Lisa Marie Kaus, Gastautorin / 27.09.2019 / 12:00 / Foto: Pixabay / 52 / Seite ausdrucken

Meine ungehaltene Gretchen-Rede

Die UN-Vollversammlung endet am 1. Oktober und auf Instagram ebben die Memes zu Thunbergs Blick auf Trump auf dem vorangegangenen Klima-Sondergipfel wieder ab. Doch die Rede der jungen Klimaaktivistin hallt noch bei mir nach. Auf den ersten Blick fand ich die Rede vor allem verstörend. Nicht wegen ihres Inhalts, sondern wegen der Verfassung des Kindes. Auf den zweiten Blick betrachte ich sie losgelöst von dem Einzelschicksal der kleinen Schwedin und als Teil der Marketing-Maschinerie Fridays for Future. Diese Melodramatik kannte ich sonst nur aus schlechten Theaterinszenierungen, diesen Kitsch nur aus amerikanischen Lifetime Movies, diese Form des Kindesmissbrauchs nur von Kinderstars, die ihre Familie ernähren müssen. 

Nun bin ich 15 Jahre älter als Greta Thunberg, von einem instrumentalisierten Kind bin ich also – glücklicherweise – sehr weit entfernt – den Rest, die Melodramatik und den Kitsch, den krieg ich aber hin. Schließlich wollte ich als Kind immer Opernsängerin werden. Nur das mit den Zöpfen, ne, das kann ich nicht. Ich möchte ja nicht, dass die Kita meines Sohnes mich dem Verfassungsschutz meldet, denn wir wissen ja alle, wessen Geistes Kind sonst solche Zöpfe trägt. Ich streiche mir also, mit zitternden Fingern, eine Haarsträhne aus dem Gesicht, blicke noch einmal anklagend in die Runde, beuge mich nach vorne und beginne meine Rede:

"Meine Botschaft ist, dass euch leider nur wenige beobachten, da die intertemporale Budgetrestriktion des Staates anscheinend komplizierter zu vermitteln ist als auf Wahrscheinlichkeiten basierende Klimaszenarien.

Es ist nicht alles falsch. Zumindest euer Verhalten scheint einem Lehrbuch zur Public Choice Theorie zu folgen. Jedes Individuum strebt nach Nutzenmaximierung. Und auch Politiker maximieren nun mal ihren eignen Nutzen und nicht das – sowieso schwierig zu definierende – Allgemeinwohl. Dennoch heißt Politik Zukunft gestalten. Und ihr alle verlagert die Kosten eurer populistischen Politik – von Euro und Migration über Klima bis Rente – auf uns junge Menschen, auf unsere Kinder und Kindeskinder. Und es funktioniert. Denn wir Wohlstandsverwahrlosten haben zwar alle ein Einser-Abitur, aber keine Ahnung von Verantwortungsethik, Wahrheitssuche und Entscheidungen unter Unsicherheit. So könnt ihr es wagen!

Märchen von einer Grundrente

Ihr habt meine Rente und meine Zukunft in einem friedlichen Europa mit euren leeren Worten gestohlen. Und doch bin ich eine der Glücklichen. Ich bin gut ausgebildet, kann auswandern, wenn der taumelnde Sozialstaat mein Haus, das ich mir durch die Niedrigzinspolitik der EZB sowieso nicht leisten kann und somit eh nicht habe, belasten will, weil er nach Steuergeldern schnappt wie ein Ertrinkender nach Luft. Die Menschen, die hierbleiben müssen oder wollen, werden leiden. Unser ganzes Sozialsystem kollabiert durch eure Renten- und Migrationspolitik. Wir stehen am Anfang eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs – durch eure lockere Geldpolitik, die die Finanzstabilität und unsere Ersparnisse auf dem Altar der wiedererstarkten deutschen Allmachtsfantasien opfern, und alles worüber man reden darf, sind CO2-Steuer, gendergerechte Sprache und Veganismus. Ihr demontiert unsere einzige Ressource Humankapital und erzählt uns Märchen von einer Grundrente und einem wirtschaftlich starken Deutschland, während das zu erwartende Rentenniveau aktuell schon weit unter dem OECD-Schnitt liegt. Wie könnt ihr es wagen!

Seit Jahrtausenden ist die Mathematik kristallklar: 1+1 ist 2. Wie könnt ihre es wagen, weiterhin wegzuschauen und das Rentenniveau bis 2025 auf 48 Prozent festzuschreiben, ganz so, als ergäbe 1+1 = 3, und zu sagen, dass ihr genug tut, wenn die Politik und die notwendigen Lösungen noch nirgendwo in Sicht sind.

Sie sagen, sie hätten Verständnis, müssten uns die Dinge nur besser erklären und uns mitnehmen. Aber egal wie traurig und wütend ich bin, ich will das nicht glauben. Denn wo bringt ihr die Leute hin, wenn ihr sie mitnehmt? Wenn ihr die Situation wirklich verstehen würdet und immer noch nicht gehandelt hättet, dann wäret ihr böse. Und das weigere ich mich zu glauben. Von einem Altruismus zwischen den Generationen kann bei euch dennoch keine Rede sein. Verwunderlich ist es nicht, ist doch knapp die Hälfte des Kabinetts Merkel kinderlos. 16 Minister plus die Kanzlerin müssen im Alter auf 24 Kinder im Umlageverfahren zurückgreifen. Wie praktisch, dass ihr da noch meinen Sohn und so viele andere Kinder – wenn auch viel zu wenige – zur Verfügung habt. Wenn der Euro unkontrolliert auseinanderfliegt, wenn der Sozialstaat kollabiert, wenn die deutsche Automobilindustrie endgültig von China ausgelacht wird, seid ihr schon längst im Ruhestand, und um die Zukunft eurer nicht vorhandenen Kinder in einem zerstrittenen und wirtschaftlich perspektivlosen Europa müsst ihr euch keine Sorgen machen. Wie könnt ihr es wagen!

Eine Nebelkerze nach der anderen 

Ihr zündet eine Nebelkerze nach der anderen. Wie immer, wenn politische Eliten vor dem Scheitern stehen, sprecht ihr die wirklichen Probleme nicht an. Wenn man euch so reden hört, kann man euch auch daraus keinen Vorwurf machen. Mit geistiger Elite habt ihr nicht viel zu tun, von Prinzipien seid ihr weit entfernt. Die populäre Idee, unsere Emissionen in 10 Jahren zu halbieren, gibt uns eine nullprozentige Chance, den Kollaps unserer Sozialsysteme zu verhindern und das Risiko, irreversible Kettenreaktionen außerhalb der staatlichen und politischen Kontrolle auszulösen.

Eine Haltelinie für das Rentenniveau, eine Grundrente und irgendwas, was der Seehofer gerade zum Thema Asyl faselt, sind für euch akzeptabel. Aber diese Zahlen beinhalten nicht die fehlende Rücklage von 970 Milliarden Euro für die Pensionsansprüche der Babyboomer, nicht die Beitragsentwicklung, wenn 2050 ein Beschäftigter für 0,83 Rentner aufkommen muss, nicht die implizite Staatsverschuldung, die, wenn berücksichtigt, die Gesamtverschuldung auf 225 Prozent ansteigen lässt und auch nicht die Kosten der ungesteuerten Einwanderung, die, bei halbwegs gelungener Integration, eine Mehrbelastung von 450.000 Euro pro Migrant für den Staatshaushalt bedeutet. 

Das alles ist für uns einfach nicht akzeptabel – uns, die wir mit den Folgen leben müssen.

Sofern Rentenzahlungen innerhalb einer alternden Gesellschaft überhaupt finanziert werden können, bedarf es einer leistungsfähigen Volkswirtschaft, welche den Topf zur Zahlung der Renten aber auch aller anderen Sozialleistungen immer schön gefüllt hält. Euch geht es aber immer nur um die Verteilung des Volksvermögens. Die Tragik der Allmende ist zum Heulen. Zusätzlich finanzieren wir Zwangsversicherte allgemeine politische Aufgaben mit, ohne, dass z.B. Beamte oder Selbstständige an diesen Zahlungen beteiligt werden. Dies gilt für alle sozialen Sicherungssysteme – nicht nur für die Rente. 2050 wird der Beitragssatz für die Sozialversicherungen 55,5 Prozent betragen – wenn die Wirtschaft bis dahin jährlich um 1,2 Prozent wächst. Keiner weiß, was uns in einer handfesten Krise erwartet, keiner ist darauf vorbereitet. 

Wir werden euch nie verzeihen

Ihr werdet keine Lösungen oder Pläne liefern, kein Renten- oder Sozialsystemkabinett formieren, um diese Zahlen anzugehen, weil diese Zahlen zu unbequem sind. Und ihr seid immer noch nicht reif genug, um es so zu sagen, wie es ist. 

Ihr enttäuscht uns, aber die jungen Leute werden euren Verrat irgendwann verstehen. Der normativen Kraft des Faktischen könnt weder ihr noch einer Massenpsychose anheimgefallene hüpfende Kinder und deren Eltern etwas entgegensetzen. Die Augen aller zukünftigen Generationen sind auf euch gerichtet. Und wenn ihr euch entscheidet, uns zu enttäuschen, sage ich: Wir werden euch nie verzeihen.

Ihr werdet wahrscheinlich trotzdem damit durchkommen, ihr seid alt und kinderlos genug. Aber bei 1 + 1 ist 3 ziehen die Grundrechenarten die Grenze. Eure Zeche werden wir zahlen. Meine Generation ist erbarmungslos optimistisch. Skepsis wäre barmherzig. 

Danke für nix

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Uta Buhr / 27.09.2019

Das ist keine Wutrede,. sondern eine echte Philippika ciceronischen Zuschnitts. Fantastisch, liebe Frau Kaus. Einige Foristen sind der Meinung, Sie sollten diese an unsere Polit-Delittanten in Berlin weiterreichen. Leider habe ich wenig Hoffnung, dass Sie dort auch nur ansatzweise verstanden, geschweige Gehör finden werden. Unserer angeblich hoch intelligenten und alles vom Ende her denkenden Kanzlerette wird sicherlich dazu nur einfallen, Ihre Worte seien - von ihr natürlich ungelesen - “nicht hilfreich.” Dennoch, machen Sie unverdrossen weiter. Sie wissen doch: Steter Tropfen höhlt den Stein! Ich freue mich auf weitere Beiträge aus Ihrer Feder.

Thomas Taterka / 27.09.2019

@Alexander Damaskinos : Bei allem Respekt : Die Achse sollte nicht zu einer Partei - Talentschmiede werden, sondern ein Ort des überparteilichen Journalismus bleiben. Es bringt nix, wenn alle in die gleiche Richtung laufen. Das ist ein Zeichen von Panik und schweißt die zusammen, die uns diesen Trip an den Abgrund eingebrockt haben. Opposition ist keine Fluchtmeute, aber die Regierung sollte eine werden, wenn die Bevölkerung endlich mal NACHDENKEN würde, statt dumpfe Reflexe zu liefern. Den Rest können Sie bei Canetti und Hannah Arendt nachlesen, wenn Sie ergründen wollen, wessen Teil zu werden Sie bereits in Gefahr sind. Freiheit der Presse ist Gebot Nr. 1, dann kommt das Begreifen und dann erst die Partei - mit aus der historischen Erfahrung gebotenen Skepsis und Vorsicht und Distanz. Nur so kann das gehen. Schauen Sie sich Ihren rechten Flügel an ? Das ist INDISKUTABEL.

R. Fetthauer / 27.09.2019

Das ist die bittere Wahrheit. Ergänzend sei bemerkt, das uns dieses irre “Gesamtkunstwerk” noch als alternativlos verkauft wird! Denk ich an Deutschland in der Nacht ... frag ich mich, wer zuerst aus dem Tiefschlaf erwacht!

Ernst-Günther Konrad / 27.09.2019

Wow, Frau Kaus. Sie dürften 31 Jahre sein, also keine alte weiße Frau und haben solche Erkenntnisse und dann den “Mut” soetwas öffentlich zu schreiben. Ich hoffe, Sie sind nicht bei Twitter oder so. Da soll es Menschen geben, die mit feigen Kommentaren anonym solche Statements entgegen treten. Bitte jedem BT-Abgeordneten auf sein Emailpostfach senden. Konnte nicht mehr schreiben, habe meine beiden Daumen hoch und stehe vor der Tastatur vor Begeisterung. Alles Gute und bleiben Sie stark.

Michael Blum / 27.09.2019

Auf den Punkt. Die Achse wird immer besser und wichtiger. Der Greta-Kult hat auch etwas Gutes, denn er offenbart die tatsächlichen drohenden Katastrophen.  Man darf auf zukünftige Beiträge der Autorin gespannt sein.

von Kullmann / 27.09.2019

Eine Bestandsaufnahme die weh tut. Zukunft Haushalt und Wohlstand egal, scheißegal. Politik nach Wetter(Klima)-Lage, Ich könnte weinen…

Ursula Horvath / 27.09.2019

Stimme eigentlich der Schreiberin zu, nur muss ich auch feststellen, dass viele Jahre das Problem Rente besteht, die Jugend genauso viele Jahre zu faul war, wählen zu gehen und die Energie die die Jugend heute aufbringt, um den Schulstress zu vermeiden, hätte sie schon seit Jahren in Demos für eine gerechte Zukunft, eine gerechte Rente und gegen Kriege verwenden können. Kriege sind auch Umweltverschmutzer, abgesehen von dem furchtbaren Leid für die betroffenen Menschen, aber da   habe ich keine hysterisch kreischenden Teenies gesehen und gehört. Tja, Jungs und Mädels, auch wenn wir irgendwann ein tolles Klima haben sollten, heißt das noch lange nicht, dass ihr dann glücklich seid, weil jeder Cent dafür erarbeitet werden muss und die meisten von euch versagen an dieser Stelle! Dann kommt noch die obzöne Frage:  Wollt ihr den totalen Verzicht ohne jede Ausnahme?

Hjalmar Kreutzer / 27.09.2019

Verehrte Frau Kaus, kennen Sie vielleicht noch Leute in Brüssel? Junge Frauen sind charmant und alte Männer sind eitel: Könnten Sie nicht einem „rechten“ EU-Abgeordneten Ihre Rede als die seine unterjubeln und im EU-Parlament halten lassen?

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