Volker Seitz / 18.03.2021 / 15:00 / Foto: Achgut.com / 47 / Seite ausdrucken

Menschen über ihre Hautfarbe definieren?

Ich habe kürzlich bei der Achse ein Afrika-ABC in Zitaten aus der afrikanischen Literatur, Autobiografien und Interviews veröffentlicht. Wie sich ein paar Wochen später herausstellte, hatte ich nicht bedacht, dass es „empörend“ sein kann, wenn ein Übersetzer oder eine Übersetzerin nicht die richtige Hautfarbe hat. Soweit mir bekannt, wurde keines der vorgestellten Bücher von Übersetzern mit der „richtigen“ Hautfarbe in die deutsche Sprache übertragen. 

Der neue Trend kommt aus den Niederlanden, wo der Verlag Meulenhoff Marieke Lucas Rijneveld für die Übersetzung der Lyrikerin Amanda Gorman, die bei Joe Bidens Vereidigung „The hill we climb“ vortrug, ausgewählt hatte. Jene hatte den renommierten Booker Prize gewonnen, aber sie ist nicht schwarz, hat keine Sklaven als Vorfahren und bezeichnet außerdem ihre Geschlechtsidentität als „nicht binär“. Das ist offenbar so schockierend, dass die schwarze niederländische Journalistin und „Aktivistin“ Janice Deul in der Zeitung „De Volkskrant“ der amerikanischen Autorin das Recht absprechen konnte, selbst zu entscheiden, wer ihre Texte übersetzen soll. In diesem Schwarz-Weiß-Denken spielt auch keine Rolle, dass die Niederländerin (29) und die Amerikanerin (23) fast gleichaltrig sind. Marieke Lucas Rijneveld lehnte nach der üblen Intrige und überschwappenden Erregung den Auftrag ab, und der Verlag engagierte ein Team für die Übersetzung. 

Nach dem Rückzug der niederländischen Autorin Marieke Lucas Rijneveld wurde dem katalanischen Übersetzer Victor Obiols der Auftrag entzogen. Ihm sei mitgeteilt worden, dass sein „Profil“ nicht passe, so der Spanier gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP. Obiols sagte, er wisse nicht, ob die Absage in seinem Fall von Gormans US-Verleger oder von ihrem Agenten veranlasst worden sei. „Es ist ein schwieriges Thema, das man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte“, zitiert ihn die AFP. „Aber wenn ich eine Dichterin nicht übersetzen kann, weil sie jung, weiblich, schwarz und eine Amerikanerin des 21. Jahrhunderts ist, dann kann ich auch keinen Homer übersetzen, denn ich bin kein Grieche des 8. Jahrhunderts vor Christus. Oder ich hätte auch Shakespeare nicht übersetzen können, weil ich kein Engländer aus dem 16. Jahrhundert bin.“ 

Hoffmann & Campe im vorauseilenden Gehorsam

Auch Hoffmann & Campe hat im vorauseilenden Gehorsam ein Team für die deutsche Übersetzung des Gedichtbandes zusammengestellt: die weiße Literaturübersetzerin Uda Strätling, die schwarze Rassismusforscherin Hadija Haruna-Oelke und die deutsch-türkische „Netzaktivistin“ Kübra Gümüsay. Uda Strätling hat in der Vergangenheit z.B. – ohne Aufpasser – mehrere Bücher von Chinua Achebe übersetzt. Das scheint heutzutage offenbar nicht mehr möglich zu sein. 

Dürfen künftig noch weiße Übersetzer Literatur aus anderen Kulturen übertragen? Müssen sie wirklich auf den gleichen Erfahrungshintergrund zurückgreifen können? Eine enge Zusammenarbeit zwischen Autor und Übersetzer ist in guten Verlagen längst üblich. In der Vergangenheit musste ein Übersetzer für afrikanische Literatur nicht schwarz sein, aber er/sie sollte jemand sein, der/die nachempfinden und sich einfühlen konnte in die Welt der Menschen, die in diesem fiktionalen Text geschildert werden. 

Ich habe in Afrika eine der Übersetzerinnen von Ousmane Sembène kennen gelernt. Sie lebte und arbeitete mehrere Jahre in Afrika und konnte sich deshalb auch als weiße Deutsche sehr gut in afrikanische Lebenswelten einfühlen. Die Bücher waren exzellent übersetzt, wie ich im Vergleich mit dem französischen Original feststellen konnte. Durch die Übersetzung der Bücher sind viele Deutsche erstmals mit afrikanischer Literatur in Berührung gekommen. Afrikaner und Europäer waren allerdings zu meiner Zeit in Afrika viel gelassener. Es wurde noch kein rassistisches Gedankengut insinuiert. In Afrika ist das Thema bis heute noch wenig virulent. Kaum ein Afrikaner schert sich um die großen Gesten und Sprüche in Europa und den USA. Die meisten Bewohner haben handfestere Probleme als die moralische Besserwisserei und ideologische Aufladung des Adjektivs „weiß“. 

Während bei uns sonnengebräunte Haut als Schönheitsideal gilt, ist in Afrika (und in Teilen Asiens) eher ein heller Teint gewünscht. Der farbige Mensch, hatte Psychiater Frantz Fanon 1952 geschrieben, sei ständig bestrebt, vor der eigenen Individualität wegzulaufen. Mit ihrem Minderwertigkeitsgefühl träumten viele schwarze Menschen von weißer Haut, weil sie sich davon Vorteile versprächen: Privilegien, ein höheres Ansehen in der Gesellschaft, bessere Chancen im Beruf. In manchen Fällen bleichen Afrikanerinnen ihre Haut, um ihren Brautpreis zu erhöhen. Die aufgehellten Gesichter sind überall präsent in Afrika, auf Plakaten, im Fernsehen, in Filmen und auf Produkten in den Supermarktregalen. Die meisten Produkte werden von Models beworben, die eine hellere Haut haben. 

Eine gesinnungsbasierte Aufspaltung der Gesellschaft

Der Angriff auf die Vernunft durch Minderheitsmeinungen verurteilt Amanda Gorman oder afrikanische Schriftsteller dazu, vor allem als Schwarze wahrgenommen zu werden. Hier wird eine gesinnungsbasierte Aufspaltung der Gesellschaft versucht. Die Aufklärung wird durch Hexenjagd ersetzt. Gegen den Versuch, sich einen rassistischen Sinn aufschwatzen zu lassen, sollten wir uns auflehnen. Der moralische Rigorismus definiert in Zeiten allgemeiner Irrungen und Verleumdungen Menschen über ihre Hautfarbe und Diskriminierungserfahrungen. Die Bevormundung, uns vorzuschreiben, was wir zu lesen, zu denken, zu tun haben, kommt immer aus derselben ideologischen Ecke. Alles wird im Sinne des vorherrschenden Mainstreams moralisch zurechtgebogen, weil es „primär um die Rettung der Welt“ geht.

Der Sprach- und Übersetzungswissenschaftler Carsten Sinner sagte im Deutschlandfunk Kultur am 2.3.2021: „Denke man die Forderungen zu Ende, könnten etwa Schwarze nicht Bücher von Weißen, nur Kommunisten Bücher von Kommunisten und nur Frauenfeinde frauenfeindliche Autoren übersetzen. Die Argumentation führe in eine Sackgasse.“ 

Bernhard Robben, der mit Polly Samsons „Sommer der Träumer“ (Ullstein) zuletzt den Roman einer Frau übersetzte, meint: „Wenn Schwarze nur Schwarze übersetzen, Weiße nur Weiße, Frauen nur Frauen, kann letztlich nichts mehr übersetzt werden; es gäbe keine Literatur mehr. Denn wo die Grenze ziehen? Kann ich als weißer Mann nur die Bücher weißer Männer übersetzen?“ 

„Das Problem dieser Welt ist, dass die intelligenten Menschen so voller Selbstzweifel und die Dummen so voller Selbstvertrauen sind.“ (Charles Bukowski) 

 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Neuauflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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Thomas Taterka / 18.03.2021

Von George Orwell stammen folgende Zeilen : ” Was offensichtlich vor sich geht, ist der Zusammenbruch des laissez- faire - Kapitalismus und der liberal -christlichen Kultur . Noch bis vor kurzem war das ganze Ausmaß dieses Vorgangs nicht vorhersehbar, weil man sich einbildete, der Sozialismus könne die Atmosphäre des Liberalismus beibehalten und sogar erweitern . Heute fängt man an, einzusehen, wie falsch das war. Mit fast tödlicher Sicherheit bewegen wir uns auf ein Zeitalter totalitärer Diktaturen zu, in dem Gedankenfreiheit zunächst eine Todsünde und später ein leerer Begriff sein wird . Das selbständig denkende und handelnde Individuum wird ausgelöscht werden . Das bedeutet, daß Literatur, wie wir sie kennen, auf lange Zeit tot sein wird. Die Literatur des Liberalismus nähert sich seinem Ende , die Literatur des Totalitarismus ist noch nicht in Erscheinung getreten und kaum vorstellbar .” - Dann schrieb er ” 1984 “.

Dr. Joachim Lucas / 18.03.2021

Solche Leute haben die Engstirnigkeit ihrer abstrusen Logik in solche Höhen geschraubt, die erreicht man nicht mehr. Die schweben schon im luftleeren Raum, was die Sauerstoffversorgung ihres Hirns beeinträchtigt. Da ist nichts mehr zu machen. Kleine Anmerkung: Das Zitat von Bukowski (“Der Mann mit der Ledertasche”) ist bestimmt von ihm und es ist absolut treffend in Ihrem Kontext. Ursprünglich stammt es aber wohl von Bertrand Russell aus den Dreißigern. Bin da durch Zufall drauf gestoßen.

Gisela Tiedt / 18.03.2021

Wir müssen wir uns wohl daran gewöhnen, dass es sehr viele Menschen mit Irrsinns- oder Schwachsinnshintergrund gibt.

Christian Sporer / 18.03.2021

Lieber Herr Seitz, für mich, der ich mit einer Schwarzen verheiratet bin, sind solche Absurditäten kaum mehr steigerungsfähig. Meine Frau kriegt solche Dinge überhaupt nicht mit da sie sich nicht dafür interessiert, aber wenn es so wäre würde sie sagen “na wao, ojibo they get problem” was soviel heißt wie “Wahnsinn was die Weißen schon wieder für Probleme haben”. Ich glaube dass es keinen Schwarzen aus der community meiner Frau gibt der sich für solchen Bullshit interessiert. Ich frage mich was das für Menschen sind (natürlich Weiße mit ausgeprägtem Schuldkomplex für alles was auf dieser Welt passiert) die sich ausschließlich damit beschäftigen Probleme zu erfinden die es in der Realität nicht gibt. Vielleicht sollte ich ab und zu eine Auszeit in Kamerun nehmen, in einem Gästehaus mit angeschlossenem Restaurant um diesem Irrsinn für ein paar Monate zu entgehen. Beste Grüße CS

Bernd Ackermann / 18.03.2021

Hört man denn beim Übersetzer auf oder fängt man da erst an? Es arbeiten ja auch eine Menge anderer Leute bei Literaturagenturen, Verlagen, Druckereien und Buchhandlungen, müssen die auch alle POC sein? Gibt es demnächst für Bücher eine Art Gütesiegel, so ähnlich wie die Bio-Kennzeichnungen auf Lebensmitteln, mit dem der Verlag nachweist, dass ein Buch ausschließlich von Schwarzen produziert wurde?  Und natürlich vegan und Fairtrade. Wird es eine ISO-Norm dafür geben? Darf schwarze Druckerfarbe auf weiße Seiten gedruckt werden? Und was ist mit dem Leser? Kann so eine Kartoffel und Kalkleiste eigentlich nachvollziehen, was für eine schwere Bürde es ist schwarz zu sein? Obwohl man dadurch ja eigentlich erst zum besseren Menschen wird. Darf ein Weißer ein von einem Schwarzen geschriebenes Buch lesen, ohne damit irgendjemanden rassistisch zu beleidigen?

Rudolf Krakora / 18.03.2021

Darf ich jetzt als weißer alter Mann nur noch Bücher von alten weißen Männern lesen?

Edgar Timm / 18.03.2021

Ich hatte bislang nicht bedacht, dass es „empörend“ sein kann, wenn ich als alter weißer Mann nicht die richtige Hautfarbe habe, um schriftliche, mündliche oder sonstige Absonderungen von Menschen anderer Hautfarbe oder anderen Geschlechts gegen Entgelt zu konsumieren. Ich werde daher zukünftig alle nicht von weißen Männern erzeugten Produkte meiden. Im Umkehrschluss erwarte ich aber von allen Personen, die “alte weiße Männer” abwerten, auf sämtliche Produkte zu verzichten, die jemals von weißen Männern erfunden oder geschaffen wurden.

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