Thilo Schneider / 14.05.2019 / 13:00 / Foto: Timo Raab / 9 / Seite ausdrucken

Meine sichere Hafenstadt

Es ist vollbracht. Meine Heimatstadt ist (und bleibt) ein sicherer Hafen nach dem Seenotrettungsgesetz. Das ist gut. Denn es bedeutet, dass – sollte ein Schlauchboot auf dem Main kentern – die Insassen gerettet und an Land gebracht werden und sie sich darauf verlassen können, dass ihnen in Aschaffenburg kein Unbill an Leib und Leben geschieht. Ich war 1974 selbst schon in der Situation, als mir unter meinem Kinderkörper das aufblasbare Plastikkanu weggerutscht ist und ich mich nur mit Mühe und Seenot an das zehn Meter entfernte Mainufer retten konnte. Da war ich ganz schön froh, dass mich die Aschaffenburger nicht ausgeschimpft haben oder mich gefragt haben, ob ich bescheuert bin, mit einer Luftmatratze in Kanuform auf einer Wasserstraße herumzupaddeln. Gut, das Kanu (gelb, mit der Aufschrift „Sea Explorer“) war weg und dürfte sein ungnädiges und unrühmliches Ende am nächsten Schleusentor gefunden haben. 

Mittlerweile allerdings hat der helfenhafte Beschluss des Aschaffenburger Stadtrats internationale Dimensionen erreicht. Denn mit dieser launigen Initiative sollen „bevorzugt aus Seenot gerettete Flüchtlinge“ aufgenommen werden können, was wiederum „als Anreiz missverstanden werden kann, diesen lebensgefährlichen Fluchtweg einzuschlagen“.

Einmal davon abgesehen, dass es in Shitholistan selbstverständlich ausgiebig diskutiert werden wird, nach Aschaffenburg zu fliehen („…aber denk dran: zuerst musst du in Seenot geraten, Malte, sonst wird das nix! Nicht die Landroute nehmen, gell?“), sieht das internationale Seerecht vor, Schiffbrüchige in den nächsten (!) „sicheren Hafen“ zu bringen, von wo sie dort dann die Heimreise antreten können. Sofern dies nicht gegen das „Refoulment“-Gebot verstößt. In Praxi bedeutet dies für Aschaffenburg, wenn es dieses Gebot ernst nimmt, dass Schiffbrüchige aus Offenbach oder Frankfurt künftig nicht nach Hessen zurückgebracht werden dürfen. 

Der Initiator dieser nun von Grünen und SPD und einer Gruppe von, nunja… „besonders engagierten Revolutionärrinnen mit seltsamen Frisuren“ verabschiedeten Erklärung mochte mit seiner jetzt verfolgtreichen Petition Folgendes bereichern: Die Stadt Aschaffenburg soll Geflüchtretteten „offensiv eine Aufnahme anbieten und ihnen Perspektiven eröffnen“.

Hervorragende Auskunft auf der Seite des BAMF 

Der Initiator der Petition begründet dies unter anderem damit, dass „Migration schon immer ein Teil unserer Gesellschaft war und ist“. Was mich natürlich etwas verwirrt. Ich glaube, die allerwenigsten aus Seenot geretteten Menschen wollen in das Land, in dem sie abgesetzt werden, immigrieren. Ich mag mich irren, aber ich glaube nicht, dass die Passagiere der Costa Cordalis (oder wie der Pott hieß) damals nach Italien einwandern wollten. Die wollten wieder heim und den Veranstalter und die Reederei verklagen.

Mich beschleicht da so der böse Verdacht, dass hier aus Seenot Gerettete mit Einwanderern gleichgesetzt werden. Das hätte aber dann mit Seenotrettung nichts mehr, mit Schleusertum dagegen sehr viel zu tun. Aber das können die Initiatoren ja nicht gemeint haben! Da liegt sicher eine Verwechslung, sozusagen ein Flüchtlingskeitsfehler, vor!

Und welche „Perspektiven“ sollen da eröffnet werden? Das sind doch aus Seenot Gerettete! Die kriegen Decken, eine warme Suppe und werden dann in den nächstgelegenen sicheren Hafen – im Falle Libyen wären das die auch unter Urlaubern beliebten Städte Tunis, Valletta, Palermo oder Athen, geparkt, bis es wieder nach Hause oder in einen sicheren anderen Staat geht. Vorzugsweise in einen, der der Kultur und Lebensweise der Gestrandeten entspricht und dessen Sprache sie verstehen.

„Sicher“ ist ein Staat übrigens auch dann, wenn es da einfach nur kacke ist und die Hauptstraßen immer noch aus Schotter bestehen. Oder sind es doch Einwanderer, die sich nichts mehr wünschen, als nach Deutschland einzuwandern? In diesem Fall gibt die Seite des BAMF hervorragend Auskunft, wie das funktioniert mit der legalen Einwanderung nach Deutschland. Dazu braucht aber Aschaffenburg keinen Status als „sicherer Hafen“, sondern einen als begehrten Wirtschaftsstandort, der Fachkräfte sucht. 

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wer es schafft, zuerst durch die Straße von Gibraltar, an Spanien und Frankreich vorbei, scharf rechts in den Niederlanden in die Waal und dann den Rhein einzubiegen, anschließend hart links ab bei Mainz Richtung Würzburg zu paddeln und dann Höhe Aschaffenburg sein eigenes Boot zu versenken: Willkommen. Das hast Du Dir echt verdient. Meine Hochachtung. Hier sind Deine Decke und Deine Suppe. Ausweis oder ein anderes Identitätsdokument dabei? Was kannst Du und welche besonderen Fähigkeiten hast Du? Außer nachweislich paddeln?

Sehr viel fairer als bei einem Schleuser der Wahl

Was ich auch nicht verstanden habe: Die Aktionäre dieser etwas seltsamen Petition warben mit dem Spruch „Fähren statt Frontex“. Dabei gibt es ja Fährverbindungen. Alleine von Tunis kann man bereits für 289 Euro – also sehr viel fairer als bei einem Schleuser der Wahl – nach Marseille, Palermo, Genua, und – für die ganz Mutigen – Civitavecchia fähren. Man kommt (wahrscheinlich – die Kritiken sind gut) sehr sicher zu einem vertretbaren Preis an und sollte es doch geFÄHRlich werden, dann wären Frontex und sogar illegale Schleuserboote verpflichtet, einen aufzunehmen und in einen sicheren Hafen – in diesem Falle Tunis oder was halt sonst an sicheren Häfen in der Nähe ist – zu bringen. 

Dann natürlich macht das auch Sinn, dass die Stadt (gemeinsam mit 55 anderen Städten in Deutschland, deren Stadtratsmehrheiten ebenfalls an einem schiffsgebrochenen Herzen und einem schlimmen Aua im Kopf leiden) sämtliche verfügbaren Verkehrsmittel aktiviert, um die arm-an-Wort-und-Schriftbrüchigen  „offensiv“ zu sich zu fähren und ihnen irgendwelche „Perspektiven“ (beispielsweise als Maat oder Smutje oder Noch-Mehr-Jungfrau) anzubieten. Hier hätten wir nur gelegentlich das kleine Problem, dass die Leute, die die Menschen bestellt haben, nicht auch die Leute sind, die sie dann geliefert bekommen. In den hübschen Vierteln der Stadt gibt es keine Aufnahmeeinrichtungen. Wären bis zum Stadtkern ja auch fast 1.000 Meter zu laufen. Weit. 

Es kann natürlich auch sein, dass die sicheren Hafenarbeiter das Ganze „mehr so symbolisch“ meinen, um mal kurz Haltung vorzuzeigen. Und sich ansonsten darauf verlassen, dass die Nicht-mehr-zu-Rettenden auf eigenen Wunsch nach Schweden durchgereicht werden. Weil es da noch mehr und höhere monatliche Perspektiven als in Deutschland gibt.

Es gibt aber noch eine weitere Möglichkeit, aber die ist so absurd, dass ich eigentlich gar nicht darüber schreiben mag: Die Initiatoren der „offensiven Rettungsaktion“ mögen es einfach super bunt und können sich an Menschen anderer Kulturen, Sprachen, Religionen, Sitten und Gebräche einfach nicht sattsehen und wollen deshalb viele – sehr viele – Menschen aus Afrika, deren Hauptqualifikation das selbstständige Atmen ist, gerne in Europa und speziell in Aschaffenburg herumretten. Schont ja auch die Umwelt, wenn man dazu nicht nach Afrika fliegen muss, sondern Afrika einfach herholt.  

Zur Ehrenseerettung speziell des Aschaffenburger Hafenstadtrandrats sei aber gesagt, dass versehentlich bereits erste Maßnahmen zur Sicherheit des Hafens stattgefunden haben: Das beliebte Event „Unten am Fluss“ fällt ins Flusswasser, nachdem im letzten Jahr acht Drogenfälle bei lediglich ein paar tausend Besuchern stattgefunden haben. „Sicherer Hafen“ meint eben sicheren Hafen. Auch, wenn dadurch schon mal die eine oder andere berufliche Perspektive als kleingewerblicher Freizeitpharmazeut und Spaßkräuterkundiger wegfällt. Aber was ist schon perfekt?

Wenn sich schon das Klima beharrlich weigert, aus einer nordeuropäischen Binnenstadt eine südeuropäische Mittelmeerstadt zu machen, dann kann man wenigstens immer noch eine Bald-schon-keine-Mittelmehr-Stadt sein. Und immerhin trägt Aschaffenburg ja schon den Titel „Bayerisches Nizza“. Da darf es dann auch ruhig der Zusatz „fränkisches Lampedusa“ sein. „…and bring your families doch gleich with you.“ 

Foto: Timo Raab

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Belo Zibé / 14.05.2019

Sich an Menschen anderer Kulturen, Sprachen, Religionen, Sitten und Gebräuchen einfach nicht sattsehen können und Migration damals und erst recht heute als Teil unserer Gesellschaft   anzusehen, ist ja allgemein en vogue und fungiert zunehmend als Gleitmittel für reibungslose Politik.Ja, man engagiert sich wirklich gern, nur bleib meinem Garten fern.

Gertraude Wenz / 14.05.2019

Sie werden ja immer besser, Herr Schneider, was für ein köstlicher Artikel, schon allein der “Flüchtlingskeitsfehler” oder die “Revolutionärrinnen” sind absolute Formulierungsspitze! Ich bin stolz auf Sie, als Sohn der Stadt, in deren Kreis ich (noch) immer gut und gerne lebe. Der Unsinn nimmt aber auch in dieser Stadt derart Fahrt auf und ich kenne so ein paar Unsinnsvertreter persönlich, dass man das wohlbekannte Schilda mit seinen einfältigen Schildbürgern dagegen noch als Silicon Valley bezeichnen muss. Machen Sie bitte weiter so und treten Sie mit Witz und Verstand all diesen Dummbürgern mal so richtig auf den Fuß! Es MUSS weh tun!

Thomas Taterka / 14.05.2019

Es ist vielleicht gar nicht sooo falsch, auch mal darauf hinzuweisen, daß nicht nur die “Migration ein Teil unserer Gesellschaft war und ist ” , sondern auch die Emigration. Und ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, daß das ” In -die -Flucht -schlagen ” durch Diskussionsverblödung eine uralte Tradition in unserer Gesellschaft war und ist , besonders in der Provinz.  Daß Sie das aushalten, Herr Schneider ! Die Stadt muß schön sein, im Prinzip. Anders kann ich mir das nicht erklären, mit der ” Heimatverbundenheit “.

Martin Landner / 14.05.2019

Bitte mal einen Artikel zur formalen Forderung der Unabhängigkeit von solchem lebensgefährlichen Schwachsinn. Entschuldigung, aber es ist einfach an der Zeit, dass die zwölf Hanseln, die in Deutschland noch irgendwo ein paar Tassen im Schrank haben, einen funktionierenden Staat aufmachen. So mit Gesetzen und so. Um den Rest von Deutschland bauen wir dann eine Gummizelle, damit sich die Insassen nicht verletzen.

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