Am späten Freitagnachmittag debattierte der Deutsche Bundestag in recht leerem Plenarsaal als allerletzten Tagesordnungspunkt über den „Schutz der Meinungsfreiheit vor staatlichen Übergriffen" mit bemerkenswerten Auftritten.
Sehen Sie selbst in einer kurzen Durchsicht (hier) oder lesen Sie hier das Transkript, aber es ist natürlich aussagekräftiger, wenn man die Protagonisten selbst sieht und hört.
Helge Lindh (SPD): „In der Tat ist es so: In der Demokratie lebe ich wie die Made im Speck. Sie ist mir nämlich immer nur das Mittel und niemals der Zweck.
Und wenn ich mir genau Artikel 21 angucke, muss ich schon sagen, dass ich verfassungsfeindlich bin. Ich bin keine Rose, ich bin eine Mimose. Tut mir einen Gefallen, haltet mich auf."
Das war der SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh am Freitag in einer von der AfD beantragten Aktuellen Stunde zum Thema „Meinungsfreiheit gegen staatliche Übergriffe schützen“. Falls Sie sich jetzt fragen, ob der als engagierter Kämpfer gegen rechts bekannte Genosse Lindh plötzlich an sich selbst zweifelt: Nein, das tut er nicht. Aber er hat sich eine bizarre Form des Auftritts gewählt. Statt sich mit echten AfD-Anhängern auseinanderzusetzen, stellt er als abschreckendes Beispiel selbst einen dar, der ihm nächtens im Traum erschien. Hier noch eine Kostprobe:
„Letzte Nacht erschien mir im Traum ein leicht alkoholisierter AfD-Fan mit Bekenntnisdrang und er sprach zu mir, Zitat: Lieber Helge, Meinungsfreiheit das ist meine Freiheit. Was ich meine, meint das Volk, denn ich bin ja das Volk. Deshalb muss ich das Volk auch gar nicht erst fragen.
Wenn mal wieder eine Abgeordnete bei Dir Helge dazwischenruft, Du bist doch weder Mann noch Frau und schal lacht, dann bekomme ich als Fan der AfD, mein Lieber, einen inneren Orgasmus."
Es wundert sicher niemanden, wie sich der Genosse Lindh einen AfD-Anhänger vorstellt, nur dass er sich in einer Bundestagsrede an einem imaginierten AfD-Mann abarbeitet statt an einem echten, wirkt schon recht befremdlich.
Alexander Hoffmann (CSU): „Wenn ich es nicht besser wüsste, Kollege Lindh, würde ich sagen: Sie haben vorhin von der vor einigen Stunden getätigten Cannabis-Legalisierung Gebrauch gemacht."
„Dann müssen Sie den Raum verlassen“
Nehmen wir diese Worte des CSU-Abgeordneten Alexander Hoffmann als abschließenden Kommentar zu Helge Lindh und hören uns im Unterschied zu ihm keinen fiktiven, sondern einen echten AfD-Abgeordneten an, der den Zustand der deutschen Meinungsfreiheit beklagt. Vor allem die Ankündigungen der Ministerinnen Paus und Faeser im Kampf gegen den Rechtsextremismus auch Äußerungen ins Visier zu nehmen, die unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit liegen und damit noch legal sind, haben bekanntlich in den letzten Wochen für einige Unruhe gesorgt.
Martin Reichardt (AfD): „Was sagbar ist, bestimmen in Zukunft Linksgrüne und ihre Armee von Antidiskriminierungsbeauftragten, Inkompetenznetzwerken, die durch Millionen von Steuergeldern finanziert werden. Beispiele für das, was für Sie Hassrede ist, das sind zum Beispiel Aussagen wie: Es gibt nur zwei Geschlechter, eine Frau hat keinen Penis oder auch nur die Frage ob Herr Habeck bis drei zählen kann. Meine Damen und Herren, das ist eben nicht Meinungsfreiheit, das ist das Ende der Demokratie, das sie hier herbeiführen wollen."
Der Abgeordnete Martin Reichardt beruft sich auf ein früheres Urteil des Bundesverfassungsgerichts:
Martin Reichardt (AfD): „2018 urteilte das Bundesverfassungsgericht damals sehr weise. Ich zitiere: Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, selbst wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich sind und selbst wenn Sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer Vergiftung des geistigen Klimas ist kein Eingriffsgrund in die Meinungsfreiheit."
Und dann löste der Mann eine Vorstellung zur Meinungsfreiheit im Reichstag aus, die einen recht speziellen Unterhaltungswert hatte.
Martin Reichardt (AfD): „Ja und genau so ist es und da muss man sich eben fragen, wo die wirklichen Verfassungsfeinde sitzen. Sie sitzen dort auf der Regierungsbank und hier bei Ihnen in der Ampelkoalition. (...)
Selbst die schwarz-rot-goldene Fahne, die Fahne der Freiheit und des Widerstands auch gegen die Herrschaft der Nazis, gilt bei Ihnen heute als rechts und darf auf Ihren Demonstrationen oft nicht gezeigt werden.
Die Fahne Deutschlands, schwarz-rot-gold, die Fahne von Freiheit und Recht, sie wird leuchten in Deutschland. Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand. Vielen Dank."
Zum letzten Satz hatte er kurz ein kleines schwarz-rot-goldenes Fähnchen gezeigt, worauf die Bundestagsvizepräsidentin prompt reagierte.
Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU): „Lieber Herr Reichardt, wir sind ein Parlament des Wortes und nicht des Hochhaltens von Fahnen oder dergleichen, von daher erteile ich Ihnen dafür einen Ordnungsruf, und und ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf dafür, dass sie die Regierung als Verfassungsfeinde bezeichnet haben und ausdrücklich dahin gezeigt haben, und wenn Sie heute noch mal einen Ordnungsruf kriegen dann müssen Sie den Raum verlassen. Ich möchte Sie vorsorglich darauf hinweisen."
„Das unterscheidet uns doch von den autoritären Regimen“
Besser hätte es auch die AfD selbst in einer Debatte über Meinungsfreiheit nicht inszenieren können. Erst diese vormundschaftlichen Ordnungsrufe von der CDU-Bundestagsvizepräsidentin und dann der Ausflug in die Traumwelt des Genossen Helge Lindh.
Haben sich nun alle Redner der etablierten Parteien so reflexartig an der AfD abgearbeitet, ohne darauf einzugehen, wie gefährdet die Meinungsfreiheit tatsächlich ist?
Ja und nein. In Bezug auf die AfD haben auch die folgenden Redner alle ihre Ablehnung und Abgrenzung betont, aber dann auch etwas dazu gesagt, wie die gegenwärtige Regierungspolitik die Meinungsfreiheit gefährdet.
Alexander Hoffmann (CSU): „Wir werden die AfD gemeinsam nur bekämpfen können, wenn wir ihr die Themen nehmen, wenn wir den Menschen Lösungen anbieten, und da gehört das Thema Migration dazu."
Nina Warken (CDU): „Es mag verlockend erscheinen, unliebsame Meinungen zu verbieten, insbesondere wenn sie uns politisch unbequem sind, doch dieser Weg führt in die falsche Richtung, denn wer entscheidet, welche Meinungen akzeptabel sind und welche nicht. Eine lebendige Demokratie braucht Vielfalt Debatte und Dissens, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist aber im Moment leider so: Viele Menschen in unserem Land gewinnen den Eindruck, dass diese notwendige Debatte nicht möglich ist, dass diese Freiheit, die Freiheit zu sagen, was man denkt, in Gefahr ist, weil politische oder gesellschaftliche Kräfte versuchen, die Menschen zu bevormunden."
Philipp Amthor (CDU): ”Wir müssen differenzieren und es kann nicht sein, dass sie in dem gemeinsamen Kampf, den wir brauchen gegen Rechtsextremismus, eine Politik des Verdachts auf den Weg bringen, die alle nicht linken Organisationen kriminalisiert, während ihre linken Vorfeldorganisationen finanziert werden durch das Demokratiefördergesetz. Das kann nicht funktionieren. Sie haben uns an der Seite im Kampf gegen Rechtsextremismus, aber nicht in der Ausgrenzung von allem, was nicht links und grün ist in diesem Land."
Nina Warken (CDU): „Wenn wir Probleme nicht mehr ansprechen, wenn jeder, der auf einen Missstand hinweist, ausgegrenzt oder gar als rechtsextrem abgestempelt wird, dann wenden sich die Menschen bei der Wahl in einer gewissen Hilflosigkeit radikalen Parteien zu, um damit ein Zeichen zu setzen. Dagegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht man nicht vor, indem man Kritik klein hält, sondern indem man eine offene Debatte führt und zwar über die Themen, die die Menschen bewegen, indem man die Menschen mit- und ihre Sorgen ernst nimmt und indem man gut regiert."
Alexander Hoffmann (CSU): „Ich bin tatsächlich besorgt, das will ich offen sagen, um den Ampelmechanismus, den man in diesen Wochen und Monaten erlebt, weil da tatsächlich an manchen Stelle der Eindruck entsteht, dass alles was Kritik an der Ampel ist, ganz schnell populistisch nicht staatstragend oder sogar gefährlich für unsere Demokratie ist."
Nina Warken (CDU): „Die Meinungsfreiheit ist das Herzstück unserer Gesellschaft, die Essenz unserer politischen Kultur. Sorge macht es mir deshalb schon, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die Bundesfamilienministerin sagt, dass die Bundesregierung nun auch Äußerungen im Netz bekämpfen wolle, die – Zitat – unter der Strafbarkeitsgrenze vorkommen und noch so unter die Meinungsfreiheit fallen. Klar ist doch, was nicht strafbar ist, was vor allem von der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit gedeckt ist, das muss erlaubt sein und zwar auch dann, wenn es unangenehm ist, sehr geehrte Damen und Herren. Das nämlich unterscheidet uns doch gerade von den autoritären Regimen, die nur eine politische Gesinnung zulassen."
Philipp Amthor (CDU): ”Wenn rechts verschwindet, wenn rechts verschwindet, was bleibt denn dann noch übrig? Links und grün und das ist zu wenig für eine Demokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und ich will Ihnen das in einem gekürzten Zitat vortragen von Harald Martenstein aus der Welt. Besser hätte man es nicht formulieren können. Ich zitiere: Bismarck, der Gründer des deutschen Sozialstaats – rechts. Gustav Stresemann, der bei den Nazis verhasste Kanzler und Friedensnobelpreisträger – rechts. Der Hitler Attentäter Stauffenberg und sein Team – rechts. Wer glaubt, rechts bedeutet das gleiche wie rechtsradikal, ist dumm. Ich meine das nicht so böse, wie es vielleicht klingt. Es muss auch dumme Menschen geben, die Evolution hat es so gewollt."
Das mag so sein, aber bezüglich der dummen Menschen scheint es derzeit so, als sei die Evolution da etwas zu großzügig gewesen.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.