Bei der Entstehung von Angst spielt bei uns Menschen und den mit uns näher verwandten Tieren ein Gebiet im vorderen Bereich des Großhirns eine besondere Rolle, Mandelkern (Amygdala) genannt. Politisch siegt, wer ihn beherrscht.
Alles, was unser Wohlleben bedroht, quittieren wir mit Angst. Mit Schrecken, wenn die Angst plötzlich aufkommt. Unbilden der Natur mögen das sein – Erdbeben, Überschwemmungen, Flächenbrände, ein einzelner Blitz. Aber auch Unfälle, Krankheiten und übelwollende Menschen. Gefahren zu erkennen und ihnen auszuweichen, gehört zum Grundinventar unseres Verhaltens wie auch dem von lernfähigen Tierarten. Bei der Entstehung von Angst spielt bei uns Menschen und den mit uns näher verwandten Tieren ein Gebiet im vorderen Bereich des Großhirns eine besondere Rolle, Mandelkern (Amygdala) genannt.
Beiderseits an der Spitze des Schläfenlappens gelegene Nervenzellansammlungen („Kerngebiete“) sind das. Menschen ohne Mandelkern kennen keine Angst. Wäre der Menschheit im Laufe der Zeit die Angstfähigkeit abhandengekommen, gäbe es uns gar nicht mehr. Denn plump wären wir auf jede Gefahr hereingefallen.
So auch lernen Kinder frühzeitig, mit entsprechenden Warnungen umzugehen und was es heißt, sich zu erschrecken. Denn das gehört nun mal zum arterhaltenden Erziehungspotenzial. Darunter solchem der drastischen Art: die Drohung vor Gespenstern und das Erlernen der Angst vor dem Popanz.
Alte Schrecken und neue
Die Älteren unter uns kennen es noch: Wir sollten nicht in der Ruine auf dem Nachbargrundstück herumklettern und auch nicht in den Wald gehen, jedenfalls nicht allein. Warum? Weil es dort Gespenster gibt! Und wirklich, Peter, der Junge aus dem Nachbarhaus, hatte in dem Garten neben dem von Onkel Fritz einen Popanz gesehen. Als er dort Äppel klauen wollte. So erzählte er uns. Bald aber waren die Gespenster als Kinderschreck vergessen, und wenn jemand mit dem Popanz drohte, wurde nur noch gekichert. Auch, wenn der Weihnachtsmann mit der Knute winkte. Onkel Karl war’s, man kannte ja seine Stimme. Noch etwas später dann wurde die Angstmache bei uns im Osten abgelöst durch die Angst vor dem bösen Adenauer, im Westen durch die vor den bösen Kommunisten, und der Schrecken vor einem neuen Krieg machte dem vor dem letzten Weltkrieg Platz.
Die Erfolgsgeschichte der Schreckensgestalten ist lang. Im deutschen Kaiserreich hießen sie „Franzosen“, bei Hitler „der Jude“ und „der Russe“, späterhin, auf westlicher Seite, „Bolschewismus“ und „gelbe Gefahr“. Zu DDR-Zeiten übernahmen der „Klassenfeind“ und der Kapitalismus diese Rolle, der Imperialismus und der Revanchismus. Man sprach vom „reaktionären Mendelismus-Morganismus“ und von „bürgerlichen Begabungstheorien“. Zu den Zeiten, als den Kinofilmen noch die Wochenschau Der Augenzeuge vorangestellt wurde, waren die Berichte aus dem eigenen Land und der Sowjetunion in freundlichen Farben gehalten oder, wenn in Schwarz-Weiß, in ausgewogenen Grautönen, die vom Erzfeind Westdeutschland hingegen wurden in hartem Schwarzweiß-Kontrast und mit höherer Geschwindigkeit abgespielt. Alles wirkte dann gehetzt, wirkte gespenstig. Und das funktioniert auch heute noch, wenn rechte „Aufmärsche“ vorgeführt werden.
In den sechziger Jahren kam eine ganz neuartige Angst hinzu, die vor einem Atomkrieg. Alles andere als nur ein Kinderschreck war das. Denn 1962, während der Kuba-Krise, schienen die beiden Großmächte USA und Sowjetunion drauf und dran, mit ihren Kernwaffen Ernst zu machen. Seitdem haben sich auch andere Staaten solche Art von Schreckenswerkzeugen angeeignet. So schrecklich waren und sind sie noch immer, dass man sich bisher nicht getraute, sie einzusetzen. Denn mit der Vernichtung der anderen Seite droht immer auch die der eigenen. Womöglich ist das Erschrecken vor dem eigenen Erschrecken der derzeit beste Schutz.
Etwa zur selben Zeit, nämlich mit den sechziger Jahren, kam die Warnung vor einer Überbevölkerung auf. Von einer regelrechten Bevölkerungsexplosion war die Rede. In den Materialien des Club of Rome, später auch denen der UN, spielte die Sorge um die hemmungslose Vermehrung der Menschheit eine große Rolle. Doch bald wurde dieses Schreckgespenst zum Mythos erklärt und daher nicht länger gepflegt. Nun ist es einfach nicht mehr „in“. Obwohl das stete Wachstum der Weltbevölkerung zunehmend Sorgen bereiten sollte. 1980 bezifferte man die Anzahl der Menschen auf unserem Globus mit 4 Milliarden, heute sind es derer über acht.
Schreckliche Tiere, schreckliche Menschen
Im Tierreich ist der Kampf auf Leben und Tod weit verbreitet. Von Raubtieren weiß das jedes Kind. Von Löwen und Tigern und Wölfen und Schlangen. Sie können uns Menschen anfallen und töten. Selbst ansonsten friedliche Wesen zeigen dann und wann, dass sie nicht auf Spaß aus sind. Kämpfende Elefanten und Hirsche und Auerhähne kennt man aus dem Fernsehen. Auch sind hier kämpfende Hirschkäfer zu sehen, Kraken, Skorpione, sogar kriegerische Mantis-Garnelen. Um Territorien geht es, vor allem um Weibchen. Auch so manche einzelligen Tiere haben die Potenz zu töten, einige von ihnen uns Menschen. Plasmodien, die Erreger der Malaria, parasitieren in unseren roten Blutzellen, Trypanosomen sind Erreger der afrikanischen Schlafkrankheit und der amerikanischen Chagaskrankheit. Hirnfressende Amöben gibt es.
Am schrecklichsten aber ist der Mensch selbst, zumal dann, wenn er auf die Tötung anderer Menschen aus ist. Anfangs tat er das mit bloßen Händen, später mit einer Keule und bald auch mit Waffen, die er eigens dazu aus Metall schmiedete. Heute setzt der Mensch dafür raffinierteste Technik ein, ausgeklügelte Chemie und von ihm eigens umprogrammierte Mikro-Organismen. Auch dann, wenn es nicht um den Tod von Feinden geht, können sich Schreckensszenarien entwickeln.
Manche nur in den Köpfen, um damit Politik zu betreiben, andere sind echt. Da waren einst das Ozonloch und die FCKW mächtige Popanze. Sie haben mittlerweile so gut wie ausgedient. Wie auch das Waldsterben. Einfach, weil die Bäume gar nicht sterben, sondern mächtig wachsen. Zumindest bei uns, sofern Fehler beim Forsten vermieden werden. Eher droht Waldwildwuchs.
Eines der heute wirkungsvollsten Wortgespenster ist der Klimawandel. So paradox es scheint, die Pflanzennahrung Kohlenstoffdioxid (CO2) muss dafür herhalten. Sinkt der CO2-Gehalt der Luft unter die Hälfte der heutigen Konzentration, hört das Pflanzenleben auf und mit ihm das Leben auf der Erde überhaupt. Umgekehrt erhöht sich mit der CO2-Konzentration die Produktivität der Pflanzen. Gärtner blasen es deshalb als gasförmigen Nährstoff in die Gewächshäuser ein.
Doch dreht sich gegenwärtig so ziemlich alles um das vom Menschen gemachte CO2, gehandelt als das Treibhausgas per se. Drei oder vier oder fünf Prozent des atmosphärischen CO2 sollen menschgemacht sein, die gegenwärtige Zunahme gar ausschließlich von ihm. Dazu passt ganz und gar nicht, dass die Konzentration dieses Gases während des weltweiten Lockdowns (2020) unvermindert anstieg. Nachgewiesen durch die wohletablierten Messstationen Barrow, Samoa, Südpol und Mauna Loa. Wie das?
Doch hält die Angst vor den Klimafolgen des menschgemachten CO2 weiter an. Um deren Botschaft nicht zu verunklaren, werden in der Öffentlichkeit andere Klima-Faktoren so gut wie ausgeklammert. So das Wasser in Form von Nebel (Wolken) wie auch von unsichtbarem Wasserdampf. Der Anteil des atmosphärischen Wassers als Klima“killer“ wird auf 95 Prozent veranschlagt. Ist das CO2 also lediglich ein politogenes Gas? Wie auch immer, die drei Zeichen – C-O-2 – sind es, die auf den Fahnen der modernen apokalyptischen Reiter prangen. Künftige Zeitgeschichtler werden darüber debattieren, wie es gelingen konnte, gleichsam mit nichts in der Hand außer mit Spuren von CO2 eine solche politische Wucht zu entfalten. Auch wie zu unserer Zeit eines der kostbarsten Güter, die Begeisterungsfähigkeit, zumal die von Jugendlichen, in quasi-religiöser Manier für die Idee der „Klimarettung“ verausgabt werden konnte.
Wie die Wortgespenster füttern?
Besonders gut gedeihen die verbalen Bösewichter, wenn sie immer mal wieder mit neuen Argumenten, Wendungen und Beispielen gefüttert werden. Das müssen durchaus nicht Fakten sein. Schein-Tatsachen und bloße Korrelationen wirken selbst dann, wenn sie durch Gegenargumente infrage gestellt werden. So begründet das Kontra auch sein mag, wird ihm der Zugang zum "Mainstream" verwehrt, bleibt es im Schatten und kümmert früher oder später dahin. Selbst wissenschaftlich verbriefte Wahrheiten können durch regelmäßig negative Konnotation zu etwas Üblen stilisiert werden. Umgekehrt gedeihen reinste Erfindungen, ja Lügen, für große Teile der Bevölkerung zu hochwirksamen Schlagworten, wenn sie, frei im Strom des Zeitgeistes schwimmend, immer aufs Neue von dessen Ufern her gefüttert werden. „Schlagworte“ – Worte, mit denen man zuschlägt, nachschlägt, aufschlägt, um sich schlägt, andere aus der Bahn schlägt.
Was nicht alles hatte man mit unserem Volk, dem deutschen, durch die Teilung in Ost und West angetan. Kaum jemals war physische Gewalt im Spiel, nein, vor allem die Schreckensherrschaft der Worte von Hass und Hetze war es. Die erneute Spaltung ist kürzlich auf ganz andere Weise einem lächerlich kleinen Etwas gelungen – einem kaum mehr als einem zehntausendstel Millimeter großen Virus. Doch weniger ihm selbst, diesem Corona-Virus SARS-CoV-2, weit eher der Angst vor ihm.
Das Corona-Spaltmesser funktioniert bis zum heutigen Tag, und sogar weltweit. Fehlende Kenntnis auf der einen Seite und Kenntnisse unterschiedlichen Grades auf der anderen dominieren seitdem, gepaart mit Angst und Schrecken und Hass. Kein Bereich des gesellschaftlichen Lebens wurde verschont. Mittels Corona-Angst ein ganzes Volk zu beherrschen, ja die halbe oder die ganze Welt, verlangte keine besondere Qualifikation. Mangelhaft Qualifizierte konnten das genauso gut. Sofern sie über einen umfangreichen Machtapparat verfügten und solange die Medien auf ihrer Seite standen und stehen.
Viele, viele Tote sind zu beklagen. Vermutlich weit weniger durch die Krankheit, viel mehr durch die mit ihr zusammenhängenden Kollateralschäden. Einerseits der Impfung mit unzureichend getesteten Präparaten geschuldet, andererseits einer obrigkeitsgelenkten Hysterie. Menschen, in Kliniken und Altersheimen isoliert, mussten ohne den Beistand ihrer Angehörigen sterben. Bis heute wird die Aufarbeitung der Corona-Politik durch die Verantwortlichen umgangen.
So müssen wir uns fragen, was geschah unseren Kindern, wenn in Corona-Zeiten die Mund-Nase-Partie der Mitmenschen durch Masken verdeckt waren? Konnten sie später noch ausreichend lernen, Mimik zu deuten? Ein Gesicht, das uns als Erfahrene verrät, dass das Gegenüber Angst hat oder auf etwas stolz ist oder sich schämt. Was, wenn ein Kind, ein Einzelkind zumal, anstelle mit anderen Kindern zur Schule zu gehen, im heimischen Isolat unterrichtet werden musste? Jeder mag sich dazu seine eigenen Gedanken machen. Voran die Pädagogen, die Psychologen und die Psychotherapeuten. Allesamt wussten sie Bescheid. Und unsere Politiker? Die haben gelernt, wie die Angst vor einer Ansteckung mit Corona-Viren die Menschen verändert, ja, wie sie ihr Volk (noch) willfähriger macht. Liegt es da nicht nahe, solcherart Schreckensgestalten auch weiterhin zu füttern?
Schrecken, lieb und teuer
Nie war es einfacher, Nachrichten unter die Leute zu bringen, gleich ob News oder Fake News. Wer schon kann den Wahrheitsgehalt überprüfen und vor allem, wie? Am bequemsten ist es – und damit gewissermaßen bindend für die Bevölkerungsmehrheit –, man vertraut den Medien, denn deren Leute sind überall ganz vorn dran, und die sollten es daher am besten wissen. Politiker und Medienleute lächeln in sich hinein, wenn da jemand von denen da, den andern, meint, es besser zu wissen. Das Volk weiß nur das, was man ihm aus der Kaste der Wissenden zu wissen gibt. Die wenigen Eigenerfahrungen, über die Bürgerinnen und Bürger in ihrer Engsicht verfügen, sind allesamt Einzelfälle. Sollen sie doch mit ihrem Halb- und Viertelwissen eine eigene Meinung haben wollen, eine sogenannte „unabhängige“, im Gros der digital ausgetauschten Argumente wird ihnen bald die Luft ausgehen. Schlimmstenfalls verfügt man ja noch immer über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und weitere Regelungen.
Im Gewirr politischer Texte einen Halt zu finden, ist schwierig, obwohl überall Angebote winken. Es ist ein bunter Salat aus Worten, Benennungen und Begriffen. Manche von ihnen mochten zunächst nur zur Etikettierung gedacht sein, an der politischen Bedeutungsschraube gedreht, aber werden sie zum Stigma. Oder, noch weiter gedreht, zum Übel in Buchstabengestalt bis hin zu einem ausgewachsenen Popanz. Um diesen dann den Gegnern um die Ohren zu hauen oder politisch Naive zu alarmieren. Mit etwa 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung ist die Zielgruppe allemal groß genug. Laut Sonntagsfrage. Der Rest wählt die Opposition, und diese oder die sonstwie Verbohrten kann man mit rein verbalen Schreckenswerkzeugen hochwirksam das Fürchten lehren.
Jeder fühle sich eingeladen, nach Beispielen für schreckensrelevante Begriffe zu suchen. Beim Schütteln wird die Ausbeute so oder so ähnlich aussehen:
Wutbürger, Volksverräter, Nazi-Pack, Rassismus, Meinungsfaschismus, Fremdenfeindlichkeit, Antifa, Lügenpresse, Wohlstandsnarzissmus, Lückenpresse, Bürokratie, Nationalismus, linksextrem, Identitäre, rechtsextrem, Eurozentrismus, CO2, Verbuntung, Dunkeldeutschland, Genderismus, Klimahysterie, Überbevölkerung, Islamismus, Verschwörungstheoretiker, Trump, Halbwahrheitenpresse, PEGIDA, marschieren, Klimakiller, AfD – nachgewiesen das und das, Willkommenskultur, linksgrün, braun, rot, homophob, Gutmenschentum, Geistesmief, Multikulti, Asylindustrie, Höcke, Volkspädagogik, Putin, Mitläufer-Demokrat, Antinationalismus, Hyperinternationalismus, political correctness, Merkelismus, Diskursverbot, Populismus …
Diskurs setzt Kenntnisreichtum voraus
Man spürt geradezu, wie da die Soße heraustrieft, die Popanz-Soße. Zum blanken Gift macht sie, wer Popanze – ähnlich dem Kuckucksweibchen, das seine Eier in fremde Nester schmuggelt – klammheimlich ins gegnerische Lager platziert. „Kuckuckspopanze“ gewissermaßen. Mit Hakenkreuzschmierereien durch Linksextreme oder mit deren Zeigen des Hitlergrußes klappt das mitunter recht gut, mit Hammer und Sichel oder rotem Stern (50 bis 100 Millionen Opfer) hingegen nicht.
So durchsichtig die Sache mit den Polit-Popanzen ist, sollte man vielleicht besser darauf verzichten? – Keine Chance! Vor allem: Sie sind zeit- und platzsparend. Zwar wäre ein ernsthafter Diskurs über einen jeweiligen Sachverhalt weit angemessener. Aber wer will das schon, und wer kann das schon? Diskurs setzt Kenntnisreichtum, setzt ein intensives Studium voraus, und dazu haben die meisten weder Zeit noch Lust.
Außerdem ist die Gefahr viel zu groß, bei ernsthaftem Erwägen all der Pros und Contras am Ende der Verlierer zu sein oder gar vom Gegner umarmt zu werden. Da liegt das Anprangern des Gegenübers mit schreckensrelevanten Begriffen doch viel sicherer in der Hand.
Gerald Wolf hat Biologie und Medizin in Leipzig studiert und ist emeritierter Magdeburger Universitätsprofessor, Hirnforscher und Institutsdirektor. Neben zahlreichen Fachpublikationen und Fach- und Sachbüchern stammen von ihm drei Wissenschaftsromane. In seinen Vorträgen und Publikationen widmet sich Wolf der Natur des Menschen, vorzugsweise dem Gehirn und dem, was es aus uns macht. Mehr als 140 seiner Essays sind in seinem Buch „Hirn-Geschnetzeltes“ zusammengefasst.