Roger Koeppel, Gastautor / 21.06.2021 / 14:00 / Foto: Pixabay / 60 / Seite ausdrucken

Meinungsfreiheit: Stresssymptome des Establishments

Weltwoche-Herausgeber und SVP-Politiker Roger Köppel beschrieb am Sonntag in Indubio und heute in seinem Weltwoche-Morgenpodcast („Weltwoche Daily") eine etwas optimistischere Sicht auf die Lage der Meinungsfreiheit in Deutschland. Wir haben seine Ausführungen transkribiert, da sie für eine muntere Debatte sorgen könnten.

....Ebenfalls Thema in dieser Sendung [Indubio] war das Ende der Meinungsvielfalt in Deutschland. Hintergrund ist eine [Allensbach]-Meinungsumfrage, eine Studie, die zum Schluss gekommen ist, letzte Woche, dass noch nie ein so großer Anteil von Deutschen das Gefühl hatte, man könne in Deutschland nicht mehr offen seine Meinung sagen, Und meine Kollegen haben das sehr düster interpretiert und das eben als generellen Niedergang – ja, etwas kulturpessimistisch festgehalten, dass eben die Unterdrückung Andersdenkender in Deutschland noch nie so stark gewesen sei.

Ich habe da eine ganz andere Auffassung. Ich erlebe Deutschland ganz anders. Für mich hat es, seit ich es persönlich überblicken kann, vor allem in den letzten 20 Jahren, da habe ich u.a. in Deutschland gearbeitet, haben wir noch nie eine derartige Vielfalt von öffentlich artikulierten Meinungen gehabt wie heute und wir hatten auch noch nie so viele oppositionelle Meinungen in der deutschen Öffentlichkeit wie jetzt.

Und es ist ja völlig natürlich, das ist ein politisches Naturgesetz, dass, wenn Sie eben eine lautere Opposition haben, eine Opposition, die das hinterfragt, was das Establishment, der Mainstream macht, dann wehrt sich der Mainstream, dann schlägt das Establishment zurück. Es ist ja eine Illusion, zu glauben, dass die Menschen Meinungsvielfalt schätzen, und vor allem die Mächtigen schätzen Meinungsvielfalt überhaupt nicht; sie schätzen die Meinungsvielfalt nur insofern, als alle die gleiche Meinung haben wie sie. Aber wenn Sie Opposition machen, und wenn Sie das deutlich artikulieren in der Öffentlichkeit, dann gibt’s eben von oben Vergeltungsschläge, dann müssen Sie unten durch als Oppositionelle und können nicht erwarten, dass man Ihnen noch applaudiert, weil Sie das kritisieren, was die Regierung macht.

Ohne jede Wehleidigkeit konstatieren

Und Sie sehen jetzt an diesen Befunden auch in Deutschland, dass man gar nicht gewöhnt ist, dass es wieder eine robuste politische Debatte gibt, und wenn es eben eine richtige politische Debatte gibt, nicht einfach nur dieses Gesäusel in der Konsenskäseglocke der Hauptstadt Berlin, dann kriegen die Oppositionellen eben auch eins auf’s Dach, und das muss man ohne jede Wehleidigkeit konstatieren.

Wenn Sie Widerstand leisten, dann bekommen Sie eben auch Gegenwind. Das, was hier wahrgenommen wird als Unterdrückung der Meinungsvielfalt, ist im Grunde ein Stresssymptom des deutschen Establishments, das merkt, dass ihm zum Teil die Felle davonschwimmen, und dass sich plötzlich Stimmen artikulieren können in der Öffentlichkeit, auch in sozialen Medien, außerhalb des etablierten Medienbetriebs, die das früher so nicht konnten. Früher konnte man diese Dissidenten viel leichter marginalisieren, heute ist das nicht möglich, und darum ist die Energie, diese Opposition zu unterdrücken, bei den Mächtigen auch größer und spürbarer geworden.

Aber wenn Sie das mit etwas Distanz anschauen, sind das für mich die zarten Knospen einer richtigen Demokratie in Deutschland. Was wir hier erleben, ist der Durchbruch der Demokratie als Staatsform der Alternativen, als Staatsform des Meinungspluralismus, auch der rabiaten Meinungsäußerungen, das erleben wir jetzt in Deutschland. Und dass zum Teil auch Oppositionelle darunter leiden, zeigt vielleicht auch, dass sie mit ein bisschen falschen Vorstellungen hier Opposition betreiben.

Also wenn Sie als Erste an die Burgmauern des Establishments trommeln, wenn Sie mit Ihren Rammböcken da die Zugbrücken zertrümmern möchten, ja dann wirft man Pech und Schwefel auf Sie, dann rollt man Ihnen nicht den roten Teppich aus, dann werfen Ihnen die Burgfräuleins keine Blumen entgegen. Opposition ist ein hartes Brot, und die Meinungsvielfalt nimmt zu in Deutschland, und deshalb wird die Meinungsvielfalt von oben auch mehr unterdrückt, weil sich diese Mächtigen in Deutschland – in den Medien, in der Politik, in der Industrie, in den Verbänden, bei der Linken – weil sich die eben zu recht stärker herausgefordert und bedroht fühlen, weil sie spüren, dass ihnen die Felle davonschwimmen.

Darum bekommt übrigens auch die Schweiz immer wieder auf’s Dach, nach einem Volksentscheid wie am 13. Juni , wenn sich unser Land wieder einmal völlig querstellt [zum Klimaschutz] zum europäischen Mainstream. Das gehört dazu.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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HERMANN NEUBURG / 21.06.2021

Der Autor ist Schweizer und lebt in der Schweiz und ihm geht es offensichtlich finanziell gut. Meinungsfreiheit herrscht in Deutschland nicht mehr so wie früher. Das allein wäre noch auszuhalten, aber es hat konkret für die Menschen in Deutschland erhebliche Konsequenzen, politischer und finanzieller Natur. Gerade heute hat das andere historisch neutrale Land in Europa, in dem es seit 1816 keinen Krieg mehr gab und das auch an keinem beteiligt war, bewiesen, dass es keinen Schuldkult pflegt und in dem die politische Linke nicht der politischen Rechten, dazu zählt alles in der Mitte und rechts davon, einen Keil hineintreiben kann: in Schweden wurde der Regierung das Vertrauen entzogen. Und in Schweden hatten die anderen Parteien, sogar die linke Partei, kein Problem damit, mit der schwedischen “AfD” zu stimmen.  Es geht darum,  dass in Deutschland, anders als in der Schweiz,  seit vielen Jahren in fast allen wichtigen Politikfeldern, wie Euro, Migration, Energiepolitik, gegen die Interessen und gegen den Mehrheitswillen entschieden wird.  Und in der IT (nicht nur dort) kennen wir den Begriff “Point of no return”.  Und aufgrund der konkret organisierten Demokratie in Deutschland, wo es auf nationaler Ebene u.a. keine Volksentscheide gibt und in der die Freiheitsrechte mit einfacher Parlamentsmehrheit außer Kraft gesetzt werden, ist dieser Point of no return überschritten und keine Wahl ändert etwas.  Und das alles, weil es formal Meinungsfreiheit gibt und die Oppositionellen zwar nicht aufgehängt werden, aber ihres Mensch-Seins aberkannt, also ausgestoßen.  Wir sprechen uns in 12 Jahren wieder, wenn alle Babyboomer in Rente sind.  Ob der Autor dann immer noch so fröhlich optimistisch ist?  Nur Deutschland hat diese unfassbaren Traumata in seiner Geschichte erlebt, deshalb sieht es garnicht gut aus, rein objektiv.

Bernhard Maxara / 21.06.2021

Ihre euphemistische Sicht der Dinge, Herr Koeppel in allen Ehren, aber wenn dem zentralen Bevölkerungsteil dieses Kontinents vor Augen geführt wird, daß es genügt, die “öffentlich rechtlichen” Medien hinter sich zu haben, um das Staatswesen von föderal auf zentralistisch umzustellen und die stärkste Oppositionspartei kalt zu stellen, wenn ohne Scham gezeigt wird, daß es dann auch genügt, daß sich alle gegen eine Partei einig sind, um sie zu marginalisieren und wenn die Regierung vor den Augen aller ungestraft die Verfassung mißachten kann, wenn “das System” eine Pandemie ausruft, die es nicht gibt und ein Minister ungerügt Studien zur Rechtfertigung “repressiver”  Maßnahmen zur Disziplinierung seiner Wähler in Auftrag geben kann, usw., - tut mir leid, dann sind das “keine zarten Knospen” der Demokratie, sondern dann ist der parlamentarische Rechtsstaat in Gefahr!

Marie Charage / 21.06.2021

Roger Koeppel unterschätzt, dass die inquisitorischen Methoden - wie die Cancel Culture zum Beispiel - ganz konkrete, ja existentielle, Auswirkungen für die Aufmüpfigen hat. Wenn Leute ihre Jobs verlieren, ist es ganz schnell vorbei mit der lautstarken Opposition. Die können sich dann nur Auserwählte wie Herr Koeppel leisten. Sagen kann man immer noch fast alles, aber den Preis dafür können manche ganz einfach nicht zahlen.

Jens Kaup / 21.06.2021

Es stimmt schon, so viel ernstzunehmende Opposition gegen den Mainstream gab in Deutschland noch nie, vor allem mit der AfD eine Partei im Bundestag, die AfD, die den etablierten eine Menge Fleischtöpfe wegnimmt. Und auch die ganzen Blogs und Känäle in den sozialen Medien, wie auch die Achse, mit inzwischen beachtlichen Reichweiten tun den Etablierten mächtig weh. Daß es mehr Meinungen und Stimmen gibt, als einst, bedeutet aber nicht, daß es auch mehr Meinungsfreiheit gibt. Im Gegenteil! Es wird immer heftiger um sich geschlagen, bis hin zu Dingen, die einer Demokratie so nicht mehr würdig sind. Ganz schlimm aktuell das Verbot der Grundrechtsdemo in Kasssel, bei gleichzeitiger Erlaubnis der Gegendemos.

Hjalmar Kreutzer / 21.06.2021

Leider ist es nicht nur so, dass ein Oppositioneller Gegenwind aushalten muss. Opposition kann man sich nur „leisten“ aus einer Position der wirtschaftlichen Unabhängigkeit heraus, und die Mehrzahl der Berufstätigen ist lohnabhängig angestellt. Hier wird dann seitens des Staates ein Repressionssystem aufgebaut, wie ich es nur aus der DDR kenne. Auf Schulleiter, Lehrer, Schüler, Firmeninhaber, Abteilungsleiter, Angestellte wird hier bei Androhung des Verlustes der wirtschaftlichen Existenz oder Ende der Kartiere Druck ausgeübt, sich systemkonform zu verhalten und mit seinen Äußerungen „nicht anzuecken“.  Dabei ist Sippenhaftung zu verzeichnen, wie im Fall der Gattin Thilo Sarrazins oder in meinem konkreten Umfeld Kindern von AfD-Mitgliedern in Schule und Lehre oder „Kontaktschuld“, weil man mit dem „falschen“ Leuten Kaffee trinkt, demonstriert oder befreundet ist. Das hat ganz klar nichts mehr mit demokratischem Austausch konträrer Meinungen zu tun und ist m.E. eines demokratischen Rechtsstaates unwürdig und justiziabel. Sagte einst ein DDR-Bürger zum Stasi-Vernehmer: „Ich distanziere mich ausdrücklich von den politischen Äußerungen meines Papageis!“

Ralf.Michael / 21.06.2021

Wenn dann die Mächtigen versuchen, Ihre davonschwimmenden Felle zu verfolgen…....hinter jedem Strauch lauert mindestens 1 Reichsbürger…...werde nicht auf keinen Fall ” Vorsicht ”  rufen. Den Spass lass ich mir dann doch nicht entgehen.  ;o))

S.clemens / 21.06.2021

Roger Koeppel scheint ein grundsolider Optimist bzw. Pragmatiker zu sein. Leider missdeutet er die vielen Stimmen in D als “viele Meinungen, super”. Leider ist es das ja nicht- es ist das Geheule der “Wir-sind-mehr” Fraktion, welches ausnahmslos alles nach rechts brüllt, was nicht eindeutig ihrer woken Weltwahrnehmung zustimmt. Aber man kann ihm nicht böse sein- es kommt fast so herzerfrischend naiv wie bei Frau Baerbock!

Wilfried Nauck / 21.06.2021

Kann Herrn Köppel nicht zustimmen. Habe die ÖR-Medien der alten Bundesrepublik intensiv verfolgt. Damals gab es Löwenthal, Pro und Contra, Kienzle und Hauser, eine Jugendsendung, in der Jugendliche zu einem Thema gegensätzliche Positionen vertraten, im Frühshoppen saßen auch Journalisten des Ostblocks, Quersprecher wie Scholl-Latour usw. Da herrscht heute große Stromlinienförmigkeit. Die Vertreter der größten Oppositionspartei kommen in den Talkshows der ÖR nur äußerst marginal vor. In Interviews wird die Kanzlerin mit Samthandschuhen angefasst und nicht kritisch hinterfragt. Da die Glotze immer noch stark meinungsbildend wirkt, ist das verheerend. Und wenn Meinungsumfragen ergeben, dass die Mehrzahl sagt, es wäre besser, mit seiner Meinung hinter dem Berg zu halten, erinnert mich das an die frühere DDR. Dazu noch ein alter Witz: Ein Wessi sagt zum Ossi: Bei uns kannst Du sagen: Adenauer ist ein Verbrecher! Darauf der Ossi: Das kannst Du bei uns auch sagen! Komisch: Der Witz kommt bei mir jetzt wieder hoch.

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