicht irgendwelche Banken dafür verantwortlich sein, es muss schon am Wesen der geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze der griechischen Gemeinschaft liegen.
Selbst wenn man über seine Verhältnisse lebt, was in der Feinstruktur des Sozialstaats begründet sein mag, muss man ein gewisses Verhältnis zwischen dem rechnerisch Möglichen und dem rechnerisch Unmöglichen im Auge behalten.
Was die Betrüger der Moderne außer Acht lassen: Gerade der Gesetzesbruch verlangt eine größere Disziplin als die Einhaltung des Gesetzes. Die notwendige Balance im System wird von der byzantinischen Grundbuchamtslosigkeit aber schlecht bedient.
Griechenland ist seiner Originalität nicht gewachsen. Sein eigentliches Problem wird erst nach der Wiederherstellung seiner Kreditwürdigkeit zu Tage treten. Es geht um die Unfähigkeit einer Mentalität, die Grundbedingungen der Moderne zu garantieren und produktiv zu machen. Griechenland ist nicht zu retten. Es kann sich nur selbst helfen, und das durch einen klaren Schnitt. Dieser aber wäre, wenn man ehrlich ist, der Abschied von sich selbst. Es wäre ein Mentalitätsschnitt.