Vera Lengsfeld / 21.11.2024 / 06:25 / Foto: Pixabay / 82 / Seite ausdrucken

Das Menetekel von Thüringen

Während Deutschland über das Ampel-Aus und das unwürdige Gezerre um die Vertrauensfrage und die Neuwahl diskutierte, wurde in Thüringen in aller Stille über eine Koalition verhandelt, die den Wählerwillen aushebelt. 

Die Zweit-, Dritt- und Fünftplatzierten, letztere eine 6-Prozent-SPD, wollen die Regierung bilden. Am Freitag wollen die Verhandler ihr Koalitionspapier der Öffentlichkeit vorstellen, offenbar nachdem es in den Parteigremien abgenickt wurde. Thüringen bekommt dann eine Minderheitsregierung, die auf Stimmen der abgewählten Linken angewiesen ist und einen Ministerpräsidenten, dessen Plagiatsverdacht von seiner Universität immer noch nicht ausgeräumt ist.

Man darf annehmen, dass im Koalitionsvertrag nichts anderes steht als im Sondierungspapier, das eine reine Wünsch-dir-was-Liste ist, die mit jeder Menge neuer Schulden bezahlt werden soll. Widerstand gegen das undemokratische Vorgehen regte sich allerdings kaum. Abgesehen von einem offenen Brief von ein paar Mittelständlern, die sich nicht mal trauten, das Schreiben mit dem eigenen Namen zu unterstützen, und ein paar Unterzeichnern von der Werteunion, die zum Jagen getragen werden mussten und sich als kampagnenunwillig erwiesen haben, gab es keinen Widerspruch.

Auch die AfD hat es sich hinter der Brandmauer gemütlich gemacht, statt im Landtag die Initiative zu ergreifen und die Möchtegern-Koalitionäre unter politischen Druck zu setzen. So kann der Abstieg Thüringens ungebremst weitergehen. Die Mehrheit der Thüringer scheint den Ernst der Lage nicht begriffen zu haben. Das ist ein Menetekel, denn das haben sie mit der Mehrheit der Bevölkerung in ganz Deutschland gemein. Wie Mario Voigt, der die Merkeldoktrin nahtlos fortsetzt, ist auch Friedrich Merz treu auf Merkels Spuren geblieben. Beide haben demonstriert, dass es mit ihnen keine Politikwende geben wird, lediglich werden es ein paar andere Empfänger der Machtprivilegien sein.

Merz nutzt seine Mehrheiten nicht

Friedrich Merz will dringend Kanzler werden, und in seinem Furor demonstriert er jeden Tag, dass er charakterlich nicht geeignet ist. Er hat zwar der Öffentlichkeit eine Zehn-Punkte-Liste präsentiert, was sich ändern soll, wenn er Kanzler geworden ist, aber die ist jetzt schon als Wahlbetrug erkennbar. Merz hätte für die Rückkehr der Gesetzlichkeit an unseren Grenzen, für die Annullierung des Gleichstellungsgesetzes, das die Bürger bei Androhung von Bußgeldern bis zu 10.000 Euro zum Lügen zwingt, weil man einen biologischen Mann nicht mehr Mann nennen darf, die nötige Mehrheit. Die mühsam erkämpften Frauenrechte werden ausgehebelt und den Frauen ihre sicheren Rückzugsräume genommen. Merz könnte das und die Verschleuderung des Bürgergeldes stoppen sowie den Ausstieg aus der Kernenergie beenden. Die parlamentarischen Mehrheiten hätte er. Er nutzt sie nicht.

Im Gegenteil, er hat mit SPD und Grünen das Parlament nach Hause geschickt, damit er nicht erklären muss, warum er die Mehrheiten nicht nutzt, die er hätte, wenn es ihm wirklich ernst mit seinen angeblichen Vorhaben wäre. Er nutzt sie nicht nur nicht, sondern diffamiert sie als „Zufallsmehrheiten“, die er nicht wolle. Er will nur noch Anträge auf die Tagesordnung setzen, die er vorher mit SPD und Grünen abgestimmt hat. Dass diese es ihm nicht danken, sondern ihn unter Druck setzen, indem sie die Streichung des § 218 auf die Tagesordnung setzen wollen, die das letzte Alleinstellungsmerkmal der Union hinwegfegen würde, ist fast witzig, wenn es nicht so traurig wäre.

Merkel hat als Kanzlerin die rot-grüne Agenda durchgesetzt und damit den inzwischen rasanten Abstieg Deutschlands eingeleitet. Unter Merz wird sich der Abstieg beschleunigen, denn keines seiner angeblichen Vorhaben wird sich mit seinen Wunschpartnern SPD und Grünen durchsetzen lassen. Merz’ Handlungen der letzten Tage sind nur mit einer arroganten Verachtung von Parlament und demokratischen Verfahren zu erklären. Er verachtet auch demokratisch gewählte Politiker und bezeichnet sie als „Gesindel“, wenn sie der falschen Partei angehören. Sind die Wähler der falschen Partei auch Gesindel?

Stehender Beifall für Putin

Wobei Merz die Tatsache ignoriert, dass die Mehrheit der Abgeordneten der AfD vorher anderen Parteien angehört hat, nicht nur der Union, auch der FDP, SPD und den Grünen. Sogar ehemalige SED-Linke sind dabei. So verhält es sich auch mit den Wählern. Die Frage ist: Waren die schon vorher „Gesindel“, oder sind sie es erst geworden, nachdem sie ihre Parteipräferenz gewechselt haben? Wie verhält es sich mit der Hoffnung, die der (glücklicherweise nicht mehr zur Wahl antretende Marco Wanderwitz) hat, die Wähler der AfD würden in Scharen zur Union zurückkehren? Ist das „Gesindel“ dann willkommen?

An der Sprache, die er benutzt, ist Merz klar zu erkennen. Wer ihn dennoch zum Kanzler wählt, muss sich sagen lassen, dass er außerdem einem Kriegstreiber seine Stimme gibt. Merz hat verkündet, dass er als Kanzler Putin, dem seine Fraktion und auch er selbst (hier ab Minute 25:50) – wenn ich mich richtig erinnere – stehenden Beifall nach seiner Bundestagsrede 2001 gespendet hat, ein Ultimatum stellen will. Putin solle innerhalb von 24 Stunden den Ukraine-Krieg beenden, sonst würde Merz Taurus-Raketen liefern. Man muss befürchten, dass Merz, der, seit er Aussichten auf die Kanzlerschaft hat, völlig von der Rolle zu sein scheint, das wirklich tun wird. Damit käme der Krieg nach Deutschland. Wer schweigt, stimmt zu. Es solle hinterher niemand sagen, er hätte das nicht wissen können.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Vera Lengsfeld.de.

 

Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Thüringen ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt.

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Leserpost

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A. Ostrovsky / 21.11.2024

@M. Müller : >>Herr Wietzke, da haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Alle haben versprochen, nicht mit der AfD zu koalieren. Und daran halten sie sich im Moment. Ich gehe allerdings noch einen Schritt weiter und frage Sie, mit welcher Partei die AfD koalieren möchte, bzw. deren Wähler. Und falls die AfD Wähler einen einheitlichen Wählerwillen zum regieren (mit Partei xyz) hätten, woran erkennt man, dass Höcke versucht hätte, diesen Willen umzusetzen? Im Übrigen sehe ich auch sonst noch keinen Abgeordneten im frisch gewählten Erfurter Landtag, der den Wählerwillen aushebelt. Zumindest hat noch keiner die Partei gewechselt und so seinen von den Wählern erhaltenen Auftrag (für Partei xyz Parlamentsarbeit zu machen) ausgehebelt. Insofern finde ich gerade Frau Lengsfeld`s Belehrungen lustig. Unabhängig von all dem bin ich der Meinung, dass BSW und AfD immer noch am besten zusammenpassen. Nicht umsonst hätte Höcke Wagenknecht gerne in seiner Partei gehabt. Eine Koalition mit BSW spült Wasser auf die Mühlen Putins.<< ## Wenn Sie sich richtig anstrengen, halten Sie es für möglich, einen Gedanken zu haben, der nicht am Ende bei Putins Mühlen herauskommt? Der Wahnsinn der Pelosi-Marionette, die die Russische Spur bei Trump nachweisen wollte, ist doch schon längst unter die Meldungen auf der letzten Seite gerutscht. Wer nicht nur Ideologie und Unlogik im Hirn hatte, hat das schon von Anfang an erkannt. Die haben Sie damals als Putin-Freunde verleumdet, nur weil die den Faden zur Realität noch nicht gekappt haben. Aber sie erarbeiten sich ihre Überlegenheits-Ideologie immer neu, wie Phönix aus der Asche. Das kann ich Ihnen bestätigen, da sind Sie ruhelos. Da ist auch kein Ende denkbar. Sie können einfach nicht irren!

S. Malm / 21.11.2024

Wieso muß ich dauernd an die Schweine in Animal Farm denken?

Wolfgang Richter / 21.11.2024

@ Hans-Joachim Gille—“Die Sowjetunion war in den 30ern des letzten Jahrhunderts der aggressivste Staat auf dem Planeten”—Ihre punktuell ausgerichtete “Interpretation” von Geschichte zu ergänzen / zu korrigieren, würde den Rahmen hier bei weitem sprengen.

Boris Kotchoubey / 21.11.2024

@Gabriele Schäfer “Präsident Putin handelt ... verantwortungsvoll”. Ja, er hat lediglich ein paar Tausend Kinder ermordet (die ersten 200 übrigens noch 2014 im holländischen Flugzeug). Den König Herodes hat er in seinem verantwortungsvollen Handeln jedenfalls überholt. Dass Selenski “nicht gewählt” wurde, ist eine freche Lüge. Dass er in diesem Jahr die Wahl “verschoben” hat, war ein schwerer Fehler, und ein Großteil des ukrainischen Volkes sieht es auch so. Die Wahl 2016 hat er dennoch in einem echten Wahlkampf gewonnen, im Gegensatz zu den Scheinwahlen in den meisten anderen Ländern. Im Übrigen sind in der Geschichte der Ukraine ALLE Wahlen echt und werden vom Volk und nicht von “Experten” im stillen Kämmerchen entschieden, Schon im 17.Jh. konnte das ukrainische Volk - im Gegensatz u,a. zu dem deutschen - sein Staatsoberhaupt wählen.

Wolfgang Richter / 21.11.2024

@ Gerd Maar / Thomas Schubert—“Wer einem angegriffenen Volk die angemessenen Mittel zur Selbstverteidigung vorenthält, wie Scholz es tut, ist der wahre Kriegstreiber.”—Wer mit derartigen Phrasen unter Außerachtlassung der Vorgeschichte, angefangen ca. 1990, die Sprechblasen von Mainstream-Medialen im Auftrage der westlichen und NATO-Politik einen in deren Sinn vorgetragenen “Krieg bis zum letzten Ukrainer” befürwortet,  sollte sich wenigstens ehrlich machen, sich selbst zur Rettung seiner Werte auf den Weg begeben und seinem Nachwuchs schon mal klar machen, was ggf. die gerade hierzulande angefangene Bestandsaufnahme der “Wehrfähigen” für diese bedeuten könnte.

Wolfgang Richter / 21.11.2024

Liebe Frau Lengsfeld,  “Wer schweigt, stimmt zu. Es solle hinterher niemand sagen, er hätte das nicht wissen können.” kann aufgrund der medial und mainstreampolitisch verkündeten Russophobie bis hin zur offenen Zustimmung zum Krieg gegen Rußland so nicht stehen bleiben, denn wer hierzulande aktuell bei den letzten Demos oder im kleinen Kreis auch nur “Frieden” sagt oder zB auf die Vorgeschichte der Kriegshandlungen ab 2022 verweist oder gar zu den Ereignissen von Butcha Zweifel an der offiziellen Lesart äußert, ist mindestens ein Putin-Freund, bis hin zum justiziabel anzugehenden Befürworter eines Angriffskrieges.

PaulKehl / 21.11.2024

Christoph Schriever “AFD spielt mit bei Wahlbetrug” Auffallend auch die Passivität der AFD beim Geschäftsordnungsputsch nach dem Urteil I. Instanz. Ich hätte die Sache in die nächste Instanz getrieben. - Hierzu ein persönliches Erlebnis mit einem höheren AFD.-Funktionär Anfang d. J. Als alter weißer Mann und Volljurist bot ich ihm ehrenamtliche juristische Unterstützung an. Mir war schon damals klar, daß Wahlen nicht am Wahltag gewonnen werden.  Der verfassungsblog formierte sich gerade zum Generalangriff auf die TH-Wahl. Die Antwort war, prima, solche Leute brauchen wir, danke wir melden uns. Das war´s. - Auch anschließend war die AFD in TH und SN merkwürdig passiv. Höcke verhielt sich bzgl. seiner Äußerungen ebenfalls passiv und ließ hochqualifizierte Anwälte die Karre aus dem Dreck ziehen. - Nach meiner Ansicht hat es sich die AFD zumindest in den Ländern in der Oppsitionskuschelecke gemütlich gemacht. Es spielt wohl auch noch der alte Respekt vor der Obrigkeit eine Rolle. -  Das GO-Urteil halte ich für eine Lachnummer.   

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