Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Italien einen klaren politischen Gegenwillen zur linkssozialistisch-woken Agenda. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni stabilisiert das rechte Lager und nimmt Reformen unter anderem in den Bereichen Migration, Energiesicherheit und Steuerpolitik in Angriff.
In den ersten Monaten ihrer Regierung hat Giorgia Meloni die politischen Weichen in Richtung eines Reformkonservatismus gestellt. Das Etikett „Postfaschistin“, sowohl in Italien wie in Deutschland von ihren Gegnern vermutlich in der Hoffnung geklebt, das „Post“ bald streichen zu können, ist ungebräuchlich geworden. Bisher ist das 15 Punkte-Programm, mit dem die Parteien des Centrodestra angetreten sind, eher eine Perspektive als realisierte Politik, aber die Wähler scheinen mit dieser Perspektive einverstanden zu sein: Stopp der illegalen Migration, Verringerung der steuerlichen Belastung, Reform nationaler und europäischer Institutionen, Reform der Justiz mit ihren überlangen Verfahren, Modernisierung der Infrastruktur, Energiesicherheit.
Bei den Regionalwahlen in Latium und in der Lombardei hat die Regierungskoalition von Fratelli d'Italia, Lega und Forza Italia deutlich über 50 Prozent der Stimmen gewonnen. FdI und FI haben in etwa ihre Stimmanteile der nationalen Wahlen vom September gehalten, die Lega hat vor allem in ihrem Stammland Lombardei zugelegt. Die Machtverteilung innerhalb des Centrodestra hat sich konsolidiert und damit auch die Regierung Meloni.
Der Partito Democratico – jetzt mit Regenbogen-Agenda
Innerhalb des Centrosinistra hat sich der Partito Democratico mit ca 20 Prozent der Stimmen zunächst als dominierende Kraft behaupten können. Mit der Wahl von Elly Schlein zur Sekretärin des PD hat sich die Position des PD in der italienischen Politik mit einem Schlag und möglicherweise weitreichenden Folgen geändert. Der Wahlmodus dabei ist völlig absurd: Zunächst haben die eingeschriebenen Mitglieder des PD gewählt und sich mit einer Mehrheit von 54 Prozent für den sozialdemokratisch-reformistischen Kandidaten Stefano Bonaccini, den Präsidenten der Region Emilia Romagna, ausgesprochen. Danach folgte eine Art von primary, eine Abstimmung, die praktisch für alle offen war, die daran teilnehmen wollten. Dabei haben sich die Stimmverhältnisse umgekehrt und Schlein wurde mit ca. 55 Prozent gewählt. Das heißt faktisch, dass Schlein jetzt eine Partei führt, die sie eigentlich nicht gewollt hat. Und in der sie übrigens erst seit kurzem Mitglied ist. Der sozialistisch-woke Flügel der Partei spielt jetzt mit offenen Karten und sucht unter Führung von Schlein den Anschluss an die linkspopulistische Bewegung der 5 Sterne.
Dies kann zu einer Spaltung des PD führen, was in der italienischen Politik kein großes Ereignis wäre. Sicherlich wird es zu einer stärkeren Polarisierung zwischen den beiden großen Blöcken des Centrodestra und Centrosinistra kommen. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es jedenfalls einen klaren politischen Gegenwillen zu der linkssozialistisch-woken Agenda.
Meloni hat sich ihre Position und die ihrer Partei im letzten Jahrzehnt zäh und nicht ohne Rückschläge erarbeitet und sowohl sich persönlich wie ihre Partei politisch breit aufgestellt und verankert. Schlein als Gegenspielerin von Meloni? Schlein hat sich in ihren Ämtern als Europaparlamentarierin und Vizepräsidentin der Region Emilia Romagna im Wesentlichen als Umweltaktivistin positioniert und immer zur innerparteilichen Opposition des PD gehört. Wenn sie erfolgreich sein will, wird sie ihre politische und ideologische Basis jedenfalls verbreitern müssen.
Die diversen Listen der italienischen Grünen blieben in beiden Regionen unter 5 Prozent.
San Remo – Festival des woken Italien
Das Festival des „canzone populare” des volkstümlichen Liedes in San Remo, ist in diesem Jahr von der linken Regenbogenfraktion dominiert worden. Die politische Macht hat die Linke auf nationaler Ebene und in den meisten Regionen verloren, nicht aber den Zugriff auf Kunst und Medien. Das Konzept der „kulturellen Hegemonie” des Italo-Marxisten Antonio Gramsci besagt, dass vor der politischen Machtergreifung und dann zu ihrer Absicherung die intellektuelle und moralische Führung einer Gesellschaft stehen muss. Die aktuelle Version dieses Konzepts nennt sich Political Correctness, und San Remo war nie politisch korrekter als 2023.
Die zur PC-Ikone mutierte Alessandra Mussolini, zwischen Pop und Politik pendelnde Enkelin des Duce, gegenwärtig Europaabgeordnete für Forza Italia, fand die demonstrativen Küsse auf der Bühne des Ariston zwischen Homosexuellen großartig, fühlt sich mittlerweile in ihrer geschlechtlichen Identität als „fließend” und kritisiert, dass sich eine der Moderatorinnen sich in ihrer provokant offenen Kleidung anscheinend nicht ganz wohl gefühlt hat.
Der Präsident der süditalienischen Region Kampanien, Vincenzo De Luca, eine Führungsfigur des sozialdemokratischen Flügels des PD und mit großer Mehrheit gewählt, hat wohl das Risiko gesehen, die linken Traditions-Wähler abzuschrecken, wenn das Festival ohne Widerspruch als Festival der Linken definiert wird. In einem wütenden Videokommentar verriss er die Veranstaltung als einen Wettbewerb der Unglücklichen und Verwirrten – das Spektakel sei vulgär und schwachsinnig gewesen.
Wahlen ohne Wähler
Nur etwa 40 Prozent der Wähler sind bei den beiden Wahlen in Latium und der Lombardei überhaupt zu den Urnen gegangen. Die historisch einmalig niedrige Mobilisierung der Bürger wird von Politikern verständlicherweise kaum kommentiert; getroffen hat diese geringe Mobilisierung alle Parteien etwa gleichmäßig, so dass der Sieg des Centrodestra auch nicht auf eine differenzielle Mobilisierung zurückgeführt werden kann.
Der TV Moderator und Journalist Paolo del Debbio hält die Verwunderung der Politiker über die geringe Wahlbeteiligung für heuchlerisch und nennt drei wesentliche Gründe:
- Mehr als ein Jahrzehnt lang, bis 2022, sind die italienischen Ministerpräsidenten nicht aus der gewählten parlamentarischen Mehrheit hervorgegangen, sondern vom Staatspräsidenten ernannt worden. Das Wähler-Votum spielte nur eine marginale Rolle.
- Die nationale Ebene wird für politische Entscheidungen immer bedeutungsloser. Welchen Sinn hat es, ein Parlament in Rom zu wählen, wenn alle wesentlichen politischen Weichen in Brüssel oder globalen Institutionen gestellt werden?
- Die politischen Parteien haben sich aus dem alltäglichen Leben in virtuelle Räume zurückgezogen. Die virtuelle Kommunikation aber kann die reale nicht ersetzen, gerade die linken Parteien waren nicht nur politische, sondern auch soziale Heimat. Die Volksfeste der Parteizeitungen, insbesondere die der UNITA, das Blatt des alten Partito communista, der Vorgängerpartei des Partito democratico, waren Höhepunkte des sozialen und des Parteilebens; die gemeinsamen Feiern verknüpften sozusagen das italienische Leben mit der Ideologie der Partei. Und hielten die Werte im Bewusstsein, an denen sich Wahlentscheidungen und politische Aktivitäten orientieren.
Daumen hoch, Daumen runter
Das italienische Elektorat ist äußerst beweglich und auch der „astensionismo”, das Nichtwählen, ist Teil dieser Beweglichkeit. Es gibt zudem die Neigung, sich in neue Führungsfiguren zu verlieben und sie rasch wieder fallenzulassen, wenn sie den Erwartungen nicht entsprechen. Die Italiener, so sagte mir einmal eine italienische Freundin, wählen sich alle zehn Jahre einen Heiligen und hoffen, dass er – jetzt sie – Italien besser regiert als seine Vorgänger. Angesichts der aktuellen Stabilität des Centrodestra hat Meloni vier Jahre Zeit, um den Italienern zu beweisen, dass sie mehr ist als nur eine weitere Heilige.